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20.02.2007 · IWW-Abrufnummer 070560

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen: Urteil vom 30.11.2006 – L 16 R 1/06

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen

L 16 R 1/06
30.11.2006

Sozialgericht Köln S 11 R 12/05 16.06.2006

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 16. Juni 2006 wird zurückgewiesen. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger. Die Revision wird nicht zugelassen. Der Streitwert wird auf 9.201,21 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist eine Nachforderung von Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Am 30.01.2004 führte die Beklagte bei dem Kläger, der in H ein Studio für Krankengymnastik betreibt, eine Betriebsprüfung durch. Umfasst war der Prüfzeitraum von August 2000 bis Dezember 2003. Sowohl bezüglich des Beigeladenen zu 3) als auch bezüglich der ebenfalls im Bereich der Physiotherapie tätig gewesenen Angestellten K F, die zwischenzeitlich in die USA verzogen ist, ergaben sich Beanstandungen: Für die Zeit vom 05.11.2001 bis 31.12.2003 bzw. vom 01.11. bis 31.12.2001 hatte der Kläger insbesondere keine Beiträge zur gesetzlichen KV an die insoweit zuständige Beigeladene zu 1) bzw. zu 3) abgeführt, obwohl die Entgelte der beiden Mitarbeiter die Jahresarbeitsentgeltgrenze für die gesamten Zeiträume nicht überschritten hatten. In den fraglichen Zeiträumen bestand in beiden Fällen eine private Krankenversicherung; der Kläger hatte dem Beigeladenen zu 3) für die dort zu entrichtenden Beiträge entsprechende Zuschüsse gewährt. Mit der Lohn- und Gehaltsabrechnung hatte der Kläger die Steuerberater T, T1 und I beauftragt. Mit Bescheid vom 13.02.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2004 forderte die Beklagte vom Kläger rückständige Beiträge im Wesentlichen zur GKV für die beiden oben genannten Arbeitnehmer in Höhe von insgesamt 9.201,21 Euro.

Mit der am 12.01.2005 zum Sozialgericht Köln erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, es habe zwar unstreitig für die oben angegebenen Zeiträume Versicherungspflicht in der GKV für die beiden Arbeitnehmer T2 und F bestanden. Die Beklagte habe die Höhe der Nachforderung auch zutreffend berechnet. Dennoch stehe der Durchsetzbarkeit der Forderung eine erhebliche Störung des in der GKV herrschenden Äquivalenzprinzips entgegen. Eine Rückabwicklung der privaten Krankenversicherungsverhältnisse der Arbeitnehmer T2 als auch die Arbeitnehmerin F sei rechtlich und tatsächlich nicht möglich. Für die rückständigen, nunmehr seitens der Beklagten eingeforderten Beiträge zur GKV könnten die beiden Arbeitnehmer jedoch keinerlei Gegenleistung mehr erhalten. Dass die Beklagte dennoch die Beiträge für die Vergangenheit geltend mache, verstoße gegen das in der GKV herrschende Äquivalenzprinzip. Der Beklagten sei es unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung verwehrt, den rückständigen Beitrag zur GKV nachzufordern.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 13.02.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2004 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich zur Begründung auf den ihrer Auffassung nach zutreffenden angefochtenen Bescheid bezogen. Ergänzend hat sie vorgetragen, vorherrschendes Prinzip in der GKV sei das Solidar-, nicht jedoch das Äquivalenzprinzip.

Mit Urteil vom 16. Juni 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe zu Recht mit dem angefochtenen Bescheid Beiträge - in zutreffender Höhe - zur GKV für die beiden Arbeitnehmer T2 und F nachgefordert. Rechtsgrundlage für das Zahlungsbegehren sei § 28e Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Danach habe der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für einen versicherten Beschäftigten, vgl. insoweit § 28d S. 1 SGB IV, zu zahlen. Die Voraussetzungen für die Entrichtung von Beiträgen zur GKV lägen unstreitig vor. Die Arbeitnehmer T2 und F seien gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V - versicherungspflichtig zur GKV gewesen. Versicherungsfreiheit gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V habe nicht vorgelegen; denn bei beiden Arbeitnehmern habe das regelmäßige Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht überstiegen. Auch habe keine Befreiung von der Pflicht zur GKV bestanden. Die nachgeforderten Beiträge seien auch nicht gemäß § 25 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 23 SGB IV verjährt. Ebenfalls liege kein Erlöschen des Zahlungsanspruches durch Verwirkung vor. Das im Bürgerlichen Recht als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -) entwickelte Rechtsinstitut der Verwirkung sei im Sozialrecht und insbesondere für die Nachforderung von Beiträgen anerkannt. Danach entfalle eine Leistungspflicht, wenn der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen habe und weitere besondere Umstände hinzuträten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen ließen.

