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18.05.2006 · IWW-Abrufnummer 061382

Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 31.01.2006 – 9 K 4573/03 H

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger als Haftungsschuldner für rückständige Körperschaftsteuern, Umsatzsteuern und Lohnsteuern in Anspruch zu nehmen ist.

Der Kläger war seit dem 5. März 1997 gemeinsam mit dem Mitgeschäftsführer und Alleingesellschafter der GmbH, allein vertretungsberechtigter Geschäftsführer derselben. Mit Schreiben vom 15. Juli 2002 beantragte der Kläger beim Amtsgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Zahlungsunfähigkeit. Im Eröffnungsantrag, der vom Kläger mit unterzeichnet wurde, heißt es: "Die Antragstellerin konnte die für den Monat Juni 2002 fälligen Löhne bis zum heutigen Tage nicht zahlen. Bereits seit Mai 2002 bestehen Liquiditätsschwierigkeiten, da die Bank bestehende Kredite gekündigt hat." Im gerichtlich bestellten Gutachten in dem Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der GmbH vom 30. August 2002 führt der spätere Insolvenzverwalter aus:

"Hiernach ist als Ursache für die Insolvenz der Schuldnerin zuvörderst eine fehlende Kostendisziplin, verbunden mit einer unzureichenden kaufmännischen Führung des Unternehmens, erkennbar. Die Berechnungen des Unterzeichneten haben ergeben, dass monatlich Kosteneinsparungen von mindestens 50.000 EUR erforderlich wären, um das Unternehmen langfristig wieder auf "gesunde Füße" zu stellen. In der Vergangenheit hat die Geschäftsführung klar "über die Verhältnisse gelebt". Angefangen bei zu hohen Geschäftsführer-Gehältern, einem kostenaufwändigen Fahrzeugpark bis hin zu einer deutlich überhöhten Miete für die Geschäftsräume müssten in vielen Bereichen beträchtliche Kostensenkungen vorgenommen werden. Die bisherige Geschäftsführung hat dies versäumt. Solange die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens gut war, fiel das Missmanagement nicht ins Gewicht. Heute, wo die Werbeetats in allen großen Unternehmen gekürzt werden, konnte die Schuldnerin dieser Entwicklung nicht mehr entgegen wirken. ... Vor Stellung des Insolvenzantrags war die Schuldnerin bereits mehreren Zwangsvollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern ausgesetzt. So hat etwa das Finanzamt am 15.117. Mai 2002 das Geschäftskonto der Schuldnerin bei der Bank wegen Steuerrückständen in Höhe von 35.377,06 EUR gepfändet. Die Pfändungsverfügung wurde am 18.120. Juni 2002 aufgehoben. Am 29. April 2002 wurde der Bank eine weitere Pfändung zugestellt. Diese Zwangsvollstreckungsmaßnahme wurde durch Zahlung erledigt. Am 23. April 2002 wurde der Bank schließlich eine Pfändungs- und Überweisungsverfügung der AOK über 71.401 ,72 EUR zugestellt. Auch diese Zwangsvollstreckungsmaßnahme erledigte sich durch eine Zahlung der Schuldnerin."

Mit Beschluss des Amtsgerichts Düsseldorf vom 1. September 2002 ist über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet worden (Az.: 503 IN 181/02), das bisher noch nicht abgeschlossen ist. Gegen den Kläger ist ein Strafverfahren wegen Verletzung der Insolvenzantragspflicht, Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt und Bankrott vor dem Amtsgericht Langenfeld anhängig (Az.: 15 Ds 120 Js 2010/02 (332/03); Anklage der Staatsanwaltschaft Düsseldorf vom 1. September 2003).

