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30.07.2008 · IWW-Abrufnummer 082373

Landgericht Köln: Urteil vom 09.04.2008 – 25 O 72/05

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Landgericht Köln, 25 O 72/05

09.04.2008

Urteil

Tenor:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin € 62.706,91 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17. März 2005 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche weiteren zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, welche dieser aus der rechtswidrigen Operation vom 23. Oktober 2000 noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergehen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des beizutreibenden Betrages.

TAT B E S T A N D:

Die Klägerin nimmt die Beklagten - den Beklagten zu 1. als in der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe der Beklagten zu 2. beschäftigten Arzt - wegen einer vermeintlich fehlerhaften und ohne eine ordnungsgemäße Risikoaufklärung durchgeführten ärztlichen Behandlung auf Schadensersatz in Anspruch.

Die am 5. Dezember 1958 geborene Klägerin, die vom Oktober 1974 bis 1. Dezember 2000 als Krankenschwester in der Urologischen Klinik des Klinikums der Beklagten zu 2. beschäftigt war, war nach abdominaler Hysterektomie 1989 bei einem Eingriff am 20. Juni 2000 im St. B Krankenhaus in L laparoskopisch durch eine Operation im Sinne einer Adnektomie links mit nach Schnell-Histologie sofort anschließender Relaparotomie zur Entfernung der inneren Restgenitale sowie einer pelvinen linksseitigen Lymphonodektomie und Omentektomie ein glattumkapselter Ovarialtumor von 4 mal 3,7 mal 3 cm Größe entfernt worden. Das teils mäßig, teils schlecht differenzierte endometroide Ovarialkarzinom wurde abschließend zusammengefasst mit pT1 a pNO (0/8) Mx G3 (vereinbar mit FIGO IA) bewertet. Eine komplette pelvine und paraaortale Lymphknotenexstirpation erfolgte bei der Operation nicht.

Die streitgegenständliche Weiterbehandlung erfolgte in der Frauenklinik des Klinikums der Beklagten zu 2. ab dem 06. Juli 2000. Am 13. Juli 2000 erfolgte der 1. Zyklus der Chemotherapie. Am 18. Juli 2000 wurde bei einer Vorstellung der Klägerin die weitere Behandlung mit dem Beklagten zu 1. besprochen, nämlich eine adjuvante Chemotherapie und eine systematische pelvine und paraaortale Lymphknotenexstirpation (Komplettierungsoperation). Nach vorläufigem Abschluss der Chemotherapie mit dem 4. Zyklus am 14. September 2000 erfolgte am 10. Oktober 2000 ein weiteres Gespräch mit dem Beklagten zu 1., bei dem die Durchführung der Lymphknotenexstirpation festgelegt wurde.

Ob und mit welchem Inhalt bei diesen Gesprächen eine Aufklärung über den medizinischen Hintergrund, Behandlungsalternativen und die mit dem Eingriff möglicherweise verbundenen Risiken erfolgte, ist zwischen den Parteien streitig. Im Operationsbericht des Beklagten zu 1. vom 23. Oktober 2000 ist zur Operationsindikation festgehalten, mit der Klägerin sei aufgrund der inkomplett durchgeführten Staging-Operation die erneute Laparotomie mit dem Ziel der kompletten retroperitonealen Lymphknotendissektion und der Entfernung eventuell noch vorhandenen Tumorgewebes diskutiert worden, wobei aufgrund des Zustandes nach multiplen Abdominaleingriffen auch auf ein erhöhtes operatives Komplikationsrisiko (Darm-, Ureter-, Blasenverletzung) hingewiesen worden sei. Sie habe daraufhin ihr schriftliches Einverständnis gegeben.

Eine schriftliche, von der Klägerin unterzeichnete Aufklärungsdokumentation liegt nicht vor.

