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27.03.2009 · IWW-Abrufnummer 091062

Verwaltungsgericht Düsseldorf: Urteil vom 08.12.2008 – 7 K 5981/08

1. Es verstößt gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, von einem staatlich geprüften Physiotherapeuten, der nur innerhalb seines Fachgebietes selbstständig behandeln will, eine spezielle Befähigungsprüfung nach dem Heilpraktikergesetz zu verlangen.



2. Eine Heilpraktikererlaubnis kann beschränkt auf das Gebiet der physikalischen Therapie und der Physiotherapie erteilt werden.



3. Physiotherapeuten, die im Besitz einer eingeschränkten Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz sind, sind nicht verpflichtet, die Berufsbezeichnung "Heilpraktiker" zu führen.


Verwaltungsgericht Düsseldorf

7 K 5981/08

Tenor:

Der Bescheid des Beklagten vom 4. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. August 2008 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger unter Freistellung von der Verpflichtung, die Berufsbezeichnung „Heilpraktiker“ zu führen, die Erlaubnis zu erteilen, die Heilkunde nach Maßgabe von § 1 Heilpraktikergesetz selbstständig auszuüben, und zwar beschränkt auf den Bereich der physikalischen Therapie und der Physiotherapie im Sinne der §§ 3 und 8 des Gesetzes über die Berufe in der Physiotherapie mit Ausnahme von Behandlungen zur Traktion der Wirbelsäule und der Durchführung von Thermalbädern als Vollbäder inkl. Stangerbäder.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kläger erhielt im Jahr 1977 die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung Masseur und medizinischer Bademeister und im Jahr 1997 die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung Physiotherapeut. Er ist freiberuflich in eigener Praxis tätig.

Unter dem 20. Juni 2007 beantragte der Kläger, ihm ohne weitere Eignungsüberprüfung und unter Freistellung von der Verpflichtung, die Berufsbezeichnung "Heilpraktiker" zu führen, die Erlaubnis zu erteilen, die Heilkunde selbstständig auszuüben, und zwar beschränkt auf den Bereich der physikalischen Therapie sowie der Physiotherapie im Sinne der §§ 3 und 8 des Gesetzes über die Berufe in der Physiotherapie. Nachdem er den Antrag zunächst zurückgenommen hatte, teilte er mit Schreiben vom 28. Juni 2007 mit, er wolle an seinem Begehren festhalten; die Rücknahme sei hinfällig.

Mit Bescheid vom 4. Dezember 2007 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte er aus: Die Heilpraktikererlaubnis sei nicht auf den Bereich der Physiotherapie beschränkbar. Der Grundsatz der Unteilbarkeit der Heilpraktikererlaubnis sei durch das Bundesverwaltungsgericht lediglich für den Bereich der Psychotherapie aufgehoben worden. Der Grund hierfür sei gewesen, dass sich die Berufsbilder auf dem Sektor der Heilberufe seit Inkrafttreten des Heilpraktikergesetzes in damals nicht voraussehbarer Weise ausdifferenziert hätten. Dies treffe jedoch nur für die Psychotherapie zu, nicht für andere Fachgebiete. Da der Kläger zum Ausdruck gebracht habe, sich der somit erforderlichen Kenntnisüberprüfung nicht unterziehen zu wollen, komme die Erteilung der Heilpraktikererlaubnis nicht in Betracht.

Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte nach Anhörung des Gutachterausschusses für Heilpraktiker bei der Bezirksregierung E mit Widerspruchsbescheid vom 18. August 2008 zurück. Zur Begründung verwies er auf die Gründe des Versagungsbescheides. Ergänzend machte er im Wesentlichen geltend: Ein Heilpraktiker müsse in der Lage sein, eigenständig Krankheiten festzustellen, sie zu lindern und zu heilen. Hierzu bedürfe es eines breit angelegten allgemeinmedizinischen Grundlagenwissens, über das Physiotherapeuten nicht verfügten. Deren Qualifikation erstrecke sich nur auf die Tätigkeit in einem Heilhilfsberuf. Dieser habe gerade nicht die selbstständige und eigenverantwortliche Ausübung der Heilkunde zum Gegenstand. Ein Physiotherapeut dürfe ausschließlich auf der Grundlage einer durch einen Arzt oder Heilpraktiker gestellten Indikation und Verordnung tätig werden. Die Überwachung des Therapieverlaufs und Therapieziels bleibe dabei in der Verantwortung des Arztes oder Heilpraktikers. Hieran orientiere sich auch die Ausbildung zum Physiotherapeuten. Sämtliche Prüfungsabschnitte bezögen sich auf spezifisch physiotherapeutisch relevante Fächer und Verfahren. Prüfungsrelevant sei zum Beispiel ausschließlich die spezielle Krankheitslehre. Dies unterscheide die Prüfung von der Heilpraktikerprüfung. Zu deren Inhalten gehörten u.a. Kenntnisse der allgemeinen Krankheitslehre einschließlich der Bewertung grundlegender Laborwerte und der Unterscheidung von häufigen Krankheiten ebenso wie Methoden der unmittelbaren Krankenuntersuchung (z.B. Palpation, Perkussion, Auskultation, Puls- und Blutdruckmessung). Derartige Grundkenntnisse und fertigkeiten seien für die selbstständige Ausübung der Heilkunde unverzichtbar. Anderenfalls bestehe die Gefahr, dass ernste Leiden nicht frühzeitig erkannt würden und eine notwendige ärztliche Behandlung nicht oder nicht rechtzeitig erfolge. Symptome wie Muskelverspannungen oder Rückenschmerzen könnten zahlreiche Ursachen haben. Ferner sei es möglich, dass die Ursachen wechselten. Selbst bei einem schon bekannten Patienten und Krankheitsbild müssten daher die Indikationsstellung und die notwendigen Therapiemaßnahmen ständig überprüft werden. So könnten Rückenschmerzen zunächst orthopädisch und im späteren Verlauf durch Spätmetastasen einer Krebserkrankung der Prostata begründet sein. Ohne eine kontinuierliche Überprüfung bestehe eine Gesundheitsgefährdung, da der Patient darauf vertraue, im Bedarfsfall rechtzeitig zu einem Arzt verwiesen zu werden.

Der Kläger hat am 26. August 2008 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er u.a. vor: Dass er nur nach ärztlicher Verordnung tätig werden dürfe, lasse sich dem Berufsrecht der Physiotherapeuten nicht entnehmen. Die umfangreiche Ausbildung befähige ihn, alle relevanten Krankheitsbilder sowie mögliche Kontraindikationen zu erkennen und zu beherrschen; sie vermittele die differenzialdiagnostischen Kenntnisse, über die er auf Grund der Krankheitsbilder, die ihm beruflich begegnen könnten, verfügen müsse. Darüber hinausgehende differenzialdiagnostische Kenntnisse seien für die gefahrenfreie Tätigkeit eines Physiotherapeuten nicht erforderlich. Wenn zum Beispiel jemand zu ihm komme, der Anzeichen von Keuchhusten zeige, werde er nicht mit einer Behandlung beginnen. Auch ein Arzt könne in der Regel nicht alle denkbaren Alternativursachen für Krankheitssymptome abklären. Zu verlangen sei lediglich, dass durch richtige Einordnung und Auswertung bestehender Symptome Gewissheit darüber erlangt werde, wann ein Patient ohne Gefahr behandelt werden dürfe bzw. unter welchen Umständen dies nicht der Fall sei. Hierzu sei er in der Lage. Wie ein Arzt beschränke er seine Tätigkeit auf die erlernten Handlungsmöglichkeiten und Erkenntnisziele. Auf Grund seiner Ausbildung könne er erkennen, ob die heilkundliche Betätigung für den Patienten eine Gefahr darstelle, er also nicht behandeln dürfe, sondern einen ggf. unverzüglichen Arztbesuch empfehlen müsse. Dass von der selbstständigen Tätigkeit eines Physiotherapeuten keine Gefahr ausgehe, werde durch mehrere beigefügte Sachverständigengutachten bestätigt.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Bescheid des Beklagten vom 4. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. August 2008 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm unter Freistellung von der Verpflichtung, die Berufsbezeichnung "Heilpraktiker" zu führen, die Erlaubnis zu erteilen, Heilkunde selbstständig auszuüben, und zwar beschränkt auf den Bereich der physikalischen Therapie und der Physiotherapie im Sinne der §§ 3 und 8 MPhG mit Ausnahme von Behandlungen zur Traktion der Wirbelsäule und der Durchführung von Thermalbädern als Vollbäder inkl. Stangerbäder.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt er Bezug auf die Gründe des angegriffenen Bescheides und des Widerspruchsbescheides sowie auf die Stellungnahme des Gutachterausschusses.

