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18.08.2005 · IWW-Abrufnummer 051804

Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 22.02.2005 – 1 K 396/02

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


In dem Finanzrechtsstreit

1. .....

2. .....

- Kläger -

prozessbevollmächtigt:
.....

gegen

Finanzamt ...

- Beklagter -

wegen Ablehnung des Antrags auf Änderung des Einkommensteuerbescheids 2001 nach § 165 Abs. 2 AO

hat der 1. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg ohne mündliche Verhandlung am 22. Februar 2005 durch den

Vorsitzenden Richter am Finanzgericht ...
die Richter am Finanzgericht...
wie die ehrenamtlichen Richter

für Recht erkannt.

1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 10. September 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. Oktober 2002 verpflichtet, den Einkommensteuerbescheid vom 11. Juli 2002 so abzuändern, dass die festgesetzte Einkommensteuer für das Jahr 2001 um 1317,- ? vermindert wird.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger (Kl.) sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie bezogen im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, wobei der Arbeitslohn der Kl. zu 2 ? anders als der des als Gesellschafter-Geschäftsführer tätigen Kl. zu 1 ? der Sozialversicherungspflicht unterlag. Der Kl. zu 1 hat im streitgegenständliche Zeitraum unstreitig keine steuerfreien Zukunftssicherungsleistungen seines Arbeitgebers erhalten.

In ihrer Einkommensteuererklärung machten die Kl. Vorsorgeaufwendungen einschließlich des Arbeitnehmeranteils in Höhe von insgesamt 23.238,- DM geltend. Der Beklagte (Bekl.) berücksichtigte mit Einkommensteuerbescheid vom 11. Juli 2002 hiervon lediglich 7.830, - DM als Sonderausgaben. In den Erläuterungen hierzu heißt es, dass der Vorwegabzug für die Vorsorgeaufwendungen gekürzt worden sei, weil nicht der gesamte Arbeitslohn beider Ehegatten die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG erfüllt habe. Der Bescheid sei im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden bzw. andere gerichtliche Verfahren vorläufig hinsichtlich der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG).

Mit am 04. September 2002 beim Bekl. eingegangenem Schreiben beantragten die Kl. die Änderung des Einkommensteuerbescheids vom 11. Juli. 2002 nach § 165 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO). Bei der Steuerfestsetzung sei in die Kürzung des Vorwegabzugs auch der Bruttoarbeitslohn des nicht sozialversicherungspflichtigen Kl. zu 1 aufgenommen worden. Die entsprechende Regelung in Abschnitt 106 der Einkommensteuerrichtlinien (EStR) 2001 sei durch § 10 Abs. 3 EStG nicht gedeckt. Nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG sei eine Kürzung nur vorzunehmen, wenn für die Zukunftssicherung des Steuerpflichtigen Leistungen im Sinne des § 3 Nr. 62 EStG erbracht würden. Eine Übertragung auf beide Ehegatten sei hieraus nicht abzuleiten.

Der Bekl. lehnte eine Abänderung des Einkommensteuerbescheids mit Bescheid vom 10. September 2002 ab. Bei zusammen veranlagten Ehegatten sei auch dann die Kürzung des Vorwegabzugs vom zusammengerechneten vollen Arbeitslohn beider Ehegatten vorzunehmen, wenn nur für einen Ehegatten die Voraussetzungen der Kürzung des Vorwegabzugs vorlägen. Die betroffenen Fälle würden nicht vom allgemeinen Vorläufigkeitsvermerk in den Einkommensteuerbescheiden ?Beschränkte Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen (§ 10 Abs. 3 EStG)? (siehe das BMF ?Schreiben vom 29. Juni 2001 BStBl 2001 I S. 414) erfasst, weil es sich nicht um eine verfassungsrechtliche Frage handle. Da der Bescheid mit Ablauf des 14. August 2002 in Bestandskraft erwachsen sei, könne eine Änderung nicht mehr erfolgen.

