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12.07.2006 · IWW-Abrufnummer 061995

Landesarbeitsgericht Hamm: Beschluss vom 11.11.2005 – 1 Ta 179/05

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


1 Ta 179/05
1 Ca 2365/04
Arbeitsgericht Paderborn

Landesarbeitsgericht Hamm

Beschluss

In Sachen XXX

hat die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm
durch die Präsidentin des Landesarbeitsgerichts Göhle-S1xxxx als Vorsitzende
beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Paderborn vom 10.02.2005 ? 1 Ca 2365/04 ? abgeändert. Die gegen die Kündigung vom 02.11.2004 gerichtete Kündigungsschutzklage wird nachträglich zugelassen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beklagte.

Wert des Beschwerdegegenstandes: 6.318,00 ?.

G r ü n d e:

I.

Der Kläger erstrebt die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage.

Der im Juli 1949 geborene, ledige Kläger war ab 17.08.1992 bei der Firma M1xxxxx und S1xxxx GmbH, B2xxx, als Produktionsmitarbeiter im Fensterbau beschäftigt (Arbeitsvertrag vom 19.08.2003, Bl. 6 ? 11 GA). Über das Vermögen dieses Arbeitgebers wurde im Jahr 2003 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 22.12.2003 zum 31.03.2004 (Bl. 41 ? 42 GA). Der Kläger bezog bis zum 16.05.2004 Arbeitslosengeld. Ab 17.05.2004 wurde er von der Beklagten eingestellt. Sein Monatslohn belief sich auf 2.106,00 ?.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 02.11.2004 zum 16.11.2004 (Bl. 13 G3). Das Schreiben ist unterzeichnet mit

?F1x S1xxxx GmbH

i.V. E. S1xxxx
R1xxxxx S1xxxx
- Geschäftsführer ??.

Es wurde dem Kläger, wie zwischen den Parteien inzwischen unstreitig geworden ist, am 02.11.2004 durch den Geschäftsführer der Beklagten persönlich übergeben.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 26.11.2004 wies der Kläger die Kündigung wegen fehlender Beifügung einer Vollmacht für den/die Unterzeichner/in der Kündigung zurück.

Mit am 26.11.2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat sich der Kläger gegen die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses gewandt. Zur Dauer des Arbeitsverhältnisses hat er vorgetragen, das Arbeitsverhältnis sei von der Beklagten ?im Wege des § 613 a BGB ü-bernommen" worden. Gleichzeitig hat er ?für den Fall, dass die Beklagte darlegt und beweist, dass das Kündigungsschreiben vom 02.11.2004 zu einem Zeitpunkt zugestellt wurde, der außerhalb der Dreiwochenfrist zur Klageerhebung liegt, ?die nachträgliche Zulassung der Klage beantragt". Dazu hat er vorgetragen, er habe sich unmittelbar nach Zustellung der Kündigung in anwaltliche Beratung begeben. Er habe den Sachverhalt so dargestellt, wie nunmehr in der Klageschrift. Insbesondere habe er auf das Andauern des Arbeitsverhältnisses seit dem 17.08.1992 hingewiesen. Der Rechtsanwalt habe ihm erklärt, dass allein das Beschäftigungsverhältnis zur Firma F1x S1xxxx GmbH maßgeblich sei und demgemäß die Wartefrist des Kündigungsschutzgesetzes noch nicht erfüllt sei, so dass eine Kündigungsschutzklage ohne Erfolgsaussicht sei. An der Unterzeichnung des Kündigungsschreibens mit ?i.V." habe der Rechtsanwalt keinen Anstoß genommen. Am 25.11.2004 habe er von einem Bekannten erfahren, dass er möglicherweise, und zwar wegen der Anwendbarkeit des § 613 a BGB, hinsichtlich der Erfolgsaussichten einer Kündigungsschutzklage rechtsfehlerhaft beraten worden sei. Er habe daraufhin seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten mit der Wahrnehmung seiner Rechte beauftragt. Das Verschulden des zuvor konsultierten Rechtsanwalts müsse er sich nicht zurechnen lassen.