Im Erörterungstermin vom 3. Dezember 2008 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO kann das Gericht im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 4. Dezember 2007 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Dieser hat einen Anspruch darauf, dass ihm unter Freistellung von der Verpflichtung, die Berufsbezeichnung "Heilpraktiker" zu führen, eine Heilpraktikererlaubnis in dem beantragten Umfang erteilt wird (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Anspruchsgrundlage für die begehrte Erlaubnis ist § 1 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 HeilprG, § 2 Abs. 1 der 1. DVO-HeilprG und Art. 12 Abs. 1 GG. Nach § 1 Abs. 1 HeilprG bedarf der Erlaubnis, wer die Heilkunde, ohne als Arzt bestallt zu sein, ausüben will. Die Erteilung steht entgegen dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 HeilprG (" ... kann eine Erlaubnis ... erhalten") nicht im Ermessen des Beklagten. Vielmehr besteht auf Grund der gebotenen verfassungskonformen Auslegung der vorkonstitutionellen Vorschrift ein Rechtsanspruch auf die Erlaubnis, wenn kein - rechtsstaatlich unbedenklicher - Versagungsgrund nach § 2 Abs. 1 der 1. DVO-HeilprG gegeben ist.
Std. Rspr., vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1993 - 3 C 34/90 -, BVerwGE 91, 356 ff. (358).

Zutreffend gehen die Beteiligten davon aus, dass der Kläger für die von ihm beabsichtigte selbstständige Ausübung der Physiotherapie einer Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz bedarf. Nach § 1 Abs. 2 HeilprG ist Heilkunde jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, auch wenn sie im Dienste von anderen ausgeübt wird. Dass es sich bei der hier in Rede stehenden Tätigkeit um Heilkunde im Sinne dieser Vorschrift handelt, liegt auf der Hand und bedarf daher keiner näheren Begründung. Die Heilpraktikererlaubnis erübrigt sich nicht im Hinblick darauf, dass der Kläger bereits über eine Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Berufe in der Physiotherapie (MPhG) verfügt. Mit der Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz erstrebt der Kläger nämlich eine Ausweitung seines bisher erlaubten Tätigkeitskreises. Zwar ermächtigt die vorhandene Erlaubnis nach § 1 MPhG über die bloße Befugnis zur Führung der Berufsbezeichnung Masseur und medizinischer Bademeister bzw. Physiotherapeut hinaus auch zur Erbringung entsprechender Leistungen. Jedoch handelt es sich bei diesen Leistungen um solche in einem sog. Heilhilfsberuf. Nach dem beruflichen Selbstverständnis, wie es vor allem in den §§ 3 und 8 MPhG zum Ausdruck kommt, geben Masseure und medizinische Bademeister bzw. Physiotherapeuten lediglich "Hilfen" bei bestimmten gesundheitlichen Problemlagen, wobei diese "Hilfen" im Regelfall nach Maßgabe einer ärztlichen Diagnose und auf Grund einer ärztlichen Verordnung erbracht werden. Darin, dass der verordnende Arzt die Verantwortung für die medizinische Indikation der Maßnahme trägt, äußert sich der bloß helfende Charakter der Tätigkeit eines Masseurs und medizinischen Bademeisters bzw. Physiotherapeuten. Im Gegensatz dazu hat die Heilpraktikererlaubnis die selbstständige und eigenverantwortliche Ausübung der Heilkunde zum Gegenstand. Die berufliche Tätigkeit des Heilpraktikers wird in voller diagnostischer und therapeutischer Autonomie verrichtet und betrifft damit im Vergleich zu der Erlaubnis nach § 1 MPhG ein "Aliud".
Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. November 2006 - 6 A 10271/06 -, juris.

