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17.10.2006 · IWW-Abrufnummer 062972

Finanzgericht Münster: Urteil vom 25.04.2006 – 11 K 1172/05 E

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Finanzgericht Münster

Tenor:

Der Ablehnungsbescheid vom 18.11.2004 sowie die Einspruchsentscheidung vom 18.02.2005 werden aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass die Einkommensteuerbescheide 2001 vom 08.10.2003, 02.11.2003, 06.01.2004 und 30.01.2004 nichtig sind.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

G r ü n d e:
I.
Streitig ist im Wesentlichen, ob eine willkürliche Schätzung der Kapitaleinnahmen vorliegt und diese zur Nichtigkeit der für 2001 ergangenen Einkommensteuerbescheide führt.

Die Kläger sind gemeinsam zur Einkommensteuer (ESt) veranlagte Eheleute. Der Kläger erzielt Einkünfte aus Vermietung aus Verpachtung sowie gewerbliche Einkünfte aus der Beteiligung an diversen Gesellschaften.

Mangels Abgabe der ESt-Erklärung 2001 schätzte der Beklagte die Einkommensteuer 2001 mit unter Vorbehalt der Nachprüfung stehendem Bescheid vom 08.10.2003 auf .......... DM. Hierbei setzte er Einnahmen aus Kapitalvermögen i.H.v. 150.000 DM an. Eine Erläuterung, wie dieser Betrag ermittelt wurde, findet sich in dem Bescheid nicht.

Auch bei den Steuerfestsetzungen der Vorjahre 1999 und 2000 handelt es sich um Schätzungen, bei denen der Beklagte die Einnahmen aus Kapitalvermögen seinerzeit auf 45.000 DM (1999) bzw. 15.000 DM (2000) geschätzt hatte. In der Steuererklärung für das Jahr 1998 hatten die Kläger Kapitaleinnahmen i.H.v. 14.857 DM angegeben und für die Jahre 1995 bis 1997 hatten sie erklärt, keine bzw. unter dem Freibetrag von 12.200 DM liegende Einnahmen gehabt zu haben. Laut Vermögensteuererklärung auf den 01.01.1995 hatten die Kläger zum Stichtag keine Sparguthaben o.ä., jedoch Schulden bei der Sparkasse/... i.H.v. 841.535 DM.

Den gegen den ESt-Bescheid 2001 erhobenen und nicht näher begründeten Einspruch nahmen die Kläger am 11.12.2003 wieder zurück. Zwischenzeitlich war unter dem 02.12.2003 ein Änderungsbescheid ergangen, mit dem die Einkünfte aus Gewerbebetrieb den Grundlagenbescheiden angepasst worden waren.

Eine weitere Anpassung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb erfolgte mit Bescheid vom 06.01.2004, mit welchem der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wurde. Zudem wurden die geschätzten Einnahmen aus Kapitalvermögen ohne Angaben von Gründen um weitere 10.000 DM auf 160.000 DM erhöht. Dieser Wert wurde auch in dem Änderungsbescheid vom 30.01.2004 übernommen, mit welchem die Einkünfte aus Gewerbebetrieb erneut angepasst wurden.

Am 23.06.2004 reichten die Kläger eine ESt-Erklärung für das Jahr 2001 ein, welche zu einer niedrigeren Einkommensteuerfestsetzung führen würde. Der Beklagte lehnte die Durchführung der Veranlagung unter Verweis auf die Bestandskraft der ESt-Festsetzung mit Bescheid vom 18.11 .2004 ab.