Solche eine Verwirkung auslösenden Umstände lägen insbesondere vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (sog. Verwirkungsverhalten) darauf habe vertrauen dürfen, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (sog. Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut habe, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (sogenannter Vertrauenstatbestand) und sich infolge dessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet habe (sog. Vertrauensverhalten) dass ihm durch die Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen werde. An das Verwirkungsverhalten des Berechtigten seien grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen, weil dem Interesse des Beitragsschuldners bereits durch die kurze Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 SGB IV hinreichend Rechnung getragen worden sei. Ein solches zur Verwirkung führendes Verhalten der Beklagten sei nicht ersichtlich. Auch liege keine Ausdehnung des Verwirkungsprinzips im Hinblick auf die vom Kläger angenommene Störung des versicherungsrechtlichen Gegenleistungs- und Äquivalenzprinzips vor. Die deutsche Sozialversicherung sei gerade nicht ausschließlich auf dem Äquivalenzprinzip aufgebaut. Im Bereich der GKV sei dieses Prinzip nur schwach ausgeprägt. Tragende Säule sei vielmehr das Solidarprinzip. Dieses organisiere einen für alle noch finanzierbaren Ausgleich zwischen "starken" und "schwachen" Beitragszahlern. Ohne "starke" Pflichtversicherte, die über Jahre hinweg trotz hoher Beiträge wenig oder gar keine Leistungen der GKV in Anspruch nähmen, wäre für "schwache" Beitragszahler, die z.B. aufgrund schwerer und/oder chronischer Krankheiten erheblich höhere Leistungen in Anspruch nähmen, als sie jemals eingezahlt hätten, eine GKV gar nicht finanzierbar. Die Leistungen der Versicherungsträger stünden gerade nicht immer in einem entsprechenden Verhältnis zu den Leistungen, die Arbeitgeber und Mitarbeiter erbrächten.

Darüber hinaus würde, folgte man der Auffassung des Klägers zur Nachentrichtung von KV-Beiträgen im Rahmen einer Betriebsprüfung, stets der Gesichtspunkt der Verwirkung zum Tragen kommen. Dies würde einer Manipulation versicherungsfreier bzw. versicherungspflichtiger KV-Verhältnisse "Tür und Tor öffnen" und im Ergebnis der Dispositionsfreiheit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer überlassen.

Gegen das seinem Bevollmächtigten am 21.06.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20.07.2006 Berufung eingelegt. Er bezieht sich zur Begründung auf sein bisheriges Vorbringen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 16.06.2006 zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 13.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2004 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet das erstinstanzliche Urteil als zutreffend.

In der mündlichen Verhandlung vom 30.11.2006 haben sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt, dass die Berichterstatterin in der Sache als Einzelrichterin entscheidet.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Prozess- sowie der Verwaltungsakte Bezug genommen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht mit Urteil vom 16. Juni 2006 die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 13.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2004 ist rechtmäßig. Die Beklagte hat dem Grunde und der Höhe nach zu Recht für die Versicherten T2 und F Beiträge zur GKV für die Zeit vom 05.11.2001 bis 31.12.2003 bzw. 01.11.2001 bis 31.12.2001 nachgefordert.

Wegen der Begründung nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug, denen er sich nach eigener Prüfung voll inhaltlich anschließt. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass sich der Kläger die unsachgemäße Durchführung der Lohn- und Buchhaltung durch das Steuerberaterbüro T, T1 und I zurechnen lassen muss. Für den Ausgleich der ihm entstandenen Schäden in Form der vollen, nicht der anteiligen Beiträge zur GKV sowie der an den Versicherten T2 geleisteten Zuschüsse zur privaten KV steht nicht das System der GKV ein. Vielmehr ist dem Kläger anzuraten, sich wegen möglicher Regressansprüche an seine ehemaligen Steuerberater zu wenden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 197a SGG.

Anlass zur Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG hat nicht bestanden.

RechtsgebietSGB IVVorschriften§ 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV

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