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15.01.2008 · IWW-Abrufnummer 080123

Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Beschluss vom 29.08.2007 – 12 V 12132/07

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


FINANZGERICHT BERLIN-BRANDENBURG

BESCHLUSS

12 V 12132/07

In dem Verfahren XXX

wegen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (gemäß § 69 FGO) - Anmeldung des Steuerabzugs gemäß § 50a EStG für das I. Quartal 2007
hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 12. Senat - am 29. August 2007 durch XXX
beschlossen:

Die Vollziehung des Bescheides über den Steuerabzug gemäß § 50a Abs. 4, 5 EStG (Steueranmeldung) für das 1. Quartal 2007 vom … wird ab Fälligkeit bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer abschließenden Entscheidung über den Einspruch vom … in Höhe von 2.673,74 € ausgesetzt.

Die Beschwerde zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.

Gründe:

Die Antragstellerin ist eine inländische unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft (GmbH), deren Geschäftszweck die Durchführung von Tourneen mit ausländischen Künstlern im Inland ist. Sie gab beim Antragsgegner am … für das 1. Quartal 2007 eine Steueranmeldung gemäß § 50a Einkommensteuergesetz -EStG- i.V.m. § 73e der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung -EStDV- ab. Sie deklarierte mit dieser Anme-dung unter anderem einen Steuerabzug gemäß § 50a Abs. 4 S. 1 Nr. 1 EStG in Höhe von 2.673,74 €, der auf Vergütungen beruhte, welche die Antragstellerin an Künstler gezahlt hatte, die im Vereinigten Königreich (Großbritannien) ansässig sind. Zeitgleich mit der Steueranmeldung legte die Antragstellerin gegen die Anmeldung Einspruch ein und bean-tragte beim Antragsgegner die Aussetzung der Vollziehung der angemeldeten Steuern, soweit diese auf die an die Künstler aus dem Vereinigten Königreich gezahlten Vergütungen entfielen.

Zur Begründung führte die Antragstellerin aus, der Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 EStG sei - jedenfalls bezogen auf Vergütungsgläubiger mit Sitz im Vereinigten Königreich - unzulässig. Der Europäische Gerichtshof -EuGH- habe am 3. Oktober 2006 eine Entscheidung bezüglich der Rechtmäßigkeit des Steuerabzugsverfahrens nach § 50a Abs. 4 EStG getroffen (Rs. C-290/04, F.K.P. Scorpio Konzertproduktionen GmbH, Bundessteuerblatt –BStBl- II 2006, 353). Zwar habe der EuGH in dieser Entscheidung, die das Streitjahr 1993 betraf, das Quellensteuerabzugsverfahren nach § 50a Abs. 4 EStG noch für gemeinschaftsrechtskonform angesehen; allerdings hätten sich die Rechtsverhältnisse zwischenzeitlich geändert, nachdem die geänderte Beitreibungsrichtlinie zur Mitte des Jahres 2002 in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft in Kraft getreten sei (Richtlinie 2001/44/EG vom 15.06.2001, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft -ABlEG- L 175/17 vom 28.06.2001). Denn das auf Gebietsfremde ausgerichtete Quellensteuerabzugsverfahren enthalte eine gemeinschaftsrechtswidrige Benachteiligung, die der EuGH im zitierten Fall lediglich deshalb für gerechtfertigt gehalten habe, weil in dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Streitjahr 1993 noch keine zwischenstaatlichen Vollstreckungsmöglichkeiten existiert hätten. Dieser Rechtfertigungsgrund sei nach Einführung der geänderten Beitreibungsrichtlinie vom 15.06.2001 entfallen, so dass § 50a Abs. 4 EStG in Bezug auf Vergütungsgläubiger aus EU-Mitgliedsstaaten als gemeinschaftsrechtswidrig anzusehen und nicht mehr anwendbar sei.

