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09.03.2006 · IWW-Abrufnummer 060756

Sozialgericht Berlin: Beschluss vom 25.11.2005 – S 82 KR 2638/05

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Sozialgericht Berlin

Az.: S 82 KR 2638/05 ER

Beschluss
In dem Verfahren XXX

hat die 82. Kammer des Sozialgerichts Berlin am 25. November 2005 durch die Richterin am Sozialgericht Becker beschlossen:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 40.248,49 ? festgesetzt.


Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Auszahlung von Vergütungsansprüchen des Antragstellers aus Arzneimittelabrechnungen streitig.

Der Antragsteller ist Apotheker und Inhaber der xxx-Apotheke in Berlin. Im September 2004 nahm die Polizei Ermittlungen gegen ihn und den Internisten B. wegen des Verdachts des Abrechungsbetruges auf. Während des laufenden polizeilichen Ermittlungsverfahrens forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller im Juli 2005 zu einer Anhörung gem. § 20 des Berliner Arzneimittelversorgungsvertrages (AMVV) auf, eine erste Besprechung zwischen dem Antragsteller, seinem damaligen Bevollmächtigten und Mitarbeitern der Antragsgegnerin fand am 27. September 2004 statt. Bereits zuvor hatte die Antragsgegnerin von der Abrechnung des Antragstellers für den Apothekenabrechnungszeitraum Juli 2005 einen Betrag von 46.149,01 ? einbehalten (vgl. Abrechnung der AVP Düsseldorf vom 14. September 2005, Bl. 51 GA). Als Grund für diese Absetzung gab die Antragsgegnerin an, sie habe wegen Abrechnungsbetruges des Antragstellers einen Schaden in Höhe von ca. 88.000 ? erlitten, der durch die polizeilichen Ermittlungen belegbar sei. Eine Hochrechnung für das Jahr 2005 aufgrund eigener Überprüfungen und Berechnungen ergebe einen möglichen weiteren Schaden in Höhe von bis zu 200.000 ?.

Mit notariellem Vertrag vom 30. September 2005 hat der Antragsteller mit dem Apotheker M. eine OHG zur Fortführung der D-Apotheke geschlossen. Herr M. hat eine Einlage in Höhe von 30.000 ? geleistet, die dem Geschäftskonto des Antragstellers am 10. Oktober 2005 gutgeschrieben worden ist.

Das polizeiliche Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller wurde mit dem Bericht vom 31. Oktober 2005 (xxx) abgeschlossen und an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Bezüglich der Einzelheiten der kriminalpolizeilichen Ermittlungen wird auf den abschließenden Bericht (Anlage 3 zu Antragserwiderung) Bezug genommen. Eine abschließende Verfügung der Staatsanwaltschaft liegt noch nicht vor. Die zuständige Staatsanwältin hat dem Gericht mitgeteilt, dass der Antragsteller wegen eines Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz rechtskräftig zu einer Geldstrafe in Höhe von 180 Tagessätzen verurteilt worden sei.

Für den Abrechnungsmonat September 2005 behielt die Antragsgegnerin über das Abrechnungszentrum einen weiteren Betrag von 34.347,96 ? ein (Abrechnung vom 14. November 2005, Bl. 63 GA), was sie dem Antragsteller anlässlich einer weiteren Besprechung am 1. November 2005 mitteilte. Verhandlungen zwischen den Beteiligten über eine vergleichsweise Einigung blieben ohne Erfolg.

Am 18. November 2005 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, mit dem er Vergütungsansprüche geltend macht. Seiner Ansicht nach sind die Absetzungen der Antragsgegnerin zu Unrecht erfolgt. Diese habe das in § 18 Abs. 1 AMVV geregelte Retaxierungsverfahren nicht eingehalten, da die Beanstandungen nicht unter Angabe einer Belegnummer und einer konkreten Begründung sowie unter Vorlage der Originalrezepte erfolgt seien. Soweit sich die Absetzungen durch die Antragsgegnerin auf die im Rahmen des Ermittlungsverfahrens xxx erhobenen Vorwürfe bezögen, sei zu berücksichtigen, dass das Ermittlungsverfahren noch nicht abgeschlossen sei und die Unschuldsvermutung zu Gunsten des Antragstellers fort bestehe. Die Feststellungen der Ermittlungsbehörden seien keine ausreichende Grundlage für eine verlässliche Schadensfeststellung. Darüber hinaus habe der Antragsteller während des Ermittlungsverfahrens keine Gelegenheit zu umfassender Akteneinsicht gehabt, um zu den bisherigen Ermittlungsergebnissen Stellung nehmen zu können.

