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08.10.2008 · IWW-Abrufnummer 082279

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 04.04.2008 – L 8 R 585/05

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


L 8 R 585/05

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Mai 2005 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist die Versicherungs- und Beitragspflicht der Klägerin als selbständige Betreiberin eines "Kamps-Backshops" im Zeitraum vom 01. Dezember 2002 bis 30. November 2003.

Die 1953 geborene Klägerin schloss unter dem 22. November 2002 mit der Kamps Berlin GmbH (im folgenden Kamps) einen "Partner- und Systemvertrag", wonach die Klägerin als selbständige Kauffrau einen "Kamps-Backshop" zum 01. November 2002 übernahm und sich verpflichtete, in diesem Backwaren und Handelswaren im wesentlichen an Endverbraucher im eigenen Namen und auf eigene Rechnung zu vertreiben. Der Klägerin wurde von Kamps ein schlüsselfertig eingerichteter Backshop überlassen, dessen Mieter Kamps ist. Die Klägerin ist nach dem Vertrag verpflichtet, alle Backwaren von Kamps zu beziehen, darf diese aber in Eigenleistung veredeln (z. B. Zubereitung von Snacks oder belegten Brötchen). Der Klägerin wird von Kamps ein Verkaufspreis unverbindlich empfohlen, der Grundlage für den jeweils eingeräumten (Provisions-) Rabatt ist. Sie hat gegenüber Kamps folgende Zahlungsverpflichtungen:

- einmalige Eintrittsgebühr von 1.000,00 Euro - monatliche Systemgebühr von 1 % des monatlichen Brutto-Umsatzes - Entgelte für von Kamps gelieferte Waren, sowie gegebenenfalls eine im Einzelnen festgelegte Retouren-Rückbelastung.

Weitergehende Zahlungsverpflichtungen treffen die Klägerin nicht. Sie ist außerdem verpflichtet, einen sozialversicherungspflichtigen Mitarbeiter zu beschäftigen (§ 6 Nr. 5 des Vertrages). Sie hatte außerdem eine unwiderrufliche, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer Bank über anfangs 4.000,00 und ab 01. März 2003 6.250,00 Euro beizubringen.

Entsprechend der vertraglichen Abrede betrieb die Klägerin ab Dezember 2002 den in B-L gelegenen ca. 30 qm großen Backshop. Ein entsprechendes Gewerbe hatte sie angemeldet. Anfangs betrieb sie den Backshop mit einer nur geringfügig beschäftigten Arbeitnehmerin; diese Arbeitnehmerin wurde von der Klägerin ab 01. Dezember 2003 mehr als geringfügig beschäftigt. Die Klägerin erzielte nach ihren erstinstanzlich gemachten Angaben bei ca. 6.500 Kunden pro Monat einen Umsatz von ca. 15.000,00 Euro und demgemäß betrug die monatliche Systemgebühr ca. 150,00 Euro.

Die Beklagte stellte auf das von Kamps beantragte Status-Feststellungsverfahren gemäß §§ 7 a f. des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) mit Bescheid vom 14. Juni 2004 mit Geltung für die Dauer des Bestehens des beurteilten Vertragsverhältnisses fest, dass es sich bei der Tätigkeit der Klägerin um eine selbständige Tätigkeit handelt; eine abhängige Beschäftigung liege nicht vor.

Auf Anforderung der Beklagten übersandte die Klägerin im September 2004 den "Fragebogen zur Feststellung der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für Selbständige". Anschließend stellte die Beklagte mit dem vorliegend streitgegenständlichen Bescheid vom 29. September 2004 fest, dass die Klägerin im Zeitraum vom 01. Dezember 2002 bis 30. November 2003 nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI versicherungspflichtig gewesen sei; es wurden Beiträge in Höhe des halben Regelbeitrages und damit insgesamt 2.776,50 Euro gefordert.

Der Widerspruch, mit dem die Klägerin geltend machte, sie sei nicht nur für einen Auftraggeber tätig, da sie von Kamps weder Aufträge noch Geld bekomme, denn Kamps sei nur ihr Backwarenlieferant, blieb erfolglos, da die Beklagte weiterhin annahm, die Klägerin sei wirtschaftlich von einem einzigen Auftraggeber, nämlich Kamps, abhängig (Widerspruchsbescheid vom 06. Januar 2005).