Mit Bescheid vom 24. Mai 2007 lehnte der Antragsgegner die beantragte Aussetzung der Vollziehung ab. Es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Steueranmeldung. Nach dem von der Antragstellerin zitierten EuGH-Urteil vom 3. Oktober 2006 und dem hierzu ergangenen Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen -BMF- vom 5. April 2007 (BStBl I 2007, 449) bestünden europarechtlich keine Bedenken gegen den Steuerabzug gemäß § 50a EStG. Lediglich die Versagung des Betriebsausgabenabzugs im Zusammenhang mit den Vergütungen sei vom EuGH als gemeinschaftsrechtswidrig angesehen worden. Insoweit werde der Antragstellerin anheim gestellt, gegebenenfalls Betriebsausgaben zu erklären und eine entsprechend korrigierte Steueranmeldung für das 1. Quartal 2007 abzugeben.

Daraufhin hat sich die Antragstellerin mit dem vorliegenden Antrag an das Finanzgericht gewandt. Sie wiederholt ihr Vorbringen aus dem außergerichtlichen Verfahren.

Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung der Steueranmeldung nach § 50a EStG für das I. Quartal 2007 in dem Umfang auszusetzen, in dem Vergütungen an beschränkt Steuerpflichtige mit Sitz im Vereinigten Königreich angemeldet wurden,
sowie hilfsweise, für den Fall des Unterliegens, die Beschwerde zuzulassen.

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

Er hält den Antrag für zulässig, jedoch unbegründet. Weder seien ernstliche Zweifel an der Steueranmeldung feststellbar, noch stelle die Vollziehung dieses Bescheides eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte dar.

Dass ein Steuerabzug nach dem Inkrafttreten der Beitreibungsrichtlinie tatsächlich nicht mehr vorzunehmen sei, könne dem Urteil des EuGH (Scorpio, C-290/04, a.a.O.) nicht entnommen werden. Dies werde auch durch das BMF-Schreiben vom 5. April 2007 (a.a.O.) bestätigt.

Wegen des weiteren Vorbingens der Beteiligten nimmt der Senat auf den Inhalt der Verfahrensakte Bezug.

Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist zulässig und begründet.

Gemäß § 69 Abs. 3 S. 1 in Verbindung mit Abs. 2 S. 2 Finanzgerichtsordnung –FGO- kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes auf Antrag ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind anzunehmen, wenn eine summarische Prüfung ergibt, dass neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen auslösen (ständige – zutreffende - Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs –BFH-, vgl. zum Beispiel Beschluss vom 20. Mai 1997, VIII B 108/96, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH –BFH/NV- 1997, R 462 f. mit weiteren Nachweisen), wobei der Erfolg nicht wahrscheinlicher sein muss als der Misserfolg.

Derartige Zweifel hat der beschließende Senat im Streitfall hinsichtlich der Anwendung des § 50a EStG, soweit es Vergütungen betrifft, die an Vergütungsgläubiger, welche im Vereinigten Königreich ansässig sind, gezahlt wurden.

Gemäß § 50a Abs. 4 S. 1 Nr. 1 EStG wird bei beschränkt Steuerpflichtigen bei Einkünften, die durch im Inland ausgeübte oder verwertete künstlerische, sportliche, artistische oder ähnliche Darbietungen erzielt werden, die Einkommensteuer im Wege des Steuerabzugs erhoben. Gemäß Abs. 5 der Vorschrift entsteht die Steuer in dem Zeitpunkt, in dem die Vergütungen dem Gläubiger der Vergütungen zufließen. In diesem Zeitpunkt hat der Schuldner der Vergütungen den Steuerabzug für Rechnung des beschränkt steuerpflichtigen Gläubigers (Steuerschuldner) vorzunehmen. Er hat die innerhalb eines Kalendervierteljahres einbehaltene Steuer jeweils bis zum 10. des dem Kalendervierteljahr folgenden Monats an das für ihn zuständige Finanzamt abzuführen. Gemäß § 73e S. 2 EStDV hat der Vergütungsschuldner dem Finanzamt eine Steueranmeldung über den Gläubiger und die Höhe der Vergütungen im Sinne des § 50a Abs. 4 EStG sowie die Höhe des Steuerabzugs zu übersenden. Diese Steueranmeldung steht gemäß § 168 S. 1 Abgabenordnung -AO- einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich.