Der Beklagte nahm den Kläger als Geschäftsführer wegen rückständiger Körperschaftsteuervorauszahlung für das zweite Quartal 2002 und Umsatzsteuern für Januar bis März 2002 mit Haftungsbescheid vom 18. Oktober 2002 und für rückständige Lohnsteuern für März bis Mai 2002 mit Haftungsbescheid vom 23. Januar 2003 in Anspruch. Die Umsatzsteuer-Voranmeldungen für Januar bis März 2002 sowie die Lohnsteueranmeldung für April 2002 waren vom Kläger unterzeichnet worden. Auf den Einspruch des Klägers wurde der Haftungsbescheid vom 18. Oktober 2002 und der Haftungsbescheid vom 23. Januar 2003 herabgesetzt. Im Übrigen blieben die Einsprüche erfolglos (Einspruchsentscheidungen vom 14. Juli 2003).

Mit der Klage trägt der Kläger vor:
Er sei nicht haftbar für Steuern, die im Zeitraum vom 14. April 2002 bis 14. Juli 2002 fällig geworden seien, da in diesem Zeitraum erfolgte Zahlungen durch den Insolvenzverwalter anfechtbar gewesen wären und damit ein Steuerausfall auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Haftungsschuldners eingetreten wäre. Der Insolvenzverwalter habe Zahlungen i.H.v. 112.099,51 EUR, die seit dem 14. April 2002 in den letzten drei Monaten vor Insolvenzantragsstellung an den Beklagten abgeführt worden seien, angefochten, was zu einer Rückzahlung von 112.099,51 EUR am 27. Oktober 2004 geführt habe. Selbst ohne Anfechtung sei der Kläger für fällige Steueransprüche vom 23. Juni 2002 an oder später nicht haftbar. In der dreiwöchigen Frist zur Stellung des Insolvenzantrags sei die Nichtabführung von Steuern nach § 64 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) gerechtfertigt. Mit Stellung des Insolvenzantrags werde der Geschäftsführer von weiteren Zahlungsverpflichtungen befreit. Hinsichtlich seiner Inanspruchnahme für rückständige Körperschaftsteuern und Umsatzsteuern sei die Haftungsquote hilfsweise von 50 v. H. auf 5 v.H. herabzusetzen. Eine Gläubigerbefriedigung i.H.v. 50 v.H. sei nicht erfolgt. Die genaue Tilgungsquote könne erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzverwalter ermittelt werden. Der Kläger habe alles getan, um die Zahlung der Lohnsteuer für April 2002 sicher zu stellen. Die ausstehende Lohnsteuer für Mai 2002 habe er nicht zu vertreten. Am 12. Juli 2002 sei bei der Sparkasse die Überweisung der Lohnsteuer für April 2002 von 35.695,75 EUR veranlasst worden. Zu diesem Zeitpunkt sei der Betrag im Rahmen des dortigen Dispositionskredits verfügbar gewesen. Die Überweisung sei von der Sparkasse nicht getätigt bzw. zurückgerufen worden. Die Löhne selbst seien verspätet an die Arbeitnehmer gezahlt worden. Am 21. Juni 2002 habe der geschäftsführende Gesellschafter auf einer Betriebsversammlung allen Mitarbeitern verkündet, dass die nötigen Gelder beschafft seien und die Firma saniert werde. Ende Juni 2002 seien von dem geschäftsführenden Gesellschafter die Nettolöhne für Mai 2002 ausgezahlt worden. Leider seien die Gelder des Investors trotz schriftlicher Zusage vom 2. Juli 2002 nicht sofort geflossen. Vielmehr sei mit dem Geld des Investors durch den Sohn des geschäftsführenden Gesellschafters zum 1. September 2002 die insolvente GmbH erworben worden. Der Kläger habe alles getan, um die Zahlung der Lohnsteuer für April 2002 sicher zu stellen. Das Ausstehen der Lohnsteuer für Mai 2002 habe er nicht zu vertreten.

