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20.01.2005 · IWW-Abrufnummer 050156

Oberlandesgericht München: Urteil vom 07.12.2004 – 25 U 5029/02

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

Aktenzeichen: 25 U 5029/02

Verkündet am 07.12.2004

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

erläßt der 25. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Krapf und die Richter am Oberlandesgericht Fuchs und Bollmann aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23.11.2004 folgendes

Endurteil:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts München Il vom 01.10.2002 aufgehoben.

II. Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger Eure 2.770,82 nebst 13,5 % Zinsen aus Euro 1.753,91 seit 13.11.2001 und weitere 13,5 % Zinsen aus Euro 1.016,91 seit 11.12.2001 sowie Euro 5.11 vorgerichtliche Mahnauslagen zu bezahlen.

III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits, soweit nicht bereits über sie in dem am 16.09.2002 festgestellten Vergleich erkannt wurde.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

Der Kläger macht gegen die Beklagte Forderungen aus einem Krankenversicherungsvertrag geltend. Er verlangt teilweisen Ersatz des an einen Zahnarzt geleisteten Honorars, der ihn im Jahr 2001 als Privatpatient behandelt hat. Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch ein der Höhe nach unstreitiger Mehrbetrag, der durch eine besondere angewandte Technik bei der Füllung eines Loches im Seitenzahnbereich, entstanden ist. Im Übrigen wird wegen des dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Sachverhaltes gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Feststellungen des angefochtenen Endurteils des Landgerichts München I Bezug genommen. Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dem Zahnarzt des Klägers habe lediglich ein Honoraranspruch nach den GOZ-Ziffern 205, 207, 209 und 211 zugestanden, nicht aber gemäß § 6 Abs. 2 GOZ entsprechend der Ziffer 217, da die angewandte Technik keine selbständige zahnärztliche Leistung darstelle, die erst nach dem Inkrafttreten der GOZ auf Grund wissenschaftlicher Erkenntnisse entwickelt wurde. Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts München I vom 01.10.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn Eure 2.770.82 nebst 13.5 % Zinsen aus Euro 1.753,91 seit 13.11.2001 und weitere 13,5% Zinsen aus Euro 1.016,91 seit 11.12.2001 sowie Euro 5,11 vorgerichtliche Mahnauslagen zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das Ersturteil.

Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Parteien, die vorgelegten Unterlagen, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23.11.2004 und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen. Zu ergänzen ist, dass der Senat Beweis erhoben hat gemäß Beweisbeschluss vom 08.04.2003 durch Erholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. ... vom 25.03.2004 (Blatt 233/254 d. A.) verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

1. Der Kläger hat aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Krankenversicherungsvertrag Anspruch auf Erstattung des Mehrbetrages von 2.770,82 Euro aus den Rechnungen des Zahnarztes Dr. ... vom 05.10.2001 und vom 07.11.2001, der durch eine als "Dentinadhäsive mehrflächige Rekonstruktion analog 217" bezeichnete Leistung entstanden und der Höhe nach zwischen den Parteien unstreitig ist.

Die Beklagte ist der Ansicht, dem behandelnden Zahnarzt stünde das geltend gemachte Honorar nur in der anerkannten Höhe zu. Die genannte Behandlungsmethode dürfte nicht wie geschehen analog GOZ-Ziffer 217 abgerechnet werden. Die Leistungen seien vielmehr entsprechend GOZ-Ziffer 205, 207, 209 und 211 abzurechnen und durch Heranziehen dieser Ziffern abgegolten.

Diese Auffassung trifft nicht zu. Nach § 6 Abs. 2 der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) vom 22. Oktober 1987 (BGBl. I S. 2316) können selbständige zahnärztliche Leistungen, die erst nach dem Inkrafttreten dieser Gebührenordnung am 1. Januar 1988 (§ 12 GOZ) aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse entwickelt werden, entsprechend einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses für zahnärztliche Leistungen berechnet werden. Der Regelung des § 6 GOZ liegt die Absicht des Verordnungsgebers zugrunde, mit den Im Gebührenverzeichnis enthaltenen und nach § 6 Abs. 1 GOZ für abrechnungsfähig erklärten Leistungen das Spektrum der wissenschaftlich allgemein anerkannten zahnärztlichen Leistungen zum damaligen Zeitpunkt vollständig abzudecken. Dazu gehörten auch Leistungen, die bis dahin analog abgerechnet, aber nicht in das Gebührenverzeichnis aufgenommen wurden (vgl. BR-Drucks. 276/87, S. 71). Dementsprechend ist eine analoge Anwendung von Leistungen des Gebührenverzeichnisses nur für solche selbständigen zahnärztlichen Leistungen zulässig, die nach dem Inkrafttreten der Gebührenordnung zur Praxisreife gelangt sind (vgl. BGH NJW-RR 2003, 636 ff. m.w.N.). Der Senat sieht keinen Anlass von dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshöfe, wie von der Beklagten gefordert abzuweichen.

Zudem muss es sich um eine neue selbständige Leistung handeln. Es kann sich somit nicht um eine Leistung handeln, welche sich bereits ganz oder auch nur zum Teil in der GOZ wieder findet. Bei der Abgrenzung ist nicht auf das Ziel der Leistung abzustellen, da auch innerhalb der GOZ ein Behandlungsziel mit unterschiedlichen Leistungen erreicht werden kann (z. B. Ersatz eines fehlenden Zahnes durch Brücke oder Implantat). Entscheidend ist vielmehr, ob das Ziel durch eine neue Methode erreicht werden kann. Dabei muss es sich aber insgesamt um eine neue Art dar Leistungserbringung handeln, da ansonsten § 4 Abs. 2 GOZ entgegensteht, der verbietet, für Leistungen, die Bestandteil oder eine andere Ausführung einer anderen Leistung nach der GOZ sind, eine besondere Gebühr zu berechnen. Für Modifikationen bestehender bekannter Leistungen ist § 6 Abs. 2 GOZ nicht anwendbar.