Die von der Antragstellerin mit dem Einspruch angegriffene Steueranmeldung für das 1. Quartal 2007 steht im Einklang mit den genannten gesetzlichen Bestimmungen; dennoch hat der beschließende Senat Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Steueranmeldung, da nicht auszuschließen ist, dass die Vorschrift des § 50a EStG gegen höherrangiges Recht verstößt.

Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 3. Oktober 2006 (Rs. C-290/04, a.a.O.) ausgeführt, dass Rechtsvorschriften, die die Verpflichtung des Dienstleistungsempfängers, von der Vergütung eines in einem anderen Mitgliedsstaat ansässigen Dienstleisters die Steuer einzubehalten sowie die eventuelle Haftung des Dienstleistungsempfängers normieren, Auftraggeber davon abhalten könnten, in anderen Mitgliedstaaten ansässige Dienstleister in Anspruch zu nehmen, und somit eine nach den (früheren) Artikeln 59 und 60 EWG-Vertrag (jetzt Art. 49 EG und Art. 50 EG) grundsätzlich verbotene Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellen. Weiterhin hat der EuGH in der zitierten Entscheidung ausgeführt, dass – bezogen auf das dortige Streitjahr 1993 - das nationale Steuerabzugsverfahren und die seiner Durchsetzung dienende Haftungsregelung legitime und geeignete Mittel darstellen, um die steuerliche Erfassung der Einkünfte einer außerhalb des Besteuerungsstaats ansässigen Person sicherzustellen und um zu verhindern, dass die betreffenden Einkünfte sowohl im Wohnsitzstaat als auch im Staat der Leistungser-bringung unversteuert bleiben; allerdings steht diese zuletzt genannte Aussage des EuGH unter der einschränkenden Bedingung, dass es keine Gemeinschaftsrichtlinie oder andere Regelung über die gegenseitige Amtshilfe zur Beitreibung steuerlicher Forderungen gibt (vgl. Leitsatz 1., 3. Absatz des Urteils vom 3. Oktober 2006, Rs. C-290/04, a.a.O.).

Der erkennende Senat versteht diese Aussagen des EuGH dahin gehend, dass die Rechtfertigung für das nationale Steuerabzugs- und Haftungsverfahren im Sinne des § 50a EStG unter Geltung der geänderten Beitreibungsrichtlinie vom 15. Juni 2001 (Richtlinie 2001/44/EG, ABlEG L 175 vom 28.6.2001) entfallen sein und somit in dem Quellensteuerabzugsverfahren ein Verstoß gegen das Verbot der Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs liegen könnte. Aufgrund des Anwendungsvorrangs gemeinschaftsrechtlichen Primärrechts und im Ergebnis damit der gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten vor nationalem Recht sind Entscheidungen des EuGH, durch die die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit einer nationalen Norm festgestellt wird, verbindlich.

Wegen des möglichen Verstoßes gegen höherrangige europarechtliche Normen sind damit Zweifel an der Entscheidung des Antragsgegners im Sinne des § 69 Abs. 2 S. 2 FGO nach Überzeugung des erkennenden Senats begründet (in diesem Sinne auch: Gosch in: Kirchhof, EStG-Kommentar, 7. Aufl. 2007, § 50 a, Rz. 1; Intemann/Nacke, Der Betrieb 2007, S. 1430, 1433).

Der Senat hat die Beschwerde gem. § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-.

Rechtsmittelbelehrung XXX

RechtsgebietEinkommensteuerrechtVorschriften§ 50a Abs. 4 EStG

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