Die Kl. erhoben hiergegen am Montag, den 14. Oktober 2002 Einspruch, den sie damit begründeten, dass sich die im Bescheid ausgewiesene Vorläufigkeit auch auf die Höchstbetragsberechnung bei den Vorsorgeaufwendungen beziehe. Darunter falle auch die gesetzlich nicht geänderte und nicht ersichtliche Beschränkung des Vorwegabzugs, wenn nur ein Ehegatte sozialversicherungspflichtig sei.

Mit Einspruchsentscheidung vom 30. Oktober 2002 hat der Bekl. den Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Eine Änderung des Einkommensteuerbescheids 2001 sei aus formalen Gründen nicht möglich. Hintergrund der geänderten EStR 2001 Abschnitt 106 Satz 3 sei Nr. 2 der Entscheidungsgründe des Urteils des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 04. März 1998 (Sammlung der Entscheidungen des BFR ?BFH/NV- 1998, 1466). Der BFH habe diese Rechtsprechung mit Beschluss vom 21. Dezember 2000 (BFH/NV 2001, 773) bestätigt, gegen den Verfassungsbeschwerde eingelegt sei. Betroffene Einsprüche ruhten deshalb nach § 363 Abs. 2 AO. Die betroffenen Fälle seien jedoch vom allgemeinen Vorläufigkeitsvermerk in den Einkommensteuerbescheiden nicht erfasst, weil es sich nicht um eine verfassungsrechtliche Frage handle.

Die Kläger beantragen mit ihrer am 02. Dezember 2002 beim Finanzgericht eingegangenen Klage sinngemäß,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 10. September 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. Oktober 2002 zu verpflichten, den Einkommensteuerbescheid vom 11. Juli 2002 so abzuändern, dass die festgesetzte Einkommensteuer für das Jahr 2001 um 1317,- ? vermindert wird.

Die Klage wurde mit am 14. April 2003 beim Finanzgericht eingegangenem Schriftsatz begründet, in dem der Vortrag im Verwaltungsverfahren im Wesentlichen wiederholt und vertieft wird. Ergänzend tragen die Kl. mit Schriftsatz vom 19 Januar 2005 vor, dass der Bekl. sich in seinen Ausführungen vom 27. Dezember 2004 und vom 25. Juni 2003 zum Umfang des Vorläufigkeitsvermerks widerspreche. Es könne doch nicht angehen, dass einmal die strittige Frage des Vorwegabzugs im Vorläufigkeitsvermerk enthalten sein solle und dann wieder nicht. Nach einem in Kopie vorliegenden Vermerk einer ESt-Dienstbesprechung sei auf Bundesebene entschieden worden, dass der Vorläufigkeitsvermerk die Frage der Zusammenrechnung des Arbeitslohns von Ehegatten doch umfasse. Unabhängig davon, dass nach allgemeinem Verständnis durch den Verweis auf § 10 Abs. 3 EStG im Vorläufigkeitsvermerk auch die strittige Frage des Vorwegabzugs erfasst sein müsse, könnten die missverständlichen Äußerungen des Bekl. nicht zum Nachteil der Kl. ausgelegt werden. Auf mündliche Verhandlung werde verzichtet.

Der Bekl. beantragt mit Schriftsatz vom 25.Juni 2003,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Ergänzend führte er zunächst aus, dass zwischenzeitlich auf Bundesebene entschieden worden sei, dass der maschinelle Vorläufigkeitsvermerk bezüglich beschränkter Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen die Frage der Zusammenrechnung des Arbeitslohnes von Ehegatten beim Vorwegabzug doch umfasse. Mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2004 hat der Bekl. seine zunächst in einem Telefonat mit dem Berichterstatter am 09. Dezember 2004 geäußerte Auffassung, wonach man nunmehr wiederum zu der Auffassung gekommen sei, dass der Vorläufigkeitsvermerk die hier einschlägige Frage nicht umfasse, unter Verweis auf die Verfügung der Oberfinanzdirektion (OFD) Karlsruhe vom 28. September 2004 (S 2221 A ? St 311) bekräftigt. Der Vorläufigkeitsvermerk umfasse danach nur die Frage, ob § 10 Abs. 3 EStG (in der von der Finanzverwaltung vorgenommenen Auslegung) gegen das Grundgesetz verstoße. Er eröffne keine Änderungsmöglichkeit wegen einfachgesetzlicher Fragen. Die OFD verweise hierzu auf das Urteil des BFH vom 26. Februar 2004 (-XI R 50/03- BFH/NV 2004, 1064), wonach die mit einem solchen Vorläufigkeitsvermerk versehene Steuerfestsetzung nicht hinsichtlich jeder im Rahmen des § 10 Abs. 3 EStG streitig gewordenen Rechtsfrage vorläufig sei, sondern sich die Vorläufigkeit allein auf die Verfassungsmäßigkeit der Norm des § 10 Abs. 3 EStG beziehe. Auf mündliche Verhandlung werde verzichtet.