Nach stationärer Aufnahme am 20. Oktober 2000 erfolgte am 23. Oktober 2000 auf Empfehlung des Beklagten zu 1. durch diesen als Operateur die operative Entfernung restlicher Lymphknoten im Bauch- und Nierenbereich im Sinne einer pelvinen und paraaortalen Lympadenektomie. Intraoperativ kam es zu einer Dünndarmläsion, deren Größe mit 2-3 mm im gynäkologischen Operationsbericht beschrieben ist. Der Beklagte zu 1. versorgte die Dünndarmverletzung nicht selbst, sondern veranlasste die Herbeirufung eines Viszeralchirurgen, der aufgrund einer präoperativen Risikobewertung auf Abruf gehalten worden war. Bis zu seinem Eintreffen setzte der Beklagte zu 1. die Operation weiter fort. Der zur Versorgung der Dünndarmläsion hinzu gerufene Viszeralchirurg traf etwa 45 Minuten später ein. Er beschrieb eine Dünndarmverletzung von 2 cm Länge und nahm eine Dünndarmteilresektion von 5 cm Länge vor.

Im postoperativen Verlauf traten mehrere Komplikationen auf: Wegen MagenDarm-Störungen erfolgte am 31. Oktober 2000 die Verlegung in die Chirurgische Klinik der Beklagten zu 2. Am 3. November 2000 erfolgte unter Ileusverdacht eine diagnostische Re-Laparotomie mit Magenentlastung. Zugleich wurde eine PEGSonde gelegt und durch die Bauchdecke abgeleitet. Weil ein langsamer enteraler Kostaufbau durch die Klägerin nicht toleriert wurde, erfolgte am 15. November 2000 die Anlage eines Broviac-Katheter zur parenteralen Ernährung. Dieser wurde am 12. Februar 2001 wegen einer Katheter-Infektion entfernt.

Vom 27. Februar 2001 bis 22. März 2001 wurde die Klägerin erneut stationär in der Chirurgischen Klinik der Beklagten zu 2. wegen einer atypischen Pneumonie als septischer Komplikation bei Zustand nach Broviac-Katheter-Infektion und KatheterSepsis behandelt.

Am 30. April 2001 wurde die PEG-Sonde via Bauchdecke entfernt.
Die Klägerin behauptet - teilweise gestützt auf eine Stellungnahme des PD Dr. med. Dr. phil. P für den MDK vom 15. Juli 2003, für dessen Inhalt auf BI. 53 bis 76 der Akten Bezug genommen wird -, die am 23. Oktober 2000 durchgeführte weitere Operation zur Entfernung der Lymphknoten sei nicht oder wenn, dann allenfalls vor Durchführung der Chemotherapie indiziert gewesen und auch nicht entsprechend den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt worden. Durch die Operation habe sich kein eindeutiger Überlebensvorteil für die Klägerin ergeben.
Die Operation sei in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft durchgeführt worden: Die Operation sei unvollständig durchgeführt worden, weil lediglich sechs Lymphknoten statt mindestens fünfzehn der vorhandenen zwanzig bis dreißig entfernt worden seien. Soweit durch den Beklagten zu 1. eine Dünndarmläsion mit einer Länge von zwei bis drei Millimetern dokumentiert sei, müsse dies nach den Angaben im chirurgischen Operationsbericht unzutreffend sein, denn tatsächlich sei die Verletzung zwei Zentimeter groß gewesen. Nach Auftreten der Dünndarmläsion sei diese nicht - wie es geboten gewesen wäre - sofort durch den Beklagten zu 1. versorgt worden. Dadurch habe es zu einer Kontamination der Umgebung mit Dünndarmsaft kommen können, von denen nicht auszuschließen sei, dass sie zu dem später festgestellten inoperablen Adhäsionssitus und Ileuszustand mitursächlich geworden seien. Bis zum Eintreffen des zu spät hinzugerufenen Chirurgen sei die Versorgung mit sterilen Tüchern unterlassen worden. Die eingetretene Auskühlung habe zu einer erheblich nachteiligen Beeinträchtigung der postoperativen Konsolidierungsphase geführt. Der Beklagte zu 1. habe ohne Notwendigkeit, weil er "gerade mit dem Skalpell in dieser Richtung war", auch eine Appendektomie vorgenommen.
Schließlich sei die postoperative Versorgung fehlerhaft gewesen, insbesondere auf klinische Beschwerden im Bauchbereich nicht durch ausreichende diagnostische Abklärung und chirurgisches Konsilium reagiert worden. Die Magensonde sei am 26. Oktober 2000 zu früh gezogen worden, nämlich zu einem Zeitpunkt, als eine natürliche orale Ernährung noch nicht möglich und die Verdauung noch nicht wieder in Gang gekommen gewesen sei. Auf die Beschwerden hin sei sie zu spät am 30. Oktober 2000 in die chirurgische Klinik der Beklagten zu 2. verlegt worden. Die Klägerin ist der Ansicht, diese Verstöße gegen ärztliche Behandlungsfehler seien im Rechtssinne als grob zu bewerten.