Der hiergegen eingelegte Einspruch, mit dem die Kläger erstmals rügten, die ESt-Festsetzung 2001 sei wegen einer willkürlichen Schätzung der Kapitaleinkünfte nichtig (Schreiben vom 07.01.2005), blieb ohne Erfolg. Der Beklagte setzte die ESt 2001 mit Einspruchsentscheidung vom 18.02.2005 zwar neu fest, soweit es neuere Erkenntnisse zu den Beteiligungseinkünften gab, versagte jedoch die Anpassung der übrigen Besteuerungsgrundlagen. Des Weiteren führte der Beklagte in der Einspruchsentscheidung erstmals aus, wie die Einnahmen aus Kapitalvermögen geschätzt worden seien. Und zwar habe man die Gesamtbeträge der Einkünfte 1995 bis 2000 aufaddiert (........DM), hierauf einen Zinssatz von 5 % angewendet (........DM) und den so ermittelten Betrag auf 150.000 DM abgerundet.

Die Kläger reichten im Klageverfahren eine berichtigte Anlage KAP ein, ausweislich derer sie im Jahr 2001 keine Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt haben. Sie sind der Ansicht, dass eine Veranlagung entsprechend der Angaben in der Steuererklärung durchzuführen sei. Die bisher ergangenen ESt-Bescheide 2001 ständen dem nicht entgegen, da diese wegen einer völlig irrealen Schätzung der Kapitaleinkünfte nichtig seien und daher keine Bestandskraft entfalten würden. So sei es schon unverständlich, warum der Beklagte für das Jahr 1999 die Kapitaleinnahmen noch auf 45.000 DM geschätzt habe, für das Jahr 2000 dann von niedrigeren Einnahmen i.H.v. nur 15.000 DM ausgegangen sei, nur um im Jahr 2001 plötzlich einen Ansatz von 150.000 DM für richtig zu halten. Die Schwankungen würden dafür sprechen, dass sich der Bearbeiter keine Gedanken gemacht, also willkürlich gehandelt habe.

Zudem verlöre die Schätzung jeglichen Bezug zur Realität. Gehe man von einer Verzinsung von 6 % aus, dann sei ein Kapitalvermögen von rd. 2,5 Millionen DM erforderlich, um die vom Finanzamt geschätzten 150.000 DM zu erwirtschaften. Auch sei dem Beklagten bekannt gewesen, dass sie - die Kläger - in den Jahren 1996 bis 1998 so gut wie keine Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielt hätten. Außerdem ließen Gewinneinkünfte aus Beteiligungen nicht ohne weiteres den Schluss zu, dass diese Einkünfte auch zu Anlagen im privaten Vermögensbereich geführt hätten. Denn schließlich sei eine Entnahme der zugerechneten Gewinne aus den einzelnen Gesellschaften nur möglich, soweit es die Finanzierung der Unternehmen zulassen würde. Dies gelte umso mehr in Jahren, in denen die Banken eine restriktive Kreditpolitik betrieben hätten und in den Unternehmen wie im Jahr 2001 der Fall - Verluste entstanden seien.

Zudem sei es ein Leichtes für den Beklagten gewesen, anhand der Betriebsprüfungsakten der XXX. GmbH & Co KG und YYV. GmbH & Co KG zweier Gesellschaften, an denen der Kläger wesentlich beteiligt ist - nachzuprüfen, ob der Kläger Entnahmen von seinem Kapitalkonto gemacht habe, die zu einem Privatvermögen in der von dem Beklagten angenommenen Größenordnung von mehreren Millionen hätten führen können. Der Beklagte habe mithin die Erkenntnisquellen, deren Beschaffung und Verwertung ihm zumutbar und möglich gewesen sei, nicht ausgeschöpft.

Die Kläger beantragen,

den Ablehnungsbescheid vom 18.11.2004 und die Einspruchsentscheidung vom 18.02.2005 aufzuheben

sowie festzustellen, dass die Einkommensteuerbescheide 2001 vom 08.10.2003, 02.11.2003, 06.01.2004 und 30.01.2004 nichtig sind.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Er ist der Ansicht, dass die für 2001 ergangenen ESt-Bescheide nicht nichtig seien. Die vorgenommene Schätzung sei zwar möglicherweise rechtswidrig, jedoch führe ein Schätzungsfehler regelmäßig nicht zur Nichtigkeit.

