Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

22.02.2006 · IWW-Abrufnummer 053462

Finanzgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 19.10.2005 – 1 K 2507/04

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

1 K 2507/04

In dem Finanzrechtsstreit XXX

wegen Einkommensteuer 2002

hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 1. Senat - ohne mündliche Verhandlung am 19. Oktober 2005 durch XXX

für Recht erkannt:

I. Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 2. September 2004 wird der Einkommensteuerbescheid für 2002 vom 2. Mai 2003 dahingehend geändert, dass weitere außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 28.325,00 ? zu berücksichtigen sind. Der Beklagte hat entsprechend einen geänderten Einkommensteuerbescheid zu erlassen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der vom Beklagten zu tragenden Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Streitig ist, ob außergewöhnliche Belastungen vorliegen.

In der Einkommensteuererklärung für 2002 hat der Kläger u.a. Aufwendungen für zahn-ärztliche Behandlungen in Höhe von 747,00 ? und für einen Hangrutsch in Höhe von 28.325,00 ? als außergewöhnliche Belastungen geltend gemacht. Als Anlage waren der Erklärung beigefügt eine Vereinbarung über die Kostenbeteiligung im Zusammenhang mit der Sicherung des Hanges unterhalb der ...-Burg in D nach dem 25. März 2001 zwischen der Verbandsgemeinde R und drei Grundstückseigentümern u.a. dem Kläger und seiner verstorbene Ehefrau vom 3. Juli 2002. Ferner war eine Rechtsanwaltsgebührenberechnung vom 16. Juli 2002 in Höhe von 3.782,54 ? beigefügt (Bl. 21 f. ESt-Akte). Weiterhin befindet sich in den Akten ein Gutachten des Geologischen Landesamtes Rheinland-Pfalz vom 2. Juli 2001 über ?Rutschung in der Ortsgemeinde D, G-Straße ... bis ... (Bl. 29 f. ESt-Akte)?. Im Einkommensteuerbescheid vom 2. Mai 2003 berücksichtigte der Beklagte die Aufwendungen für den Hangrutsch mit der Begründung nicht, dass es sich hierbei nicht um außergewöhnliche Belastungen handelt. Als solche könnten nur Maßnahmen steuerlich berücksichtigt werden, die gleichzeitig der Schadensbeseitigung sowie der Minimierung oder Verhinderung von künftigen Schäden dienten. Dies bedeute, dass Kosten für die Verhinderung von Schäden nur dann anerkannt werden könnten, wenn sie im Zuge der Beseitigung eines bereits entstandenen Schadens verausgabt worden seien. Der hiergegen eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 2. September 2004 als unbegründet zurückgewiesen.

