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25.06.2008 · IWW-Abrufnummer 081965

Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen: Urteil vom 14.05.2008 – 1 A 1171/07

Eine Einzelzahnlücke im Sinne der betreffenden beihilferechtlichen Indikation bei implantologischen Leistungen eines Zahnarztes ist auch dann anzunehmen, wenn unter Zugrundelegung des Zahnschemas einer vollständigen Zahnreihe zwar zwei nebeneinanderliegende Zähne fehlen, nach den tatsächlichen Gegebenheiten des Gebisses die eine dieser Zahnregionen betreffende Lücke aber im Gefolge einer früheren kieferorthopädischen Behandlung im jetzigen Behandlungszeitpunkt bereits vollständig geschlossen ist und für die aktuelle Behandlung (hier: wegen eines abgebrochenen Schneidezahnes) auch nur ein Einzelimplantat verwendet werden soll.


1 A 1171/07

Tenor

Die Berufung wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Der Kläger stand bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand als Oberamtsrat im Dienst der Beklagten.

Mit Schreiben vom 27. Oktober 2005 beantragte er unter Vorlage eines Heil- und Kostenplans die Anerkennung einer Implantatversorgung des Zahnes 11 als beihilfefähig.

Unter dem 4. November 2005 teilte die Beklagte dem Kläger mit, die beabsichtigte Implantation sei nicht beihilfefähig, weil die Nachbarzähne nicht intakt seien.

Der Kläger legte hiergegen sinngemäß Widerspruch ein. Er führte an, es sei eine der Indikationen gemäß Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV gegeben. Es liege eine Einzelzahnlücke vor, bei der beide benachbarten Zähne intakt und nicht überkronungsbedürftig seien. Der ursprüngliche Nachbarzahn (Zahn 12) sei im Rahmen einer kieferorthopädischen Maßnahme bereits während seiner Jugend entfernt worden. Die weiteren Zähne des rechten Oberkiefers hätten sich nachfolgend eingereiht und die Lücke des extrahierten Zahnes 12 völlig geschlossen. Der Zahn 13 befinde sich jetzt an der Stelle des früheren Zahnes 12. Beide Nachbarzähne des Zahnes 11 seien infolgedessen intakt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Dezember 2005 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 4. November 2005 zurück. Sie führte aus, es sei keine der Indikationen für die Anerkennung der Beihilfefähigkeit der Implantationsmaßnahme gegeben. Bei der Indikation "Einzelzahnlücke" müssten beide benachbarten Zähne intakt und nicht überkronungsbedürftig sein. Hiervon könne im Fall des Klägers schon deswegen nicht ausgegangen werden, weil entsprechend dem Zahnschema der Nachbarzahn 12 fehle. Ein nicht vorhandener Zahn könne nicht als intakt bewertet werden.

Am 5. Januar 2006 hat der Kläger Klage erhoben. Er hat vorgetragen, die Implantatversorgung des Zahnes 11 sei als beihilfefähig anzuerkennen. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei in seinem Fall die Voraussetzung erfüllt, dass beide Nachbarzähne noch intakt seien.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 4. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Dezember 2005 zu verpflichten, seine zahnärztliche Behandlung gemäß Heil- und Behandlungsplan der Ärzte Dr. Dr. N. und Dr. T. vom 20. Oktober 2005 (Implantatversorgung des Zahnes 11) als beihilfefähig anzuerkennen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat im Wesentlichen Bezug auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides genommen.

