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31.10.2008 · IWW-Abrufnummer 082554

Landessozialgericht Baden-Württemberg: Beschluss vom 10.06.2008 – L 4 KR 6527/06

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


L 4 KR 6527/06

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 30. November 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt, bei der Beitragsberechnung ihrer Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung für die Zeit vom 01.August 2005 bis 31. Juli 2006 die Vorschriften für geringfügig entlohnte Beschäftigte und für die Zeit vom 01. August 2006 bis 31. Juli 2008 die Vorschriften der Gleitzonenregelung anzuwenden sowie die Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge in Höhe von EUR 1.759,13.

Die am 1987 geborene Klägerin nahm am 01. August 2005 eine bis zum 31. Juli 2008 noch andauernde Ausbildung als Friseurin bei der Beigeladenen zu 4) bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden auf. Als monatliche Ausbildungsvergütung erhielt die Klägerin im ersten Ausbildungsjahr (bis 31. Juli 2006) EUR 396,00, anschließend im zweiten Ausbildungsjahr bis 30. September 2007 EUR 420,00, ab 01. Oktober 2007 EUR 430,00 und im dritten Ausbildungsjahr (ab 01. August 2007) bis 31. Juli 2008 EUR 520,00. Im Dezember 2007 hat die Klägerin eine Einmalzahlung von EUR 104,00 erhalten. Aus der Ausbildungsvergütung errechnete die Beklagte jeweils den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (Krankenversicherung [KV], Pflegeversicherung [PV], Arbeitslosenversicherung [AV] und Rentenversicherung [RV]).

Die Beigeladene zu 4) führte ab Beginn des Ausbildungsverhältnisses folgende Gesamtsozialversicherungsbeiträge an die Beklagte bzw. deren Rechtsvorgängerin (im Folgenden einheitlich als Beklagte bezeichnet), bei der die Klägerin krankenversichert war und ist, als Einzugsstelle ab:

01. August bis 31. Dezember 2005 EUR 162,36 01. Januar bis 31. Juli 2006 EUR 170,48 01. August bis 31. Oktober 2006 EUR 180,81 01. November bis 30. November 2006 EUR 185,15 01. Dezember bis 31. Dezember 2006 EUR 178,27 01. Januar 31. Juli 2007 EUR 176,55 01. August bis 30. September 2007 EUR 222,30 01. Oktober bis 30. November 2007 EUR 215,70 01. Dezember bis 31. Dezember 2007 EUR 257,30 01. Januar 2008 bis dauernd EUR 212,06.

Dem lagen folgende Beitragssätze zugrunde:

01. August 2005 bis 31. Dezember 2006 KV: 12,4%+0,9%; PV: 1,7%; AV: 6,50%; RV: 19,5% 01. Januar 2007 bis 31. Juli 2007 KV: 13,1%+0,9%; PV: 1,7%; AV: 4,20%;RV: 19,9% 01. August bis 30. September 2007 KV: 14,8%+0,9%; PV: 1,7%; AV: 4,20% RV: 19,9% 01. Oktober bis 31. Dezember 2007 KV: 13,3%+0,9%; PV: 1,7%; AV: 4,20% RV: 19,9% 01. Januar 2008 bis dauernd KV: 13,8%+0,9%; PV: 1,7%; AV: 3,30% RV: 19,9%.

Zu Beginn des Ausbildungsverhältnisses wandte sich die Klägerin an die Beklagte und bat um Auskünfte zur Berechnung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages. Sie machte geltend, für die Ausbildungsvergütung im ersten Lehrjahr seien keine Beiträge zu erheben, die Beiträge für die Ausbildungsvergütung im zweiten Lehrjahr seien entsprechend den Bestimmungen zur sog. Gleitzonenregelung niedriger festzusetzen.