Mit der Klage trägt der Kläger vor, dass es nach erheblichen Niederschlägen in den Wochen vor dem 26. März 2001 an einem Hang unterhalb der ...-Burg in D (Hang zwischen der ...-Burg und der Landesstraße L ...) zu einem großen Erdrutsch gekommen sei. Durch erhebliche Niederschläge hätten sich Teile der Hangfläche gelöst und drohten auf die unterliegenden Anwesen und Anlagen zu rutschen. Nach der Beurteilung des Geologischen Landesamtes bestände Gefahr im Verzug, da bei einem entsprechenden weiteren Rutsch die unterliegenden Anwesen und Anlagen verschüttet worden wären. Deshalb habe die Verbandsgemeinde die vom Geologen als zwingend notwendig erachteten Hangabtragungs- und Hangsicherungsmaßnahmen als Polizeimaßnahmen durchführen lassen. So sei zur Sicherung des Hanges eine große Mauer errichtet und der Hang durch Stahlnetze und ähnliche Maßnahmen gesichert worden. Diese Arbeiten seien als Maßnahme nach dem Polizei- und Ordnungsbehördengesetz durchgeführt worden. Sodann seien die Anlieger, u.a. der Kläger und seine Ehefrau nach dem Polizei- und Ordnungsbehördengesetz in Anspruch genommen worden. In der Folge sei die Vereinbarung über die Kostenbeteiligung vom 3. Juli 2002 geschlossen worden. Im Zusammenhang mit der Inanspruchnahme für die Kosten der Sicherungsmaßnahme sei der Kläger anwaltlich vertreten und beraten worden. Durch diese Inanspruchnahme seien ihm zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Einen Gegenwert habe er nicht erhalten. Die Hangsicherungsmaßnahme und insbesondere die in diesem Zusammenhang errichtete Mauer sei nicht auf seinem Grundstück erstellt worden, weshalb sie nicht in sein Eigentum übergegangen sei. Deshalb habe er sein Vermögen nicht umgeschichtet, sondern einen effektiven Vermögensverlust erlitten. Dies gelte umso mehr, als die rückwärtige Mauer der auf dem Grundstück befindlichen Garage bereits 1990 als Stützmauer ausgestaltet worden wäre, so dass nach seiner Auffassung für eine ausreichende Hangsicherungsmaßnahme in Bezug auf sein Grundstück bereits Sorge getragen worden sei. Es habe sich auch nicht um eine vorbeugende Maßnahme gehandelt, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Schadensbeseitigung stehen würde. Aus der ordnungsbehördlichen Verfügung der Verbandsgemeindeverwaltung R vom 5. April 2001 gehe hervor, dass den Bewohnern und Besuchern des Anwesens D, G-Straße ... mit sofortiger Wirkung das Betreten des Gebäudes und der Freifläche untersagt worden sei. Durch den Hangrutsch unmittelbar und die daraus resultierende ordnungsbehördliche Verfügung sei also bereits der Schaden eingetreten, weil das Grundstück nicht mehr nutzbar gewesen sei. Bis zum Ende der Hangsicherungsmaßnahmen hätte die Familie nicht mehr dort wohnen können, sondern hätte bei Frau J eine freie Wohnung für ca. 3 Wochen bezogen. Die Hangsanierung hätte durchgeführt werden müssen, um das Grundstück wieder nutzbar zu machen. Hierin bestehe der unmittelbare Zusammenhang der Schadensbeseitigung.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 2. September 2004 den Einkommensteuerbescheid für 2002 vom 2. Mai 2003 dahingehend zu ändern, dass weitere außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 28.325,00 ? berücksichtigt werden.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt er aus, dass § 33 Einkommensteuergesetz ?EStG- eine Belastung des Steuerpflichtigen auf Grund außergewöhnlicher und dem Grunde und der Höhe nach zwangsläufigen Aufwendungen voraussetze. An einer Belastung fehle es schon dann, wenn der Steuerpflichtige für die aufgewandten Kosten einen Gegenwert erhalte. In dem Fall handele es sich um eine bloße Umschichtung von Vermögenswerten, die den Steuerpflichtigen nicht außergewöhnlich belaste. Nach der Vereinbarung vom 3. Juli 2002 zwischen der Verbandsgemeinde R, den beteiligten Grundstückseigentümern und der Ortsgemeinde D habe sich der Kläger an den Kosten beteiligt, die im Zusammenhang mit der Sicherung des Hanges unterhalb der ...-Burg in D nach dem 25. März 2001 entstanden seien. Aus dem Gutachten vom 2. Juli 2001 gehe hervor, dass der von dem Kläger durchgeführte Garagenbau mitursächlich für die Erforderlichkeit dieser Sicherungsmaßnahmen gewesen sei. Nach Auffassung des Beklagten dienten die geltend gemachten Aufwendungen der Verhinderung oder Minimierung künftiger Schäden. Sie ständen nicht in sachlichem Zusammenhang mit der Schadensbeseitigung und seien daher nach den allgemein geltenden einkommensteuerlichen Vorschriften zu beurteilen. Da bei selbstgenutzten Wohngebäuden, wie im vorliegenden Fall, diese Aufwendungen unter die nach § 12 EStG nicht abzugsfähigen Kosten der privaten Lebensführung fallen würden, könne es dahingestellt bleiben, ob die Aufwendungen dem Grund und Boden oder dem Gebäude zuzuordnen seien oder ob sie aufzuteilen seien. Der Kläger habe auch einen Gegenwert erhalten. Zwar lasse sich nicht genau berechnen oder voraussagen, in welcher Höhe die Aufwendungen bei der Kostenbeteiligung an den Hangsicherungsmaßnahmen sich bei der künftigen Veräußerung des Hauses in dem am Grundstücksmarkt zu erzielenden Verkaufspreis tatsächlich niederschlagen würden. Es sei jedoch als sicher anzusehen, dass sich ein von einem Hangrutsch bedrohtes Gebäude, wenn überhaupt, dann doch nur zu einem wesentlich geringeren Teil veräußern lasse, als ein vergleichbares Grundstück, bei dem diese Gefahr nicht bestehe. Ergänzend sei noch aufzuführen, dass es nicht mit dem Sinn und Zweck des § 33 EStG vereinbar sein könne, dass Aufwendungen (hier für die Hangsicherung), die von dem Steuerpflichtigen durch fehlerhaft ausgeführte Baumaßnahmen, wie sie im Gutachten des Geologischen Landesamtes beschrieben worden seien, mitverursacht worden seien, von der Allgemeinheit getragen würden. Es sei im Streitfall, zumindest teilweise, auch von der Beseitigung von Baumängeln auszugehen.