Die Klägerin bestreitet, über die Chancen und will Risiken sowie Behandlungsalternativen zu der operativen Behandlung vom 23. Oktober 2000 ausreichend aufgeklärt worden zu sein. Insbesondere sei sie bei dem ersten Gespräch, zu dem sie sich zum Zwecke der Durchführung und Besprechung einer Chemo- Therapie, nicht aber einer weiteren Operation begeben habe, nicht über das erhöhte Komplikationsrisiko der von dem Beklagten empfohlenen weiteren Operation hingewiesen worden, dass sich aus vorbestehenden Adhäsionen ergeben habe. Ihr sei auch nicht mitgeteilt worden, dass eine "komplette" paraaortale Lymphknotenentfernung nur angestrebt, aber nicht sicher realisiert werden könne. Unzutreffend sei ihr demgegenüber glauben gemacht worden, dass bei der beabsichtigten Operation sämtliche paraaortalen Lymphknoten sicher entfernt werden könnten und damit gesichert sei, dass keine befallenen Lymphknoten in ihrem Körper zurück blieben. Wäre ihr zutreffend mitgeteilt worden, dass die Operation nicht indiziert gewesen sei, weil die von dem Beklagten zu 1. angegebene Gefahr der Metastasierung nicht bestanden habe bzw. ganz unwahrscheinlich sei, hätte sie der Durchführung nicht zugestimmt.

Zu den durch diese Eingriffe verursachten Folgen behauptet die Klägerin, der Heilungsverlauf sei erheblich verzögert worden. Sie habe ihre Arbeitsfähigkeit verloren. Während der stationären Behandlung sei es im Februar 2001 zu einer Pneumonie gekommen, deren Folgen ihre Lungenfunktion bis heute beeinträchtige. Bei ihr lägen ein GdB von 100% und eine erhebliche Gehbehinderung vor.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin im Antrag zu 1. ein angemessenes Schmerzensgeld, im Antrag zu 2. Ersatz materieller Schäden (Haushaltsführungsschaden, Verdienstausfall), für deren Darstellung im Einzelnen auf die Klageschrift Bezug genommen wird, sowie die Feststellung der weiteren Ersatzpflicht (Antrag zu 3.).

Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, welches in das Ermessen des Gerichtes gestellt wird, mindestens jedoch in Höhe von € 30.000,- nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem Tag der Zustellung der Klageschrift;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie € 42.706,91 zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. November 2003;
3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche weiteren zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, welche dieser aus der fehlerhaften Behandlung in der Zeit vom 18. Juni 2000 bis zum 30. April 2001 entstanden sind und / oder noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagten treten dem Vorwurf einer fehlerhaften Behandlung entgegen und Bestreiten deren Ursächlichkeit für die Gesundheitsbeeinträchtigungen der Klägerin. Sie machen geltend, die Vorwürfe stützten sich im Ergebnis auf das Manual "Maligne Ovarialtumore" des Tumorzentrums N, das nicht geeignet sei, einen medizinischen Standard zu begründen. Der Standard ergebe sich vielmehr zutreffend aus den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Gemäß diesen Leitlinien sei im vorliegenden Fall bei Annahme einer erreichbaren Tumorfreiheit unter der Diagnose eines fortgeschrittenen Ovarialkarzinoms die Indikation zur pelvinen und paraaortalen Lympadenektomie gestellt worden, die richtigerweise bereits im vorbehandelnden Krankenhaus hätte erfolgen müssen. Insoweit sei die Operation vom 23. Oktober 2000 als Komplettierung einer insufizent durchgeführten operativen Primärtherapie erfolgt. Die Beklagten behaupten, diese Zusammenhänge seien mit der Klägerin durch den Beklagten zu 1. ausführlich besprochen worden. In diesen Gesprächen seien insbesondere die seinerzeit gültigen Behandlungsleitlinien besprochen worden und die Frage, dass trotz der zwischenzeitlich durchgeführten Chemo- Therapie wegen der unzureichenden operativen Erstversorgung eine Komplettierungsoperation erforderlich sei. Dabei sei der Klägerin insbesondere auch erläutert worden, welche Bedeutung der Vervollständigung und der Nachholung eines Tumorstagings für eine erhebliche Prognoseverbesserung ihrer Grunderkrankung zukomme. Bei diesen Gesprächen sei der Klägerin auch das Risiko eines ausgedehnten tumorchirurgischen Eingriffs in der Bauchhöhle, insbesondere das Risiko von Darmläsionen, erläutert worden. Ein Aufklärungsgespräch habe mehrere Tage vor dem Eingriff vom Beklagten zu 1. selbst mit der Klägerin geführt worden, die dabei ihr Einverständnis erklärt habe.

Die Kammer hat Beweis erhoben gemäß den Beweisbeschlüssen vom 24. August 2005, BI. 85 bis 87 der Akten, in der Fassung des Beschlusses vom 24. Oktober 2005, BI. 106 d.A., und vom 8. November 2006, BI. 176 d.A., sowie durch Anhörung des Beklagten zu 1. zur Aufklärungsrüge. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. med. E2, Direktor der Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des Universitätsklinikums E, vom 30. März 2006, BI. 117 bis 128 d.A., sowie die Prof. Dr. 0, Chefarzt a.D. der Chirurgischen Klinik I des Jkrankenhauses 0, vom 25. Januar 2007, BI. 189 bis 199 d.A., Bezug genommen, sowie für die mündliche Sachverständigenanhörung und die Anhörung des Beklagten zu 1. auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27. Februar 2008.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Die Klage ist im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner ein Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 823 Abs. 1, 840 Abs. 1, 249 ff. BGB zu, weil die Operation vom 23. Oktober 2000 nicht aufgrund einer wirksamen Einwilligung der Klägerin, mithin also rechtswidrig erfolgt ist.

Eine wirksame Aufklärung des Patienten setzt nach ständiger Rechtsprechung (vgl. nur OLG L, Urt. v. 24.01.2007 - 5 U 70/06, m.w.N.) voraus, dass ihm vor der Operation die in Betracht kommenden Alternativen einer Behandlung in der Weise mitgeteilt werden, dass er in die Lage versetzt ist, eine eigenverantwortliche Entscheidung hinsichtlich der Durchführung einer möglichen Behandlung treffen zu können. Aufzuklären ist nicht über medizinische Details und damit über genaue Ursachen und Abläufe etwaiger Komplikationen. Die Aufklärung soll nicht medizinisches Spezialwissen vermitteln, sondern über die Art und die Richtung der Beeinträchtigung der späteren Lebensführung verständlich und richtig informieren. Dabei ist insbesondere über die Möglichkeit einer Behandlungsalternative aufzuklären, wenn es sich dabei um eine konkrete Alternative mit gleichartigen Chancen, aber andersartigen Risiken handelt. Um dem Patienten eine eigenverantwortliche Entscheidung zu ermöglichen müssen unter Berücksichtigung der konkreten Umstände bei dem jeweiligen Patienten mit seinen spezifischen Eigenheiten das Für und Wider verschiedener Behandlungsmethoden gegenüber gestellt werden. Dabei ist es dem aufklärenden Arzt nicht verwehrt, seine persönliche Präferenz für das weitere Vorgehen klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen.