Die Richtigkeit seiner Angaben hat der Kläger an Eides statt versichert.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Klage hinsichtlich der Kündigung vom 02.11.2004 nachträglich zuzulassen.

Die Beklagte hat beantragt,

den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung zurückzuweisen.

Sie hat vorgetragen, die Unterzeichnerin der Kündigung vom 02.11.2004 sei ihre Generalbevollmächtigte E1xxxxxxx S1xxxx, die Mitarbeiter einstelle und entlasse. Auch den Kläger habe Frau S1xxxx am 17.05.2004 eingestellt. Der Kläger sei bis 30.11.2003 bei seiner vorherigen Arbeitgeberin zum Einsatz gekommen. Ein Betriebsübergang liege nicht vor. Die Kündigungsschutzklage sei nicht nachträglich zuzulassen, denn der Kläger habe sich nach anwaltlicher Beratung dazu entschieden, keine Kündigungsschutzklage einzureichen. Die später vorgenommene neue Bewertung durch einen anderen Anwalt könne den Zulassungsantrag nicht begründen.

Mit Schreiben vom 30.11.2004 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut zum 31.12.2004. Der Kläger hat auch gegen diese Kündigung Klage erhoben und dazu die An-sicht vertreten, mit der Formulierung der nicht als ?hilfsweise" deklarierten Kündigung erkenne die Beklagte an, dass die Kündigung vom 02.11.2004 wirkungslos sei.

Mit Beschluss vom 10.02.2005 hat das Arbeitsgericht den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die falsche Bewertung der Erfolgsaussichten oder ein Irrtum über die Erfolgsaussichten einer Kündigungsschutzklage rechtfertige eine nachträgliche Klagezulassung nicht.

Gegen den ihm am 03.03.2005 zugestellten und wegen seiner weiteren Einzelheiten in Bezug genommen Beschluss hat der Kläger mit am 17.03.2005 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt, der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat.

Der Kläger macht geltend, es liege schon keine wirksame Kündigung vor, weil sie unverzüglich nach § 174 BGB zurückgewiesen worden sei. Zudem habe die Beklagte mit dem 2. Kündigungsschreiben die Unwirksamkeit der Kündigung vom 02.11.2004 anerkannt. Mit der angegriffenen Entscheidung seien diese Fragen incidenter ? unzutreffend ? beantwortet worden. Soweit das Arbeitsgericht mit der falschen Bewertung der Erfolgsaussichten der Kündigungsschutzklage argumentiere, verkenne es, dass es dabei nur um eine Falschbewertung durch den Arbeitnehmer selbst gehen könne. Lasse er sich jedoch anwaltlich beraten, habe er alles für ihn Zumutbare getan. Eine unzutreffende Beratung, wie hier bezüglich der Zurückweisungsmöglichkeit nach § 174 BGB und der Betriebszugehörigkeitsdauer unter Berücksichtigung des § 613 a BGB, gehe nicht zu seinen Lasten.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und die Sitzungsprotokolle verwiesen.

II.

Die sofortige Beschwerde des Klägers ist nach § 5 Abs. 4 KSchG statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 78 ArbGG, 567, 569 ZPO). Sie ist mithin zulässig. Sie ist auch begründet.

1. Die vorliegende Entscheidung befasst sich allein mit der Frage, ob die verspätete Klage nachträglich zuzulassen ist, die unstreitig vorliegende Versäumnis der Klagefrist des § 4 KSchG also unverschuldet ist. Prüfungsgegenstand der Beschwerdeentscheidung ist nicht, ob die Beklagte ohnehin bereits wegen der nachfolgenden Kündigung vom 30.11.2004 ge-hindert ist, sich auf die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung vom 02.11.2004 zu berufen, wie der Kläger meint, oder ob die Kündigung vom 02.11.2004 nach § 174 BGB keine Rechtswirksamkeit entfaltet. Diese Fragen sind, wie auch der Kläger selbst annimmt, der Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorbehalten. Sie können im Verfahren der nachträglichen Klagezulassung ohnehin nicht mit Bindungswirkung für das Hauptsacheverfahren entschieden werden.