Die Parteien haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung ? FGO - ).

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Der Beklagte hat zu Unrecht die Aufwendungen für die Hangsicherungsmaßnahmen nicht als außergewöhnliche Belastungen anerkannt.

Nach § 33 Abs. 1 EStG kann die Einkommensteuer ermäßigt werden, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie gleichen Familienstandes erwachsen. Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.

Die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen für die Hangsicherungsmaßnahmen in Höhe von 24.542,03 ? zzgl. der Anwaltsgebühren in Höhe von 3.782,54 ? erfüllen diese Voraussetzungen. Entgegen der Auffassung des Beklagten handelt es sich nicht um vor-beugende Schutzmaßnahmen, sondern um Schadensbeseitigung. Wie aus der ordnungsbehördlichen Verfügung vom 5. April 2001 der Verbandsgemeindeverwaltung R hervorgeht, durften die Bewohner und Besucher des Anwesens D, H-Straße ... (die Hauptstraße wurde vor ca. 25 Jahren in G-Straße umbenannt) ab sofort das Gebäude und die freie Fläche nicht mehr betreten. Die Familie des Klägers konnte ihr Haus deshalb nicht mehr bewohnen und hat für ca. 3 Wochen bei Frau J in der ...-Straße eine freie Wohnung bezogen. Es war somit bereits ein Schaden eingetreten und die Hangsanierung diente dazu, das Grundstück des Klägers wieder nutzbar zu machen. Hierin besteht ein unmittelbarer Zusammenhang mit der Schadensbeseitigung, so dass nicht von einer vor-beugenden Maßnahme gesprochen werden kann. Diese Arbeiten wurden auch als Maßnahme nach dem Polizei- und Ordnungsbehördengesetz durchgeführt.

Die Aufwendungen zur Schadensbeseitigung waren für den Kläger außergewöhnlich, da die überwiegende Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Vermögensverhältnisse solche Kosten nicht zu tragen haben. Die Aufwendungen waren zwangsläufig, weil sie auf einem Ereignis beruhten, das der Kläger nicht selbst willentlich herbeigeführt hat und dem er sich auch aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen konnte. Die Aufwendungen waren notwendig, um das Haus wieder bewohnen zu können und in einen normalen Wohnverhältnissen entsprechenden Zustand zu versetzen.