Mit Bescheid vom 20. Januar 2006 lehnte die Beklagte eine andere Berechnung der Beiträge ab. Beiträge seien nach den beitragspflichtigen Einnahmen zur ermitteln und von den versicherungspflichtig Beschäftigten und den Arbeitgebern jeweils zur Hälfte zu tragen. Die besondere Regelung zur Gleitzone gelte nicht für Personen, die zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt seien. Die Sozialversicherungsbeiträge würden zutreffend erhoben. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, es verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes (GG), dass versicherungspflichtig Beschäftigte wegen ihres Status ungleich behandelt werden. Der sog. Generationenvertrag führe für sie nur zu einer Grundrente und sie beantrage auch eine Befreiung von der Beitragspflicht zur AV.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. März 2006 (der Klägerin am 20. April 2006 zugestellt) wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch der Klägerin zurück. Sie sei seit dem 01. August 2005 als Auszubildende bei der Beigeladenen zu 4) beschäftigt und in dieser Beschäftigung in allen Bereichen der Sozialversicherung versicherungspflichtig. Die Beiträge seien ausgehend von den beitragspflichtigen Einnahmen zutreffend bemessen und von der Klägerin und der Beigeladenen zu 4) jeweils zur Hälfte zu tragen. Die besondere Regelung zur Gleitzone gelte ausdrücklich nicht für Personen, die zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt seien (§ 20 Abs. 2 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuchs [SGB IV] i.V.m. § 249 Abs. 4 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs [SGB V]). Die Begründung, dass die Hälfte der Beitragstragung bei Auszubildenden gegenüber den Beschäftigten mit einem Verdienst innerhalb der Gleitzone nicht dem Grundsatz der Gleichbehandlung entspreche, sei nicht nachzuvollziehen.

Deswegen hat die Klägerin am 20. Mai 2006 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Mit ihrem Verdienst liege sie unter der Geringfügigkeitsgrenze von EUR 400,00, die seit dem 01. April 2003 gelte. Bis zu einem Einkommen in dieser Höhe bestehe für Arbeitnehmer keine Sozialversicherungspflicht. Die bislang gültige zeitliche Beschränkung von 15 Arbeitsstunden pro Woche sei entfallen, weshalb nunmehr nur noch die Höhe des Arbeitsentgelts über die Versicherungspflicht entscheide. Dass Beschäftigte bei einer Berufsausbildung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V der Versicherungspflicht unterworfen seien, verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Im Vergleich zu einer geringfügigen Beschäftigung, die beitragsfrei sei, liege in der Regelung der Beitragstragung von Entgelten aus Ausbildungsverhältnissen ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Wirtschaftlich bestünden aus Sicht eines Auszubildenden keine Unterschiede zu einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis. Innerhalb der Gleitzonen komme es für versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mit einem bestimmten, die Geringfügigkeitsgrenze überschreitenden Arbeitsentgelt zu einer Besserstellung im Hinblick auf die Beitragsbelastung. Beschäftigte, die zwischen EUR 401,00 bis EUR 800,00 verdienten, müssten geringere Beiträge bezahlen als sie. Als Motiv sei die Förderung von mehr Beschäftigung leitend gewesen, die durch eine Verringerung der Belastung der Beschäftigten und der Arbeitgeber erreicht werden solle. Dass insoweit ein Ausbildungsverhältnis ausgenommen sei, sei jedoch nicht sachgerecht. Sie werde deshalb zusammenfassend mit ihrem Verdienst im ersten Lehrjahr im Vergleich zu geringfügig Beschäftigten und im zweiten Lehrjahr im Vergleich zu versicherungspflichtig Beschäftigten mit einem Arbeitsentgelt zwischen EUR 401,00 und EUR 800,00 ungleich behandelt.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf ihre bisherigen Ausführungen verwiesen.