Der Erteilung der Heilpraktikererlaubnis an den Kläger steht kein Versagungsgrund entgegen. Nach der - hier allein in Betracht zu ziehenden - Regelung des § 2 Abs. 1 Buchst. i der 1. DVO-HeilprG darf die Heilpraktikererlaubnis nicht erteilt werden, wenn sich aus einer Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Antragstellers durch das Gesundheitsamt ergibt, dass die Ausübung der Heilkunde durch den Betreffenden eine Gefahr für die Volksgesundheit bedeuten würde. Bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift mit Blick auf das Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) ist davon auszugehen, dass hier eine Prüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten nach Aktenlage ausreichend ist und zu dem Ergebnis kommen muss, dass von der selbstständigen physiotherapeutischen Tätigkeit des Klägers keine Gefahr für die Volksgesundheit ausgeht.

Weder das Heilpraktikergesetz noch die Durchführungsverordnungen schreiben vor, in welcher Form und in welchem Umfang die Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Heilpraktikeranwärters zu erfolgen hat. Gesichert ist allerdings, dass es sich nicht um eine formalisierte Prüfung im herkömmlichen Sinne handelt, die auf eine zu einem bestimmten Zeitpunkt nach fest stehenden Kriterien zu erbringende Prüfungsleistung des Bewerbers abstellt. Die Heilpraktikererlaubnis kann nicht als "kleine Approbation" und die Überprüfung nach § 2 Abs. 1 Buchst. i der 1. DVO-HeilprG nicht als "medizinisches Staatsexamen mit verringerten Anforderungen" verstanden werden. Da für den Heilpraktikerberuf keine bestimmte fachliche Ausbildung vorgeschrieben ist, zielt die Überprüfung nicht auf den Nachweis einer definierten Fachqualifikation. Als reine Maßnahme der Gefahrenabwehr erfüllt sie vielmehr nur die Funktion eines Negativattestes dahingehend, dass die Ausübung der Heilkunde durch den Bewerber keine Gefahr für die Volksgesundheit bedeutet. Dem entsprechend umschreibt § 2 Abs. 1 Buchst. i der 1. DVO-HeilprG lediglich den Gegenstand und das Ziel der der Behörde aufgegebenen Sachverhaltsermittlung (vgl. § 24 VwVfG NRW). Die Art der Durchführung liegt im pflichtgemäßen behördlichen Ermessen (§ 26 Abs. 1 VwVfG NRW), das begrenzt wird durch den gesetzlichen Zweck der Gefahrenabwehr und den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dies berücksichtigend wird die Behörde zunächst nach Aktenlage die vom Bewerber vorgelegten Zeugnisse und sonstigen Nachweise über absolvierte Ausbildungen prüfen müssen. Dabei kann sich, auch wenn dies nicht die Regel sein dürfte, bereits nach Aktenlage ergeben, dass eine weitere Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten zum Zweck der Gefahrenabwehr nicht erforderlich und daher unverhältnismäßig ist. Es erscheint nämlich nicht von vornherein ausgeschlossen, dass bereits der bisherige berufliche Werdegang und die fachliche Vorbildung eines Bewerbers erkennen lassen, dass von seiner Tätigkeit keine Gefahr für Patienten oder die Allgemeinheit ausgeht.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1993 - 3 C 34/90 -, BVerwGE 91, 356 ff. (360 f.); VG Ansbach, Urteil vom 9. Juli 2008 - AN 9 K 07.03319 -, juris.

Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn die für das beabsichtigte Tätigkeitsspektrum erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten bereits Gegenstand einer anderen staatlichen Prüfung waren.