Die Absetzungen der Beklagten in Höhe von mehr als 80.000 ? gefährdeten zudem akut die berufliche und private Existenz des Antragstellers. Die Schließung der Apotheke stehe unmittelbar bevor, da seine Großhandelspartner, die Firmen S., K. und H. aufgrund erheblicher Zahlungsrückstände eine Belieferung der Apotheke eingestellt hätten. Darüber hinaus sei das Bankkonto mit rund 52.000 ? belastet, hinzu kämen monatlich zu leistende Verbindlichkeiten für Miete und Personalkosten von mehr als 10.000 ?. Eine bestehende Lebensversicherung werde zur Tilgung eines Kredits bei der xxx-Bank verwendet. Der Antragsteller legt ein Schreiben der Firma S. vom 16. November 2005 vor, in dem diese mitteilt, eine Belieferung des Antragstellers erfolge ab 4. November 2005 nur noch gegen Barzahlung. Seit 16. November 2005 erhalte er von keinem der Großhändler mehr Ware. Weitere pharmazeutische Großhändler, an die sich der Antragsteller gewandt habe, seien ebenfalls nur gegen Vorkasse bereit, ihn zu beliefern. Allein mit Direktbelieferungen durch pharmazeutische Unternehmen könne das gesamte Apothekensortiment nicht sichergestellt werden. Zur Aufrechterhaltung des laufenden Apothekenbetriebes sei mindestens ein Betrag von 40.000 ? notwendig, um die Forderungen der beiden größeren Großhändler S. und K. zumindest teilweise begleichen zu können. Dies sei auch im Hinblick auf laufende Leistungen anderer Krankenkassen und die erwartete Vergütung aus der Abrechnung vom 14. November 2005 in Höhe von 44.125, 85 ? nicht möglich. Aufgrund von Abtretungserklärungen gegenüber den Firmen S. und K. werde dieser Betrag nicht - in voller Höhe - dem Antragsteller gutgeschrieben, sondern direkt an die Großhändler gezahlt. Mit Schreiben vom 24. November 2005 habe die Firma S. bestätigt, dass der erwartete Vergütungsanspruch des Antragstellers aus der Novemberabrechnung mit einem Teilbetrag von 30.163,83 ? der Firma K. und mit 17.670,71 ? S. gutgeschrieben werde. Da auch hiernach eine offene Forderung von S. in Höhe von 29.912,12 ? verbleibe, erfolge eine Belieferung ohne tägliche Barbezahlung erst nach Ausgleich dieses Betrages. Mit Schreiben vom 22.11.2005 hatte die Firma K. eine weitere Belieferung mit den üblichen Zahlungszielen von Zahlung einer offenen Forderung in Höhe von 55.705,52 ? abhängig gemacht.

Der Antragsteller macht geltend, ohne Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung werde seine berufliche Existenz und Lebensgrundlage vernichtet. Demgegenüber seien die geringeren finanziellen Folgen für die Antragsgegnerin nachrangig, so dass auch eine Interessenabwägung zu seinen Gunsten ausfallen müsse.

Zur Glaubhaftmachung der drohenden Existenzgefährdung seiner Apotheke legt der Antragsteller u.a. aktuelle Rechnungen bzw. Saldenmitteilungen der ihn beliefernden Großhändler S., K. und H. vor, einen Kontoauszug seines Geschäftskontos bei der xxx-Bank vom 11. November 2005, aus dem sich ein Negativsaldo von 51.586,44 ? bei einem Kreditrahmen von 52.000 ? ergibt, Nachweise über die Höhe der Miete und laufenden Personalkosten, Schreiben der Firma S. vom 16. und 24. November 2005, ein Schreiben der Firma K. vom 24. November 2005 sowie interne Betriebsvergleiche für Juli und August 2005. In einer eidesstattlichen Versicherung vom 18. November 2005 bestätigt der Antragsteller die Richtigkeit der gemachten Angaben und erklärt, seine Einnahmen allein aus dem Apothekenbetrieb zu bestreiten und über weiteres Vermögen nicht zu verfügen.