Wegen der weitern Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie die dem Gericht vorliegenden Behördenakten (1 Heft Einkommensteuerakten und ein Heft Rechtsbehelfsakten) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten nach § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.

Die bei sachdienlicher Auslegung als auf die Verpflichtung des Bekl. zur antragsgemäßen Änderung des Einkommensteuerbescheids 2001 gerichtet anzusehende Klage (vgl. zur Statthaftigkeit der Verpflichtungsklage bei Versagung der beim Finanzamt beantragten Änderung eines Steuerbescheids BFH, Urt. v. 06. März 1990 ? VIII R 28/84-, BStBl. II 1999, 558 sowie Urt. v. 17. Februar 1999 ? II R 65/97 ? BStBl. II 1999, 476 und vorhergehend FG Bremen, Urt. v. 26. Juni 1997 ? 3 97 008 K 1-, EFG 1997 1402 sowie Cöster in Pahlke/Koenig, AO, 5 Aufl. 2004, § 165 Rn. 71) ist zulässig und begründet.

Einer vollen sachlich-rechtlichen Nachprüfung des Klagebegehrens steht nicht entgegen, dass die Kl. erst am Montag den 14. Oktober 2002, gegen den eine Änderung des Einkommensteuerbescheids ablehnenden Bescheid vom 10. September 2002 Einspruch erhoben haben (vgl. BFH, Urt. v. 24. Juli 1984 ? VII R 122/80-, BStBl. II 1984, 791). Denn die Einspruchsfrist endete nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 108 Abs. 3 AO erst mit Ablauf des vorgenannten Tages (vgl. BFH, Urt. v. 14. Oktober 2003 ?IX R 68/98-, BStBl. II 2003, 898).

Die Ablehnung der Änderung des Einkommensteuerbescheids ist rechtswidrig und verletzt die Kl. in ihren Rechten (vgl. § 101 Satz 1 FGO). Nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde eine vorläufige Steuerfestsetzung aufheben oder ändern, soweit eine Steuervorläufig festgesetzt worden ist. Nach Satz 2 dieser Vorschrift ist eine Steuerfestsetzung aufzuheben, zu ändern oder für endgültig zu erklären, wenn die Ungewissheit beseitigt ist. Danach haben die Kläger Anspruch auf die beantragte Änderung des Einkommensteuerbescheids vom 11. Juli 2002.

Entgegen der nunmehr vom Bekl. vertretenen Auffassung ergibt eine Auslegung des Vorläufigkeitsvermerks, dass hier eine vorläufige Steuerfestsetzung auch hinsichtlich der Frage vorliegt, ob bei zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Ehegatten der Kürzung des Vorwegabzugs auch der Arbeitslohn des Ehegatten zugrunde zu legen ist, bei dem die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG nicht vorliegen. Diese Frage stand bei Erlass des Einkommensteuerbescheids in einem die Einbeziehung in den Vorläufigkeitsvermerk rechtfertigenden Zusammenhang mit der Frage, ob eine Kürzung des Vorwegabzugs nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG mit dem Grundgesetz vereinbar ist, weil die mögliche Feststellung der Nichtigkeit oder Unvereinbarkeit dieser Vorschrift mit dem Grundgesetz durch das Bundesverfassungsgericht eine Kürzung des Vorwegabzugs im vorliegenden Fall unabhängig von einfach-rechtlichen Überlegungen ausschließen kann und nach der damaligen Rechtsprechung des BFH (vgl. dessen Beschl. v. 21 Dezember 2000 ? Xl B 75/99 ? BFH/NV 2001, 773) der Ehegatten bei Zusammenveranlagung zustehende Vorwegabzug auch dann in vollem Umfang zu kürzen war, wenn nur der Arbeitgeber eines Ehegatten Zukunftssicherungsleistungen i. S. d. § 3 Nr. EStG erbrachte.

Nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO kann eine Steuer auch dann vorläufig festgesetzt werden, wenn die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigen Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, dem Bundesverfassungsgericht oder einem obersten Bundesgericht ist.

Die Vorläufigkeit muss in einem sachlichen Zusammenhang mit der Ungewissheit über die Rechtsgültigkeit der anzuwendenden Norm stehen. Bei der Anwendung des § 165 AO hat die Finanzbehörde insoweit grundsätzlich einen Ermessenspielraum, als sie die Steuer vorläufig festsetzen kann. Sie kann daher die Vorläufigkeit auf alle Steuern ausdehnen, die noch in einem Zusammenhang mit der Ungewissheit stehen. Für den Vorläufigkeitsvermerk gilt gleicher Weise wie für den Verwaltungsakt selbst, dass er mit dem Inhalt wirksam wird, mit dem er bekannt gegeben wird (§ 124 Abs. 1 Satz 2 AO) § 165 Abs. 1 Satz 2 AO verlangt, dass Umfang und Grund der Vorläufigkeit für den Steuerpflichtigen ausreichend erkennbar gemacht werden. Dabei ist es im Regelfall unerheblich, wenn sich der Vorläufigkeitsvermerk unmittelbar auf eine Besteuerungsgrundlage und nicht wie in § 165 Abs. 1 AO vorgesehen, auf die festzusetzende Steuer bezieht. Es reicht deshalb aus, wenn durch den Vermerk jedenfalls mittelbar auch der Rahmen abgesteckt ist, innerhalb dessen die Steuerfestsetzung abänderbar sein soll. Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts ist erforderlichenfalls im Wege der Auslegung zu ermitteln. Entscheidend ist, wie der Adressat selbst nach den ihm bekannten Umständen ?seinem ?objektiven Empfängerhorizont? den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (vgl. § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) verstehen konnte. Weil der Verwaltungsakt mit dem bekannt gegebenen Inhalt wirksam wird, muss die Auslegung zumindest einen Anhalt in der bekannt gegeben Regelung haben. Im Zweifel ist das den Betroffenen weniger belastende Auslegungsergebnis vorzuziehen, da er als Empfänger einer auslegungsbedürftigen Willenserklärung der Verwaltung durch etwaige Unklarheiten aus ihrer Sphäre nicht benachteiligt werden darf. Nach diesen Grundsätzen ist auch ein Vorläufigkeitsvermerk auszulegen. Sein Inhalt kann im Wege der Auslegung aus seiner Begründung oder aus anderen Umständen ermittelt werden. Steht der Umfang der Vorläufigkeit ? gegebenenfalls aufgrund einer Auslegung der dem Bescheid beigefügten Nebenbestimmung ? fest, ist eine sachlich weitergehende Durchbrechung der Bestandskraft des Steuerbescheids hinsichtlich solcher Besteuerungsgrundlagen abzulehnen, die einem anderen Besteuerungsmerkmal zuzuordnen sind, das keinen sachlichen Bezug zum Gegenstand der Ungewissheit hat. In dieser Hinsicht erschließt sich der Umfang der Vorläufigkeit zum einen aus dem materiellrechtlichen Gehalt des jeweils anzuwendenden Rechtssatzes, zum anderen aus den bei der verfahrensrechtlichen Bewältigung vom Ungewissheit zu beachtenden Sachzwängen, die für die Ausübung des bei Anwendung des § 165 AO vorgesehenen behördlichen Ermessens erheblich sein können (vgl. zu alledem BFH, Urt. v. 27. November 1996 ? X R 20/95 ? BStBl II 1997, 791 m. w. N.).