Durch das angefochtene Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Verwaltungsgericht der Klage antragsgemäß stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe nach den einschlägigen Bestimmungen der Beihilfevorschriften des Bundes und deren Anlage 2 einen Anspruch darauf, die vom Antrag erfasste Behandlung des Zahnes 11 in Gestalt einer Implantatversorgung (dem Grunde nach) als beihilfefähig anzuerkennen. Es liege die Indikation "Einzelzahnlücke" vor. In diesem Zusammenhang sei zugleich davon auszugehen, dass die beiden Nachbarzähne intakt und nicht überkronungsbedürftig seien. Aufgrund der beim Kläger bereits während seiner Jugend vorgenommenen kieferorthopädischen Behandlung sei bei ihm als Nachbarzahn des Zahnes 11 nicht mehr der damals schon entfernte Zahn 12, sondern Zahn 13 anzusehen. Da die ursprünglich bestehende Lücke aufgrund der Weiterentwicklung des Kiefers geschlossen worden sei, sei nunmehr Zahn 13 der unmittelbare Nachbarzahn von Zahn 11. Die Vorschrift des § 4a der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV stelle entgegen der Auffassung der Beklagten nicht allein auf das Zahnschema und die dortige ziffernmäßige Bezeichnung der Zähne ab; entscheidend sei vielmehr, ob es sich bei objektiver Würdigung tatsächlich um den Nachbarzahn des mit dem Implantat zu ersetzenden Zahnes handele. Diese Auslegung sei insbesondere nach Sinn und Zweck der hier im Streit stehenden Indikation geboten. Maßgeblicher Grund für die Anerkennung der Beihilfefähigkeit von Implantaten bei der Indikation "Einzelzahnlücke" sei, dass im Fall der Anfertigung einer Brücke zur Schließung dieser begrenzten Lücke als sonst in Betracht kommende Behandlungsalternative intakte Nachbarzähne beschädigt werden müssten. Damit wäre einerseits eine zusätzliche Belastung des Patienten verbunden und andererseits würden auch bei dieser alternativen Behandlungsmaßnahme relativ hohe Kosten aufgrund der Überkronung an sich nicht überkronungsbedürftiger Zähne entstehen. Diese Gründe seien aber unabhängig davon gegeben, ob es sich bei einem benachbarten Zahn um den ursprünglichen Nachbarzahn oder um einen erst nach Vornahme einer kieferorthopädischen Behandlung zum Nachbarzahn gewordenen anderen Zahn handele.

Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung der Beklagten, zu deren Begründung sie im Wesentlichen geltend macht: Die hier einschlägigen Vorschriften seien eng auszulegen und sähen weder Ausnahmen noch Ermessensspielräume vor. Durch die - dabei zugrunde zu legende - Verwendung des Zahnschemas werde ein objektiver Maßstab angelegt, der in dem betreffenden Beihilfebereich ein einheitliches und gleiches Verwaltungshandeln ermögliche. Ein Abstellen auf wie hier rein individuelle Gegebenheiten würde demgegenüber einem ungleichen Verwaltungshandeln Vorschub leisten, nämlich diejenigen benachteiligen, bei denen nachträglich kein solcher Lückenschluss erfolgt sei und die Lücke deswegen nur durch zwei Implantate geschlossen werden könnte. Auch vorliegender Rechtsprechung und Literatur könne entnommen werden, dass die vollständige Zahnreihe des Zahnschemas der beihilferechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen sei und nicht die tatsächliche Gebisssituation des einzelnen Betroffenen im Zeitpunkt der Behandlung. Eine Verletzung höherrangigen Rechts sei mit dieser Auslegung nicht verbunden.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bekräftigt er seinen Standpunkt, dass es bei der Auslegung der hier interessierenden Indikationsregelung nicht auf die von der Beklagten vertretene formalisierte Betrachtung in Anknüpfung an ein bestimmtes Zahnschema ankommen könne. Eine solche Auslegung sei weder angezeigt noch geboten, im Übrigen nicht verhältnismäßig und verfassungsrechtlich bedenklich. Vor dem Hintergrund der Fürsorgepflicht des Dienstherrn dürfe eine typisierende und generalisierende Anwendung der Beihilfevorschriften eine sachgerechte Würdigung der Gesamtumstände wie auch den Zweck der jeweiligen Regelung nicht gänzlich ausblenden. Ein Beihilfeberechtigter dürfe für eine in der Vergangenheit erfolgreich durchgeführte kieferorthopädische Maßnahme nicht dadurch "bestraft" werden, dass er bei später gleichen tatsächlichen Gegebenheiten (hier: Lücke im Umfang eines Zahnes) schlechter gestellt werde als ein solcher, der einer solchen kieferorthopädischen Korrektur nicht bedurft habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs (1 Heft) Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht begründete Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.

Die Klage des Klägers ist zulässig und begründet. Die im Streit stehende Implantatbehandlung ist dem Grunde nach als beihilfefähige Zahnbehandlung anzuerkennen. Bei zutreffender Auslegung der anerkanntermaßen wie Rechtsnormen auszulegenden Beihilfevorschriften des Bundes unterfällt sie nämlich noch der Indikation nach Nr. 4 Satz 1 Buchst. a der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für Beihilfen in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen (Beihilfevorschriften - BhV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. November 2001 (GMBl. S. 918).