Das SG hat die Klage durch Urteil vom 30. November 2006 abgewiesen. Die Klägerin sei nicht geringfügig beschäftigt. Im zweiten Lehrjahr verdiene sie zwar ein Entgelt, das bei einer versicherungspflichtigen Beschäftigung in die Gleitzone einzuordnen sei, jedoch seien die Regelungen über die Versicherungsfreiheit geringfügig Beschäftigter und die Anwendung der Gleitzonenregelung zur Ermittlung der Beiträge für Berufsausbildungsverhältnisse nicht anzuwenden. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG liege nicht vor. Der wesentliche Grund für die Versicherungsfreiheit geringfügig Beschäftigter sei im Fehlen eines Schutzbedürfnisses dieses Personenkreises zu sehen. Die Ausnahme des Personenkreises des zur Berufsausbildung beschäftigten Personen von der Versicherungsfreiheit sei aufgrund der typischerweise vorliegenden wesentlichen Unterschiedlichkeit der Lebenssituation gerechtfertigt. Die Gleitzonenregelung betreffe einen Adressatenkreis, der sich ebenfalls von den zur Berufsausbildung beschäftigter Personen wesentlich unterscheide.

Hiergegen richtet sich die am 30. Dezember 2006 eingelegte Berufung der Klägerin, mit der sie ergänzend geltend macht, soweit das SG annehme, der gesetzlichen Regelung zur Ausnahme von der Versicherungspflicht bei geringfügig Beschäftigten liege die Erwägung zugrunde, dass diese Beschäftigten nicht durch ihren Verdienst aus der Beschäftigung, sondern durch andere Erwerbseinkünfte, Unterhaltsleistungen oder Sozialleistungen gesichert seien und im Rahmen einer Berufsausbildung grundsätzlich davon auszugehen sei, dass die erzielten Einnahmen die wesentliche Einnahmequelle der Beschäftigung seien, finde sich eine derartige Unterscheidung nach Lebenssituationen weder im Gesetz noch sei sie aus den Gesetzesbegründungen ersichtlich noch entspreche sie der tatsächlichen Praxis. Zum einen würden auch die zur Ausbildung Beschäftigten ergänzende staatliche Leistungen wie z.B. Berufsausbildungsbeihilfe erhalten. Darüber hinaus werde neben Ausbildungsverhältnissen häufig eine geringfügige Beschäftigung ausgeübt. Obwohl der Gesetzgeber die geringfügige Beschäftigung habe begrenzen wollen, sei in der Praxis auf dem Arbeitsmarkt ein stetiger Anstieg der geringfügigen Beschäftigungen zu verzeichnen. Mindestens 4,38 Millionen Personen würden eine geringfügige Beschäftigung ausüben. Es sei deshalb fraglich, ob die beitragsrechtliche Privilegierung gerechtfertigt sei. Demgegenüber seien 2003 und 2004 nur ca. 557.000 bzw. 572.000 Ausbildungsverträge abgeschlossen worden. Obwohl bei einem Großteil dieser Ausbildungsverhältnisse die Vergütung im ersten Ausbildungsjahr nicht einmal der eines durchschnittlich geringfügig Beschäftigten entsprechen dürfte, seien diese allerdings der Beitragspflicht unterworfen, was nicht zu rechtfertigen sei. Dasselbe gelte auch durch die Privilegierung in beitragsrechtlicher Hinsicht für versicherungspflichtige Beschäftigte mit einem Entgelt innerhalb der Gleitzone. Die Klägerin macht weiter geltend, sie habe im ersten Ausbildungsjahr insgesamt EUR 974,16 zu Unrecht an Beiträgen zur KV, RV, AV und PV bezahlt (12-mal der Arbeitnehmeranteil in Höhe von EUR 81,18). Im zweiten Ausbildungsjahr habe sie vom 01. August 2006 bis 31. Dezember 2006 für fünf Monate insgesamt EUR 453,82 an Sozialversicherungsbeiträgen und vom 01. Januar 2007 bis 31. Juli 2007 habe sie für sieben Monate insgesamt EUR 612,64 bezahlt. Die Beitragslast habe sich somit auf EUR 1.660,46 belaufen. Bei Anwendung der Gleitzonenregelung hätte sie vom 01. August bis 31. Dezember 2006 lediglich fünf Monate à EUR 45,43, insgesamt EUR 227,15, sowie in der Zeit ab Januar 2007 bis 31. Juli 2007 hätte sie lediglich sieben Monate à EUR 52,18, insgesamt also EUR 365,26, bezahlen müssen. Hieraus ergebe sich, dass sie im zweiten Ausbildungsjahr EUR 474,05 zu viel bezahlt habe. Im dritten Ausbildungsjahr bezahle sie aktuell monatlich insgesamt EUR 110,24. Hieraus errechne sich für zwölf Monate ein Betrag von EUR 1.322,88. Bei Anwendung der Gleitzonenregelung ergebe sich eine Beitragslast von lediglich EUR 1.011,96 (12 x EUR 84,33). Sie bezahle im dritten Lehrjahr deshalb EUR 310,92 zu viel. Insgesamt mache sie deshalb die Erstattung von EUR 1.759,13 geltend.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 30. November 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. März 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei der Beitragsberechnung ihrer Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung für die Zeit vom 01.August 2005 bis 31. Juli 2006 die Vorschriften für geringfügig entlohnte Beschäftigte und für die Zeit vom 01. August 2006 bis 31. Juli 2008 die Vorschriften der Gleitzonenregelung anzuwenden sowie die Beklagte zu verurteilen, ihr EUR 1.759,13 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, die Beiträge aus der Ausbildungsvergütung der Klägerin seien zutreffend berechnet. Eine Behandlung des Ausbildungsverhältnisses als versicherungsfreie Beschäftigung im ersten Lehrjahr scheide aus. Auch eine Reduzierung der Beiträge unter Anwendung der Regelungen zur Beitragsberechnung bei einem Arbeitsverdienst in der Gleitzone sei nicht möglich. Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung liege nicht vor. Sie hat die Beitragssätze in den einzelnen Versicherungszweigen für die Zeit ab 01. August 2005 angegeben und einen Systemauszug mit den Beitragszahlungen der Beigeladenen zu 4) vorgelegt.