Der BFH hat in Anwendung dieser Grundsätze ausgeführt, dass die Vorläufigkeit einer Steuerfestsetzung ?im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden bzw. Revisionen... hinsichtlich ... der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen? gemäß § 165 Abs. 1 AO sich nicht auf die Frage erstrecke, ob der Steuerpflichtige zum Abzug von Sonderausgaben mit oder ohne Kürzung des Vorwegabzugs berechtigt sei (vgl. BFH, Urt. v. 27. November 1996 a. a. O.) und dies wie folgt begründet: Die genannte Nebenbestimmung beziehe sich nicht allgemein auf ?die beschränkt abziehbaren Vorsorgeaufwendungen?, sondern - gegenständlich enger ? auf deren beschränkte Abziehbarkeit. Damit sei erkennbar die verfassungsrechtliche Frage angesprochen, ob die betragsmäßige Beschränkung der steuerlichen Berücksichtigung existenznotwendiger Privataufwendungen verfassungsgemäß sei. Der Zusammenhang mit dieser Sachfrage werde verdeutlicht durch den ersten Satzteil des Vorläufigkeitsvermerks, in dem auf ? diese Rechtsfrage betreffende ? ?anhängige Verfassungsbeschwerden und Revisionen? verwiesen werde. Unerheblich sei, dass die Verfahren nicht im Einzelnen bezeichnet worden seien. Die Kürzung des Vorwegabzugs habe keinen sachlichen Bezug zur Frage der beschränkten Abziehbarkeit von Vorsorgeaufwendungen. Sie sei ? unabhängig davon, ob die derzeitige Beschränkung verfassungsgemäß sei oder nicht ? das rechtstechnische Instrument, mit dem insbesondere Arbeitnehmer und andere Personen, die im Zusammenhang mit ihrer Berufstätigkeit Anwartschaften auf eine Altersversorgung oder Leistungen im Krankheitsfalle erlangen, ohne eigene Beiträge zu leisten, mit selbständig Tätigen gleichgestellt werden, die ihre Beiträge zur Altersvorsorge in voller Höhe aus eigenen Mitteln aufbringen müssen. Der Vorwegabzug wirke sich zwar bestimmungsgemäß auf die Höhe der abziehbaren Sonderausgaben aus. Deren Gesamtbetrag werde indes im Vorläufigkeitsvermerk nicht angesprochen. Der Vorwegabzug sei auch nicht Gegenstand einer nachrangigen? Rechts- oder Tatfrage. Über die Anwendung des § 10 Abs. 3 EStG habe das Finanzamt ?unbedingt? und stets unabhängig davon zu befinden, ob die Beschränkung des Abzugs von Vorsorgeaufwendungen verfassungsgemäß sei. In einem Urteil vom 26. Februar 2004 (- Xl R 50/03-, BFH/NV 2004, 1064) hat der BFH außerdem ausgeführt, dass die zusätzliche Benennung des § 10 Abs. 3 EStG in dem dortigen Vorläufigkeitsvermerk rechtlich unerheblich sei. Diese erweitere ? aus der Sicht des Empfängers ? nicht den Umfang der Vorläufigkeit (vgl. § 165 Abs. 1 Satz 3 AO) über den in dem Urteil vom 27. November 1996 genannten Rahmen hinaus. Durch das Gesetzeszitat werde lediglich die Norm bezeichnet, deren Verfassungsmäßigkeit in anhängigen Verfahren höchstrichterlich geprüft werde. Dass die Steuerfestsetzung nicht hinsichtlich jedweder im Rahmen des § 10 Abs. 3 EStG streitig gewordenen Rechtsfrage vorläufig sei, verdeutliche auch der anschließende Zusatz, wonach die Vorläufigkeitserklärung nur aus verfahrenstechnischen Gründen erfolge und nicht dahin zu verstehen sei, dass die Regelung als verfassungswidrig angesehen werde. Damit werde objektiv hinreichend deutlich, dass Grund für die vorläufige Steuerfestsetzung die bestrittene Verfassungsmäßigkeit der zitierten Norm sei. Nur mit dieser inhaltlichen Beschränkung auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit decke sich die Vorläufigkeitserklärung mit ihrer Rechtsgrundlage (§ 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO). Eine vorläufige Festsetzung hinsichtlich ungeklärter Rechtsfragen des einfachen Rechts sehe § 165 Abs. 1 AO nicht vor. Die Rechtsfrage, ob bei einer Zusammenveranlagung auch der von einem Gesellschafter-Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung bezogene Arbeitslohn zur Kürzung des Vorwegabzugs führe, wenn dieser weder der gesetzlichen Sozialversicherung unterliege noch anderweitig Anwartschaftsrechte auf eine Pension erwerbe (§ 10c Abs. 3 Nr. 1 und 2 EStG) betreffe die Anwendung und Auslegung einfachen Rechts. Im Übrigen sei der Vorläufigkeitsvermerk nach seinem ausdrücklichen Wortlaut nur im Hinblick auf ?anhängige? Verfassungsbeschwerden bzw. andere gerichtliche Verfahren ergangen. Dieser umfasse dabei nicht zugleich jedwedes Verfahren, das nach Wirksamwerden der für vorläufig erklärten Steuerfestsetzung beim EuGH, dem BVerfG oder einem obersten Bundesgericht anhängig werde. Das Verfahren über die streitige, die Kürzung des Vorwegabzugs bei einem nicht sozialversicherungspflichtigen Gesellschafter-Geschäftsführer betreffende Rechtsfrage sei beim BFH erst im Jahr 2002 anhängig geworden.