2. Der Antrag auf nachträgliche Klagezulassung ist zulässig, denn die formellen Voraussetzungen für diesen Antrag nach § 5 Abs. 2, 3 KSchG sind erfüllt. Die Formulierung des Antrages in der Klageschrift deutet allerdings auf eine prozessual grundsätzlich unzulässige bedingte Antragstellung hin. Diese Antragstellung beruht aber ersichtlich darauf, dass der Kläger den Antrag als Hilfsantrag für den Fall stellen wollte, dass das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis gelangte, die Kündigungsschutzklage sei verspätet. So verstanden unterliegt er keinen rechtlichen Bedenken (KR-Friedrich, 7. Aufl., § 5 KSchG Rn. 158 m.w.N.).

Der Antrag ist begründet, denn der Kläger war an der Einhaltung der Klagefrist trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt gehindert (§ 5 Abs. 1 KSchG).

Abzustellen ist darauf, was dem Arbeitnehmer in seiner konkreten Situation und in seinem konkreten Fall an Sorgfalt abverlangt werden kann. Es darf ihn unter Beachtung dieses Maßstabes kein Verschulden, auch nicht in Form leichter Fahrlässigkeit, an der Nichteinhaltung der Klagefrist treffen. Hier lässt sich feststellen, dass dem Kläger ein derartiges Verschulden nicht vorzuwerfen ist.

Der Kläger hat sich innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist zu dem Fachanwalt für Arbeits-recht R3xxxxxxxxx begeben und sich zu der ihm zugegangenen Kündigung und etwa dage-gen zu unternehmende Schritte beraten lassen. Diese Beratung war unzulänglich, denn er hätte, wie er zutreffend meint, zu der auf dem Kündigungsschreiben befindlichen Unter-schrift näher befragt werden müssen. Es hätte sich herausgestellt, dass dem Kündigungs-schreiben keine Vollmachtsurkunde für die Unterzeichnerin der Kündigungserklärung beige-fügt gewesen war und dass der Kläger, wie nunmehr nach Klageerhebung geschehen, in Abrede stellte, anderweitig über eine Stellung der Unterzeichnerin als ?Generalbevollmäch-tigte" des Geschäftsführers der Beklagten informiert zu sein. Unter diesen Umständen hätte es einer fachgerechter Beratung entsprochen, die Kündigung nach § 174 BGB gegenüber der Beklagten zurückzuweisen und innerhalb von drei Wochen nach Kündigungszugang Kündigungsschutzklage einzureichen. Die Zurückweisung der Kündigung wäre noch unver-züglich möglich gewesen, denn der Kläger hat nach seinen durch eidesstattliche Versiche-rung glaubhaft gemachten Angaben den Rechtsanwalt wahrscheinlich bereits am 05.11.2004, spätestens aber in der Woche nach dem Kündigungszugang aufgesucht (zur Unverzüglichkeit der Zurückweisung: vgl. BAG v. 11.03.1999 ? AP Nr. 150 zu § 626 BGB; KR-Friedrich, 7. Aufl., § 13 KSchG Rn. 285). Bei der Kündigung ohne Vorlage einer Vollmachtsurkunde handelt es sich um einen Unwirksamkeitsgrund für eine Kündigung, der innerhalb der Dreiwochenfrist des § 4 KSchG gerichtlich geltend gemacht werden muss (ErfK/Ascheid, 5. Aufl., § 4 KSchG Rn. 2).