Der Kläger beantragt,

die Haftungsbescheide vom 18. Oktober 2002 und vom 23. Januar 2003 i.d.F. des Änderungsbescheids vom 13. Mai 2003 und die Einspruchsentscheidungen vom 14. Juli 2003 ersatzlos aufzuheben,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf die Einspruchsentscheidungen vom 14. Juli 2003 und trägt vor, dass nach dem Vortrag des Klägers eine verlässliche Grundlage für die Berechnung zur Ermittlung der Haftungsquote bei der Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer nicht verfügbar sei.

Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unbegründet. Die Haftungsinanspruchnahme des Klägers ist rechtmäßig. Gemäß § 191 Abs. 1 L V. m. §§ 69, 34 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) haftet der Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung als deren gesetzlicher Vertreter (§ 35 Abs. 1 GmbHG) für die von der Gesellschaft nicht abgeführte Körperschaftssteuer, Umsatzsteuer und Lohnsteuer, wenn die Nichterfüllung eine Folge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der dem Geschäftsführer auferlegten Pflichten ist, und kann dafür mittels Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die GmbH war als Kapitalgesellschaft gemäß § 31 Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i.V.m. § 37 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zur Körperschaftsteuer-Vorauszahlung verpflichtet. In der Nichtabführung der Körperschaftsteuer für das zweite Kalendervierteljahr 2002 mit Fälligkeitszeitraum 10. Juni 2002 liegt die Pflichtverletzung des Klägers als haftender Geschäftsführer der GmbH und damit ihres verantwortlichen gesetzlichen Vertreters. Weiterhin war die GmbH als Unternehmer gemäß § 18 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) zur Umsatzsteuervoranmeldung und Umsatzsteuer-Vorauszahlung verpflichtet. Die Nichtabführung der Umsatzsteuer für den Voranmeldungszeitraum Januar bis März 2002, Fälligkeit 10. Februar/10.März/10. April 2002, beinhaltet die Pflichtverletzung des Klägers. Die GmbH war als Arbeitgeber ebenfalls nach §§ 39 b, 40, 41 a, 42 d EStG zur Durchführung des Lohnsteuerabzugs, d.h. Einbehaltung und Abführung der anzumeldenden und abzuführenden Lohnsteuer verpflichtet. In der Nichtabführung der Lohnsteuern für April 2002 und Mai 2002 und der Nebenleistungen zur Lohnsteuer für März 2002 besteht die Pflichtverletzung des Klägers als haftender Geschäftsführer der GmbH und damit ihres verantwortlichen gesetzlichen Vertreters.

Auf Grund der Nichtzahlung der Steuern in Folge der Pflichtverletzungen des Klägers ist beim Beklagten ein entsprechender (Haftungs- )Schaden in der zuletzt im geänderten Haftungsbescheid vom 13. Mai 2003 und der Einspruchsentscheidung vom 14. Juli 2003 festgesetzten Höhe entstanden.

Der Umfang der Haftung hinsichtlich Körperschaftsteuer und Umsatzsteuer wird davon begrenzt, dass der gesetzliche Vertreter einer Körperschaft bei Zahlungsschwierigkeiten Steuerschulden im Haftungszeitraum schlechter behandelt als andere Verbindlichkeiten. Der Schaden des Finanzamtes, für den der Geschäftsführer durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden kann, besteht in der Differenz zwischen der anteiligen Befriedigung der übrigen Gläubiger und der anteiligen Befriedigung des Finanzamtes (so genannte Tilgungs- oder Haftungsquote; vgl. Bundesfinanzhof -BFH- vom 14. Juli 1987 VII R 188/82, Bundessteuerblatt ? BStBl II 1988, 172). Um eine solche Berechnung vornehmen zu können, ist es erforderlich, dass der Beklagte das hierfür notwendige Zahlenwerk kennt. Dafür bedarf es regelmäßig der Mitwirkung des Geschäftsführers, der im Regelfall über die Verhältnisse während seiner Amtszeit Auskunft geben kann.