Der Antragsteller beantragt,

1. die Antragsgegnerin zu verurteilen, an den Antragsteller 80.496,97 ? zu bezahlen,

2. hilfsweise: die Antragsgegnerin zu verurteilen, an den Antragsteller einen Betrag von 64.796,87 ? zu bezahlen,

3. höchst hilfsweise: die Antragsgegnerin zu verurteilen, an den Antragsteller einen Betrag von 55.453,74 ? zu bezahlen,

4. die Antragsgegnerin zu verurteilen, zunächst bis zum Abschluss des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens mit dem Az. xxx weitere Absetzungen bei Abrechnungen des Antragstellers zu unterlassen, soweit sich diese Absetzungen auf den Gegenstand des Ermittlungsverfahrens beziehen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie verweist darauf, dass nach dem Ermittlungsbericht der EG Medicus vom 31. Oktober 2005 allein aus der Abrechnung von Rezepten des Arztes B. für sog. Phantompatienten unter Mitwirkung des Antragstellers ein Schaden zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen in Höhe von insgesamt 154.133,42 ? entstanden sei. Bezogen auf die Antragstellerin errechne sich ein Schaden in Höhe von 95.562,72 ?, wobei zu berücksichtigen sei, dass sich die Feststellungen der Polizei nur auf den Zeitraum Januar 2004 bis Februar 2005 und auf acht ausgewählte Arzneimittel beschränkt hätten. Darüber hinaus habe die Antragsgegnerin eigene Ermittlungen angestellt und die Behandlungsdaten aus der Praxis B. mit den dort vermerkten Diagnosen und den eingelösten Rezepten abgeglichen, Auffälligkeiten bei der Rezepteinlösung (z.B. weit entfernter Wohnsitz der Versicherten, Vorhandensein von Stammapotheken, unterschiedlichen Daten von Rezeptausstellung und Arztbesuch) ausgewertet und zum Teil Versicherte telefonisch befragt. Aus den für die Quartale II und III des Jahres 2004 ausgewerteten Rezepten mit entsprechenden Auffälligkeiten ergebe sich so ein Schaden von 70.742,03 ?. Hinzu kämen weitere 9333,36 ? aus der Abgabe einer Importarzneimittels für die Versicherte E., wobei auch die Verordnungsmenge auffällig sei. Bezogen auf das Jahr 2005 seien die Abrechnungen der Antragstellers für den Monat Juni 2005 vollständig überprüft und auf Auffälligkeiten hin untersucht worden. Der in diesem Zeitraum entstandene Schaden werde mit weiteren ca. 10.000 ? geschätzt und mache deutlich, dass der Antragsteller seine ?Abrechnungspraxis? fortgesetzt habe. Die Antragsgegnerin beruft sich darauf, dass der Antragssteller anlässlich der Besprechung von 27. September 2005 (vgl. Gesprächsvermerk vom 25. Oktober 2005, Anlage 3 zur Antragserwiderung) bereits eingeräumt habe, zum Teil andere Sachen als die verordneten Arzneimittel abgegeben zu haben. Durch sein Verhalten habe der Antragsteller gegen die Vorschriften des AMVV verstoßen, was ihr ein Recht zur Zahlungsverweigerung nach § 4 Abs. 7 AMVV gebe. Als weitere Rechtsgrundlagen für den mittels Aufrechnung gem. §§ 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geltend gemachten Rückforderungsanspruch kämen § 812 oder §§ 823, 826 BGB sowie Schadensersatzansprüche aus der Verletzung vertraglicher Nebenpflichten in Betracht.