Hier haben die Beklagten nicht bewiesen, dass die Klägerin vor der Operation über die Bedeutung und die mit dem Eingriff verbundenen Risiken in einer Weise unterrichtet worden ist, die es ihr ermöglicht hätte, die Bedeutung des Eingriffs für ihre zukünftige Lebensplanung zutreffend zu ermessen. Allerdings ist auch nach dem Vortrag der Klägerin davon auszugehen, dass zwischen ihr und dem Beklagten zu 1. zwei Gespräche über die beabsichtigte Komplettierungsoperation und deren Notwendigkeit geführt worden sind. Ob darüber hinaus von dem Beklagten zu 1. das für den Fall der Klägerin aufgrund der Voroperationen bestehende besondere Komplikationsrisiko für intraoperative Verletzungen und Verwachsungen angesprochen worden ist, steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht fest. Dass dieses besondere Risiko aus medizinischer Sicht besteht und deshalb als besonderes Risiko aus medizinischer Sicht als aufklärungspflichtig gilt, haben beide Sachverständigen in Übereinstimmung mit den zu anderen Eingriffen im Bauchraum gewonnenen Kenntnissen der Kammer und im Übrigen auch von den Beklagten nicht bestritten ausgeführt. Dass über solche Risiken der Komplettierungsoperation durch den Beklagten zu 1. in ausreichender Weise in den vorbereitenden Gesprächen vor der stationären Aufnahme bereits aufgeklärt worden ist, hat die Beweisaufnahme nicht bestätigt. Der Beklagte zu 1. hat vielmehr im Widerspruch zum schriftsätzlichen Vorbringen der Beklagten ausgeführt, dass "eigentliche" Aufklärungsgespräch habe eine Ärztin Dr. T geführt. Soweit er ausgeführt hat, er habe der Klägerin in den prästationären Gesprächen die Notwendigkeit der erneuten Operation erläutert und dabei auch auf die mit dem Wiederholungseingriff verbundenen erhöhten Risiken hingewiesen, z.B. von einer Darmläsion gesprochen, vermag sich die Kammer auf dieser Grundlage keine Überzeugung von einer die Risiken des erneuten Eingriffs adäquat beschreibenden Unterrichtung der Klägerin vor der Einwilligung in die Operation zu bilden. Das Fehlen eines schriftlichen, von der Klägerin unterzeichneten Aufklärungsformulars spricht allerdings nicht zwingend dagegen, dass eine präoperative Aufklärung mit diesem Inhalt erfolgt ist. Denn der Aufklärungsbogen kann - gerade in großen Kliniken etwa bei Verlegungen verloren gehen. Nicht auszuräumende Bedenken gegen die Überzeugungskraft der Darstellung des Beklagten zu 1. in seiner mündlichen Anhörung, die nicht durch eine schriftliche Einwilligungserklärung abgestützt wird, ergeben sich aber aus dem Widerspruch zwischen dem schriftsätzlichen Vorbringen der Beklagten und der Darstellung des Beklagten zu 1. in seiner Anhörung. Denn die von ihm berichtete "eigentliche" dokumentierte Aufklärung der Klägerin nach der stationären Aufnahme durch eine Frau Dr. T ist schriftsätzlich nicht vorgetragen worden. Bei Zugrundelegung der Darstellung des Beklagten zu 1. persönlich wäre eine KlarsteIlung des schriftsätzlichen Vortrags spätestens nach Vorliegen der Replik, die die Aufklärungsrüge weiter vertieft, zu erwarten gewesen. Bei Vorliegen einer schriftlichen Aufklärung im Zeitpunkt der Operation erscheint zudem die ausführliche Darstellung der Aufklärung der Klägerin im Operationsbericht als nicht üblich. Zweifel an einer ausreichenden Aufklärung ergeben sich zudem daraus, dass, wenn man der Darstellung des Beklagten zu 1. folgt, auch nach den prästationären Gesprächen mit der Klägerin noch eine "eigentliche" Aufklärung für notwendig erachtet wurde. Dies entspricht zwar üblichen Krankenhausabläufen, bei denen prästationär mit dem Patienten die Gründe für die Notwendigkeit einer Operation und damit einer stationären Aufnahme besprochen werden, ohne bereits eine ausführliche Aufklärung vorzunehmen. Dann aber liegt die Annahme nicht fern, bei den prästationären Gesprächen seien die Risiken noch nicht mit der notwendigen Deutlichkeit angesprochen worden. Aufgrund der sich somit insgesamt ergebenden Widersprüche kann keine ausreichende Überzeugung über den Inhalt der prästationären Gespräche gewonnen werden. Sollte ein Aufklärungsgespräch nach der stationären Aufnahme durchgeführt worden sein, hat der Beklagte zu 1. zu dessen Stattfinden nur aus zweiter Hand berichtet, zu seinem Inhalt aber nichts bekundet.

