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07.02.2012

Landesarbeitsgericht Düsseldorf: Urteil vom 08.11.2011 – 17 Sa 312/11

1. Das Konsultationsverfahren kann mit der Anhörung zur Kündigung nach § 102 BetrVG verbunden werden. Für den Betriebsrat muss aber erkennbar sein, in welchem Beteiligungsverfahren sich die Betriebspartner befinden, um die ihm nach den jeweiligen Gesetzen zugewiesenen Aufgaben wahrnehmen zu können. 2. Die nicht ordnungsgemäße Durchführung des Konsultationsverfahrens nach § 17 Abs. 3 Satz 2, 3 KSchG hat ebenso wie die nicht ordnungsgemäße Anzeige der Massenentlassung die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge. Unerheblich ist, dass die Agentur für Arbeit die angezeigte Massenentlassung nicht beanstandet hat (ebenso LAG Düsseldorf 10.11.2010 - 12 Sa 1321/10 - m.w.N. Revision eingelegt unter dem Aktenzeichen - 6 AZR 780/10 -).


Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts

Wuppertal vom 11.01.2011 - 7 Ca 2697/10 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte zu 3/5 und der

Kläger zu 2/5.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

Der am 09.12.1952 geborene, geschiedene Kläger war seit dem 01.03.2000 bei der Firma L. & O. GmbH & Co. KG in I. X. Straße 6 zu einem Bruttomonatsgehalt von 2.047,00 € als Maschinenarbeiter beschäftigt. Zum 06.11.2009 übernahm die Beklagte, damals in Gründung, den Betrieb der Firma L. & O. GmbH & Co. KG. Mit Schreiben vom 06.11.2009 teilte der Insolvenzverwalter der Firma L. & O. GmbH & Co. KG den Arbeitnehmern mit, dass sämtliche Arbeitsverhältnisse auf die Beklagte gemäß § 613 a BGB übergehen. Bei der Beklagten, bei der zuletzt 38 Arbeitnehmer beschäftigt waren, besteht ein Betriebsrat.

Mit Schreiben vom 20.08.2010 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 31.12.2010, nachdem sie zuvor eine Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit erstattet hatte.

Mit der am 09.09.2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage wandte sich der Kläger gegen die Kündigung und machte einen Weiterbeschäftigungsanspruch geltend.

Der Kläger hat vorgetragen, dass der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört worden sei. Er bestreitet die Ordnungsgemäßheit der Massenentlassungsanzeige, insbesondere, dass der Anzeige eine Stellungnahme des Betriebsrats beigefügt worden ist und der Betriebsrat zwei Wochen vor der Anzeige informiert worden ist.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 20.08.2010 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte zu verurteilen, den Kläger für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. zu den im Arbeitsvertrag vom 29.11.2000 geregelten Arbeitsbedingungen als Maschinenarbeiter bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag zu 1. weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, dass beabsichtigt gewesen sei, den übernommenen Betrieb nach I. zu verlegen, da der Mietvertrag in den Räumlichkeiten in I. bis zum 30.09.2010 befristet gewesen sei. Nachdem sie ihren einzigen Auftraggeber verloren habe, sei es nicht mehr zu der Betriebsverlagerung gekommen und sie habe allen Arbeitnehmern kündigen müssen, soweit nicht bereits Eigenkündigungen der Mitarbeiter vorgelegen hätten. Insofern habe es keiner Sozialauswahl bedurft. Die Produktion sei eingestellt und die Mitarbeiter mit Schreiben vom 16.08.2010 freigestellt worden. Das Anlagevermögen sei verkauft worden. Die Gesellschafter der Beklagten hätten am 27.08.2010 den Beschluss gefasst, die Gesellschaft zu liquidieren. Seitdem werde das Unternehmen abgewickelt. Die Produktion sei eingestellt worden, die Räumlichkeiten geräumt an die Zwangsverwaltung zurückgegeben worden. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß informiert und zur Kündigung angehört worden.

Mit Urteil vom 11.01.2011 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, dass die Kündigung unwirksam sei, weil die Massenentlassungsanzeige nicht den gesetzlichen Anforderungen entspreche. Der Arbeitgeber habe den Betriebsrat § 17 Abs. 2 KSchG rechtzeitig schriftlich zu unterrichten und ihm die Möglichkeit zu geben, zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern. Der Massenentlassungsanzeige sei eine Stellungnahme des Betriebsrats zu den Entlassungen beizufügen. Sei keine Stellungnahme beigefügt, müsse der Arbeitgeber glaubhaft machen, dass der Betriebsrat zwei Wochen vor der Anzeigenerstattung ordnungsgemäß unterrichtet worden sei. Es handele sich um eine Mussvorschrift. Dies ergebe sich aus dem Gesetzeswortlaut und dem Rückschluss aus § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG. Dass der Anzeige eine Stellungnahme des Betriebsrats beigefügt gewesen sei, habe die Beklagte nicht ausreichend vorgetragen. Sie sei nicht vorgelegt worden. Die im Rahmen des § 102 BetrVG eingeholte Stellungnahme des Betriebsrats könne die Stellungnahme nach § 17 Abs. 3 KSchG nicht ersetzen. Die Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige habe die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge. Die Zustimmung der Agentur für Arbeit zur Kündigung und die fehlende Rüge der Betriebsratsbeteiligung stehe dem nicht entgegen. Aufgrund der Unwirksamkeit der Kündigung könne der Kläger auch die Weiterbeschäftigung für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses verlangen.

