24.07.2007 · IWW-Abrufnummer 072359
Bundesgerichtshof: Urteil vom 22.06.2007 – V ZR 269/06
a) Das gesetzliche Vorkaufsrecht des Mieters aus § 577 Abs. 1 Satz 1 BGB kann nur bei dem ersten Verkauf nach der Umwandlung in Wohnungseigentum bestehen (Bestätigung von BGHZ 167, 58, 61 ff.).
b) Auf nachfolgende Verkäufe erstreckt es sich auch dann nicht, wenn die Möglichkeit zur Ausübung des Vorkaufsrechts bei dem ersten Verkauf nicht bestand, weil die Wohnung an einen Familien- oder Haushaltsangehörigen verkauft wurde (§ 577 Abs. 1 Satz 2 BGB), oder wenn die Ermittlung des anteiligen Preises, der für die dem Vorkaufsrecht unterfallende Eigentumswohnung zu zahlen ist, für den Mieter schwierig gewesen wäre.
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 269/06
Verkündet am:
22. Juni 2007
in dem Rechtsstreit
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 22. Juni 2007 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger und die Richter Dr. Klein, Dr. Lemke, Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision gegen das Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 17. November 2006 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Kläger sind Mieter einer Wohnung, die sich in einem Mehrfamilienhaus befindet. Jahre nach der Anmietung wurde das Hausgrundstück von dem Sohn des Beklagten zu 1 gekauft, der im Januar 1999 als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen wurde. Im Folgenden wurde das Grundstück nach dem Wohnungseigentumsgesetz geteilt. Nachdem eine Gläubigerin die Anordnung der Zwangsverwaltung und der Zwangsversteigerung erwirkt hatte, veräußerte der Sohn mit Zustimmung der Gläubigerin u.a. die von den Klägern bewohnte Eigentumswohnung an den Beklagten zu 1, der am 10. März 2004 als Eigentümer eingetragen wurde. Mit notariellem Vertrag vom 4. Mai 2004 verkaufte der Beklagte zu 1 die Wohnung an die Beklagte zu 2, zu deren Gunsten eine Auflassungsvormerkung eingetragen wurde. Nachdem die Kläger mit Schreiben vom 16. Juni 2004 dem Beklagten zu 1 erklärt hatten, sie machten von ihrem Vorkaufsrecht nach § 577 BGB Gebrauch, kam es zwischen den Parteien zunächst zu einem einstweiligen Verfügungsverfahren, in dessen Verlauf den Beklagten mit Berufungsurteil des Landgerichts vom 21. Dezember 2004 verboten wurde, die Eintragung der Beklagten zu 2 als Eigentümerin in das Grundbuch zu beantragen (bzw. einen bereits gestellten Eintragungsantrag aufrecht zu erhalten).
Das Amtsgericht hat die in der Hauptsache gegen beide Beklagte erhobene Unterlassungsklage mit dem Ziel der Verhinderung einer Eintragung der Beklagten zu 2 ebenso abgewiesen wie den weiteren Antrag, den Beklagten zu 1 zur Auflassung des Wohnungseigentums und zur Erteilung einer Löschungsbewilligung zu verurteilen. Die dagegen eingelegte Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihre Anträge weiter. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Landgericht hat ein Vorkaufsrecht der Kläger mit der Begründung verneint, § 577 BGB erfasse nur den ersten Verkaufsfall nach der Umwandlung in Wohnungseigentum. Das gelte auch dann, wenn die Wohnung an einen Familienangehörigen oder an eine zum Hausstand gehörende Person mit der Folge verkauft werde, dass ein Vorkaufsrecht nicht zur Entstehung gelange. Eine Einschränkung der "Verfügungsbefugnis" desjenigen, der privilegiert nach § 577 Abs. 1 Satz 2 BGB erworben habe, sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Dass ein missbräuchlicher Verkauf an privilegierte Personen möglich sei, rechtfertige keine andere Beurteilung. Missbrauchsfällen sei mit der Anwendung von § 242 BGB zu begegnen. Ein Missbrauch lasse sich hier jedoch nicht feststellen.
II.
Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
1. Die Rüge der Revision, das Berufungsurteil verfüge nicht über einen Tatbestand und sei deshalb aufzuheben, geht fehl. Das Berufungsgericht nimmt nach § 540 Abs. 1 ZPO zulässigerweise Bezug auf die Darstellung des Sach- und Streitstands in dem erstinstanzlichen Urteil und gibt an, inwieweit die Klageanträge im Berufungsrechtszug modifiziert worden sind. Auch wenn die Berufungsanträge selbst nicht ausdrücklich wiedergegeben werden, wird damit jedenfalls im Zusammenhang mit den Erwägungen des Berufungsgerichts hinreichend deutlich, über welche Anträge entschieden worden ist. Das genügt (vgl. dazu nur Senatsurt. v. 6. Juni 2003, V ZR 392/02, NJW-RR 2003, 1290, 1291; BGH, Urt. v. 30. September 2003, VI ZR 438/02, NJW 2004, 293, 294; jeweils m.w.N.).