So liegt der Fall hier. Der Kläger ist Physiotherapeut. Als solcher hat er die im Gesetz über die Berufe in der Physiotherapie geregelte Ausbildung durchlaufen und die staatliche Prüfung bestanden. Der Erkenntniswert dieser Staatsprüfung geht über das bloße Negativattest des § 2 Abs. 1 Buchst. i der 1. DVO-HeilprG weit hinaus. Ihr Bestehen dokumentiert, dass der Kandidat den beruflichen Anforderungen in Theorie und Praxis vollumfänglich gewachsen ist. Dies schließt die Feststellung ein, dass sich aus Heilbehandlungen durch einen Physiotherapeuten jedenfalls dann keine gesundheitlichen Risiken ergeben, wenn die angebotenen Leistungen im Tätigkeitsspektrum des Berufsbildes liegen. Eine weitere Überprüfung der Kenntnisse und Fähigkeiten des Klägers nach § 2 Abs. 1 Buchst. i der 1. DVO-HeilprG wäre daher verfassungsrechtlich nur gerechtfertigt, wenn gerade die selbstständige und eigenverantwortliche Wahrnehmung des Heilpraktikerberufs, etwa auf diagnostischem Gebiet, mit Anforderungen verbunden wäre, die von der staatlichen Ausbildung und Prüfung zum Physiotherapeuten nicht erfasst würden.

Eine derartige "Lücke", aus der sich möglicherweise Gefahren für die Volksgesundheit ergeben könnten, besteht jedoch zur Überzeugung des Gerichts bei einem Physiotherapeuten nicht, wenn er lediglich auf seinem Fachgebiet oder einem Teil davon als Heilpraktiker tätig werden will. Auf diesem eingeschränkten Gebiet ist der Physiotherapeut in der Lage, die notwendigen Befunde und Diagnosen selbstständig zu erheben. Gemäß § 8 MPhG befähigt die Ausbildung ihn entsprechend der Aufgabenstellung des Berufs insbesondere dazu, durch Anwenden geeigneter Verfahren der Physiotherapie in Prävention, kurativer Medizin, Rehabilitation und im Kurwesen Hilfen zur Entwicklung, zum Erhalt oder zur Wiederherstellung aller Funktionen im somatischen und psychischen Bereich zu geben und bei nicht rückbildungsfähigen Körperbehinderungen Ersatzfunktionen zu schulen. Den Inhalt der Ausbildung regelt die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Physiotherapeuten (PhysTh-APrV). Dabei umfasst nach § 1 PhysTh-APrV die dreijährige Ausbildung der Physiotherapeuten mindestens den in der Anlage 1 aufgeführten theoretischen und praktischen Unterricht von 2.900 Stunden und die aufgeführte praktische Ausbildung von 1.600 Stunden. Neben der speziellen Krankheitslehre sind gemäß Ziffer 4 der Anlage 1 auch Bereiche der allgemeinen Krankheitslehre
- Pathologie der Zelle; Krankheit und Krankheitsursachen; Krankheitsverlauf und Symptome; Entzündungen und Ödeme; degenerative Veränderungen; Wachstum und seine Störungen, gutartige und bösartige Neubildungen; Störungen der immunologischen Reaktionen; örtliche und allgemeine Kreislaufstörungen, Blutungen; Störungen des Gasaustauschs und der Sauerstoffversorgung -