Der Beklagte hat den Kläger erfolglos aufgefordert, ihm die nötigen Auskünfte zu erteilen (vgl. §§ 90 Abs. 1, 93 Abs. 1 AO). Zwar rechtfertigt das nicht den Schluss, der Kläger habe über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, um die Steuerrückstände der GmbH vollständig zu tilgen, berechtigt aber den Beklagten, die Tilgungsquote gemäß § 162 AO zu schätzen. In Fällen, in denen über das Vermögen des Steuerschuldners das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, ist regelmäßig davon auszugehen, dass die Forderungen anderer Gläubiger nicht voll befriedigt werden. Unter Berücksichtigung dieser Umstände hält der Senat eine Haftungsquote i.H.v. 50 v.H. für angemessen und macht insoweit von seiner Schätzungsbefugnis aus § 96 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 162 AO Gebrauch. Nicht entscheidend ist die sich nach Abschluss des Insolvenzverfahrens ergebende Tilgungsquote.

Die Pflichtverletzung des Klägers entstand auch schuldhaft. Der gesetzliche Vertreter verletzt seine Pflicht zur Erfüllung steuerlicher Verpflichtungen zumindest grob fahrlässig, wenn er Steuerschulden nicht im gleichen Umfang tilgt wie andere Verbindlichkeiten. Von der GmbH sind im Haftungszeitraum Zahlungen, jedoch nicht auf die Steuerschulden getätigt worden. Eine schuldhafte Pflichtverletzung des Klägers wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass möglicherweise die GmbH an den Fälligkeitstagen der Steuerverbindlichkeiten nicht mehr über die Mittel zur vollständigen Erfüllung der Steueransprüche verfügte. Im Streitfall sind beispielsweise die Löhne für Mai 2002 ungekürzt ausgezahlt worden, ohne das sicher feststand, dass finanzielle Mittel zur Begleichung der Steuerverbindlichkeiten vorhanden sind. Bei Liquiditätsschwierigkeiten dürfen die Löhne nur gekürzt als Vorschuss oder als Teilbetrag ausgezahlt werden. Aus den verbleibenden Mitteln muss die entsprechende Lohnsteuer an das Finanzamt abgeführt werden (ständige Rechtsprechung des BFH; vgl. z. B. BFH-Urteil vom 26. Juli 1988 VII R 83/87, BStBl II 1988, 859).

Eine Haftung des Klägers nach den vorstehenden Grundsätzen scheidet nicht bereits, wie der Kläger meint, aus der Erwägung aus, er habe als Geschäftsführer die Steuern in der kritischen Zeit von drei Wochen vor Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr entrichten dürfen. Die öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Steuerzahlung entfällt nicht dadurch, dass sie möglicherweise mit privat-rechtlichen Schadensersatzverpflichtungen, hier Ersatzpflicht gegenüber der Gesellschaft gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG, konkurriert. Aus § 64 Abs. 2 GmbHG ergeben sich keine Entschuldigungsgründe für die steuerliche Haftung des Geschäftsführers (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Dezember 1998 VII B 175/98, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 1999, 745, m.w.N.). Ein Fall des § 64 Abs. 2 GmbHG liegt hier aber auch nicht vor, weil der Kläger von vornherein keine Steuerbeträge zum Zwecke der fristgerechten Befriedigung des Beklagten abgesondert und zur Abführung bereitgehalten hat, sodass keinerlei Anhaltspunkte für eine evtl. Gläubigerbenachteiligung ersichtlich sind. Insoweit ist auch der Sachverhalt nicht mit der vom Kläger angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 9. Juli 1979 (II ZR 118/77, Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen -BGHZ- 75, 96) vergleichbar. Im vom BGH entschiedenen Fall wurden privat-rechtliche Haftungsansprüche gegen Aufsichtsratsmitglieder wegen Verletzung der Konkursantragspflicht erhoben. Vorliegend ist die öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Steuerzahlung und die sich hieraus ergebende außergesellschaftsrechtliche Haftung eines Dritten zu beurteilen.
Entgegen der Auffassung des Klägers stehen auch die Vorschriften der Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff. InsO) seiner Haftungsinanspruchnahme nicht entgegen. Denn die Pflichtverletzung des Klägers, Nichtabführung der Steuern zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten, war für den Steuerausfall kausal, weil der Haftungsschaden nicht ohne die Pflichtverletzung eingetreten wäre.