Nach Ansicht der Antragsgegnerin hat der Antragsteller auch einen Anordnungsanspruch nicht hinreichend glaubhaft. Es sei nicht ersichtlich, warum die Lebensversicherung nicht zugunsten der offenen Forderungen der pharmazeutischen Großhändler verwertet werden könne. Angesichts der geschilderten Finanzsituation bestehe der Verdacht, dass die Apotheke des Antragstellers möglicherweise schon von den Absetzungen der Antragsgegnerin überschuldet gewesen sei, was im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen sei. Darüber hinaus lasse sich den eingereichten Betriebsvergleichen entnehmen, dass in der Zeit von Dezember 2004 bis Juli 2005 Privatentnahmen in Höhe von 99.683 ? erfolgt seien, die den Gewinn um nahezu 100 % überschreiten und gegenüber dem Vorjahreszeitraum eine deutliche Steigerung um 440,4 % aufwiesen. Eine Existenzgefährdung der Apotheke sei ? wenn überhaupt ? durch diese exorbitant hohen Gewinnentnahmen und nicht auf den Zahlungseinbehalt der Antragsgegnerin zurückzuführen. Durch eine Rückführung der entzogenen Mittel könnte der Antragssteller eine Weiterbelieferung durch die Großhändler erreichen.

Die Vorsitzende hat die Sache am 23. November 2005 mit den Beteiligten erörtert. Auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte.

II.

Der zulässige Antrag ist unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes. Letzterer ist gegeben, wenn aufgrund der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung nach Auffassung des Gerichts aufgrund glaubhaft gemachter Tatsachen zu befürchten ist, dass ohne Erlass der einstweiligen Anordnung bezüglich des geltend gemachten Anspruchs wesentliche Nachteile des Antragstellers drohen, wobei grundsätzlich nicht die Hauptsache vorweggenommen werden darf. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nach der in Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten Rechtsschutzgarantie nur dann, wenn der Erfolg in der Hauptsache hinreichend wahrscheinlich ist und bei Nichterfüllung des Anspruchs schwere, unzumutbare und anders nicht abwendbare Nachteile drohen.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der Antragssteller nach Auffassung der Kammer weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht.

Die von ihm geltend gemachte Vergütungsforderung ist nach Auffassung der Kammer aufgrund der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen und nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage durch die von der Beklagten ? konkludent durch die entsprechenden Einbehalte ? erklärten Aufrechnung erloschen, § 389 BGB. Die Kammer ist überzeugt davon, dass der Antragsgegnerin Zahlungsansprüche gegen den Antragsteller mindestens in Höhe des geltend gemachten Einbehalts in Höhe von 80.496,97 ? zustehen. Als Rechtsgrundlage hierfür kommen sowohl Schadensersatzansprüche wegen unerlaubter Handlungen (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Strafgesetzbuch ) als auch Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) in Betracht.