2. Auch in der Sache bleibt dem Rechtsmittel der Erfolg versagt.
a) Erfüllungsansprüche gegen den Beklagten zu 1 nach §§ 433 Abs. 1 Satz 1, 464 Abs. 2 BGB bestehen nicht.
aa) Das Berufungsgericht geht zu Recht davon aus, dass der hier in Rede stehende zweite Verkauf nach der Umwandlung in Wohnungseigentum kein Vorkaufsrecht der Kläger begründet hat. Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass nur der erste Verkauf nach der Umwandlung geeignet ist, ein Vorkaufsrechts des Mieter nach § 577 Abs. 1 Satz 1 BGB zu begründen, und dass dies selbst dann gilt, wenn die Entstehung des Vorkaufsrechts bei dem ersten Verkauf aufgrund gesetzlicher Regelungen - wie etwa bei einem "Verkauf" im Wege der Zwangsversteigerung (so § 471 BGB) - ausgeschlossen ist (BGHZ 167, 58, 61 ff.; vgl. auch BGHZ 141, 194, 198 ff.). Auf dieser Grundlage kann nichts anderes gelten, wenn der Erstverkauf nach § 577 Abs. 1 Satz 2 BGB deshalb zu keinem Vorkaufsrecht geführt hat, weil es sich bei dem Käufer um einen Familien- oder Haushaltsangehörigen des Vermieters handelt.
(1) Nach der verfassungsrechtlich unbedenklichen Einschätzung des Gesetzgebers realisiert sich bei der gebotenen typisierenden Betrachtung bei einem zweiten Verkauf nicht mehr die Gefahr der Verdrängung des Mieters aufgrund einer spekulativen Umwandlung von Wohnungen in Eigentumswohnungen, der mit der Regelung des § 577 BGB begegnet werden soll (vgl. BGHZ 167, 58, 61 f.). Ist eine durch die Umwandlung herbeigeführte gesteigerte Verdrängungsgefahr bei einem späteren Verkauf aber nicht mehr vorhanden, ist der mit einem Vorkaufsrecht einhergehende Eingriff in die Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit des Wohnungseigentümers (Art. 14 Abs. 1 GG) nicht mehr gerechtfertigt (BGHZ aaO, 62 f.). Rechtsmissbräuchen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass nur zur Ausschaltung des Vorkaufsrechts an eine nach § 577 Abs. 1 Satz 2 BGB privilegierte Person veräußert wird, kann im Einzelfall mit der Anwendung von § 242 BGB begegnet werden (vgl. auch Senat, BGHZ 115, 335, 340). Einer Ausweitung des Vorkaufsrechts auf weitere Verkaufsfälle nach der Umwandlung bedarf es hierzu nicht (vgl. BGHZ 141, 194, 200).
Soweit die Revision geltend macht, der Privilegierungstatbestand des § 577 Abs. 1 Satz 2 BGB sei in Anlehnung an den auf ein berechtigtes Interesse abstellenden § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB geschaffen worden, gibt diese Überlegung allenfalls Anlass zur Klärung der Frage, ob § 577 Abs. 1 Satz 2 BGB teleologisch dahin zu reduzieren ist, dass der Ausschluss des Vorkaufsrechts nur eingreift, wenn dem Erwerber ein Nutzungsinteresse zur Seite steht (zu dieser Frage Staudinger/Rolfs, BGB, [2006], § 577 Rdn. 46 ff. m.w.N.). Das aber verhilft der Klage nicht zum Erfolg. Denn selbst die Bejahung der Frage führte lediglich dazu, dass der Vorkaufsfall bereits mit dem ersten - hier zwischen dem Beklagten zu 1 und dessen Sohn abgeschlossenen - Kaufvertrag eingetreten wäre. Insoweit ist aber weder ein Vorkaufsrecht ausgeübt worden noch sind etwaige Erfüllungsansprüche gegen den Sohn Gegenstand des Rechtsstreits.