Die betreffende, auf der Ermächtigung des Bundesministeriums des Innern in § 6 Abs. 3 BhV beruhende Begrenzungsvorschrift der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für bestimmte zahnärztliche Leistungen ist hier nicht deswegen unanwendbar, weil die Beihilfevorschriften des Bundes gegen den Verfassungsgrundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes verstoßen. Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar einen derartigen Verstoß festgestellt, zugleich aber bestimmt, dass die in der Form von Verwaltungsvorschriften getroffenen Regelungen der Beihilfevorschriften - Gleiches muss für deren Anlagen gelten - für eine Übergangszeit noch fortgelten, um auf diese Weise zu gewährleisten, dass die fraglichen Leistungen noch weiterhin nach einem einheitlichen Handlungsprogramm erbracht werden.

Vgl. BVerwG, insb. Urteil vom 17. Juni 2004 - 2 C 50.02 -, BVerwGE 121, 103, 109 ff.

Die erst mit dem Ergehen der vorgenannten Entscheidung einsetzende Übergangszeit ist im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung im hier streitgegenständlichen Verfahren der Vorabprüfung der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen - also des Widerspruchsbescheides vom 7. Dezember 2005 - noch nicht abgelaufen gewesen.

Nach Nr. 4 Satz 1 der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV sind Aufwendungen für implantologische Leistungen einschließlich aller damit verbundenen weiteren zahnärztlichen Leistungen nur bei Vorliegen bestimmter, abschließend festgelegter Indikationen beihilfefähig. Zu diesen gehört nach Buchstabe a folgende Indikation: "Einzelzahnlücke, wenn beide benachbarten Zähne intakt sind und nicht überkronungsbedürftig sind."

Dass sich die streitige Behandlung überhaupt auf eine (Zahn-)Lücke im Sinne der Indikation bezieht, steht hier außer Frage. Dies setzt nämlich nur voraus, dass zu beiden Seiten der betreffenden Zahnreihe überhaupt Nachbarzähne vorhanden sind, also nicht eine sog. Freiendlücke vorliegt. Hier wird die fragliche Lücke, die sich im Frontzahnbereich des Oberkiefers des Klägers befindet, von den Zähnen 13 und 21 seitlich begrenzt.

Ferner besteht hier kein Zweifel daran, dass die jeweils die Lücke begrenzenden Nachbarzähne intakt und nicht überkronungsbedürftig sind. Nach dem im Verwaltungsvorgang enthaltenen Befund- und Behandlungsplan ist der Zahn 13 des Klägers noch unbehandelt, der Zahn 21 mit einer soweit ersichtlich funktionsfähigen, nicht erneuerungsbedürftigen Krone versehen. "Intakt" bedeutet in diesem Zusammenhang nicht notwendig, dass der Zahn völlig unbehandelt sein muss.

Vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 18. Juni 2004 - 2 LA 84/03 -, Juris (Rn. 6 u. 7).

Fraglich kann hier allenfalls sein, ob sich die betreffende Lücke wie erforderlich nur auf einen Einzelzahn bezieht oder ob beihilferechtlich deswegen von einer Doppelzahnlücke ausgegangen werden muss, weil sich die Lücke unter Zugrundelegung des Zahnschemas einer vollständigen Zahnreihe - unstreitig - auf zwei Zahnregionen erstreckt. Im Ergebnis ist hier aus den nachfolgenden Gründen Ersteres anzunehmen:

Auch wenn das allgemeine Zahnschema, was etwa die nähere Identifizierung des behandlungsbedürftigen Zahnes bzw. der behandlungsbedürftigen Zähne und daran anknüpfende Ausgangsüberlegungen hinsichtlich der Einschlägigkeit bestimmter Indikationen betrifft, einen gewissen (ersten) Anhalt bieten kann,

- allein in diesem Sinne sind etwa die Ausführungen im Senatsurteil vom 24. Mai 2008 - 1 A 3706/04 -, UA S. 11 f.(Juris Rn. 36 ff), zu verstehen -,

würde sich dieses modellartige Schema, wollte man es als alleinigen, also abschließenden Anknüpfungspunkt für die beihilferechtlich zu leistende Typisierung begreifen, als zu starr erweisen, um allgemein auf sach- und interessengerechte Ergebnisse bei der Auslegung der hier interessierenden Indikationsregelung "Einzelzahnlücke" zu führen. Insoweit bedarf es vielmehr - zumindest als mögliches Korrektiv - zusätzlich des Blicks auf die jeweiligen tatsächlichen Gegebenheiten, also auf die konkrete Gebisssituation des Patienten. Wie der Fall des Klägers lediglich beispielhaft verdeutlicht, würde anderes nämlich weder mit dem Zweck der in Rede stehenden Indikationsregelung noch mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn, aus der die beihilferechtlichen Bestimmungen im Wege gestaltender Konkretisierung abzuleiten sind, in Einklang zu bringen sein.