Hiergegen hat sich die Klägerin mit ihrer am 03. Februar 2005 zum Sozialgericht (SG) Berlin erhobenen Klage gewandt, mit der sie sich weiterhin gegen eine Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung gewehrt hat. Sie hat dazu die Auffassung vertreten, es liege kein Auftragsverhältnis im Sinne des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI zu Kamps vor. Auftraggeber seien vielmehr ihre Kunden, die bei ihr die Backwaren kauften. Ihr Lieferant könne nicht der Auftraggeber sein. Die Höhe des Umsatzes, den sie erwirtschafte, sei allein von ihren Fähigkeiten und ihrem unternehmerischen Einsatz abhängig.

Das SG ist mit Urteil vom 30. Mai 2005 der klägerischen Auffassung gefolgt und hat den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI seien selbständig Tätige versicherungspflichtig, wenn sie im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig seien. Diese Voraussetzungen erfülle die Klägerin nicht. Sie sei in ihrer Tätigkeit selbständig, was zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig sei. Die Klägerin unterliege in ihrer Tätigkeit keinen Weisungsrechten und sei im Wesentlichen in der Gestaltung der Tätigkeit sowie der Bestimmung der Arbeitszeit frei. Sie beschäftige erst ab Dezember 2003 eine versicherungspflichtige Mitarbeiterin und sei ab diesem Zeitpunkt unstreitig nicht versicherungspflichtig nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI. Aber auch für den vorangegangenen Zeitraum sei sie nicht versicherungspflichtig gewesen, da sie in der selbständigen Tätigkeit nicht auf Dauer und im Wesentlichen für einen Auftraggeber tätig gewesen sei. "Im Wesentlichen" für einen Auftragsgeber tätig sei ein Auftragnehmer, wenn er mindestens 5/6 seiner Einkünfte aus der Tätigkeit für diesen Auftraggeber beziehe. Hinsichtlich der Frage, ob die Klägerin im Wesentlichen für einen Auftraggeber tätig gewesen sei, könne entgegen der Ansicht der Beklagten nicht Kamps als Auftraggeber der Klägerin betrachtet werden. Die Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI knüpfe daran an, ob faktisch die Tätigkeit nur für einen Auftraggeber ausgeübt werde, woraus sich dann die Vermutung einer erhöhten wirtschaftlichen Abhängigkeit ergebe. Die Frage, wer Auftraggeber sei, müsse vor dem Hintergrund der Schutzfunktion des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI beantwortet werden. Die Vorschrift wolle die Selbständigen in den Schutz der gesetzlichen Rentenversicherung einbeziehen, die sich durch ihre Tätigkeit für nur einen Auftraggeber in eine besondere wirtschaftliche Abhängigkeit begäben. Die besondere wirtschaftliche Abhängigkeit bei nur einem Auftraggeber resultiere in der Regel daraus, dass dann auch nur gegen diesen einen Auftraggeber ein Honoraranspruch (die Hauptpflicht des Auftraggebers) bestehe. Die Beklagte habe in ihren Arbeitsanweisungen anschaulich dargelegt, dass den Betroffenen durch die Bindung an einen Auftraggeber kein nennenswerter unternehmerischer Spielraum mehr verbleiben dürfe. Hierbei handele es sich um den entscheidenden Gesichtspunkt, da sich hieraus die erhöhte Schutzbedürftigkeit des Selbständigen erkläre. Ob dieser unternehmerische Spielraum vorliege, sei anhand der Umstände des konkreten Einzelfalles zu prüfen. Zwar beziehe die Klägerin ihre Backwaren ausschließlich von Kamps und es sei ihr untersagt, von anderen Lieferanten Backwaren zu erwerben; gleichwohl sei Kamps nicht ihr Auftraggeber. Denn es seien weitere Umstände zu berücksichtigen gewesen: Die Klägerin zahle nur eine relativ geringe monatliche Systemgebühr (derzeit ca. 150,00 Euro pro Monat) und könne die Verkaufspreise der Produkte frei bestimmen (Kamps unterbreite insoweit nur unverbindliche Vorschläge). Der Klägerin verbleibe daher ein erheblicher unternehmerischer Spielraum; ihr finanzieller Erfolg hänge entscheidend von ihren Fähigkeiten ab. Sie habe keinerlei finanzielle Ansprüche gegen Kamps. Ob entsprechend der klägerischen Auffassung der jeweilige Kunde zugleich ihr Auftraggeber im Sinne des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI sei, brauche nicht entschieden zu werden. Jedenfalls sei Kamps nicht ihr Auftraggeber.