Es ist dem Kläger nicht als eigenes Verschulden anzulasten, dass er die Zurückweisungsmöglichkeit nicht selbst erkannt hat bzw. nicht von sich aus auf die Art der Unterzeichnung der Kündigung aufmerksam gemacht hat. Es handelt sich dabei um Umstände, die einem in rechtlichen Angelegenheiten unerfahrenen einfachen Arbeiter keinesfalls geläufig sein bzw. ihm auch bei sorgfältiger Prüfung auffallen müssten. Das Verschulden des von ihm in Anspruch genommenen Rechtsanwaltes ist ihm nicht zuzurechnen. Dabei kommt es hier nicht auf die in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage der Zurechnung des Verschuldens des Prozessbevollmächtigten im Rahmen des § 5 KSchG nach § 85 Abs. 2 ZPO an, denn der vom Kläger um Rat angegangene Anwalt war gerade nicht sein Prozessbevollmächtigter. § 85 Abs. 2 ZPO kommt damit ohnehin nicht zur Anwendung (KR-Friedrich, a.a.O., § 5 KSchG, Rn. 75). Auch eine Zurechnung nach § 278 BGB scheidet aus (APS/Ascheid, 2. Aufl., § 5 KSchG Rn. 27, 30). Maßgeblich ist allein, dass der Kläger sich unverzüglich um Rechtsrat bemüht hat und dazu auch eine geeignete Stelle aufgesucht hat. Damit hat er die ihm zuzumutende Sorgfalt im Sinne des § 5 Abs. 1 KSchG gewahrt, denn er konnte darauf vertrauen, dass er von einem Rechtsanwalt erschöpfend beraten wird (KR-Friedrich, a.a.O., § 5 KSchG, Rn. 32 m.w.N.).

Wenn der angefochtene Beschluss darauf abstellt, dass irrtümlich falsch eingeschätzte Erfolgsaussichten einer Kündigungsschutzklage regelmäßig keine nachträgliche Klagezulassung rechtfertigen, so trifft dies nicht den Fall, dass einem Arbeitnehmer durch eine zur Einholung von Rechtsrat geeignete Stelle unzulänglich Rechtsauskunft erteilt wird.

Ob die Bewertung des Rechtsanwaltes, die Wartefrist nach § 1 KSchG sei im Falle des Klä-gers nicht eingehalten, einer Kündigungsschutzklage komme deshalb ?keine große Aussicht auf Erfolg" zu (so die eidesstattliche Versicherung des Klägers), tatsächlich falsch war, kann nach alledem dahinstehen. Insoweit sei nur darauf hingewiesen, dass jedenfalls die Be-stimmung des § 613 a BGB für sich allein kaum weiterhelfen dürfte. Nach dem eigenen Vorbringen des Klägers hat ein ? von der Beklagten bestrittener ? Betriebsübergang bereits während des Laufs der Kündigungsfrist zu der vom Insolvenzverwalter zum 31.03.2005 erklärten Kündigung stattgefunden. Das Arbeitsverhältnis des Klägers wäre damit im gekündigten Zustand auf die Beklagte übergegangen und hätte mangels Kündigungsschutzklage zum 31.03.2005 wirksam geendet. Einen Wiedereinstellungsanspruch hat der Kläger nicht unverzüglich nach Kenntniserlangung vom Betriebsübergang, also unter Umständen noch vor dem 31.03.2005, geltend gemacht (vgl. BAG v. 12.11.1998 ? EzA § 613 a BGB Nr. 171). Bis zum neu ab 17.05.2005 begründeten Arbeitsverhältnis war das Arbeitsverhältnis ? unterstellt man die Angaben des Klägers ? unterbrochen. Ob die Vorbeschäftigungszeit dennoch auf die Wartefrist des § 1 KSchG anzurechnen sind, ist durchaus zweifelhaft (vgl. KR-Etzel, 7. Aufl., § 1 KSchG Rn. 110 m.w.N.).

3. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers war der angefochtene Beschluss abzuändern und die Kündigungsschutzklage des Klägers nachträglich zuzulassen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Für die Festsetzung des Beschwerdewertes war auf den Wert der Hauptsache abzustellen, der gemäß §§ 42 Abs. 4 GKG, 3 ZPO dem Vierteljahreseinkommen des Klägers bei der Beklagten entspricht.

Rechtsmittelbegründung:

Gegen diesen Beschluss findet für keine der Parteien ein Rechtsmittel statt (BAG v. 20.08.2002 ? EzA § 5 KSchG § 34).

Hamm, den 11.11.2005

RechtsgebieteArbeitsrecht, nachträgliche Zulassung, KündigungsschutzklageVorschriften§§ 4, 5 KSchG

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