Zugegebenermaßen sei die Schätzung ziemlich grob vorgenommen worden. Der Zeitraum von sechs Jahren sei aus Vereinfachungsgründen herangezogen worden, weil sich die Verwaltungsvorgänge für diese Jahre noch in der Akte befunden hätten. Liste man die Gewinne aus Gewerbebetrieb der Jahre 1986 bis 2000 auf, ergebe sich sogar eine Gesamtsumme von .............. DM.

Selbst wenn die Schätzung objektiv willkürlich gewesen sein sollte, sei es den Klägern nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Nichtigkeit der Bescheide zu berufen. Denn sie hätten den Anspruch auf Feststellung der Nichtigkeit dadurch verwirkt, dass sie die Bescheide nicht angefochten bzw. ihren Einspruch zurückgenommen hätten. Mit Ablauf der Rechtsbehelfsfrist des Änderungsbescheids vom 06.01.2004, mit dem der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wurde, sei die ESt-Festsetzung 2001 bestandskräftig worden. Die Kläger hätten jedoch noch fast ein Jahr mit dem Einwand der Nichtigkeit gewartet. Der Beklagte verweist auf das Urteil des FG München vom 17.09.2004 - 8 K 3369/03, juris sowie auf das Urteil des BFH vom 17.06.1992 - X R 47/88, BStBl II 1993,174.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten, die Finanzamtsakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

II.
Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, eine Änderungsveranlagung unter Berücksichtigung der Angaben in der Steuererklärung durchzuführen. Die bisherigen Steuerbescheide des Jahres 2001 stehen der Veranlagung nicht im Wege, da sich diese auf eine willkürliche Schätzung der Kapitaleinnahmen stützen und nichtig sind. Das Recht, sich auf die Nichtigkeit zu berufen, haben die Kläger auch nicht verwirkt.

Nach § 125 Abs. 1 AG ist ein Verwaltungsakt nichtig, wenn er an einem besonders schwer wiegenden Fehler leidet und dies außerdem bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommender Umstände offenkundig ist. Diese Voraussetzungen sind nur ausnahmsweise gegeben; in der Regel ist ein rechtswidriger Verwaltungsakt lediglich anfechtbar. Selbst grobe Schätzungsfehler bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen führen regelmäßig nur zur Rechtswidrigkeit und nicht zur Nichtigkeit des Schätzungsbescheides, und zwar selbst dann nicht, wenn sie auf einer Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen. Anders verhält es sich nur, wenn das Finanzamt willkürlich zum Nachteil des Steuerpflichtigen schätzt (st. Rspr, vgl. z.B. Beschlüsse vom 16.05.2003 - II B 50/02, BFH/NV 2003, 1150; vom 20.10.2005 - IV B 65/04, BFH/NV 2006, 240).

Willkürlich und damit nichtig LS. von § 125 Abs. 1 AO ist ein Schätzungsbescheid nicht nur bei subjektiver Willkür des handelnden Bediensteten. Auch wenn das Schätzungsergebnis trotz vorhandener Möglichkeiten, den Sachverhalt aufzuklären und Schätzungsgrundlagen zu ermitteln, krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht und in keiner Weise erkennbar ist, dass überhaupt und ggf. welche Schätzungserwägungen angestellt wurden, wenn somit ein "objektiv willkürlicher" Hoheitsakt vorliegt, ist Nichtigkeit LS. von § 125 Abs. 1 AO gegeben. Es ist dann davon auszugehen, dass die Schätzung nicht mehr mit der Rechtsordnung und den diese Ordnung tragenden Prinzipien in Einklang steht, da das Finanzamt grundsätzlich gehalten ist, diejenigen Erkenntnismittel, deren Beschaffung und Verwertung ihm zumutbar und möglich gewesen wäre, auszuschöpfen. Selbst wenn derartige Erkenntnismöglichkeiten und auch andere geeignete Anhaltspunkte für die Schätzung fehlen, muss es Ziel der Schätzung sein, die Besteuerungsgrundlagen annähernd zutreffend zu ermitteln. Die Schätzung darf nicht dazu verwendet werden, die Steuererklärungspflichtverletzung zu sanktionieren und den Kläger zur Abgabe der Erklärungen anzuhalten. Strafschätzungen gilt es zu vermeiden (vgl. BFH, Beschluss vom 20.10.2005 - IV B 65/04, BFH/NV 2006, 240 mwN).