Schließlich ergeben sich weitere Bedenken gegen eine für die Klägerin verständliche Aufklärung durch den Beklagten zu 1. daraus, dass dieser – nach dem in der Anhörung gewonnenen Eindruck - sehr schnell und undeutlich, gleichsam staccato spricht. Der Beklagte zu 1. war deshalb kaum zu verstehen. Dieser Sprechstil besserte sich auch unter dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer Protokollierung nicht, kann also nicht durch Aufregung im Termin erklärt werden. Der so beschriebene Sprechstil begründet aber erhebliche Zweifel daran, ob die Klägerin den prästationären Erläuterungen des Beklagten zu 1. überhaupt folgen konnte.

Die Beklagten haben nicht geltend gemacht, dass die Klägerin dem Eingriff auch bei einer zutreffenden Risikoaufklärung zugestimmt haben würde.

Der danach dem Grunde nach bestehende Klageanspruch führt zur Haftung der Beklagten hinsichtlich aller durch die Operation vom 23. Oktober 2000 verbundenen Folgen. Hinsichtlich des mit Antrag zu 1. geltend gemachten Schmerzensgeldes erscheint bei Abwägung aller für die Klägerin durch die Operation verursachten Nachteile ein Schmerzensgeld in Höhe von € 20.000,unter Berücksichtigung der für andere rechtswidrige Laparotomien oder Laporoskopien zuerkannten Beträge (vgl. Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, 4. Auflage 2008, E 103 ff.) zum Ausgleich der erlittenen immateriellen Beeinträchtigung als erforderlich, aber auch ausreichend. Dabei hat die Kammer insbesondere berücksichtigt, dass die Klägerin in Folge der Operation eine mehrmonatige stationäre Krankenhausbehandlung mit Auftreten eines Ileus sowie Anlage eines Tracheostomas und einer PEG-Sonde, zudem weitere operative Eingriffen, darunter eine Re-Laparotomie, erlitten hat. In Folge der rechtswidrigen Operation ist zudem bei der Klägerin ein Verwachsungsbauch eingetreten. Zudem sind das Fortbestehen einer Lungenfunktionsbeeinträchtigung, eine verminderte Leistungsfähigkeit und die Berufsunfähigkeit mit einem GdB von 100% belegt.
Andererseits war zu bedenken, dass die Behandlung der Klägerin und der operationsbedingten Komplikationen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sachgerecht erfolgt ist. Der Sachverständige Prof. Dr. E2 hat hierzu überzeugend und gut nachvollziehbar erläutert, die Operation vom 23. Oktober 2000 sei in, der gewählten Vorgehensweise zur Komplettierung des vorangegangenen Eingriffs erforderlich gewesen. Seine Ausführungen, nur bei einer Komplettierung der vorangegangenen Operation sei eine hinreichend genaue Bestimmung des Krebserkrankung der Klägerin möglich gewesen, überzeugen, denn sie entsprechen aktuellen Behandlungsstandards (vgl. Interdisziplinäre Leitlinie der Deutschen Krebsgesellschaft e.V. und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie du Geburtshilfe, AWMF-Leitlinien-Register Nr. 032/035, Stand OS/2007). Dies hat Prof. Dr. E2 vertiefend dahingehend erläutert, die lymphatische Ausbreitung des Ovarialkarzinoms in die pelvinen und paraaortokalen Lymphknoten sei die zweithäufigste Ausbreitungsform, die auch bei scheinbar niedrigem Tumorstadium mit scheinbarem Beckenbefall in etwa 20 Prozent der Fälle anzunehmen sei.