Bei dieser Bewertung stützt die Kammer sich vor allem auf das Ergebnis der kriminalpolizeilichen Ermittlungen, die in dem Abschlussbericht der EG Medicus vom 31. Oktober 2005 ihren Niederschlag gefunden haben. Aufgrund dieser Ermittlungen wird der Antragsteller beschuldigt, gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen Rezepte zur Abrechnung weitergeleitet zu haben, ohne die jeweils verordneten Medikamente tatsächlich an die betreffenden Patienten abgegeben zu haben (sog. Luftabrechnungen). Dies sei im Zusammenwirken mit dem Internisten B. geschehen, von dem der Antragsteller die zu beanstandenden Verordnungen erhalten habe. Die polizeilichen Feststellungen und der daraus abgeleitete Tatvorwurf an den Antragsteller sind aus Sicht der Kammer nachvollziehbar und überzeugend. Nach Beschlagnahme der von dem Antragsteller abgerechneten Rezepte bei dem Abrechnungszentrum xxx und seinen Bestellungen bei den mit ihm in Geschäftsbeziehung stehenden Pharmagroßhändlern hat die EG Medicus für eine Auswahl von acht Medikamenten die abgerechneten Verordnungen mit den Großhandelsbestellungen verglichen und ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass einer großen Anzahl von Verordnungen keine Einkäufe zugeordnet werden konnten. Dieses Vorgehen ist überzeugend und erscheint äußerst geeignet, tatsächlich nicht belieferte Rezepte herauszufiltern. Methodische Bedenken hiergegen liegen aus Sicht der Kammer nicht vor und wurden auch von dem Antragsteller nicht vorgebracht. Insbesondere hat die EG Medicus alle Lieferanten des Antragstellers während des in die Ermittlungen einbezogenen Zeitraums vom Januar 2004 bis Februar 2005 ? die Firmen G., S. und K. ? in die Betrachtung einbezogen. Zwar räumt der Abschlussbericht selbst gewisse Schwierigkeiten bei der Zuordnung einzelner Bestellungen zu den Verordnungen ein, wenn die Abrechnungen des Großhändlers nicht das exakte Bestelldatum enthalten. Dies führt jedoch allenfalls dazu, dass nicht mehr feststellbar ist, welche Verordnung genau mit einer Bestellung bedient worden ist, steht indes nicht der Schlussfolgerung entgegen, dass es eine ? deutliche - zahlenmäßige Differenz zwischen abgerechneten und bei den Großhändlern bestellten Medikamenten gibt. Da es sich vorliegend keinesfalls um einzelne Abweichungen handelt, ist es wenig wahrscheinlich, dass Ungenauigkeiten in den Großhandelsrechnungen Ursache dieser Differenzen sind. Ebenso wenig ist es wahrscheinlich, dass in diesem Umfang Direktbestellungen bei den Herstellern erfolgt sind oder Lagerbestände vorhanden waren. Die durch den Datenabgleich von den Ermittlungsbehörden festgestellten Unregelmäßigkeiten werden durch weitere in dem Abschlussbericht näher bezeichnete Beweismittel erhärtet. Befragungen von Versicherten hätten (so: Bl. 64, 65 des Abschlussberichts) ergeben, dass Patienten die Apotheke des Antragstellers nicht kennen, dort noch nie ein Rezept eingelöst haben, die Verordnungen nie gesehen haben, die verordneten Medikamente nicht kennen bzw. keine Diagnosen zu haben, bei denen die abgerechneten Arzneimittel eingesetzt werden.

Gestützt werden die Feststellungen der Ermittlungsbehörden schließlich auch von den eigenen Ermittlungen der Antragsgegnerin, die für das zweite und dritte Quartal des Jahres 2004 die in der Apotheke des Antragstellers eingelösten Verordnungen durch B. mit den sonstigen Rezepteinlösungen der betreffenden Versicherten und den bei ihnen festgestellten Diagnosen verglichen hat. Aus dem als Anlagekonvolut 2 zur Antragserwiderung bei der Gerichtsakte befindlichen Verordnungsimages ergeben sich ? wie von der Antragsgegnerin geltend gemacht ? Auffälligkeiten, die für einen manipulativen Umgang des Antragstellers mit Arzneimittelrezepten sprechen. Zu diesen Auffälligkeiten gehört, dass in vielen Fällen den Behandlungsdaten der Vertragsärzte keine Diagnosen entnommen werden können, die die Verabreichung der verordneten Medikamente indizieren, dass ärztliche Behandlungsdaten nicht mit dem Datum der Rezeptausstellung übereinstimmen, dass Versicherte aus anderen Stadtteilen, die ihre Rezepte üblicherweise in bestimmten Apotheken einlösen, einzelne hochpreisige Arzneimittel über den Antragssteller bezogen haben etc.

Es erscheint aus Sicht der Kammer schlechterdings unmöglich, dass es sich bei all diesen Indizien um Zufälligkeiten, Ungenauigkeiten oder ähnliches handeln sollte. Vielmehr geht die Kammer mit dem polizeilichen Ermittlungsergebnis davon aus, dass dem Antragsteller der Vorwurf wiederholten Abrechnungsbetruges zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen zu machen ist. Diese Feststellung kann die Kammer im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes aufgrund summarischer Prüfung des Tatsachenstoffs treffen, auch wenn weder das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren bzw. ein sich daran möglicherweise anschließendes Strafverfahren abgeschlossen ist. Die von dem Antragsteller für sich in Anspruch genommene Unschuldsvermutung gilt im Strafrecht und bezieht sich auf den strafrechtlichen Vorwurf einer schuldhaften Tatbegehung. Diese Unschuldvermutung hindert aber weder die Antragsgegnerin noch das erkennende Gericht aufgrund summarischer Prüfung festzustellen, dass die Voraussetzungen zivilrechtlicher Anspruchsnormen erfüllt sind.