Der Senat vertritt auch unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des BFH und der Identität des Wortlauts des Vorläufigkeitsvermerks mit dem Gegenstand des Urteils des BFH vom 26. Februar 2004 die Auffassung, dass jedenfalls aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles der Vorläufigkeitsvermerk die hier einschlägige Frage der Kürzung des Vorwegabzugs umfasst.

Der Vorläufigkeitsvermerk ist auslegungsfähig weil dessen Wortlaut im Hinblick auf die uneingeschränkte Zitierung des § 10 Abs. 3 EStG nicht so eindeutig ist, dass eine erweiternde Auslegung hierdurch ausgeschlossen ist. Auch der BFH geht in der vorgenanten Entscheidung, in der teilweise auf das Urteil vom 27. November 1996 (a. a. O.) und die dortigen Erwägungen zur Auslegung Bezug genommen wird, der Sache nach hiervon aus. Für die Auslegungsfähigkeit des Vorläufigkeitsvermerks spricht zudem, dass der Bekl. in der Klageerwiderung vom 25. Juni 2003 auf der Grundlage einer Entscheidung auf Bundesebene (vgl. hierzu Heinicke in Schmidt, EStG, 23. Aufl. 2004 § 10 Rn. 225 m. w. N. und die Schreiben des BMF vom 24. September 2003, BStBl I 2003, 414 sowie OFD Chemnitz vom 07. Oktober 2004, S2221-86/18-St22 und der OFD Nürnberg v. 21. Dezember 2001, S 0338 ? 81/St 24) selbst vorübergehend die Auffassung vertreten hat, dass der Vorläufigkeitsvermerk die hier einschlägige Frage umfasse.

Die im vorliegenden Fall bei der Auslegung zu berücksichtigen Besonderheiten rechtfertigen den Schluss, dass der Vorläufigkeitsvermerk hier auch die Frage umfasst, ob § 10 Abs. 3 Nr. 3 Satz 2 EStG verfassungsgemäß ist.