Die bestehenden Begrenzungen betreffend die Beihilfefähigkeit implantologischer Leistungen von Zahnärzten greifen im Kern - gerade was die Festlegung bestimmter Indikationen betrifft - auf das zurück, was auch von Seiten der Zahnärzteschaft als vernünftig und wissenschaftlich anerkannt angesehen wurde, nachdem in den letzten Jahrzehnten und Jahren die Implantologie eine rasche Entwicklung erfahren hat und auch zunehmend in die Praxis umgesetzt wurde. Einer dieser anzuerkennenden Indikationsbereiche hat dabei von Anfang an den "Einzelzahnverlust" bei gesunden Nachbarzähnen betroffen.

Vgl. etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30. Oktober 1998 - 10 A 10692/98 -, IÖD 1999, 128, sowie Juris (Rn. 29 u. 30).

Ein Einzelzahnverlust ist (war) aber auch hier Anlass dafür, dass der Zahn 11 im Oberkiefer rechts des Klägers ersetzt werden muss(te). Die Zahnregion 12 ist (war) dagegen aktuell und konkret gar nicht behandlungsbedürftig. Die betreffende Region existiert real als (weitere) Zahnlücke beim Kläger nämlich seit langem nicht mehr. Im Gefolge einer früheren kieferorthopädischen Behandlung hat sich diese - nur anhand des Zahnschemas noch theoretisch festzustellende - Lücke vielmehr tatsächlich voll geschlossen. Sie gleichwohl als im Rechtssinne noch weiterbestehend zu begreifen, entspräche einer völlig gekünstelten, rein formalen Sichtweise. Eine Kontrollüberlegung führt auf das gleiche Ergebnis: Stünde hier kein Einzelzahnverlust in Rede, wäre konsequenterweise auch mehr als ein (Einzel-)Implantat nötig, um die vorhandene Zahnlücke zu schließen. Hier bezieht sich der Heil- und Kostenplan aber eindeutig auf die Einbringung nur eines einzigen Implantats. Davon geht auch die Beklagte aus.

Als weitere Überlegung kommt hinzu, dass - ergänzend zu der zahlenmäßigen Obergrenze nach dem Satz 2 der Nr. 4 der Anlage 2 - auch schon mit Hilfe der geforderten Indikationen die Kosten von Implantatbehandlungen letztlich in überschaubaren Grenzen gehalten werden sollten. Durch die hier in Rede stehende Behandlung entstehen aber ersichtlich keine höheren Aufwendungen als in dem "Normalfall", in welchem die reale Zahnlücke exakt einer Lücke nach Maßgabe des nummerischen Zahnschemas entspricht. In beiden Fällen geht es jeweils im Kern um die Kosten eines Einzelimplantats. Im Interesse der Geringhaltung der Kosten war hier deswegen eine restriktive Auslegung, wie sie die Beklagte für geboten hält, nicht angezeigt.

Auch im Übrigen ist hier für eine Auslegung im Sinne der Auffassung der Beklagten kein Raum. Vor dem Hintergrund der Fürsorgepflicht des Dienstherrn kommt nämlich insbesondere dem Umstand Bedeutung zu, im Rahmen des Beihilferechts jedenfalls in den Grenzen des Angemessenen auch solche Behandlungsmöglichkeiten zu eröffnen, welche die Betroffenen möglichst gering belasten. Bei zahnärztlichen Behandlungen gehört dazu namentlich der Gesichtspunkt, die Substanz noch vorhandener gesunder Zähne nach Möglichkeit zu schonen. Dies gilt im Besonderen für den - hier betroffenen - Schneidezahnbereich, in Bezug auf den unabhängig von evtl. hinzu kommenden ästhetischen Gesichtspunkten die Eignung, als Pfeiler von Brückengliedern zu fungieren, schon objektiv eingeschränkt ist, unter Umständen sogar fehlt.

Vgl. in diesem Zusammenhang etwa Senatsurteil vom 24. Mai 2006 - 1 A 3706/04 -, UA S. 15 f.; (Juris Rn. 48 ff), abgedruckt etwa in NVwZ - RR 2006, 800 ff., zur gebotenen Schonung gesunder Zahnsubstanz selbst bei dadurch ggf. entstehenden höheren Kosten auch Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 15. September 2006 - 2 LA 956/04 -, DÖD 2007, 34.