Gegenstand des Unterrichts. Nach Ziffer 15 der Anlage 1 werden ferner 100 theoretische und praktische Unterrichtsstunden zu physiotherapeutischen Befund- und Untersuchungstechniken
- Grundlagen der Befunderhebung; Inspektion; Funktionsprüfung; Palpation; Meßverfahren; Reflexverhalten; Wahrnehmung akustischer Auffälligkeiten; Systematik der Befunderhebung; Dokumentation, Synthese der Befunderhebung; Erstellung des Behandlungsplanes -
abgehalten. Demnach werden dem Physiotherapeuten im Rahmen seiner Ausbildung neben Kenntnissen und Fähigkeiten in der Physiotherapie auch Kenntnisse im Bereich der allgemeinen Krankheitslehre sowie über diagnostische Verfahren zur Befunderhebung vermittelt, die ihn befähigen sollen, Behandlungsindikationen und Kontraindikationen zu erkennen. Solche therapievorbereitenden Untersuchungen sind notwendig, da der verschreibende Arzt auf seiner Heilmittelverordnung meist nur das Leitsymptom angibt, weshalb der Physiotherapeut häufig ergänzend selbst befunden muss. Das Wissen über Allgemein- und Leitsymptome sowie über Indikationen und Kontraindikationen von Befund- und Behandlungstechniken versetzt den Physiotherapeuten in einer für die selbstständige Ausübung der Tätigkeit im sektoralen Bereich des erlernten Berufs ausreichenden Weise in die Lage, Abweichungen von der Gesundheit zu erkennen und dadurch festzustellen, ob vor oder an Stelle der eigenen heilkundlichen Intervention (fach-)ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden muss. Daher verleiht die Ausbildung dem Physiotherapeuten die Fähigkeit zum Patientenerstkontakt. Dies entnimmt das Gericht den im Ergebnis übereinstimmenden und in sich nachvollziehbaren Gutachten des Facharztes für Orthopädie Q vom 27. Februar 2008 (mit ergänzender Stellungnahme vom 7. Juli 2008), des Facharztes für Neurochirurgie T vom 13. Mai 2008 (mit ergänzender Stellungnahme vom 30. Juli 2008) sowie des C, Professur für Regulative Physiologie und Prävention an der Universität Q1 vom 20. Juli 2008 (mit ergänzender Stellungnahme vom 23. Juli 2008), die der Kläger zur Frage, ob ein Physiotherapeut ohne ärztliche Verordnung heilkundliche Leistungen erbringen kann, ohne die Gesundheit der Patienten zu gefährden, vorgelegt hat. Das Gericht hat keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser sachverständigen Äußerungen zu zweifeln, zumal der Beklagte ihnen nicht konkret entgegen getreten ist. Zwar dürfte es zutreffen, dass die diagnostische Kompetenz eines (Fach-)Arztes der eines Physiotherapeuten überlegen ist. Darauf kommt es hier indessen nicht an, weil der Kläger nicht als Arzt tätig werden möchte, sondern lediglich eine Heilpraktikererlaubnis erstrebt. Als Vergleichsgruppe ist daher auf die der Heilpraktiker abzustellen. Abgesehen davon, dass das schulmedizinisch fundierte Wissen eines Physiotherapeuten auf seinem Fachgebiet in der Regel deutlich weiter reichen dürfte als das des Heilpraktikers, verfügt letzterer ebenfalls nicht über die diagnostischen Möglichkeiten eines Arztes, insbesondere nicht über sog. bildgebende Verfahren. Es ist daher nicht erkennbar, dass der Physiotherapeut wesentlich schlechtere Fähigkeiten im Bereich der Differenzialdiagnose, d.h. bei der Erkennung von Beschwerdeursachen, zu deren Behandlung er nicht befähigt ist, hat. Im Übrigen lernt der Physiotherapeut in seiner Ausbildung darauf zu achten, ob die durchgeführten Behandlungsmaßnahmen zum Erfolg führen, oder ob eine außerhalb seiner Kompetenz liegende Ursache der Erkrankung nahe liegt und eine Klärung durch einen Arzt erforderlich ist. Vor diesem Hintergrund gibt es zur Überzeugung des Gerichts keinen rechtlich anerkennenswerten Grund, von einem staatlich geprüften Physiotherapeuten, der erklärtermaßen nur innerhalb seines Fachgebietes selbstständig behandeln will, eine spezielle Befähigungsüberprüfung nach dem Heilpraktikergesetz zu verlangen. Das Bestehen auf einer solchen Überprüfung ist unverhältnismäßig.
So auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. November 2006 - 6 A 10271/06 -, juris; ferner VG Ansbach, Urteil vom 9. Juli 2008 - AN 9 K 07.03319 -; VG Oldenburg, Urteil vom 4. Juli 2008 7 A 3665/07 - und VG Stuttgart, Urteil vom 10. April 2008 - 4 K 5891/07 -; jeweils juris; a.A. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 22. August 2007 - 7 K 2003/05 -, juris.