Gegen das der Beklagten am 09.02.2011 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte mit dem am 08.03.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangen Schriftsatz Berufung eingelegt. Mit gerichtlichem Schreiben vom 27.04.2010, das der Beklagten ausweislich des Empfangsbekenntnisses an 02.05.2010 zugestellt wurde, wurde die Beklagte darüber informiert, dass die Berufung nicht fristgerecht begründet wurde. Mit dem am 16.05.2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Beklagte die Berufung begründet und darin gleichzeitig die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Im Kammertermin vom 08.11.2011 hat der Kläger den Weiterbeschäftigungsantrag mit Zustimmung der Beklagten zurückgenommen.

Der Beklagtenvertreter behauptet, dass er erst durch das gerichtliche Schreiben vom 27.04.2011 von der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Kenntnis erlangt habe. Die Verspätung sei unverschuldet. Er habe am 09.02.2011 auf der Rückseite des Urteils in roter Schrift die Verfügung vermerkt, "1. Berufungsfrist notieren, 2. B-Begr.frist notieren, 3. Vorfrist jeweils eine Woche, 4. Wv zur Vorfrist". Die Bürovorsteherin bearbeite sodann aufgrund der Arbeitsanweisung den Ordner dergestalt, dass die Fristen berechnet und einschließlich der Vorfristen in den Fristenkalender eingetragen werden. Sie sei auch angewiesen worden, die Berufungsfrist und die Berufungsbegründungsfrist zu berechnen und in den Fristenkalender einzutragen und die Ausführung der Fristnotierung mit der Bezeichnung "not" sowie Datum und Paraphe hinter den jeweiligen Ziffern der Verfügung des Unterzeichners der Verfügung zu dokumentieren. Dieser Anweisung sei die Bürovorsteherin, die seit 22 Jahren ihre Tätigkeit unbeanstandet durchführe, nicht vollständig nachgekommen und habe die Berufungsbegründungsfrist trotz Bestätigung der Notierung nicht in den Fristenkalender eingetragen. Insofern sei die Akte nicht fristgerecht vorgelegt worden.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Kündigung aufgrund der Stilllegung des Betriebes sozial gerechtfertigt sei. Der Betriebsrat sei mit dem am 02.08.2010 in der Betriebsratssitzung übergebenen Schreiben über die Kündigung des Auftrags des einzigen Auftraggebers, durch Einreichung der Liste der zu kündigenden Arbeitnehmer, durch Übergabe des Anhörungsschreibens vom 03.08.2010 und durch die mündlichen Ausführungen in der Sitzung ordnungsgemäß zur Kündigung angehört worden. Das im Rahmen der Massenentlassungsanzeige notwendige Konsultationsverfahren sei damit einhergegangen. Das Schreiben vom 02.08.2010 enthalte zwar keinen Hinweis auf die Einleitung des Verfahrens nach § 17 Abs. 2 KSchG, es sei auch nicht ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass mit den Informationen das Konsultationsverfahren eingeleitet werden sollte. Eines solchen Hinweises habe es aber nicht bedurft, wenn der Betriebsrat ansonsten über alle Umstände informiert worden sei. Die rechtlichen Vorschriften verlangten keine getrennten Verfahren. Die Massenentlassungsanzeige vom 09.08.2010 sei ordnungsgemäß. Sie sei am 11.08.2010 der Agentur für Arbeit überreicht worden. Von der Agentur für Arbeit sei sie mit dem Stempel versehen worden, "Anzeige vollständig und somit wirksam erstattet am 12.8.2010". Der Massenentlassungsanzeige habe auch eine Stellungnahme des Betriebsrats beigelegen. Es seien die Stellungnahmen des Betriebsrats zur Kündigung der einzelnen Arbeitnehmer, die ihr am 09.08.2010 übergeben worden seien, beigefügt worden. Dies genüge den Anforderungen, zumal auch die Agentur für Arbeit dies als ausreichend angesehen habe. Mit Schreiben vom 12.08.2010 habe sie die Entlassung innerhalb der aufgeführten Fristen genehmigt. Unabhängig davon führten Verstöße im Rahmen des Konsultationsverfahrens nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Dies ergebe sich aus dem arbeitsmarktpolitischen Zweck der Vorschrift. Die Agentur für Arbeit solle in die Lage versetzt werden, vorausschauend Arbeitsvermittlungs- und andere Maßnahmen einzuleiten, um die Folgen der Massenentlassungen abzuwenden. Insofern könnten Fehler zumindest dann keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Anzeige nach § 17 KSchG haben, wenn die Agentur für Arbeit zu erkennen gebe, dass ihr die Informationen ausreichten. Dieses Ergebnis ergebe sich auch aus der Formulierung des Gesetzes, da bezüglich der Stellungnahme des Betriebsrats anstelle des Wortes "müssen" lediglich das Wort "sollten" aufgeführt sei. Auch die unionsrechtlichen Vorschriften erforderten keine Unwirksamkeit der Kündigung.