Hiergegen hat sich die Beklagte mit ihrer Berufung gewandt, mit der sie weiterhin die Auffassung vertritt, die Klägerin sei versicherungspflichtig gewesen. Sie sei zwar im Rahmen eines Franchise-Vertrages selbständig tätig gewesen. Die Regelungen ließen in ihrer Gesamtheit aber nur den Schluss zu, dass die Klägerin arbeitnehmerähnlich tätig und wirtschaftlich im Wesentlichen von Kamps, ihrem einzigen Auftraggeber, abhängig sei. So sei die Klägerin nicht nur den typischen Regelungen des Franchising unterworfen. Ihr sei ein vollständig eingerichtetes Ladenlokal zur Verfügung gestellt worden. Kamps sei Hauptmieter. Sie habe praktisch keinen eigenen Kapitaleinsatz erbringen müssen. Die vertraglichen Abrechnungsmodalitäten seien völlig einseitig von Kamps vorgegeben. Sie müsse ihre Backwaren ausschließlich von Kamps beziehen. Wollte sie Backwaren auch von Dritten beziehen, so würde sie damit ihre selbständige Existenz als Ganzes verlieren, da sie dann die Betriebsräume nicht weiter nutzen dürfte. Soweit das SG auf die relativ geringe Systemgebühr abhebe, sei zu beachten, dass Kamps in anderen der Beklagten bekannten Fällen eine deutlich höhere Systemgebühr von 10% und mehr des monatlichen Bruttoumsatzes verlange.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Mai 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Bei der Bewertung des Sachverhaltes sei zunächst zu berücksichtigen, dass bei einem Franchisevertrag der Systemnehmer selbstverständlich gewissen einem solchen Vertrag immanenten Einschränkungen unterworfen sei. Die weiteren vertraglichen Regelungen stellten entgegen der Ansicht der Beklagten jedoch keine derart weitgehenden Einschränkungen dar, dass sie – die Klägerin - als eher arbeitnehmerähnlich tätig und schutzbedürftig im Sinne des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI angesehen werden müsse. Sie habe, wie sie bei ihrer persönlichen Anhörung unter anderem erklärt habe, für den Verkauf von belegten Brötchen, Erfrischungsgetränken sowie Kaffe und Tee die erforderlichen Waren im Großhandel selbst gekauft.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhaltes auf die Gerichtsakte sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Die Beklagte hat die Klägerin zu Recht als versicherungspflichtig gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VI angesehen und demgemäß Pflichtbeiträge für den streitigen Zeitraum gefordert. Das angefochtene Urteil des SG war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Streitgegenstand ist der Bescheid vom 29. September 2004 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Januar 2005) und damit allein die Frage, ob die Klägerin in dem Zeitraum vom 1. Dezember 2002 bis 30. November 2003 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI unterlegen und für diese Zeit den (halben) Regelbeitrag in Höhe von insgesamt 2.776,50 Euro zu entrichten hat. Nicht zu entscheiden ist aufgrund der auch von der Klägerin nicht angegriffenen und damit bindenden Feststellungen im Bescheid vom 14. Juni 2004, dass die Klägerin ihre Arbeiten im Backshop im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit, nicht aber einer abhängigen Beschäftigung verrichtet hat (vgl. zur Bejahung einer abhängigen Beschäftigung eines Franchisenehmers z. B. BAG vom 16. Juli 1997 – 5 AZB 29/96 – in BAGE 86, 178).