Für die Frage, ob die hier in Rechnung gestellten Leistungen analog abgerechnet werden dürfen, kommt es somit nach der Rechtsprechung des BGH (a.a.O.) entscheidend darauf an, ob selbständige zahnärztliche Leistungen vorliegen, die erst nach dem 1. Januar 1988 zur Praxisreife entwickelt worden sind. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.

a) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erfolgte die Entwicklung der Dentinadhäsive erst in den 90er Jahren für Praxisreife wobei die erweiterten Indikationsmöglichkeiten mit direkten mehrschichtigen Restaurationen bei der Entwicklung des heute geltenden Leistungskataloges (GOZ 1987/88) nicht entsprechend berücksichtigt werden konnten.

Zwar wird in der Stellungnahme des Bundesministeriums für Gesundheit vom 05.08.1996 zum Ausdruck gebracht, dass Kompositfüllungstherapie wie auch Adhäsivtechnik (Schmelzbonding) bei Erlass der GOZ bekannt waren. Diese darf nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. ... nicht mit den erst in den 90er Jahren zur Praxisreife entwickelten und heute empfohlenen Dentinadhäsiven verwechselt werden. Die essentiellen wissenschaftlichen Arbeiten zum Dentinverbund und zur Entwicklung der Praxisreife wurden erst nach Erlass der GOZ durchgeführt. Wissenschaftlich abgesicherte, brauchbare Materialien lagen erst mit der dritten Generation von Adhäsiven nach Erlass der GOZ vor. Daneben kamen im Seitenzahnbereich wegen der hohen Kaubelastung (und meist größeren Defekten) weitere essentielle Probleme bei den Materialien hinzu, wie ausreichende Frakturfestigkeit und Abrasionsfestigkeit etc., die bei Erlass der GOZ klinisch nicht geklärt waren und somit nicht in Betracht gezogen werden konnten. So durften Kompositfüllungen noch Anfang 1990er Jahre im Seitenzahnbereich nicht verwendet werden, weil sie als nicht praxisreif (wissenschaftlich anerkannt und erprobt) eingestuft wurden.

b) Die Technik der multiadhäsiven (dentinadhäsiven) Kompositrestauration beinhaltet nicht nur die Neuentwicklung von Dentinadhäsiven, sondern auch von geeigneten Kompositkunststoffen sowie aufwendigen, techniksensitiven Verfahrenstechniken, die vom Zahnarzt auch neu erlernt werden mussten. Nachdem aufgrund der zahlreichen und essentiellen Entwicklungen der multiadhäsiven Kompositrestauration im letzten Jahrzehnt, die wesentlich umfangreicher als in vielen Jahrzehnten, ja gesamten Geschichte der restaurativen Zahnmedizin zuvor waren, hat der Gutachter ebenso wie die anderen Hochschullehrer für Zahnerhaltung dies als Neuentwicklung eingestuft. Dem schließt sich der Senat an. Die nunmehr klinisch erfolgreich geprüfte Methode bringt nach den gut nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen dem Patienten bei geringstmöglicher invasiver Behandlung den meisten Nutzen. Die multiadhäsive (dentinadhäsive) Kompostitrestauration kann diese minimal-invasiven, substanzschonenden medizinischen Ansprüche in vielen Fällen besser erfüllen als indirekte Restauration (Inlays).

c) Nachdem die Voraussetzungen für eine analoge Abrechnung nach § 6 Abs. 2 GOZ gegeben sind, war zu prüfen, ob die vom Kläger herangezogene Leistung (Gebührennummer 217) nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertig ist. Nach der Rechtsprechung das Bundesgerichtshofs (BGH a.a.O.) ist bei der nach § 8 Abs. 2 GOZ vorzunehmenden Würdigung gleichrangig zur Art der Leistung der Kosten- und Zeitaufwand zu berücksichtigen, da es bei der Analogberechnung darum geht, den Zahnarzt für eine nicht in das Gebührenverzeichnis aufgenommene Leistung leistungsgerecht zu honorieren.

Der Sachverständige hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass eine bestmögliche, minimal-invasive substanzschonende Versorgung in der täglichen Praxis nur dann weit verbreitet umgesetzt werden wird, wenn das Verfahren auch adäquat honoriert wird. Im Falle einer Ablehnung bestünde die Gefahr, dass aufgrund unzureichender Honorierung die weniger invasive. substanzschonende Direktmethode seltener praktiziert wird und nach wie vor wesentlich häufiger invasivere und noch teurere indirekte Restaurationen (z. B. Kronen etc.) zum Einsatz kommen.

Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, die sich der Senat zu eigen macht, sind der Aufwand und das Verfahren den adhäsiven (direkten) Inlays sehr ähnlich, so dass eine analoge Abrechnung nach Inlaypositionen GOZ 215-217 als gerechtfertigt angesehen werden muss, ebenso eine analoge Abrechnung nach GOZ 214.

2. Die geltend gemachten Nebenforderungen sind nicht umstritten.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Zulassung der Revision ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

RechtsgebieteZPO, GOZVorschriftenZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1 GOZ § 4 Abs. 2 GOZ § 6 GOZ § 6 Abs. 1 GOZ § 6 Abs. 2 GOZ § 8 Abs. 2

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