Anders als in den o. g. vom BFH entschiedenen Fällen war hier bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt des Wirksamwerdens der für vorläufig erklärten Steuerfestsetzung vom 11. Juli 2002 die Verfassungsbeschwerde mit dem Aktenzeichen 2 BvR 587/01 (eingegangen nach Angaben von Haufe Steuer Office Professional am 28. Mai 2001) anhängig, die unmittelbar gegen den Beschluss des BFH vom 21. Dezember 2000 (-XI B 75/99-, BFH/NV 2001, 773) gerichtet ist. Mit diesem Beschluss hat der BFH eine Nichtzulassungsbeschwerde mit der Begründung zurückgewiesen, die Rechtsfrage, ob der Ehegatten bei Zusammenveranlagung zustehende Vorwegabzug auch dann in vollem Umfang zu kürzen sei, wenn nur der Arbeitgeber eines Ehegatten Zukunftssicherungsleistungen i. S. d. § 3. Nr. 62 EStG erbringe, sei nicht (mehr) klärungsbedürftig. Da mit dieser Verfassungsbeschwerde (mittelbar) auch die der Entscheidung des BFH zugrunde liegende Norm des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG wegen Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG angegriffen wird, ist deren Gegenstand die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht i. S. d. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO. Die Voraussetzungen für einen diese Frage umfassende Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO lagen deshalb zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Einkommensteuerbescheids vor. Insbesondere handelt es sich insoweit entgegen der Auffassung des Bekl. nicht nur um eine die Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts betreffende Frage. An diesem Befund ändert auch der Umstand nichts, dass im Rahmen des o. g. Verfassungsbeschwerdeverfahren selbst bei einem Erfolg der Verfassungsbeschwerde weder eine Nichtigerklärung noch eine Unvereinbarkeitserklärung zwingend ist, sondern auch eine verfassungskonforme Auslegung ? wie sie der BFH in seinem Urteil vom 03. Dezember 2003 (- XI R 11/03 -, BStBl II 2004, 709) selbst vorgenommen hat ? in Betracht kommt. Für die Feststellung des Gegenstands eines Verfassungsbeschwerdeverfahren kann auch im Rahmen des § 165 AO nur auf das Vorbringen in der Verfassungsbeschwerde selbst abgestellt werden (vgl. Rüsken in Klein, AO 8. Aufl. 2003, § 165 Rn. 25). Eine Verfassungsbeschwerde setzt nach § 90 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) gerade voraus, dass eine Verletzung des Beschwerdeführers in seinen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten geltend gemacht wird. Nach § 90 Abs. 3 BVerfGG ist zudem bei einer stattgebenden Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde ein Gesetz auch dann für nichtig zu erklären, wenn die (unmittelbar) angegriffene Entscheidung hierauf beruht (und das Gesetz somit nur mittelbar angegriffen wird). Die Ansicht des Bekl., wonach Gegenstand des Verfassungsbeschwerdeverfahren die bloße Auslegung und Auslegung einfachen Rechts sei, kann auch nicht Erfolg auf das Urteil des BFH vom 26. Februar 2004 (a. a. O.) gestützt werden, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des dort angegriffenen Steuerbescheids weder die o. g. noch eine andere Verfassungsbeschwerde mit einem dieser vergleichbaren Streitgegenstand anhängig war. Vielmehr kann es in dem der zuletzt genannten Entscheidung des BFH zugrunde liegenden Verfahren lediglich darauf an, ob ein anderes beim BFH anhängiges Verfahren, in dem die Auslegung des § 10 Abs. 3 EStG hinsichtlich der Kürzung des Vorwegabzugs streitig war, von dem Vorläufigkeitsvermerk umfasst war. Gegenstand eines solchen Verfahrens ist ? anders als bei einer mittelbar gegen ein Gesetz gerichteten Verfassungsbeschwerde ? nicht notwendig die Frage der Vereinbarkeit der anzuwendenden Norm mit höherrangigem Recht (vgl. i. Ü. einerseits Traszalik in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 165 Rn. 19, wonach die Vereinbarkeit seines Steuergesetzes nur dann Verfahrensgegenstand ist, wenn das Gericht eine verbindliche Entscheidung hierüber treffen kann, so dass die Zuständigkeit des BFH i. R. dieser Vorschrift nur in Zusammenhang mit Rechtsverordnungen eine Rolle spielen könne, und andererseits BFH, Urt. v. 18. Dezember 2001 ? VIII R 27/96 -, BFH/NV 2002, 747 sowie Tipke in: Tipke/Kruse, AO, § 165 Rn. 13 und Rüsken, a. a. O., § 165 Rn. 24, wonach die Vereinbarkeit eines förmlichen Gesetzes mit dem Grundgesetz i. S. d. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO auch Gegenstand eines Verfahrens beim BFH und nicht nur beim (BVerfG sein kann).