Gemäß § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI sind versicherungspflichtig Personen, die a) im Zusammenhang mir ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig 400,00 Euro im Monat übersteigt und b) auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig sind. Mit dieser Erweiterung des Personenkreises der versicherungspflichtigen Selbständigen hat der Gesetzgeber so genannte arbeitnehmerähnliche Selbständige, die wie die bisher schon von § 2 erfassten Selbständigen allein auf ihre Arbeitskraft angewiesen sind, ebenfalls in den Schutzbereich der gesetzlichen Rentenversicherung einbezogen. Damit soll für diesen Personenkreis der zunehmenden Erosion des versicherten Personenkreises durch fortschreitende Überführung von Beschäftigten in arbeitnehmerähnliche selbständige Tätigkeiten entgegengewirkt werden. Die mit der Neuregelung erfassten arbeitnehmerähnlichen Selbständigen erschienen dem Gesetzgeber insoweit nicht weniger sozial schutzbedürftig als die bereits bisher in § 2 Satz 1 Nr. 1 bis 7 SGB VI erfassten Selbständigen (Gürtner in Kasseler Kommentar, Rdnr. 34 zu § 2 SGB VI unter Hinweis auf BT-Drucksache 14/45 Seite 46). Die Schutzbedürftigkeit der arbeitnehmerähnlichen Selbständigen wird insbesondere daran festgemacht, dass diese von einem Auftraggeber abhängig sind. Ob ein Selbständiger auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig ist, bestimmt sich nicht nur nach den rechtlichen (vertraglichen) Beziehungen. Eine Abhängigkeit im Sinne der Bestimmung ist auch dann gegeben, wenn trotz formal fehlender rechtlicher Bindung der Selbständige tatsächlich (wirtschaftlich) im Wesentlichen von einem einzigen Auftraggeber abhängig ist. Bedeutsam ist insofern, ob der Auftragnehmer nach seinem Unternehmenskonzept die Zusammenarbeit mit mehreren Auftraggebern anstrebt und dies nach den tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten Erfolg verspricht. (Gürtner a. a. O. Rdnr. 39). Wer als Auftraggeber im Sinne des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI anzusehen ist, hat der Gesetzgeber nicht festgelegt. Da auf § 662 BGB nicht zurückgegriffen werden kann, weil ein Selbständiger stets mit Gewinnerzielungsabsicht und nicht unentgeltlich tätig wird, kann zur arbeitnehmerähnlichen Abhängigkeit nur auf die vertraglichen Abreden und die wirtschaftlichen Auswirkungen abgestellt werden. Mithin ist zu fragen, welche vertraglichen Regelungen getroffen worden sind und wie sich weiter die tatsächlichen Gegebenheiten und gegebenenfalls die wirtschaftliche Abhängigkeit der Klägerin gestaltet.

Der "Partner- und Systemvertrag" bindet die Klägerin, wie es beim Franchising üblich ist, in vielfältiger Weise. Einerseits werden der Klägerin von Kamps mit nur geringem Kapitaleinsatz Ladenlokal und Einrichtung zur Verfügung gestellt. Andererseits ist die Klägerin verpflichtet, dem von Kamps vorgegebenen äußeren Erscheinungsbild zu entsprechen und Waren ausschließlich von ihrem Vertragspartner zu beziehen. Sie hat bei ihrer Tätigkeit Gewinnvorgaben von Kamps zu entsprechen und ist lediglich berechtigt, die von Kamps bezogenen und zum Verkauf fertig gemachten Backwaren in gewissem Umfang zu veredeln. Dass darin eine beachtliche eigenständige unternehmerische Leistung neben dem nach dem Vertrag eigentlichen und wesentlichen Zweck des Verkaufs von Backwaren liegt, ist nicht zu erkennen. Dies gilt insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass das von Kamps gemietete und über den Partner- und Systemvertrag an die Klägerin untervermietete Mietobjekt lediglich eine Größe von etwa 30 m² hat, so dass der Klägerin über den Verkauf - der zum Teil "veredelten" - Backwaren hinaus kaum weitere unternehmerische Möglichkeiten verbleiben, zusätzliche Verdienstmöglichkeiten zu erschließen. Im Übrigen wäre die Klägerin bei solchen Vorhaben, die über den Vertragsinhalt hinausgehen und unter Umständen Änderungen in dem Mietobjekt erforderlich machen würden, von der Zustimmung ihres Vertragspartners Kamps abhängig. Auch wenn die Klägerin nach den vertraglichen Regelungen bei ihrer Tätigkeit im eigenen Namen und für eigene Rechnung arbeitet (und vertraglich verpflichtet ist, auf einem Schild darauf hinzuweisen, dass sie Inhaberin des Geschäfts ist), so rückt die dargestellte Tätigkeit damit nach ihrem Erscheinungsbild im Ergebnis in die Nähe einer abhängigen Verkaufstätigkeit. Dass ihr Geschäftserfolg, was die Klägerin betont, wesentlich durch ihren Arbeitseinsatz bestimmt wurde, ändert diese Einschätzung nicht grundlegend. Der Erfolg einer jeden Verkaufstätigkeit ist, da ansonsten Konkurrenzangebote wahrgenommen würden, wesentlich von dem jeweiligen Arbeitseinsatz abhängig und gilt auch im Bereich einer abhängigen Beschäftigung. Wo der spezifische Arbeitseinsatz und die eigenständige unternehmerische Leistung liegen sollen, die die wirtschaftliche Abhängigkeit von Kamps lösen bzw. zumindest lockern sollten, ist nicht erkennbar und macht auch die Klägerin nicht deutlich. Dass dies mit dem zusätzlichen Verkauf von Erfrischungsgetränken sowie (auf einem selbst angeschafften Haushaltsgerät) gebrühten Kaffee und Tee bewirkt worden sein könnte, ergibt sich aus den klägerischen Angaben nicht und wird von ihr auch nicht einmal behauptet. Vielmehr gibt die Klägerin an, dass das Geschirr von Kamps gestellt wurde beziehungsweise bezogen werden musste.