Die durch Beschluss vom 05. April 2007 Beigeladenen haben keine Anträge gestellt und sich zur Sache nicht geäußert.

Mit Schreiben vom 05. November 2007 und 29. Februar 2008 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt ist, durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu entscheiden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten, die Akten des SG und die Akten des Senats Bezug genommen.

II.

Da der Senat die Berufung der Klägerin einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält, entscheidet er gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss. Der Rechtsstreit weist nach Einschätzung des Senats keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf, die mit den Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten. Zu der beabsichtigten Verfahrensweise hat der Senat die Beteiligten angehört.

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 20. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. März 2006 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Soweit die Klägerin von der Beklagten die Erstattung von EUR 1.759,13 begehrt, ist die Klage bereits unzulässig (hierzu unter 1.). Im Übrigen hat die Beklagte es zu Recht abgelehnt, die Erhebung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen hinsichtlich des Arbeitsentgelts der Klägerin, das diese als Friseurin (Ausbildungsverhältnis vom 01. August 2005 bis 31. Juli 2008) im ersten Lehrjahr in Höhe von EUR 396,00 erzielt hat, nicht vorzunehmen und die Beitragserhebung im zweiten Lehrjahr, in dem die Klägerin ein Einkommen von EUR 420,00 erzielt hat, entsprechend den Regelungen für Beschäftigungen im Gleitzonenbereich des § 20 Abs. 2 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB IV) durchzuführen (hierzu unter 2.).

1. Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) auf Erstattung von EUR 1.759,13 ist unzulässig. Nach § 78 Abs. 1 SGG sind vor Erhebung der Anfechtungsklage Rechtsmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Eines Vorverfahrens bedarf es nur dann nicht, wenn ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt (Nr. 1) oder der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde, einer obersten Landesbehörde oder von dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit erlassen worden ist, außer wenn ein Gesetz die Nachprüfung vorschreibt (Nr. 2) oder ein Land, ein Versicherungsträger oder einer seiner Verbände klagen will (Nr. 3). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Beklagte hat - mangels Antrags im Verwaltungsverfahren - bislang nicht über die Erstattung des geltend gemachten Betrags entschieden. Aus diesem Grund (fehlendes Vorverfahren) ist die auf Erstattung von EUR 1.759,13 gerichtete Klage bereits unzulässig.