Gerade auch im Hinblick darauf, dass in dem Einkommensteuerbescheid neben der Freistellung der Existenzminimums von Kindern allein die Kürzung des Vorwegabzugs nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG erläutert wird, lag es aus der Sicht der Empfänger vor diesem Hintergrund nahe, dass der Vorläufigkeitsvermerk auch diese Fragen umfasste zumal auch in dem BFH-Verfahren mit dem Aktenzeichen XI R 17/00, das offenbar Anlass für die Einfügung des Vorläufigkeitsvermerks durch die Finanzbehörden war, die Frage der Verfassungsmäßigkeit der sich aus § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG ergebenden Kürzung des Vorwegabzugs bei Ehegatten geprüft worden ist (vgl. die Beitrittsaufforderung an das BMF vom 23. Januar 2001, BStBl. II 2001, 346 und Ziff. II. 3. a) des Urteils v. 11 Dezember 2002, BStBl II 2003, 650). Daran ändert auch nichts, dass die Kl. ? weil § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG mit der Verfassungsbeschwerde nur mittelbar angegriffen war ? nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH Urt. v. 07. Februar 1992 ?III R 61/91 ? BStBl II 1992, 592) keinen Anspruch auf einen entsprechenden Vorläufigkeitsvermerk hatten, sondern das Finanzamt nach Ermessen hierüber entscheiden kann. Bestehen somit aus Empfängersicht begründete Zweifel am Umfang des Vorläufigkeitsvermerks, so ist dieser nach den obigen Grundsätzen so auszulegen, dass der den Steuerpflichtigen möglichst wenig belastet. Damit der Vorläufigkeitsvermerk so auszulegen, dass er die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 10 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 EStG umfasst. Der Bekl. konnte deshalb dem Änderungsantrag der Kl. die Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids nicht entgegenhalten.

Die Kl. haben nicht nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die die beantragte Änderung des Einkommensteuerbescheids nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO, sondern auf die Änderung selbst. Denn die durch das Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandene Ungewissheit ist trotz des Umstands, dass das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsbeschwerde noch nicht entschieden hat, inzwischen beseitigt worden, so sich der Anspruch aus § 165 Abs. 2 Satz 2 AO ergibt. Der BFH hat inzwischen mit Urteil vom 03. Dezember 2003 (-Xl R 11/03 ? , BStBl. II, 709) entschieden, dass schon aufgrund einer verfassungskonformen Auslegung des § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG bei einer Kürzung des zusammen veranlagten Ehegatten gemeinsam zustehenden Vorwegabzugs für Vorsorgeaufwendungen nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 EStG nur der Arbeitslohn des Ehegatten in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen ist, für den Zukunftssicherungsleistungen i. S. d. § 3 Nr. 62 EStG erbracht worden sind oder der zum Personenkreis des § 10c Abs. 3 Nr. 1 oder 2 EStG gehört. Danach hängt die Beurteilung der hier streitigen Fragen nicht mehr davon ab, ob § 10 Abs. 3 Nr. EStG verfassungsgemäß ist. Denn die Kl. haben in jedem Fall Anspruch auf die begehrte Einschränkung der Kürzung des Vorwegabzugs.

Vor diesem Hintergrund ist auch kein Raum für eine Aussetzung des Verfahrens entsprechend § 74 FGO.

Der Klage ist somit stattzugeben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision wird zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO hinsichtlich der Frage vorliegen, wie sich die Anhängigkeit einer Verfassungsbeschwerde auf die Auslegung des hier beurteilenden Vorläufigkeitsvermerks auswirkt.

RechtsgebietEinkommensteuerVorschriften§ 10 Abs. 3 EStG

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