(2) Entgegen der Auffassung der Revision rechtfertigt auch der Umstand, dass der erste Verkauf der Wohnung nicht isoliert, sondern "en bloc" - zusammen mit weiteren Eigentumswohnungen - erfolgte, nicht die ausnahmsweise Zubilligung eines Vorkaufsrechts bei dem nachfolgenden Verkauf. Denn auch in solchen Fällen steht dem Mieter ein Vorkaufsrecht an der von ihm bewohnten Eigentumswohnung bereits aufgrund des ersten Verkaufsfalls zu (Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 9. Aufl., § 577 BGB, Rdn. 50, m.w.N.; vgl. auch BGH, Urt. v. 15. Juni 2005, VIII ZR 271/04, NJW-RR 2005, 1534 f.). Dass bei dem gebündelten Verkauf mehrerer Wohnungen die Ermittlung des anteiligen Kaufpreises schwierig sein kann, rechtfertigt nicht die Annahme, dass das Vorkaufsrecht nur bei einem Einzelverkauf oder bei Angabe des auf die Wohnung entfallenden Teilkaufpreises gegeben wäre. Zum einen führte das von der Revision befürwortete Hinausschieben der Vorkaufsberechtigung auf künftige - und damit in der Regel ungewisse - Verkaufsfälle zu einer nicht akzeptablen Beschneidung des von § 577 BGB bezweckten Mieterschutzes, weil es auch der Erwerber bei einem Weiterverkauf in der Hand hätte, das Eingreifen der Vorschrift wiederum durch eine en-bloc-Veräußerung mit fehlender Teilkaufpreisbestimmung zu verhindern. Zum anderen kann den Schwierigkeiten des Mieters, den auf seine Wohnung entfallenden anteiligen Kaufpreis zu ermitteln oder zumindest einigermaßen zuverlässig abzuschätzen, bei einem Streit über die Höhe des zu zahlenden Kaufpreises über die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) Rechnung getragen werden (vgl. BGHZ 141, 194, 200). Dabei können Zweifel, die dem Mieter bei der Einschätzung des auf ihn entfallenden Kaufpreises bei seiner Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts innerhalb der Frist des § 469 Abs. 2 Satz 1 BGB (dazu Senat, BGHZ 168, 152, 156) berechtigterweise verblieben sind, im Einzelfall zu Lasten des Vermieters ausschlagen, weil dieser die die Ausübung des Vorkaufsrechts erschwerende Vertragsgestaltung zu verantworten hat.
bb) Eine abweichende Beurteilung ist nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) geboten. Das Berufungsgericht hat ein auf Umgehung der Rechtsfolgen des § 577 Abs. 1 Satz 1 BGB gerichtetes rechtsmissbräuchliches Zusammenwirken des Beklagten zu 1 mit seinem Sohn - insbesondere vor dem Hintergrund der angeordneten Zwangsverwaltung und der Abstimmung des Erstverkaufs mit der betreibenden Gläubigerin (zu diesem Aspekt BGHZ 141, 194, 202) - rechtsfehlerfrei verneint.
cc) Allerdings rügt die Revision zu Recht, dass sich das Berufungsgericht zumindest nicht ausdrücklich mit dem an die Kläger gerichteten Schreiben des Beklagten zu 1 vom 11. Januar 2005 befasst hat. Nur führt auch dessen Berücksichtigung nicht zu einer den Klägern günstigen Beurteilung. Entgegen der Auffassung der Kläger kann dem Schreiben nämlich nicht entnommen werden, der Beklagte zu 1 habe bindend erklärt, dass die Kläger wirksam das Vorkaufsrecht ausgeübt hätten und zwischen ihnen und dem Beklagten zu 1 ein Kaufvertrag zustande gekommen sei. Nach dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils, auf das das Berufungsurteil Bezug nimmt, hat der Beklagte zu 1 mit seinem Schreiben das in dem Verfügungsrechtsstreit ergangene Berufungsurteil anerkannt. Seine Erklärung bezog sich damit bei verständiger Würdigung allein auf den zuerkannten Unterlassungsanspruch, mithin auf ein Recht, dem ersichtlich nur die dienende Funktion zukommt sicherzustellen, dass Erfüllungsansprüche bis zur Abklärung ihres Bestehens nicht vereitelt werden. Nur insoweit wollte der Beklagte zu 1 den Klägern entgegen kommen und die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens entbehrlich machen. Zu dem Bestehen von Erfüllungsansprüchen und zu der vorgreiflichen Frage, ob den Klägern ein Vorkaufsrecht zur Seite steht, verhält sich das Schreiben nicht. Die Revision verweist auf kein tatsächliches Vorbringen, auf dessen Grundlage dem Schreiben ein weitergehender Gehalt beigelegt werden könnte. Davon abgesehen zeigt die Revision auch keinen Parteivortrag auf, aus dem sich ergibt, dass die Kläger die außerprozessuale Erklärung des Beklagten zu 1 - zumal innerhalb der Frist des § 147 Abs. 2 BGB - angenommen haben.
Im Gegenteil, die Kläger haben Klage in der Hauptsache erhoben, was der Beklagte zu 1 mit seinem "Anerkenntnis" gerade hatte vermeiden wollen.
b) Auch im Übrigen bleibt der Klage der Erfolg versagt.
aa) Die gegen beide Beklagten erhobene Unterlassungsklage ist zulässig, auch soweit sie sich gegen den Beklagten zu 1 richtet. Zwar können die Parteien durch Prozessvertrag die Entscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren zu einer endgültigen machen (vgl. nur Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 926 Rdn. 4 m.w.N.). Daran fehlt es hier indessen schon deshalb, weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Kläger die Erklärung des Beklagten zu 1 vom 11. Januar 2005 angenommen haben (zu diesem Erfordernis BGH, Urt. v. 4. Mai 2005, I ZR 127/02, NJW 2005, 2550, 2552; vgl. auch Urt. v. 5. Dezember 1980, I ZR 179/78, NJW 1981, 1955).
bb) Die Unterlassungsklage ist jedoch unbegründet, weil für "dienende Unterlassungsansprüche" der in Rede stehenden Art kein Raum mehr bleibt, wenn - wie hier - feststeht, dass Erfüllungsansprüche nicht bestehen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.