Pflichtverletzungen sind für den Erfolg ursächlich, wenn sie geeignet sind, diesen Erfolg zu verursachen. Besteht die Pflichtverletzung in einem Unterlassen, muss, um Ursächlichkeit bejahen zu können, bei Hinzudenken der unterbliebenen Handlung der Schaden entfallen (BFH-Urteil vom 17. November 1992 VII R 13/92, BStBl II 1993, 471). Das Unterlassen des Klägers hat den Steuerausfall verursacht, weil eine Pflicht zum Handeln bestand und die Entrichtung der Steuer den Schaden, nämlich den Steuerausfall verhindert hätte.

An der Kausalität ändert nichts, dass der Steuerausfall möglicherweise (später) auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Klägers eingetreten wäre, weil der Insolvenzverwalter (möglicherweise) die Zahlungen der von den Haftungsbescheiden erfassten Steuern angefochten hätte. Real ursächlich für den Haftungsschaden war allein das Unterlassen des Klägers, also die Nichtabführung der Steuerzahlungen. Nur gedachte Geschehensabläufe können die Kausalität einer realen Ursache nicht beseitigen (vgl. BGH-Urteil vom 7. Juni 1988 IX ZR 144/87, BGHZ 104, 355). Es kann im Übrigen nicht festgestellt werden, dass die Haftungsbeträge vom Insolvenzverwalter tatsächlich angefochten worden sind. Hinsichtlich der im Klägerschriftsatz vom 30. Januar 2006 vorgetragenen Anfechtung besteht zwischen den in der Anlage zum Schriftsatz aufgeführten Beträgen keine Übereinstimmung der angefochtenen Zahlungen mit denen in den Haftungsbescheiden festgesetzten Steuerrückständen nach Betrag und Fälligkeit. Die Überlegungen, mit denen der Kläger unter Berufung auf den BFH-Beschluss vom 11. August 2005 (VII B 244/04, BFH/NV 2005, 2084) und das BGH-Urteil vom 22. Januar 2004 (IX ZR 39/03, BGHZ 157, 350) einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung durch Unterlassen und Steuerausfall verneint, greifen nicht durch. Denn die Kausalität des Unterlassens wird nicht dadurch beseitigt, dass durch eine Anfechtung der Zahlungen beim Steuergläubiger ein Schaden erst später mit Rückzahlung der angefochtenen Steuerbeträge eintreten würde.

Folgte man der Auffassung des Klägers, dass die Kausalität für einen Steuerausfall bereits dann entfällt, wenn die Möglichkeit der Anfechtung der Steuerzahlungen durch den Insolvenzverwalter besteht, hätte dies zur Folge, dass eine Haftung nicht in Betracht kommt für Steuern, die in dem Drei-Monats-Zeitraum vor Insolvenzantragsstellung fällig werden. Denn es kann nie ausgeschlossen werden, dass der Insolvenzverwalter erfolgreich Steuerzahlungen anficht, die in diesem Zeitraum erfolgt sind. Bei einem solchen Verständnis der Kausalität wäre es allerdings auch entbehrlich zu prüfen, ob der Insolvenzverwalter ein Anfechtungsrecht hat. Die Kausalität würde bereits dann entfallen, wenn es möglich erscheint, dass der Insolvenzverwalter anficht und in einem ggf. angestrengten Zivilprozess obsiegen könnte.