Entgegen der Auffassung des SG bieten die in dem Partner- und Systemvertrag getroffenen finanziellen Regelungen keinen genügenden Anhalt, die aus den anderen vertraglichen Regelungen und den tatsächlichen Umständen abzuleitende besondere wirtschaftliche Abhängigkeit zu verneinen. Dass es für die Annahme einer solchen wirtschaftlichen Abhängigkeit nach Meinung des SG regelmäßig eines unmittelbaren Honoraranspruchs gegen einen Auftraggeber bedarf, greift zu kurz. Mit diesem formalen Element bleibt unberücksichtigt, welcher Art die selbständige Tätigkeit ist, ob – wie zuvor dargelegt – tatsächlich noch ein eigenständiger unternehmerischer Spielraum verbleibt (z. B. bei der im Vordergrund stehenden Dienstleistung eines Schuhreparatur- und Schlüsseldienstes im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 17. Oktober 2006 – L 6 R 125/06 –, zitiert nach juris) oder es im wesentlichen nur um die Einkommenserzielung aus zum Verkauf überlassenen Waren in Form der Differenz zwischen Einkaufs- und (beschränkt) variablen Verkaufspreis ergibt (vgl. zu einem ähnlichen Sachverhalt das die Versicherungspflicht bejahende Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 31. Januar 2007 – L 2 R 1123/05). Denn nach dem Willen des Gesetzgebers soll in den Schutzbereich der Norm der Personenkreis einbezogen werden, der rechtlich oder auch nur wirtschaftlich von einem "Auftraggeber" abhängig ist. Zwar ist Kamps aufgrund des zwischengeschalteten Partner- und Systemvertrages nicht als Auftraggeber im üblichen Sprachgebrauch anzusehen. In einem erweiternden Sinne lässt sich dies aber insofern bejahen, als die Klägerin vertraglich "beauftragt" wurde, die Waren von Kamps, der bezüglich der Backwaren alleiniger "Auftraggeber" war, zu verkaufen. Mithin ist die vom Gesetzgeber für die Anwendung von § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI verlangte Abhängigkeit auch dann anzunehmen, wenn eine Einkommenserzielung allein dadurch ermöglicht wird, dass sich jemand an einen Anderen vertraglich bindet und ihm nunmehr über die exklusive Belieferung mit Waren eine wirtschaftliche Tätigkeit gestattet wird.