Aus den von ihr untersuchten Daten hat die EG Medikus des Landeskriminalamtes für den Zeitraum Januar 2004 bis Februar 2005 einen Schaden der gesetzlichen Krankenkassen insgesamt von 154.133,42 ? ausgerechnet und festgestellt, dass 61 % der Bestelldaten die hiesige Antragsgegnerin betreffen. Dies ergäbe einen ? vom Gericht nach § 287 Zivilprozessordnung zu schätzenden ? (Mindest-)Schaden zu Lasten der Antragsgegnerin in Höhe von 94.021,39 ?. Da der von der Antragsgegnerin aufgerechnete Betrag knapp 14.000 ? unter diesem Betrag liegt, kommt es auf etwaige Ungenauigkeiten im Zusammenhang mit der Ermittlung dieses Wertes nicht an. Dahin stehen kann auch, ob und in welchem Umfang weitere Schäden durch Manipulationen aus 2005 oder im Fall der Versicherten E. entstanden sind.

Legt man der rechtlichen Beurteilung der von der Antragsgegnerin geltend gemachten Zahlungsansprüche mit der erkennenden Kammer die polizeilichen Ermittlungsergebnisse zugrunde, wären die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs aus unerlaubter Handlung (§§ 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB) erfüllt. Abgesehen davon und unabhängig von einem an den Antragsteller gerichteten Schuldvorwurf bestehen die Rückforderungsansprüche der Antragsgegnerin in Höhe der streitigen Vergütungsforderung auch deshalb, weil die abgerechneten Verordnungsblätter keinen hinreichenden Rechtsgrund für die hierauf gezahlten Vergütungen darstellen, § 812 BGB. Handelt es sich bei den beanstandeten Abrechungen tatsächlich um sog. Luftabrechungen für nicht gelieferte Arzneimittel, wovon die Kammer wie dargelegt ausgeht, konnten diese Verordnungen der Bemessung der Vergütung gerade nicht zu Grunde gelegt werden. Standen mithin den Vergütungsansprüchen des Antragsstellers für den Zeitraum Januar 2004 bis Februar 2005 bereicherungsrechtliche Gegenansprüche der Antragsgegnerin gegenüber, sind die Forderungen des Antragsstellers durch die Aufrechnung erloschen.

Unter Berücksichtigung der hier vorgenommenen summarischen Prüfung der Tatsachen, wäre eine auf die streitige Vergütung gerichtete Klage offensichtlich unbegründet. Auf das Vorliegen eines Anordnungsgrundes käme es dann nicht mehr an. Aber auch für den Fall, dass die noch nicht abgeschlossene strafrechtliche Beurteilung des Abrechnungsverhaltens des Antragstellers dergestalt bewertet würde, dass der Ausgang eines evtl. Hauptsacheverfahrens als offen zu bezeichnen wäre, führte die hiernach zu treffende Folgenabwägung (vgl. Keller in Meyer-Ladewig, SGG, § 86b Rn. 29a) nicht zum Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung.