Dem ist jedoch nicht zu folgen. Im Schadensersatzrecht besteht Einigkeit darüber, dass es sich bei der so genannten hypothetischen Kausalität nicht um ein Problem der Kausalität, sondern um eine Frage der Schadenszurechnung handelt (vgl. Palandt, 65 Auflage, Vorbemerkung vor § 249 Rn. 96). Dass der durch das haftungsbegründende Unterlassen real bewirkte Schaden später durch einen anderen Umstand ebenfalls herbeigeführt worden wäre, kann an der Kausalität der realen Ursache nichts ändern. Ob der andere hypothetische Umstand, hier die evtl. Ausübung des Anfechtungsrechts durch den Insolvenzverwalter, beachtlich ist und zu einer Entlastung des Schädigers führt, ist eine Wertungsfrage und richtet sich nach dem Schutzzweck der Norm.

Der Schutzzweck der Norm des § 69 AO ist es, das Steueraufkommen in besonderer Weise zu schützen. Gegen diesen Schutzzweck wird verstoßen, wenn den Geschäftsführer einer GmbH die bloß potenzielle Anfechtungsmöglichkeit durch den Insolvenzverwalter im zum Fälligkeitszeitpunkt hypothetischen Fall der Insolvenzeröffnung bereits davon befreit, den steuerlichen Verpflichtungen der GmbH nachzukommen. Ob durch Steuerzahlung andere Gläubiger evtl. benachteiligt werden und deshalb ein insolvenzrechtliches Anfechtungsrecht besteht, kann nicht zu einer Einschränkung des Haftungsanspruchs gegen den Kläger führen (im Ergebnis ebenso Urteile des Sächsischen Finanzgerichts -FG- vom 24. Mai 2005 1 K 2163/04, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2005, 1238, und 1 K 2364/04, und Urteile des FG Köln vom 12. September 20058 K 5395/01, Steuer-Eildienst -StE- 2005,789, und 8 K 5677/01, GmbH-Rundschau -GmbHR- 2006, 49). Eine Kollision mit den Wertungsmaßstäben des Insolvenzrechts scheidet nach Ansicht des Senats schon deshalb aus, weil die Vorschriften der InsO nur für das Insolvenzverfahren selbst gelten, außerhalb der dort geregelten Materie jedoch Ansprüche des Fiskusses unterlaufen würden. Denn dadurch würden die Haftungstatbestände im Steuerrecht faktisch außer Kraft gesetzt (vgl. insoweit BGH-Beschluss vom 9. August 20055 StR 67/05, Neue Juristische Wochenschrift -NJW2005,3650, zum Verhältnis Insolvenzrecht zur Strafbarkeit nach § 266a des Strafgesetzbuches -StGB-).

Die Haftungsinanspruchnahme des Klägers ist auch nicht ermessensfehlerhaft. Bei der gemäß § 102 FGO nur eingeschränkt möglichen Ermessensüberprüfung durch das Gericht ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte den Kläger wie in den Haftungsbescheiden und Einspruchsentscheidungen ausgeführt, als Geschäftsführer (erst) in Anspruch genommen hat, nachdem Zahlungen der GmbH nicht zu vereinnahmen waren. Für eine fehlerhafte Ausübung des Auswahlermessens des Beklagten fehlt jegliche Anhaltspunkt. Der Beklagte hat den Kläger als weiteren Geschäftsführer in Anspruch genommen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision war zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und im Hinblick auf abweichende Entscheidung anderer Finanzgerichte (vgl. z.B. FG Baden-Württemberg vom 30. August 2004 1 V 49/03, EFG 2004, 1425, FG des Saarlandes vom 20. Dezember 2004 2 V 385/04, EFG 2005, 680, und FG Rheinland-Pfalz vom 13. Oktober 2005 6 K 2803/04, EFG 2006, 83) eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich erscheint.

RechtsgebieteAO, GmbHGVorschriften§ 34 Abs. 1 AO, § 69 AO, § 90 Abs. 1 AO, § 93 Abs. 1 AO, § 162 AO, § 191 Abs. 1 AO, § 35 Abs. 1 GmbHG, § 64 Abs. 2 GmbHG

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