Im Streitfall ist die Schätzung der Kapitaleinkünfte zumindest objektiv willkürlich.

Die Schätzung von Kapitaleinnahmen verlässt den zulässigen Schätzungsrahmen in einem dermaßen eklatanten Umfang, dass sich schon aus diesem Grund der Verdacht einer unzulässigen Strafschätzung aufdrängt.

Dass die Schätzung Strafcharakter hat, wird durch den tatsächlichen Geschehensablauf gestützt. So hatte der Beklagte bei der Schätzung der Kapitaleinnahmen des Jahres 1999 noch einen Betrag von 45.000 DM für angemessen gehalten. Bei der Schätzung der Kapitaleinnahmen des Jahres 2000 kam ihm dieser Betrag jedoch anscheinend selbst zu hoch vor, denn anders ist es nicht zu erklären, dass er diese Kapitaleinnahmen nunmehr nur noch auf 15.000 DM schätzte. Vor diesem Hintergrund ist es erst recht unverständlich, dass der Beklagte für das Folgejahr plötzlich einen Betrag von 150.000 DM für angemessen gehalten haben soll. Vielmehr drängt sich die Vermutung auf, dass der Beklagte nachdem die Schätzungen der Jahre 1999 und 2000 die Kläger nicht zur Abgabe der Steuererklärungen motivieren konnten - ein Zeichen setzen wollte. Hierfür spricht auch, dass die Schätzung der Kapitaleinnahmen nochmals um 10.000 DM erhöht wurde, nachdem die ursprüngliche Schätzung von 150.000 DM nicht zur Abgabe der Steuererklärung 2001 geführt hat. Eine besondere Begründung hierfür wurde nicht gegeben, so dass es nahe liegt, dass weiterer Druck auf die Kläger ausgeübt werden sollte.

Dafür, dass die Schätzung zumindest objektiv willkürlich ist, spricht auch, dass der Beklagte die Erkenntnisse, die er aus den Steuerakten der Vorjahre problemlos hätte gewinnen können, anscheinend völlig unbeachtet gelassen hat. Dem Beklagten war aus der Vermögensteuererklärung auf den 01.01.1995 bekannt, dass die Kläger zu diesem Stichtag keine Sparguthaben o.ä. hatten, stattdessen aber Bankschulden i.H.v. rd. 840.000 DM. Auch war dem Beklagten aus den Einkommensteuererklärungen bekannt, dass die Kläger in den Jahren 1996 bis 1998 keine bzw. nur geringe Einkünfte aus Kapitalvermögen hatten. Die Angaben der Kläger - lediglich korrigiert durch Steuererstattungszinsen - wurden von dem Beklagten bei den Steuerfestsetzungen der Jahre 1996 bis 1998 nicht angezweifelt. Hätte der Beklagte diese ihm aus den Steuerakten vorliegenden Informationen gewürdigt, hätte es ihm einleuchten müssen, dass es äußerst unwahrscheinlich ist, dass die Kläger im Jahr 2001 plötzlich einen verzinslichen Kapitalstock von über 3 Millionen DM zur Verfügung hatten.

Auch die vom Beklagten vorgetragene Begründung, wie der Betrag von 150.000 DM ermittelt worden sei, erhärtet den Verdacht willkürlichen Verhaltens. Denn die vom Beklagten gewählte Berechnungsmethode verstößt gegen Denkgesetze und ist völlig ungeeignet, um zu einer zutreffenden Schätzung der Einnahmen aus Kapitalvermögen zu kommen. So hätte es dem Beklagten zwingend auffallen müssen, dass den Klägern keinesfalls der Gesamtbetrag der Einkünfte zur Geldanlage zur Verfügung stehen konnte, weil sie hiervon u.a. auch ihren Lebensunterhalt und ihre Steuerlasten zu bestreiten hatten. Zum Beispiel hatten die Kläger im Jahr 1998 zwar einen Gesamtbetrag der Einkünfte von ............DM.