Die Beklagte beantragt,

1. der Beklagten wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

2. Das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 11.01.2011, Az. 7 Ca 2697/10, wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Berufung bereits wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist unzulässig sei. Darüber hinaus sei der Vortrag in der Berufung verspätet. Unabhängig davon sei die Kündigung wegen Verstoßes gegen die Anzeigepflicht nach § 17 KSchG unwirksam. Die Beklagte habe nicht ausreichend dargetan, dass sie die zwingenden Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt habe. Insbesondere hätte der Massenentlassungsanzeige keine Stellungnahme des Betriebsrats beigelegen. Die angeblich eingereichten individuellen Stellungnahmen des Betriebsrats im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG seien keine Stellungnahme nach § 17 Abs. 3 KSchG. Unabhängig davon ergebe sich nicht die Einhaltung der Zweiwochenfrist nach § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zugrundeliegenden Sachverhaltes sowie des widerstreitenden Sachvortrags und der unterschiedlichen Rechtsauffassungen der Parteien wird ergänzend Bezug genommen auf die in beiden Instanzen zu den Akten gereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen und den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

A. Die Berufung ist zulässig.

I. Sie ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 ArbGG) sowie in gesetzlicher Form und Frist eingelegt worden (§§ 66 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ArbGG i.V.m. § 519, 520 ZPO).

II. Die Berufungsbegründungsschrift ging zwar erst nach Ablauf der gemäß § 66 Abs. 1 S 1. ArbGG bis zum 11.04.2011 laufenden Berufungsbegründungsfrist am 16.05.2011 beim Landearbeitsgericht ein. Der Beklagten war aber nach § 233 ZPO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

1. Der Antrag ist gemäß § 234 Abs. 1 S. 1 ZPO fristgerecht gestellt worden. Die Antragsfrist beträgt bei der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist einen Monat nach Behebung des Hindernisses. Die Frist wurde eingehalten. Nach dem Vortrag des Beklagtenvertreters hat er erst durch das gerichtliche Schreiben vom 27.04.2011, das ausweislich des Empfangsbekenntnisses des Beklagtenvertreters bei ihm am 02.05.2011 eingegangen ist, von der fehlenden Übersendung der Berufungsbegründung erfahren. Der Antrag ist auch formgerecht gemäß § 236 Abs. 1 und 2 ZPO eingereicht worden. Der Beklagtenvertreter hat die Angaben im Antrag durch Einreichung einer eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht.

2. Der Antrag ist begründet. Die Beklagte war ohne ihr Verschulden i.S.d. § 233 ZPO daran gehindert, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Der Beklagtenvertreter hat mit der Berufungsbegründung vorgetragen, dass er auf dem Urteil vermerkt habe, "Berufungsfrist notieren, B.-Begr.frist notieren, Vorfrist jeweils eine Woche, Wv zur Vorfrist". Die Bürovorsteherin sei angewiesen gewesen, die jeweilige Aktennummer, die Parteibezeichnung und die entsprechende Fristenbezeichnung des Unterzeichners in den Fristenkalender mit einzutragen. Sie habe also die Aufgabe gehabt, die Berufungsfrist sowie die Berufungsbegründungsfrist zu berechnen und in den Fristenkalender einzutragen. Außerdem sei sie angewiesen gewesen, nach Eintragung in den Fristenkalender die Ausführung unter Fristnotierung mit der Bezeichnung "not", Datum und Paraphe hinter der jeweiligen Verfügung aufzubringen. Dieser Anweisung sei die Mitarbeiterin nur teilweise nachgekommen. Sie habe die Fristen zutreffend berechnet und in der Verfügung eingetragen. Sie habe aber lediglich die Berufungsfrist in den Fristenkalender einschließlich der dazugehörigen Vorfrist eingetragen, während dies bei der Berufungsbegründungsfrist unterlassen worden sei. Demgemäß sei die Akte innerhalb der Vorfrist vorgelegt und fristgemäß Berufung eingelegt worden. Die Akte sei dann aber wegen fehlender Eintragung der Vorfrist und Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender nicht rechtzeitig vorgelegt worden. Insofern habe die Berufung nicht fristgerecht begründet werden können.