Der Senat sieht sich damit auf der Linie einer ganzen Reihe von Verwaltungsanweisungen, die im Hinblick auf Beseitigung von Schäden an selbstgenutzten Häusern und Wohnungen nach größeren Naturkatastrophen die steuerliche Berücksichtigungsfähigkeit angeordnet haben und zwar z.T. unmittelbar unter Berufung auf § 33 EStG (vgl. Bl. 50 f. ESt-Akten). Entgegen der Auffassung des Beklagten kann auch die Berücksichtigung nicht deshalb versagt bleiben, weil der Garagenbau des Klägers in 1991 eine Mitursache für den Hangrutsch gesetzt hat. Wie aus dem Gutachten des Geologischen Landesamtes vom 2. Juli 2001 hervorgeht, ist für die Garage eine Baugenehmigung erteilt worden. Nach dem Gutachten ist zu untersuchen, ob die zuständige Behörde (Kreisverwaltung K) durch diese Genehmigung eines nach Auffassung des Geologischen Landesamtes in dieser Form nicht genehmigungsfähigen Bauvorhabens ihrem Auftrag gerecht geworden ist. Da dem Kläger für den Bau der Garage eine Baugenehmigung erteilt worden ist und er entsprechend dieser Genehmigung gebaut hat, kann ihm kein Verschulden vorgeworfen werden.

Der Berücksichtigung der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen steht der Gegenwertgedanke nicht entgegen. Rechtsprechung und Verwaltungspraxis machen seit langem von der Anwendung des Gegenwertgedankens bei Aufwendungen zur Schadensbeseitigung bzw. Wiederbeschaffung Ausnahmen, wenn lebensnotwendige Gegenstände (Hausrat, Kleidung) auf Grund eines unabwendbaren Ereignisses verloren gegangen sind. Außerdem kann nicht vernachlässigt werden, dass es sich bei der Schadensbeseitigung bzw. Neuanschaffung nicht nur um eine Vermögensumschichtung handelt, sondern auch um den Ausgleich eines endgültigen Verlustes (hier: Wertverlust des Hauses durch Unbewohnbarkeit). So gesehen entsteht durch die Schadensbeseitigung ein verlorener Aufwand, der im Zusammenhang mit der Gegenwerttheorie einfach nicht vernachlässigt werden darf (BFH-Urteil vom 6. Mai 1994 III R 27/92, BStBl II 1995, 104).

Weiterhin ist in Betracht zu beziehen, dass der Kläger in seinem eigenen Haus wohnt, der Schaden ihm in dieser Form also nicht entstanden wäre, wenn er das Haus gemietet hätte oder es seinerseits vermietet hätte; im letzteren Fall würde es sich um berücksichtigungsfähige Werbungskosten handeln.

Verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht es, im Rahmen des Existenzminimums auch den Mindestbedarf des Einzelnen für das Wohnen als durch den einkommenssteuerlichen Grundfreibetrag gewährleistet anzusehen. Grundsätzlich sind zwar Aufwendungen für das Wohnen im eigenen Haus steuerrechtlich irrelevant. Dies schließt jedoch nicht ausnahmslos die Berücksichtigung von Schäden als außergewöhnliche Belastung aus. Bei außer-gewöhnlichen Schäden, insbesondere solchen, gegen die es keine übliche Versicherungsmöglichkeiten gibt, ist vielmehr weiter zu fragen, ob es übergeordnete steuer- oder verfassungsrechtliche Wertungen rechtfertigen, den eingetretenen Schaden steuerlich zu beseitigen. Notwendige Aufwendungen zur Wiederherstellung der Bewohnbarkeit des selbstgenutzten Einfamilienhauses nach Eintritt eines außergewöhnlichen Schadensereignisses sind nicht von der Anwendung des § 33 EStG ausgeschlossen, wie sich aus den oben erwähnten Verwaltungsanweisungen ergibt.

Da es zur Vermeidung dieses Schadens keine Versicherungsmöglichkeiten gibt, sind die dem Kläger entstandenen Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 1 und 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung: XXX

RechtsgebietEStGVorschriften§ 33 EStG

Sprechen Sie uns an!

Kundenservice
Max-Planck-Str. 7/9
97082 Würzburg
Tel. 0931 4170-472
kontakt@iww.de

Garantierte Erreichbarkeit

Montag - Donnerstag: 8 - 17 Uhr
Freitag: 8 - 16 Uhr