2. Das SG hat zutreffend entscheiden, dass bei der Beitragsberechnung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung der Klägerin die Vorschriften für geringfügig entlohnte Beschäftigte und ab dem 01. August 2006 die Vorschriften der Gleitzonenregelung nicht anzuwenden sind.

2.1 Die Klägerin ist während des am 01. August 2005 begonnen und bis 31. Juli 2008 andauernden Ausbildungsverhältnisses bei der Beigeladenen zu 4) versicherungspflichtig in der gesetzlichen KV (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V), der sozialen PV (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 des Elften Buchs des Sozialgesetzbuchs [SGB XI]), der AV (§§ 24 Abs. 1, 25 Abs. 1 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuchs [SGB III]) und der gesetzlichen RV (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs), da die zur Berufsaubildung Beschäftigten kraft Gesetzes zu den versicherungspflichtigen Personen zählen (vgl. auch § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB IV). Das Durchlaufen einer Berufsausbildung allein begründet allerdings noch keine Versicherungspflicht; der Auszubildende muss dabei im Grundsatz auch "beschäftigt" sein (vgl. BSG, Urteil vom 12. Oktober 2000 - B 12 KR 7/00 R = SozR 3-2600 § 1 Nr. 7). Dass die Klägerin bei der Beigeladenen zu 4) in diesem Sinne beschäftigt ist, ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Es besteht auch keine Versicherungsfreiheit nach § 27 Abs. 2 Satz 1 SGB III, § 7 Abs. 1 1. Halbsatz SGB V, § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI und § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI. Denn nach § 27 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB III, § 7 Abs. 1 2. Halbsatz SGB V und § 5 Abs. 2 Satz 3 SGB VI greifen die Regelungen über Versicherungsfreiheit bei Ausübung einer geringfügigen Beschäftigung nicht bei Berufsausbildungsverhältnissen ein (näher hierzu unter 2.2.1.). Die Regelungen über die Berechnung der Beiträge in der Gleitzone nach § 20 Abs. 2 SGB IV finden nach § 344 Abs. 4 Satz 3 SGB III, § 249 Abs. 4 i.V.m. § 226 Abs. 4 Satz 7 SGB V, § 163 Abs. 10 Satz 8 SGB VI und § 58 Abs. 5 Satz 2 SGB XI (i.V.m. §§ 249 Abs. 4, 226 Abs. 4 Satz 7 SGB V) ebenfalls keine Anwendung auf Berufsausbildungsverhältnisse (a.A. Schlegel in juris-PK, § 20 SGB IV Rdnr. 57; näher hierzu unter 2.2.2.).

Die Höhe der Ausbildungsvergütung hat grundsätzlich keinen Einfluss auf die Versicherungspflicht der Auszubildenden, auch wenn das Arbeitsentgelt die Kriterien der Geringfügigkeit nach § 8 SGB IV erfüllt (Gürtner in Kasseler Kommentar, SGB VI, § 1 Rdnr. 13; Rittweger, Leitfaden Mini-Job, Ich-AG und Wir-AG, 2. Auflage 2005, Rdnr. 226). Selbst wenn keine Ausbildungsvergütung gezahlt wird, unterliegen Auszubildende der Sozialversicherungspflicht (vgl. nur § 5 Abs. 1 Nr. 10 SGB V). Arbeitsentgelte bis EUR 325,00 führen jedoch gemäß § 20 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB IV zur alleinigen Beitragstragungspflicht des Arbeitgebers (zur Absenkung der früheren Grenze von EUR 40,00 auf EUR 325,00 zum 01. August 2003 vgl. Bundestags-Drucksache 15/1199, S. 19). Vergleichbare Regelungen zur alleinigen Beitragstragungspflicht des Arbeitgebers waren früher in § 346 Abs. 2 Nr. 3 SGB III, § 249 Abs. 2 Nr. 2 SGB V und § 168 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI, jeweils in ihrer bis zum 31. Juli 2003 geltenden Fassung, geregelt.