Unter Zugrundelegung dieses Ablaufs hat der Beklagtenvertreter seine Sorgfaltspflichten nicht verletzt. Der Rechtsanwalt muss zwar den Fristenlauf immer dann eigenverantwortlich prüfen, wenn ihm die Handakten vorliegen. Zu dieser notwendigen Nachprüfung gehört auch die Kontrolle des Bürovermerks in den Handakten über die Eintragung der Frist im Fristenkalender. Bei einer ordnungsgemäßen Eintragung der Fristen in der Handakte braucht er aber nach Auffassung der Berufungskammer nicht mehr zu überprüfen, ob diese Eintragungen auch übertragen worden sind. Hier gilt das insbesondere auch deswegen, weil die Akte fristgerecht zur Einlegung der Berufung vorgelegt worden ist. Insofern hat keine Veranlassung bestanden, daran Zweifel zu haben, dass die Berufungsbegründungsfrist entgegen der Berechnung und Bestätigung der Notierung nicht im Fristenkalender eingetragen worden ist.

Der Prozessvertreter der Beklagten hat mit seinen organisatorischen Vorgaben seine Verpflichtungen erfüllt. Er konnte darauf vertrauen, dass seine Bürokraft, die nach ihrer eidesstattlichen Versicherung seit 22 Jahren ihre Arbeit erledigt hat, ohne das ihr Fristversäumnisse unterlaufen sind, auch diese Aufgaben ordnungsgemäß durchgeführt hat.

B. Die Berufung ist aber nicht begründet.

I. Der Kündigungsschutzantrag des Klägers ist zulässig und begründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 20.08.2010 aufgelöst worden ist. Die Beklagte hat vor Ausspruch der Kündigung keine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige nach § 17 KSchG erstattet. Die Kündigung ist gemäß § 17 Abs. 3 S. 2 und 3 KSchG i.V.m. § 134 BGB unwirksam.

1. Die Beklagte hatte eine Massenentlassungsanzeige zu erstatten, da sie nach ihrem eigenen Vortrag beabsichtigte, allen verbliebenen 36 Arbeitnehmern (Anlage B 8) betriebsbedingt zu kündigen. Gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 1 KSchG ist der Arbeitgeber in Betrieben mit mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, wenn er mehr als fünf Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt. Unter Entlassung im Sinne der Vorschrift ist unter Beachtung der unionsrechtlichen Vorschriften (Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20.07.1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften des Mitgliedstaaten über Massenentlassungen; im Folgenden: MERL) die Erklärung der Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu verstehen (BAG 23.03.2006 - 2 AZR 343/05 - AP § 17 KSchG 1969 Nr. 21).

2. Die Beklagte hat die Massenentlassung gegenüber der Agentur für Arbeit nach § 17 Abs. 3 S. 2 und 3 KSchG fehlerhaft angezeigt.

Nach dem Beklagtenvortrag wurde zwar der Agentur für Arbeit am 11.08.2008 der ausgefüllte Vordruck über die Anzeige von Entlassungen vom 09.08.2010 (Anlage B 4), der ausgefüllte Vordruck mit den Berufsgruppen, eine Liste der zur Entlassung vorgesehenen Arbeitnehmer mit den Sozialdaten der ausgeübten Tätigkeit und der Kündigungsfrist, das Schreiben vom 02.08.2010 (Anlage B 6) mit der Angabe der betrieblichen Gründe, sowie die Widerspruchsschreiben des Betriebsrats zur Kündigung der einzelnen Arbeitnehmer (Anlage B 5) übergeben. Dies genügt aber nicht den Anforderungen.

a) Nach § 17 Abs. 2 KSchG hat der Arbeitgeber bei einer nach § 17 Abs. 1 KSchG anzeigepflichtigen Entlassung (Massenentlassung) vor der Massenentlassungsanzeige das Konsultationsverfahren mit dem Betriebsrat durchzuführen. Nach § 17 Abs. 2 S. 1 KSchG hat er den Betriebsrat insbesondere über die in § 17 Abs. 2 S. 1 Nrn. 1 - 6 KSchG angeführten Punkte schriftlich zu unterrichten und nach § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG der Agentur für Arbeit eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten. Nach § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG haben Arbeitgeber und Betriebsrat insbesondere die Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern. Nach Abschluss der Beratungen hat der Arbeitgeber die Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 1 S. 1 KSchG gegenüber der Bundesagentur für Arbeit zu erstatten, und zwar nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG schriftlich unter Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats. Liegt eine Stellungnahme des Betriebsrats nicht vor, so ist die Anzeige wirksam, wenn der Arbeitgeber glaubhaft macht, dass er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige nach Absatz 2 Satz 1 unterrichtet hat und er den Stand der Beratungen darlegt.

b) Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Es kann bereits nicht festgestellt werden, dass die Beklagte überhaupt das Konsultationsverfahren beim Betriebsrat eingeleitet hat. Nach ihrem eigenen Vortrag wurden dem Betriebsrat am 02.08.2010 die erforderlichen Auskünfte über die beabsichtigte Stilllegung des Betriebes mündlich und schriftlich erteilt und ihm gleichzeitig die Anhörungsbögen zur Kündigung der Mitarbeiter übergeben. Dies genügt aber nicht.

aa) Das Konsultationsverfahren ist vom Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG zu unterscheiden. Es handelt sich nach der Konzeption des Gesetzgebers um unterschiedliche Beteiligungsverfahren, die selbstständig nebeneinander bestehen. Nach § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG dient das Konsultationsverfahren der Beratung der Betriebspartner, um Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern. Der Betriebsrat soll, worauf das Arbeitsgericht zu Recht hinweist, in das laufende Verfahren und vor der Entscheidung, ob und ggf. wie viele Kündigungen ausgesprochen werden, einbezogen werden. Im Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG geht es dagegen um die bereits vom Arbeitgeber beschlossene Kündigung des einzelnen Arbeitnehmers, zu der der Betriebsrat anzuhören ist.

bb) Der Beklagten ist zwar zu folgen, dass das Konsultationsverfahren mit der Anhörung zur Kündigung nach § 102 BetrVG verbunden werden kann. Dies setzt aber voraus, dass sich die Betriebspartner über die Verbindung der beiden Verfahren einig sind und der Betriebsrat klar erkennbar mit den jeweiligen einzelnen Komplexen seiner Zuständigkeit befasst wird (ErfK/Kiel 12. Aufl. § 17 KSchG Rn. 25). Nur wenn der Betriebsrat weiß, in welchem Beteiligungsverfahren sich die Betriebspartner befinden, kann er überhaupt die ihm nach den jeweiligen Gesetzen zugewiesenen Aufgaben wahrnehmen.

cc) Die Beklagte hat keine ausreichenden Tatsachen dafür vorgetragen, dass davon ausgegangen werden kann, dass die Betriebspartner beide Verfahren miteinander verbunden haben. Aus dem Umstand, dass sie am 02.08.2010 die im Betrieb befindlichen Betriebsratsmitglieder über die Stilllegungsabsicht und Entlassung aller Arbeitnehmer informiert hat, ergibt sich das noch nicht. Sie hat selbst nicht vorgetragen, dass sie den Betriebsrat im Rahmen des Gesprächs am 02.08.2010 darauf hingewiesen hat, dass sie mit den Informationen das Konsultationsverfahren einleiten will. Ein Beschluss oder eine sonstige Äußerung des Betriebsrats zur Verbindung beider Verfahren bzw. überhaupt zum Konsultationsverfahren ist nicht vorgetragen. Der übergebene Anhörungsbogen enthält auch keinen Hinweis auf § 17 Abs. 2 KSchG. Gerade die gleichzeitige Übergabe der Anhörungsbögen zur beabsichtigten Kündigung der einzelnen Arbeitnehmer konnte ohne weitere Erklärung vom Betriebsrat nur als Einleitung des Anhörungsverfahrens gemäß § 102 BetrVG und nicht als Beginn des Konsultationsverfahrens nach § 17 KSchG verstanden werden.

c) Darüber hinaus hat die Beklagte der Massenentlassungsanzeige an die Agentur für Arbeit keine Stellungnahme des Betriebsrats beigefügt. Es kann dahinstehen, ob die Beklagte mit der Massenentlassungsanzeige die Widersprüche des Betriebsrats zur Kündigung der einzelnen Arbeitnehmer (Anlage B 7) eingereicht hat. Diese können bereits nicht als Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 KSchG gewertet werden. Dies setzt voraus, dass sich zumindest ansatzweise aus dem Schreiben ergibt, dass der Betriebsrat damit auch eine Stellungnahme im Sinne des § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG abgeben wollte. Hierfür ergeben sich aber aus dem Widerspruchsschreiben, wie ausgeführt, keine Anhaltspunkte. Es beschäftigt sich nur mit der einzelnen Kündigung des Klägers und dass der Betriebsrat den Beschluss gefasst hat, der beabsichtigten Kündigung aus den dort aufgeführten Gründen zu widersprechen. Die Beklagte behauptet auch selbst nicht, dass sich der Betriebsrat ihr gegenüber dahingehend geäußert hat, dass dies die abschließende Stellungnahme des Betriebsrats zum Konsultationsverfahren sein sollte.

d) Fehlt mithin eine Stellungnahme des Betriebsrats, hatte die Beklagte nach § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG glaubhaft zu machen, dass sie den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige nach § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG unterrichtet hat und den Stand der Beratungen darzulegen. Auch diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Danach hat sie nach ihrem eigenen Vortrag die anwesenden Betriebsratsmitglieder am 02.08.2010 informiert. Unter Beachtung der Zweiwochenfrist hätte die Massenentlassungsanzeige erst am 16.08.2010 erfolgen dürfen. Nach dem Beklagtenvortrag wurde die Massenentlassungsanzeige aber bereits am 11.08.2010 der Agentur für Arbeit übergeben und diese hat noch vor Ablauf der Zweiwochenfrist am 12.08.2010 die Wirksamkeit der Anzeige bestätigt.