Hierauf waren jedoch ausweislich des ESt-Bescheids 1998 vom 02.11.2002 insgesamt ...........DM Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag zu zahlen und auch gezahlt worden. Dennoch ist der Beklagte bei seiner Berechnung davon ausgegangen, dass die Kläger die vollständigen ...........DM verzinslich angelegt haben.

Der Beklagte hat bei der von ihm gewählten Schätzungsmethode weiterhin außer Acht gelassen, dass die Kläger den Großteil ihrer Einkünfte aus Beteiligungen erzielt haben. Bei Einkünften aus Beteiligungen kann nach der Lebenserfahrung nicht unterstellt werden, dass diese dem Gesellschafter auch zu 100 % zugeflossen sind. Vielmehr ist es durchaus üblich, dass die zu versteuernden Gewinnanteile teilweise in der Gesellschaft verbleiben. Mithin war es auch aus diesem Grund eher fernliegend anzunehmen, dass den Klägern der steuerlich zugerechnete Gewinn in voller Höhe zur privaten Kapitalanlage zur Verfügung stand.

Nicht nachzuvollziehen ist zudem, warum der Beklagte ausgerechnet die Gesamtbeträge der Einkünfte der letzten sechs Jahre aufaddiert und zur Grundlage seiner Berechnung gemacht hat. Das Argument, dass sich zufälligerweise noch die Besteuerungsvorgänge der letzten sechs Jahre in der Akte befunden hätten, ist kein sachliches Kriterium. Die Auswahl des Sechs-Jahres-Zeitraums erscheint in hohem Maße willkürlich.

Außerdem setzt sich der Beklagte mit der Wahl des Sechs-Jahres-Zeitraums in Widerspruch zu seinem eigenen früheren Verhalten. Der Beklagte hatte die Angaben in den Einkommensteuererklärungen 1995 bis 1998, wonach die Kläger keine bzw. nur geringe Kapitaleinkünfte hatten, den Veranlagungen ohne weitere Aufklärung zu Grunde gelegt. Mithin muss der Beklagte damals davon ausgegangen sein, dass die Angaben richtig sind und die Kläger gerade über kein erhebliches Kapitalvermögen verfügten. Dazu, aufgrund welcher neuer Erkenntnisse er nunmehr zu der Auffassung gelangt ist, dass in den Jahren 1995 bis 1998 Kapitalvermögen von über 2 Mio. DM angesammelt worden sei, hat sich der Beklagte nicht geäußert.

Soweit der Beklagte im Klageverfahren darauf verweist, dass die Kläger in den Jahren 1986 bis 2000 gewerbliche Einkünfte i.H.v. insgesamt ............DM erzielt hätten, ist dieser Vortrag ebenfalls nicht geeignet, um der eklatant hohen Schätzung den ihr anhaftenden Charakter einer Strafschätzung zu nehmen. Denn der Umstand, dass die Kläger auch vor 1995 hohe Gewinne aus Gewerbebetrieb erzielt haben, erklärt nicht, wie sie von einem Schuldenstand von rd. 840.000 DM am 01.01.1995 zu einem Kapitalstock von über 3 Millionen DM im Jahr 2001 gekommen sein könnten.

Die Kläger haben ihr Recht, sich auf die Nichtigkeit der bisherigen ESt-Festsetzungen des Jahres 2001 zu berufen, auch nicht verwirkt.