Ferner steht dem Anspruch des Klägers auf Erteilung der Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz nicht entgegen, dass die Befugnis zur selbstständigen Ausübung der Heilkunde auf das Gebiet der physikalischen Therapie und Physiotherapie beschränkt sein soll. Zwar sieht das Heilpraktikergesetz eine gegenständlich beschränkte Erlaubnis nicht vor. Es enthält aber auch kein diesbezügliches Verbot. Das Bundesverwaltungsgericht hat
mit Urteil vom 21. Januar 1993 - 3 C 34/90 -, BVerwGE 91, 356 ff. (361 f.)
den bis dahin von ihm vertretenen Grundsatz der Unteilbarkeit der Heilpraktikererlaubnis für den Bereich der Psychotherapie ausdrücklich aufgegeben. Der dafür maßgebliche Gesichtspunkt war, dass sich die Berufsbilder auf dem Sektor der Heilberufe seit dem Erlass des Heilpraktikergesetzes im Jahr 1939 in damals nicht voraussehbarer Weise ausdifferenziert haben, so dass Anlass besteht, das Gesetz im Wege der Auslegung an die heutigen Gegebenheiten anzupassen. Diese Erwägung gilt nicht nur für das Berufsbild des Psychotherapeuten, sondern überall dort, wo der Anwendungsbereich des Heilpraktikergesetzes in Beziehung zu setzen ist zu speziellen Gesetzen, durch die bestimmte heilkundliche Berufe nachkonstitutionell verfasst worden sind. Letzteres trifft auch auf das Gesetz über die Berufe in der Physiotherapie zu. Durch dieses hat der Gesetzgeber die Funktionen Masseur und medizinischer Bademeister bzw. Physiotherapeut in einer den heutigen Notwendigkeiten gemäßen Weise von anderen heilkundlichen Tätigkeiten abgegrenzt und einer speziellen Regelung zugeführt. Wer den Anforderungen dieses Gesetzes genügt, hat damit Zutritt zu einem hinreichend klar definierten und abgegrenzten heilkundlichen Aufgabenfeld, das der Heilpraktikererlaubnis insgesamt, aber auch in Teilen zugänglich ist, weil seine Materien sich, wie oben dargelegt, dazu eignen, selbstständig und eigenverantwortlich durch den Physiotherapeuten bearbeitet zu werden.
Vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21. November 2006 - 6 A 10271/06 -, juris; ferner VG Ansbach, Urteil vom 9. Juli 2008 - AN 9 K 07.03319 -; VG Oldenburg, Urteil vom 4. Juli 2008 7 A 3665/07 - und VG Stuttgart, Urteil vom 10. April 2008 - 4 K 5891/07 -; jeweils juris.

Schließlich ist der Kläger auch nicht gemäß § 1 Abs. 3 Halbs. 2 HeilprG verpflichtet, die Berufsbezeichnung "Heilpraktiker" zu führen. Diese vorkonstitutionelle Vorschrift bedarf der Einschränkung, soweit es um ihre Anwendung auf Physiotherapeuten geht. In Bezug auf diesen Personenkreis ist die Bezeichnung "Heilpraktiker" nämlich sachwidrig und irreführend. Physiotherapeuten ist die Ausübung der allgemeinen Heilkunde gar nicht gestattet; auch als Heilpraktiker müssen sie ihre Tätigkeit auf das im Gesetz über die Berufe in der Physiotherapie festgelegte Spektrum beschränken. Unabhängig davon verbinden sich auch sonst mit dem Begriff des Heilpraktikers Vorstellungen, die den erst lange nach dem Inkrafttreten des Heilpraktikergesetzes aufgekommenen Vorstellungen vom Berufsbild des Physiotherapeuten nicht entsprechen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1993 - 3 C 34/90 -, BVerwGE 91, 356 ff., 360 (zu Psychotherapeuten).

Aus Gründen des Verkehrsschutzes und zur Vermeidung der Diskriminierung von Absolventen einer qualifizierten heilkundlichen Berufsausbildung ist es daher geboten, den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3 Halbs. 2 HeilprG auf den Personenkreis der Heilpraktiker ohne spezielle heilkundliche Berufsausbildung zu konzentrieren, dem anders als dem Kläger nur eine umfassende Heilpraktikererlaubnis erteilt werden kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 709 ZPO.

RechtsgebieteHeilprG, DVO-HeilprGVorschriftenHeilprG § 1 Abs 1 1. DVO-HeilprG § 2 Abs 1 Buchst i

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