Demnach kann das Berufsausbildungsverhältnis der Klägerin im ersten Lehrjahr nicht als versicherungsfreie Beschäftigung behandelt werden und es kommt im zweiten Lehrjahr eine Berechnung der Beiträge entsprechend den Regelungen zur Beitragserhebung für Beschäftigungsverhältnisse in der Gleitzone nicht in Betracht.

2.2. Entgegen der Ansicht der Klägerin sieht der Senat in diesen Regelungen keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Klägerin im Vergleich zu geringfügig Beschäftigten bzw. Beschäftigten mit einem Arbeitsentgelt im Bereich der Gleitzone.

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt dieses Grundrecht nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ( BVerfG ), zuletzt etwa BVerfG, Beschluss vom 27. Februar 2007 - 1 BvL 10/00 = NJW 2007, 1577; auch Beschlüsse vom 26. Juni 2006 - 1 BvR 2204/00 und 1 BvR 1355/03 = SozR 4-2600 § 2 Nr. 10).

Es ist davon auszugehen, dass zwischen der Gruppe der zur Ausbildung Beschäftigten und den beiden Gruppen der geringfügig Beschäftigten bzw. der sozialversicherungspflichtig in der Gleitzone Beschäftigten bereits Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass eine ungleiche Behandlung gerechtfertigt ist. Die zur Berufsausbildung Beschäftigten erlernen in erster Linie einen bestimmten Beruf. Ihre Arbeitsleistung entspricht nicht der eines bereits Ausgebildeten. Die Entlohnung stellt noch keinen marktorientierten Gegenwert für die erbrachte Leistung dar. Ihre Beschäftigung dient nicht unbedingt in erster Linie den Interessen des Arbeitgebers bzw. des Ausbildungsbetriebs, sondern den eigenen Interessen im Hinblick auf den weiteren beruflichen Werdegang. Demgegenüber erbringen geringfügig und in der Gleitzone Beschäftigte außerhalb eines Ausbildungsvertrags eine bestimmte Arbeitsleistung, die marktorientiert nach ihrem Gegenwert entlohnt wird. Dementsprechend werden Beschäftigungsverhältnisse bzw. Arbeitsverhältnisse und Berufsausbildungsverhältnisse im geltenden Recht durchgehend unterschiedlich behandelt.

2.2.1. Die unterschiedliche Behandlung der aufgrund eines Berufsausbildungsverhältnisses Versicherungspflichtigen im Vergleich zu geringfügig Beschäftigten, die aus dieser Beschäftigung regelmäßig im Monat allenfalls EUR 400,00 Arbeitsentgelt erzielen (§ 8 Abs. 1 SGB IV), ist bereits deshalb gerechtfertigt, weil der Gesetzgeber aufgrund zulässiger Typisierung und Pauschalisierung (dazu etwa BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 1987 - 2 BvR 933/82 = BVerfGE 76, 256) davon ausgehen darf, dass bei geringfügig Beschäftigten mit einem durchschnittlichen monatlichen Einkommen von allenfalls EUR 400,00 ein sozialversicherungsrechtliches Schutzbedürfnis dieser Personen nicht besteht. Die erzielten Einkünfte stellen, weil sie nur in geringer Höhe anfallen, in der Regel nicht die wirtschaftliche Existenzgrundlage dar. Vielmehr wird diese regelmäßig durch andere Erwerbseinkünfte, privatrechtliche Unterhaltsansprüche oder Sozialleistungen gesichert (dazu Seewald in Kasseler Kommentar, SGB IV, § 8 Rdnr. 3). Demgegenüber trifft diese Annahme bei Auszubildenden in der Regel nicht zu. Diese sind durch die Vollzeitbeschäftigung (hier wöchentliche Arbeitszeit 40 Stunden) und die Verpflichtung, im Hinblick auf die Prüfungen den Lehrstoff zu erarbeiten, in aller Regel daran gehindert, eine Beschäftigung, die wirtschaftliche Existenzgrundlage sein könnte, neben dem Berufsausbildungsverhältnis auszuüben. Die Gruppe der Auszubildenden ist in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht besonders schutzbedürftig, weshalb sie traditionell dem System der gesetzlichen Sozialversicherung unterstellt werden. Das Ausbildungsverhältnis soll darüber hinaus nach Beendigung der Ausbildung in ein "vollwertiges" Beschäftigungsverhältnis münden. Kann Letzteres nicht erreicht werden und droht Arbeitslosigkeit, so zeigt sich gerade in einem solchen Fall, wie wichtig die sozialversicherungsrechtliche Absicherung der Auszubildenden ist. All dies rechtfertigt die unterschiedliche Behandlung beider Gruppen von Beschäftigten im Hinblick auf die Regelung der Beitragspflicht. Darauf, dass die Klägerin neben der Ausbildungsvergütung noch Berufsausbildungsbeihilfe bezogen hat, wie sich aus der vorgelegten Erklärung nach § 117 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) ergibt, kommt es nicht an.