Insbesondere ist der Sachverhalt nicht mit dem Sachverhalt vergleichbar, über den das Finanzgericht München in dem vom Beklagten zitierten Urteil vom 17.09.2004 8 K 3369/03 entschieden hat. In dem dortigen Fall ist der Kläger Anfang 2000 gegen geänderte Schätzungsbescheide mit Einspruch und Klage vorgegangen und hat die Klage im Januar 2002 in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen, ohne bis dahin die Nichtigkeit gerügt zu haben. Der Nichtigkeitseinwand wurde erstmals im Juli 2003, d.h. ca. 1,5 Jahre nach Klagerücknahme vorgebracht. Der 8. Senat des Finanzgerichts München maß dem Umstand, dass mit der Klagerücknahme auch nach der Vorstellung des dortigen Klägers Rechtsfrieden einkehren sollte, besondere Bedeutung bei und hielt den späteren Nichtigkeitseinwand deshalb für treuwidrig.

In dem vom BFH mit Urteil vom 17.06.1992 - X R 47/88 (BStBl II1993, 174) entschiedenen Verfahren, auf das der Beklagte ebenfalls Bezug genommen hat, ist der Nichtigkeitseinwand sogar erst nach 9,5 Jahren (bezogen auf den ersten nichtigen Bescheid) bzw. 6,5 Jahren (bezogen auf den zuletzt ergangenen Änderungsbescheid) erhoben worden. Hinzu kam, dass die dortigen Kläger die fehlerhafte Bezeichnung des Steuerschuldners - welche der Grund für die Nichtigkeit der Bescheide war - selbst mitveranlasst hatten und sie den Mangel in der Bestimmtheit des Inhaltsadressaten in ihrer umfangreichen Korrespondenz mit dem Finanzamt über Jahre hinweg aufrecht erhalten hatten. Vor dem Hintergrund, dass der zuletzt ergangene Änderungsbescheid zudem ein Einspruchsverfahren beendete und der Veranlagungszeitraum hiermit aus der Sicht beider Seiten als abschließend geregelt galt, hielt der BFH die erst viele Jahre später erfolgende Berufung der Kläger auf die Nichtigkeit der Bescheide für treuwidrig.

Im Streitfall kann den Klägern im Wesentlichen nur vorgeworfen werden, dass sie gegen die bisherigen Schätzungsbescheide nicht vorgegangen sind, insbesondere nicht gegen den Bescheid vom 06.01.2004, mit dem der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wurde. Dies allein reicht jedoch nicht, um den Nichtigkeitseinwand zu verwirken, denn ein nichtiger Bescheid entfaltet keine Rechtswirkung, d.h. es gelten auch keine Einspruchsfristen, innerhalb derer ein nichtiger Bescheid angefochten werden müsste.

Ein anderes Verhalten der Kläger, das den Vorwurf treuwidrigen Verhaltens rechtfertigen würde, ist nicht ersichtlich. Soweit der Beklagte bereits aus dem Umstand, dass der Nichtigkeitseinwand erstmals mit Schreiben vom 07.01.2005 vorgetragen worden sei, Treuwidrigkeit ableiten will, folgt der Senat dem nicht.

Zwar kommt auch dem zeitlichen Moment, d.h. der Zeitspanne zwischen dem Erlass eines angeblich nichtigen Bescheids und der Erhebung des Nichtigkeitseinwands, Bedeutung zu bei der Frage, ob einem Steuerpflichtigen treuwidriges Verhalten vorzuwerfen ist. Im Streitfall liegen zwischen dem erstmaligen Erlass des ESt-Bescheids 2001 vom 08.10.2003 und der Erhebung des Nichtigkeitseinwands jedoch gerade mal 15 Monate; stellt man auf die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung mit Bescheid vom 06.01.2004 ab, sind es sogar nur 12 Monate. Derartige Zeitspannen sind deutlich zu kurz, um einem Steuerpflichtigen allein aus zeitlichen Gesichtspunkten die Berufung auf den Nichtigkeitseinwand zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wurde nicht zugelassen, da kein Zulassungsgrund i.S.d. § 115 Abs. 2 FGO vorliegt.

RechtsgebietAOVorschriften§ 125 AO, § 162 AO

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