Dabei sei besonders problematisch, dass die höher liegenden paraaortalen Lympknoten befallen sein könnten, ohne dass ein vorheriger Befall der pelvinen Lympknoten vorliege. Bekannt sei auch, dass von 100 Patientinnen mit einem vermeintlich klinisch imponierenden Frühstadium I bis 11 bei 30 nach sorgfältigem chirurgischen Staging eine Höhergruppierung wegen Feststellung okkulter Metastasen an verschiedenen Lokalisationen vorgenommen werden müsse.

Daraus ergebe sich das Erfordernis einer sorgfältigen und umfassenden chirurgischen Tumorklassifikation (Staging). Dieses umfasse neben der abdominalen Hysterektomie und beidseitigen Adnexexstirpation auch die pelvine und paraaortale Lymphonodektomie, die infrakolische Omentektomie, Probeexzisionen aus dem Peritoneum beider Kolonrinnen und der rechten Zwergfellkuppel. Für die Behandlung der Klägerin bedeute dies, dass durch die vorangegangene Operation der Lymphknotenstatus im Abflussbereich der Ovarialvenen, also im Bereich der paraortalen Lymphknoten nicht geklärt gewesen sei. Deshalb sei auch unklar gewesen, ob bei der Klägerin überhaupt noch ein Frühtumorstadium (FIGO I bis 11) oder aber bereits ein fortgeschrittenes Karzinom (FIGO 111) vorgelegen habe. Folgerichtig sei in der Klinik der Beklagten zu 2. die Chemotherapie analog zur Therapie fortgeschrittener Ovarialkarzinome vorgenommen worden. Dabei sei durch 4 Zytostatika-Zyklen die notwendige Latenzzeit zur Voroperation bis zur Durchführung der gebotenen Komplettierungsoperation am 23. Oktober 2000 überbrückt worden. Durch das für die Operation vom 23. Oktober 2000 geplante Vorgehen wäre dann ein operativer Standard erreicht worden, der heutigen klinischen und wissenschaftlichen Gesichtspunkten genüge. Insoweit gelte, was heute als richtig erkannt sei, könne im Jahre 2000 medizinisch nicht falsch gewesen sein.

Die mithin indizierte Operation ist auch nicht fehlerhaft durchgeführt worden. Dass der Beklagte zu 1. die aufgetretene Dünndarmläsion nicht primär versorgt hat, sondern die Operation bis zum Eintreffen des Viszeralchirurgen fortgesetzt hat, kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht als fehlerhaft bewertet werden. Soweit hier der Sachverständige Prof. Dr. E2 eine in seiner Klinik angewendeten Standards und einer seiner klinischen Erfahrung widersprechende Vorgehensweise gesehen hat, ergibt sich aus dem viszeralchirugischen Sachverständigengutachten des Prof. Dr. D überzeugend, dass das gewählte Vorgehen, die Dünndarmläsion zunächst unversorgt zu lassen und eine Abdeckung mit Bauchtüchern vorzunehmen, in der Viszeralchirurgie ein gebräuchliches Vorgehen ist, weil mit keinen Nachteilen für den Patienten verbunden. Im Übrigen ist die Versorgung der Läsion fachgerecht erfolgt. Hierzu hat der Sachverständige Prof. Dr. E2 übereinstimmend mit Prof. Dr. D ausgeführt, aus dem Operationsbericht der erneuten Eröffnung vom 3. November 2000 ergebe sich, dass die Versorgung der Darmläsionen suffizient erfolgt sei.