Diese (zumindest tatsächliche) wirtschaftliche Abhängigkeit ist auch nicht im Hinblick auf die relativ geringe monatliche Systemgebühr (nach erstinstanzlichen Angaben ca. 150,00 Euro pro Monat) und die vertraglich eingeräumte Möglichkeit, die Verkaufspreise der Produkte "frei" zu bestimmen, da Kamps nur unverbindliche Preisempfehlungen ausgesprochen hat, zu verneinen. Die monatliche Systemgebühr (bezogen auf den Brutto-Umsatz) ist ersichtlich auf die jeweiligen Geschäfte zugeschnitten, wie der Hinweis der Beklagten auf deutlich höhere Systemgebühren in anderen Fällen zeigt (wobei allerdings die weiteren finanziellen Regelungen in diesen Verträgen unbekannt sind). Offensichtlich kommen auch andere Gesichtspunkte (z. B. Marktpräsenz) und eine Mischkalkulation bei der Festlegung der Systemgebühr zum Tragen. Insoweit war Kamps bei der Vertragsgestaltung augenscheinlich der Auffassung, dass neben den - aus Sicht der Klägerin - Einkaufspreisen der Waren nur eine relativ geringe Systemgebühr eine tragfähige Grundlage für den Betrieb dieses Geschäftes bietet. In diesem Zusammenhang muss auch die nach dem Vertrag formal freigestellte Preisgestaltung bewertet werden. Die für die Klägerin maßgeblichen Einkaufspreise für die allein von Kamps zu beziehenden Waren bestimmen sich aus einem prozentualen Abschlag (30 bzw. 40%) von den von Kamps vorgegebenen unverbindlichen Preisempfehlungen und bieten daher nur sehr beschränkte Möglichkeiten der Preisgestaltung. Denn einerseits muss mit dem Verkaufspreis an Kunden zumindest der von Kamps vorgegebene (und nicht variable) Einkaufspreis erzielt und andererseits die Konkurrenzsituation am Markt beachtet werden. Aus allein dieser Spanne müssen im Ergebnis alle Kosten des Geschäftsbetriebes einschließlich der Bezahlung der nach dem Vertrag einzustellenden sozialversicherungspflichtigen Kraft sowie der eigene Verdienst mit allen erforderlichen Abgaben bestritten werden. Welche beachtlichen unternehmerischen Freiräume aus diesen finanziellen Abreden resultieren sollen, ist entgegen der Auffassung des SG nicht zu erkennen (in diesem Sinne auch Landessozialgericht Baden-Württemberg aaO).

Die Klägerin erfüllt darüber hinaus auch die Voraussetzungen des § 2 Satz 1 Nr. 9 Buchstabe a SGB VI, da sie in dem streitigen Zeitraum "im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt (hat), dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig 400,00 Euro im Monat übersteigt". Dies ergibt sich aus der Verwaltungsakte (Bl. 68 ff); die Klägerin bestreitet im übrigen auch nicht, dass im streitigen Zeitraum nur eine geringfügig Beschäftigte mit nicht mehr als 400,00 Euro angestellt war. Auch das Merkmal der Regelmäßigkeit ist gegeben, da es insofern auf die tatsächlichen Verhältnisse und nicht darauf ankommt, dass die vertragliche Abrede mit Kamps die Klägerin zur Beschäftigung einer sozialversicherungspflichtigen Kraft verpflichtete, der sie erst ab 01. Dezember 2003 nachkam. Angesichts des zeitlichen Umfanges kann auch nicht von einer nur kurzen Überbrückungszeit (wie sie z. B. bei einem Beschäftigungswechsel auftreten kann) ausgegangen werden. Eine solche nur kurze "Beschäftigtenlosigkeit" mag zwar im Hinblick auf den Schutzzweck des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI keine veränderte rechtliche Einordnung erfordern, doch liegt ein solcher Sachverhalt hier nicht vor.

Nach alledem unterlag die Klägerin in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum der Versicherungspflicht gemäß § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI.

Die Klägerin ist daher zu Entrichtung von Pflichtbeiträgen jedenfalls in der von der Beklagten geforderten Höhe verpflichtet (§§ 169 Nr. 1, 165 Abs. 1 SGB VI). Die Beklagte hat dabei zwar schon von Beginn an die erst ab 01. Januar 2003 geltende Fassung von § 165 Abs. 1 Satz 2 SGB VI angewandt, wonach (ohne bisher erforderlichen Antrag) für die ersten Jahre nach Aufnahme der Selbständigkeit nur der halbe Regelbeitrag zu zahlen ist. Diese Regelung belastet die Klägerin jedoch nicht. Die Regelung zur Höhe der Beiträge hat sie im übrigen auch nicht angegriffen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird zugelassen, da zur Auslegung des Begriffs "Auftraggeber" im Sinne des § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI höchstrichterliche Rechtsprechung bisher nicht vorliegt.

RechtsgebietSGB VIVorschriften§ 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VI

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