3. a) In der Literatur und Rechtsprechung ist streitig, ob die Massenentlassungsanzeige auch vor Abschluss des Konsultationsverfahrens wirksam erstattet werden kann bzw. ob Fehler im Rahmen des Konsultationsverfahrens zur Unwirksamkeit der Kündigung führen (dafür d. Rspr. mit unterschiedlichen Ansätzen; LAG Düsseldorf 10.11.2010 - 12 Sa 1321/10 - Revision eingelegt Aktenzeichen - 6 AZR 780/10 - Praxis Unternehmensrecht 2011, 82-83, juris; LAG Düsseldorf 15.09.2010 - 12 Sa 627/10 - ZInsO 2011, 1167-1171, juris; LAG Niedersachsen 07.04.2011 - 4 Sa 1271/10 - Revision eingelegt - 2 AZR 397/11 - juris; LAG Niedersachsen 29.10.2010 - 16 Sa 312/10 - Revision eingelegt Aktenzeichen - 6 AZR 10/11 - juris; LAG Baden-Württemberg 21.07.2010 - 13 Sa 20/10 - Revision eingelegt Aktenzeichen - 6 AZR 606/10 - juris; für d. Lit.; ErfK/Kiel 12. Aufl.§ 17 KSchG Rn. 36; Münch.Handb.z.Arbeitsrecht/Berkowski, 3. Aufl., § 134 Rn. 28; MünchK/Hergenröder, 5. Aufl., § 17 KSchG Rn. 45; Kittner/Däubler/Zwanziger, § 17 KSchG Rn. 38; ReinhardRdA 07, 207; Lembke, Oberwinter: Massenentlassungen zwei Jahre nach "Junk” - Eine Bestandsaufnahme NJW 2007, 721; dagegen u.a. Rspr.; LAG Hessen 25.07.2011 - 17 Sa 116/11 - Revision eingelegt - 6 AZR 754/11 - m.w.N.; LAG Rheinland-Pfalz 15.01.2008 - 3 Sa 634/07 - juris; f. d. Lit. SPV/Vossen, Rn. 1654; Küttner/Kreitner, Personalbuch, 18. Aufl., 300 "Massenentlassung", Rn. 24; APS/Moll, § 17 KSchG Rn. 79; Koehler/Niklas, NZA 2010, 913).

Das Bundearbeitsgericht hat dies noch nicht abschließend entschieden. Es hat in der Entscheidung vom 21.08.2008 (- 8 AZR 84/07 - NZA 2008, 753-757) allerdings ausgeführt, dass eine nach § 17 Abs. 3 S. 1 und S. 2 KSchG beigefügte Stellungnahme des Betriebsrats Wirksamkeitsvoraussetzung für die Massenentlassungsanzeige ist. Ihr Fehlen führt aber nicht zwingend und dauerhaft zur Unwirksamkeit der Anzeige. Die fehlende Stellungnahme des Betriebsrats kann innerhalb der Zweiwochenfrist nachgereicht werden.

b) Die Kammer folgt der Auffassung, die eine Unwirksamkeit der Kündigung annimmt. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, weil es nicht nur an der abschließenden Stellungnahme des Betriebsrats und der Einhaltung der Zweiwochenfrist fehlt, sondern das Konsultationsverfahren bereits nicht ordnungsgemäß eingeleitet worden ist.

Dem kann nicht mit Erfolg von der Beklagten entgegengehalten werden, dass § 17 KSchG nur arbeitsmarktpolitische Ziele verfolge, um eine rechtzeitige Unterrichtung der Arbeitsverwaltung zur Vorbereitung der Arbeitsvermittlung zu erreichen (LAG Hessen 25.07.2011 - 17 Sa 116/11 - a.a.O. m.w.N.) und die gesetzliche Regelung in § 17 KSchG nicht wie § 102 BetrVG bei fehlender Anhörung des Betriebsrats die Unwirksamkeit der Kündigung vorsehe.