Die Operation ist auch im Übrigen nicht fehlerhaft durchgeführt worden. Hierzu hat der Sachverständige Prof. Dr. D erläutert, die Ureterdarstellung sei beim vorliegenden Eingriff, der das Risiko einer akzidentiellen Ureterverletzung berge, obligat. Im Gegenteil wäre das Unterlassen dieser Maßnahme als Behandlungsfehler zu werten, der im Falle einer tatsächlichen Verletzung des Ureters, zu der es hier nicht gekommen sei, als Behandlungsfehler bewertet werden müsse. Diese Maßnahmen seien jedem Bauchchirurgen geläufig und nicht dem Urologen vorbehalten. Die Entfernung des Blinddarms anlässlich der Operation vom 23. Oktober 2000 sei im vorliegenden Fall im Hinblick auf die schweren Verwachsungen durch den Eindruck der tangierten Gefäßversorgung erforderlich gewesen, weil im Falle einer späteren akuten Appendizitis Diagnose und Eingriff erschwert gewesen wären. Eine vorbeugende Beteiligung eines Chirurgen sei nicht erforderlich gewesen, sondern erst bei Eintreten von Darmverletzungen .

Auch die weitere Behandlung der Klägerin ist nicht zu beanstanden. Hierzu haben die Sachverständigen erläutert, der in der Nachbehandlung aufgetretene mechanische Ileus sei ordnungsgemäß versorgt worden. Dabei werde eine verstärkte postoperative Atonie bei Zustand nach paraaortaler Lymphonodektomie häufiger beobachtet. Im Übrigen lägen Behandlungsfehler bei Betrachtung der einzelnen Maßnahmen auch im Hinblick auf die Förderung der Darmtätigkeit nicht vor. Ergänzend hat Prof. Dr. D erläutert, dass es bei dem zentralvenösen Katheter, dessen Anlage zur parenteralen Ernährung erforderlich gewesen sei, zu einer Infektion und einer Sepsis gekommen sei, müsse als schicksalhafte Komplikation bewertet werden.

Materiellen Schadensersatz, der Gegenstand des Klageantrags zu 2. ist, schulden die Beklagten als Gesamtschuldner in Höhe von € 42.656,91, also in voller Höhe. Den Haushaltsführungsschaden im geltend gemachten Zeitraum von April 2001 bis einschließlich Februar 2005, also 197 Wochen, schätzt die Kammer unter Zugrundelegung einer Behinderung von heute 100% in Anwendung von § 287 Abs. 1 ZPO - wie geltend gemacht - auf insgesamt 6 Stunden wöchentlich. Ausgehend von einem üblichen Stundensatz von € 12,00 ergibt sich rechnerisch ein Betrag von € 14.184,00.

Den entgangenen Verdienst der Klägerin im Zeitraum vom 18. Dezember 2000 (Ende der Lohnfortzahlung) bis einschließlich Februar 2005 schätzt die Kammer ausgehend von der belegten Darstellung in der Klageschrift auf € 28.472,91.
Die der Klägerin entstandenen sonstigen Aufwendungen für Porti, Telefon und Auslagen schätzt die Kammer pauschal auf € 50,00.

Der Zinsanspruch folgt hinsichtlich der Anträge zu 1. und 2. aus §§ 288 Abs. 1,291 BGB. Die Klage ist der Beklagten zu 2. am 17. März 2005 und dem Beklagten zu 1. am 23. März 2005 zugestellt worden. Hinsichtlich des Zinsanspruchs für den Zeitraum vom 17. März 2005 bis zum 22. März 2005 haftet der Beklagte zu 1. aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB, denn mit dem Ablehnungsschreiben des Haftpflichtversicherers vom 13. Februar 2004 befand sich der Beklagte in Verzug. Der Feststellungsantrag ist nach den vorstehenden Ausführungen ebenfalls begründet. Dabei war in der Tenorierung abweichend vom Klageantrag zum Ausdruck zu bringen, dass zukünftige Schäden nur entstehen werden, nicht bereits entstanden sind.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 100, 709 ZPO.

Streitwert:
Antrag zu 1. € 30.000,00
Antrag zu 2. € 42.706,91
Antrag zu 3. + a€ 5.000.00
zusammen: € 77.706,91

RechtsgebieteBürgerliches Recht, MedizinrechtVorschriften§§ 823 Abs. 1, 840 Abs. 1, 249 ff BGB

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