Nach Auffassung der Kammer hat der Antragsteller die von ihm geltend gemachte Existenzgefährdung weder durch die eingereichten Unterlagen noch durch die abgegebene eidesstattliche Versicherung hinreichend glaubhaft gemacht. Feststehen dürfte, dass die Apotheke des Antragstellers erhebliche Zahlungsrückstände gegenüber den sie beliefernden Pharmagroßhändlern hat, was diese dazu veranlasst hat, weitere Belieferungen von dem Ausgleich der offenen Forderungen bzw. Barzahlung abhängig zu machen. Es ist aus Sicht der Kammer durchaus nachvollziehbar, dass ohne die Lieferung von Arzneimitteln der ordnungsgemäße Apothekenbetrieb nicht aufrechterhalten werden kann. Indes konnte sich die Kammer nicht hinreichend davon überzeugen, dass der Kläger tatsächlich auf Vergütungszahlungen der Antragsgegnerin angewiesen ist, um die Forderungen der Großhändler zu begleichen und so den Betrieb der Apotheken sicherzustellen. Zu Recht weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass die von dem Antragsteller vorgelegten Unterlagen über die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse mehr Fragen aufwerfen als beantworten. Angesichts einer Höhe der Privatentnahmen von 99.683 ? im Zeitraum Dezember 2004 bis Juli 2005 (acht Monaten) bei einem Gewinn im selben Zeitraum von 56.752 ? hält die Kammer die Angabe des Antragsstellers, ein bescheidenes Leben zu führen und über kein privates Vermögen zu verfügen, für wenig glaubhaft. Da der Antragsteller keine Angaben dazu gemacht hat, zu welchen Zwecken diese enormen Privatentnahmen getätigt worden sind und wo das Geld verblieben ist, geht die Kammer mit der Antragsgegnerin davon aus, dass das dem Betrieb entzogene Kapital noch beim Antragsteller vorhanden ist und ihm zum Ausgleich der offenen Forderungen seiner Großhändler zur Verfügung steht. Das Gegenteil glaubhaft zu machen, wäre Sache des Antragstellers gewesen, der entsprechende Ausführungen indes unterlassen hat. Unabhängig von der Frage, wo diese Mittel tatsächlich verblieben sind, darf bei der hier zu treffenden Folgenabwägung auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass das Ausmaß der Privatentnahmen durch den Antragsteller und die dadurch bedingte Schwächung der Eigenkapitalbasis der Apotheke offensichtlich ganz wesentlich zu der geltend gemachten Existenzgefährdung beiträgt. Darüber hinaus hat es der Antragsteller auch versäumt glaubhaft zumachen, dass die bestehende Lebensversicherung nicht zur Sicherung der Belieferung mit Arzneimitteln eingesetzt werden kann. Unterlagen, aus denen sich die behauptete Verwertung zugunsten der xxx-Bank ergibt, wurden nicht vorgelegt. Es fehlen schließlich auch Angaben zur Verwendung der Einlage des OHG-Gesellschafters M. in Höhe von 30.000 ?, die bei dem Antragsteller am 10. Oktober 2005 eingingen und zu einer Entspannung der Finanzsituation geführt haben müssten.

Würde hingegen die einstweilige Anordnung erlassen und die Antragsgegnerin verpflichtet, die einbehaltenen Beträge ? vorläufig - an den Antragssteller auszuzahlen und es stellte sich im Hauptsacheverfahren heraus, dass der Vorwurf des Abrechnungsbetruges zu Recht erhoben wurde, hätte die Antragsgegnerin kaum eine Chance ihren Rückforderungsanspruch gegenüber dem Antragsteller zu realisieren. Entgegen der Argumentation des Antragstellers sind die finanziellen Interessen der Antragsgegnerin nicht zwangsläufig nachrangig gegenüber der Sicherung seiner beruflichen Existenz. Bei den hier abzuwägenden Interessen geht es nicht nur um eine einzelne Forderung der Antragsgegnerin, die sich im Vergleich zu deren gesamten Finanzvolumen nicht entscheiden auswirken mag. Betroffen sind hier vielmehr ganz elementare Interessen der Versichertengemeinschaft. Auf Seiten der Antragsgegnerin geht es um die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung und die Sicherstellung einer zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten mit qualitativ hochwertigen Leistungen. Das finanzielle Gleichgewicht dieses sozialen Sicherungssystems und letztlich sein Bestand wären gefährdet, wenn es den Sozialversicherungsträgern nicht möglich wäre, Leistungsmissbrauch und Abrechnungsbetrug durch zeitnahe geeignete Gegenmaßen zu begegnen.

Nach alldem war der Antrag zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG. Der Streitwert war gem. § 197a i.V.m. § 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz mit der Hälfte des streitigen Betrages anzusetzen.

RechtsgebieteStrafrecht (StGB), Zivilrecht (BGB)VorschriftenStGB § 263, BGB § 387, § 812, § 823 Abs. 2

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