Die Indikation "Einzelzahnlücke" greift diesen Umstand typisierend mit auf, indem sie in dieser besonderen Situation ein Missverhältnis vermeiden will, welches dann auftreten würde, wenn der betroffene Beihilfeempfänger zwingend auf die Alternative verwiesen würde, eine nur aus einem (Einzel-)Zahn bestehende Lücke unter Eingriff in gesunde Zahnsubstanz mit Hilfe einer - häufig sogar aufwändigeren - Brücke zu schließen.

Vgl. auch Senatsbeschluss vom 6. Mai 2004 - 1 A 1160/03 -, Juris (Rn. 9).

Das angesprochene Missverhältnis würde aber auch in dem Fall des Klägers in absolut vergleichbarer Weise tatsächlich bestehen, wollte man der von der Beklagten favorisierten Auslegung der Indikationsregelung folgen.

Der Wortlaut der Nr. 4 Satz 1 Buchst. a der Anlage 2 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV ist für die hier vor allem gestützt auf teleologische Erwägungen vorgenommene Auslegung ohne weiteres offen. Denn nach dem üblichen Sprachgebrauch ist es keineswegs zwingend, liegt sogar eher ferner, das Vorliegen einer "Einzelzahnlücke" allein auf der Grundlage eines bestimmten modellhaften Zahnschemas zu beurteilen und nicht - zumindest als mögliches Korrektiv - (auch) nach den tatsächlichen aktuellen Gebissverhältnissen bei dem jeweiligen Patienten im Zeitpunkt der konkret beabsichtigten Behandlung.

Schließlich führen auch nicht Gesichtspunkte der Verwaltungsvereinfachung und der bei beihilferechtlichen Regelungen grundsätzlich zulässigen Typisierung und Generalisierung auf ein gegenteiliges Ergebnis. Diese Gesichtspunkte sind nämlich nicht per se vorrangig, sondern ihrerseits abwägend mit den aufgrund der Fürsorgepflicht zu wahrenden Belangen der betroffenen Beamten in Beziehung zu setzen. Dabei mag die abschließende Berücksichtigung des nummerischen Zahnschemas sicher in der Regel den geringsten Verwaltungsaufwand erfordern, das Einbeziehen weiterer Umstände - etwa von Besonderheiten bei den tatsächlichen Gebissverhältnissen - hat indes in Abwägung mit den aus den vorstehenden Gründen schützwürdigen Belangen der Betroffenen noch keinen unverhältnismäßigen, der Beihilfestelle nicht zumutbaren Mehraufwand zur Folge. Ebenso wenig bedeutet dies eine durchgreifende Gefahr mit Blick auf die gebotene Allgemeingültigkeit und Objektivierbarkeit des Beurteilungsmaßstabs. Zwar geht es vorliegend um individuelle, patientenbezogene Umstände. Diese betreffen jedoch objektive bzw. zumindest objektivierbare Tatsachen, die von dem Betroffenen oder - ggf. bestätigend - auch dem behandelnden Zahnarzt (wie hier für den Senat ohne weiteres einsichtig geschehen) leicht erklärt werden können und die - bei verbleibenden Zweifeln der Beihilfestelle - auch (erforderlichenfalls gutachterlich) nachprüfbar sind. Im Wesentlichen hat in diesem Zusammenhang aber schon indizielle Bedeutung, welche Anzahl von Implantaten z.B. nach einem vorgelegten Heil- und Kostenplan konkret vorgesehen ist, um eine in einem bestimmten Zahngebiet vorhandene Lücke tatsächlich zu schließen. Angesichts des Verbreitungsgrades kieferorthopädischer Maßnahmen dürften Fallgestaltungen der vorliegenden Art - tatsächlicher vollständiger Lückenschluss im Bereich bestimmter Zahnregionen - sich auch nicht nur auf seltene, unter Umständen bei der Auslegung beihilferechtlicher Bestimmungen vernachlässigbare Einzelfälle beziehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach §§ 132 Abs. 2 VwGO, 127 BRRG nicht gegeben sind. Zwar haben die streitgegenständlichen Auslegungsfragen Bedeutung für eine nicht näher bestimmbare Zahl weiterer Fälle. Das - aus der Sicht des Senats nicht zweifelhafte - Ergebnis der Auslegung ergibt sich hier aber ohne besondere Schwierigkeiten aus der Anwendung der üblichen Auslegungsmethoden auf die interessierende beihilferechtliche Indikationsregelung.

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