2.2.2. Auch soweit die Klägerin eine Berechnung ihrer Beiträge für das Arbeitsentgelt im zweiten Lehrjahr, das die Geringfügigkeitsgrenze des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV übersteigt, nach den Grundsätzen der Berechnung der Beiträge in der Gleitzone begehrt, sieht der Senat im Hinblick auf den gesetzlichen Ausschluss der Berufsausbildungsverhältnisse aus den genannten Beitragsberechnungsvorschriften in den einzelnen Sozialversicherungszweigen keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung.

Zweck der Gleitzonenregelung ist es, im sog. Niedriglohnsektor für den Arbeitnehmer einen Anreiz zur Aufnahme einer Arbeit zu setzen (vgl. hierzu Schlegel in Eicher/Schlegel, SGB III, § 344 Rdnr. 41 ff.). Insoweit geht es darum, den harten Übergang zwischen versicherungsfreier Beschäftigung in Form einer Arbeitsentgelt-geringfügigen Beschäftigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV und den Übergang in eine uneingeschränkt beitragspflichtige Beschäftigung zur Förderung von Mehrbeschäftigung abzumildern. Hintergrund sind deshalb sozialpolitische und arbeitsmarktpolitische Überlegungen, die insbesondere einem Missbrauch der geringfügigen Beschäftigungen entgegenwirken und die Schaffung neuer sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse bewirken sollen (vgl. hierzu auch Rittweger, a.a.O., Rdnr. 135).

Der gesetzliche Ausschluss der Berufsausbildungsverhältnisse aus den genannten Beitragsberechnungsvorschriften in den einzelnen Sozialversicherungszweigen geht auf eine Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zum Zweiten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (vom 23. Dezember 2002, BGBl. I, S. 4621; vgl. auch Bundestags-Drucksachen 15/26, 15/77, 15/91, 15/133) zurück, der jedoch nicht begründet worden ist (Bundestags-Drucksache 15/202). Hintergrund für die normierten Ausschlüsse dürfte gewesen sein, dass die Zielsetzung der Gleitzonenregelung, einen Anreiz zur Aufnahme einer Arbeit im Niedriglohnsektor zu schaffen, bei der Gruppe der zur Ausbildung Beschäftigten nicht erforderlich ist. Dem Gesetzgeber steht es jedoch grundsätzlich frei, zur Schaffung von Arbeitsplätzen eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern durch eine geringere Beitragslast zu fördern. Auch insoweit gelten die oben unter 2.2.1. genannten Gesichtspunkte.

Insgesamt besteht mithin ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung (a.A. Schlegel in juris-PK, SGB IV, § 20 Rdnr. 57, jedoch ohne weitere Begründung).

2.3. Anhaltspunkte dafür, dass die von der Klägerin zu tragenden Sozialversicherungsbeiträge falsch berechnet wurden, liegen nicht vor.

Die Berufung war mithin abzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird nach § 160 Abs. 2 Satz 1 SGG zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

RechtsgebietKrankenversicherung Vorschriften§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 20 Abs. 2 S. 1 SGB XI, § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, § 25 Abs. 1 SGB III

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