Die Kammer folgt dem Arbeitsgericht, dass die Auffassung nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Bestimmungen der Richtlinie 98/59/EG auch den Schutz der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen verstärken will, um eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in der europäischen Gemeinschaft zu erreichen. Das LAG Niedersachsen (07.04.2011 a.a.O.) weist zu Recht auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 27. 01. 2005 - C-188/03 - [Junk] Rn. 47 f., Slg. 2005, I-885) hin, nach der der Arbeitgeber die Arbeitsverträge erst "nach Ende des Konsultationsverfahrens" und "nach Anzeige der beabsichtigten Massenentlassung" kündigen kann. Dabei sei das Konsultationsverfahren nach Art. 2 Abs. 1 MERL zu führen, "um zu einer Einigung zu gelangen.” Art. 2 MERL begründe "eine Verpflichtung zu Verhandlungen”. Die Kündigung dürfe erst ausgesprochen werden, nachdem der Arbeitgeber "die Verpflichtungen nach Artikel 2 der Richtlinie erfüllt" habe, also die in Rn. 42 und 43 des Urteils näher beschriebenen Konsultationspflichten. In seiner Entscheidung vom 10.09.2009 (- C - 44/08 - Kekuslitto) hat der EuGH seine Auffassung noch einmal bekräftigt und ergänzend ausgeführt, das Konsultationsverfahren müsse abgeschlossen sein, "bevor eine Entscheidung über die Kündigung der Arbeitsverträge getroffen" werde.

Daraus ergibt sich die unmittelbar Arbeitnehmer schützende Wirkung der MERL und der sie umsetzenden Vorschriften des § 17 KSchG und nicht nur eine solche, die ausschließlich einer abstrakten "Belastung des Arbeitsmarktes" vorbeugen soll. Die Massenentlassungsrichtlinie und die Vorschriften des § 17 KSchG gestalten und verstärken damit auch den individuellen Kündigungsschutz (LAG Düsseldorf 10.11.2010 a.a.O.; LAG Sachsen-Anhalt 18.11.2009 unter Bezug auf KR/Weigand, 9. Aufl. 2009, § 17 KSchG Rn. 8 m. w. N.).

Hierfür sprechen auch der Gesetzeswortlaut und der Gesamtzusammenhang. Ein wesentlicher Schwerpunkt der Bestimmung und entsprechend auch der Massenentlassungsrichtlinie liegt in der Beteiligung des Betriebsrates nach § 17 Abs. 2 KSchG. Bei § 17 Abs. 3, Satz 1 - 3 KSchG handelt sich um eine Muss-Vorschrift. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Rückschluss aus § 17 Abs. 3 S. 2 und 3 KSchG. Danach ist die Massenentlassungsanzeige nicht wirksam, wenn ihr weder die geforderte Stellungnahme beigefügt war, noch der Arbeitgeber glaubhaft gemacht hat, dass er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige nach Absatz 2 Satz 1 unterrichtet hat. Die Regelung des § 17 Abs. 3 S. 2 und 3 KSchG ist zudem in die Muss-Vorschriften des Satz 1 und 4 eingebettet (LAG Düsseldorf 10.11.2010 a.a.O.; LAG Düsseldorf 15.09.2010 a.a.O.), was den Muss-Charakter bestätigt. Dem kann entnommen werden, dass § 17 KSchG auch der Ausgestaltung und Verstärkung des individuellen Kündigungsschutzes dient (LAG Sachsen-Anhalt 18.11.2009 - 5 Sa 179/09 - nv juris). Damit kommt dem Nachweis eines ordnungsgemäßen Konsultationsverfahrens eine wesentliche Bedeutung zu. Fehlt aber ein wesentlicher Bestandteil der Massenentlassungsanzeige, etwa, weil die Stellungnahme des Betriebsrates nicht beigefügt und nachgereicht ist oder die Einhaltung der Zweiwochenfrist nicht glaubhaft gemacht wurde, so führt das zur Unwirksamkeit der Anzeige, erst recht, wenn das Konsultationsverfahren überhaupt nicht eingeleitet worden ist.

4. Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Agentur für Arbeit auf der Anzeige am 12.08.2010 die Vollständigkeit der Anzeige bestätigt und mit Schreiben vom gleichen Tag die Entlassungen bei Einhaltung der Sperrfrist nicht beanstandet hat.

a) In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob die Arbeitsgerichte an einen bestandskräftigen Verwaltungsakt gemäß § 20 i. V. m. § 18 KSchG, der eine Entlassung erlaubt, gebunden sind und daran gehindert sind, die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige zu überprüfen (so LAG Hessen 25.07.2011 a.a.O.; LAG Rheinland-Pfalz 15.01.2008 - 3 Sa 634/07 - juris; SPV/Vossen § 20 KSchG Rdnr. 1654; Küttner/Kreitner Massenentlassung", Rn. 24.; Moll Ascheid/Preis/Schmidt Kündigungsrecht 3. Aufl. § 20 KSchG Rdnr. 41; Koehler/Niklas NZA 2010, 913; krit. Reinhard RdA 2007, 214; a.A. LAG Düsseldorf 1011.2010 a.a.O.; KR/Weigand 9. Aufl. § 20 KSchG Rdnr. 72 f.; Lembke/Oberwinter NJW 2007, 721, 728).

Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts kommt dem Verwaltungsverfahren eine erhebliche Bedeutung zu. Die fehlende Darlegung des Standes der Beratungen hat danach keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Anzeige, wenn die Agentur für Arbeit aufgrund der gemachten Angaben in der Lage war, sich ein ausreichendes Bild von den geplanten Massenentlassungen zu machen, um die erforderlichen arbeitsmarktpolitischen Maßnahme zu ergreifen und/ oder nach § 18 Abs. 1 und 2. KSchG zu treffen (BAG 28.05.2009 - 8 AZR 273/08 - AP § 613 a BGB Nr. 370).

b) Nach Auffassung der Kammer steht der Annahme einer Bindungswirkung bereits entgegen, dass sich das gesetzgeberische Ziel, wie ausgeführt, nicht allein auf arbeitsmarktpolitische Maßnahmen beschränkt. Die Agentur für Arbeit prüft nicht die Voraussetzungen der Massenentlassung unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit der einzelnen Kündigungen, sondern legt den Fokus auf die öffentlich-rechtliche Frage der Abkürzung oder Verlängerung der Sperrfrist (Reinhard RdA 2007, 214). Die ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige ist nur eine Vorfrage, sodass deren Bejahung durch die Agentur für Arbeit grundsätzlich nicht an der Bindungswirkung des Bescheides teilnimmt. Der Bescheid ist - bezogen auf § 17 KSchG - auch kein gestaltender Verwaltungsakt mit belastender oder begünstigender Wirkung gegenüber dem Kläger und entfaltet auch aus diesem Grund keine Bindungswirkung der Arbeitsgerichte. Diese haben im Rahmen ihrer Vorfragenkompetenz vielmehr selbst die Massenentlassungsanzeige auf ihre Vollständigkeit und Korrektheit zu überprüfen (vgl. Zöller/Lückemann, ZPO, 28. Aufl., § 13 GVG Rz. 34).

Eine entsprechende Bindung an die Entscheidung der Agentur für Arbeit verstößt auch gegen das unionsrechtliche und grundrechtliche Effektivitätsprinzip. Dadurch würde der durch die Massenentlassungsrichtlinie und die Vorschriften gewährte individuelle Kündigungsschutz faktisch aufgehoben. Denn die betroffenen Arbeitnehmer sind am Anzeigeverfahren nicht beteiligt und haben keine Möglichkeit, gegen die Verwaltungsentscheidung, die keinen drittbelastenden Verwaltungsakt darstellt, Rechtsmittel einzulegen (vgl. LAG Düsseldorf 10.11.2010 a.a.O. u.V.a. Reinhard, RdA 2007, 214; KR/Weigand, 9. Aufl. 2009, § 17 KSchG Rn. 8 m. w. N.). Es wäre dann auch eine Verwaltungsakt hinzunehmen, der den Ausspruch von Kündigungen zulässt, obwohl, wie im vorliegenden Fall, weder das nach § 17 KSchG verpflichtende Konsultationsverfahren eingeleitet wurde, noch die fehlende Stellungnahme des Betriebsrats vorliegt bzw. die Zweiwochenfrist berücksichtigt wurde. Dies würde in der Konsequenz dazu führen, dass die nach der Richtlinie einzuhaltenden Anforderungen durch die Vorschriften des § 17 KSchG verringert würden. Eine solche Auslegung verbietet das Gebot der unionsrechtskonformen Anwendung des nationalen Rechts (LAG Niedersachsen 07.04.2011 a.a.O. unter Verweis auf EuGH 16. Juli 2009 - C-12/08 - [Mono Car Styling] - AP Nr. 5 zu Richtlinie 98/59/EG). Zu- dem ergibt sich ein Verstoß gegen Art. 6 MERL. Danach sind die Mitgliedstaaten verpflichtet sicherzustellen, dass Arbeitnehmern administrative und/oder gerichtliche Verfahren zur Durchsetzung der Verpflichtungen zur Verfügung stehen (ErfK/Kiel § 20 KSchG Rdnr 6).

Daher sind die Arbeitsgerichte nicht an den Bescheid und die daraus ersichtliche Auffassung der Agentur für Arbeit gebunden (LAG Düsseldorf 10.11.2010 a.a.O. m.w.N.; ErfK/Kiel § 20 KSchG, Rn. 6; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, 14. Aufl., § 20 Rn. 26).

c) Die Beklagte kann auch nicht mit Erfolg darauf verweisen, dass sie aufgrund des Bescheids der Agentur für Arbeit von der Wirksamkeit der Kündigung ausgegangen sei. Sie verdient schon deswegen keinen Vertrauensschutz, weil sie die Vorschriften des § 17 KSchG nicht beachtet hat (LAG Düsseldorf 10.11.2010 a.a.O).

5. Da die Kündigung bereits aus den oben genannten Gründen unwirksam war, kommt es nicht mehr darauf an, ob weitere Unwirksamkeitsgründe vorliegen.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Kammer hat den entscheidungserheblichen Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung beigemessen und daher gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 ArbGG für die Beklagte die Revision an das Bundesarbeitsgericht zugelassen.

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