25.05.2004 · IWW-Abrufnummer 041340
Bundesgerichtshof: Urteil vom 24.03.2004 – VIII ZR 295/03
Weist eine gemietete Wohnung eine Wohnfläche auf, die mehr als 10 % unter der im Mietvertrag angegebenen Fläche liegt, stellt dieser Umstand grundsätzlich einen Mangel der Mietsache im Sinne des § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB dar, der den Mieter zur Minderung der Miete berechtigt. Einer zusätzlichen Darlegung des Mieters, daß infolge der Flächendifferenz die Tauglichkeit der Wohnung zum vertragsgemäßen Gebrauch gemindert ist, bedarf es nicht.
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 295/03
Verkündet am:
24. März 2004
in dem Rechtsstreit
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. März 2004 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter Dr. Hübsch, Dr. Beyer, Dr. Leimert und Wiechers
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision der Kläger gegen das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 5. September 2003 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagten mieteten von den Klägern für die Zeit vom 1. Februar 2001 bis zum 31. Mai 2003 nach Besichtigung der Räumlichkeiten ein Reihenhaus in B. , S. straße . In § 1 des Mietvertrages heißt es:
"Die Wohnfläche wird mit 126,45 Quadratmetern vereinbart".
Die monatliche Miete betrug zunächst 1.300 DM, ab dem 1. Februar 2002 682,57 ?. Die monatliche Nebenkostenvorauszahlung belief sich auf 58,80 ?. Nach § 5 des Mietvertrages erfolgte die Abrechnung der Betriebskosten nach dem Verhältnis der Wohnfläche.
Die Beklagten entrichteten für den Monat Februar 2003 eine um 87,57 ? geminderte Miete, für die Monate März 2003 bis Mai 2003 wurde keine Miete gezahlt. Zur Begründung gaben die Beklagten an, eine Nachmessung der Räumlichkeiten im Dezember 2002 habe ergeben, daß die Gesamtfläche des Reihenhauses entgegen der Angaben im Mietvertrag nur 106 m2 betrage. Damit ständen ihnen Rückforderungsansprüche jedenfalls in Höhe der einbehaltenen Miete zu, mit denen die Aufrechnung erklärt werde.
Mit der Klage verlangen die Kläger Zahlung der Mietrückstände für die Monate Februar bis Mai 2003 in Höhe von insgesamt 2.311,68 ?.
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung ausgeführt:
Den Klägern stehe der geltend gemachte Zahlungsanspruch auf rückständige Miete nicht zu, da die Beklagten wegen eines Mangels der Mietsache zu Recht gemindert hätten und der sich ergebende Restbetrag durch Aufrechnung erloschen sei. Der Umstand, daß die Wohnfläche des Reihenhauses tatsächlich nur 106 m2 betrage, stelle einen Mangel dar. Die Angabe der Größe des Objekts im Mietvertrag sei als rechtsverbindliche Feststellung zu werten, von der die unstreitige tatsächliche Größe des Hauses um 16 % und damit erheblich abweiche. Bereits dieser Flächenmangel beeinträchtige die Tauglichkeit der Mietsache für die Ausübung des vertragsgemäßen Gebrauches und den Nutzwert der Mietsache. Auch die Vorschrift des § 539 BGB a.F. stehe der Minderung nicht entgegen.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand, so daß die Revision zurückzuweisen ist.
Zu Recht hat das Berufungsgericht den Klägern die geltend gemachte Restmiete von 87,57 ? für den Monat Februar 2003 versagt und gegen die begründete Mietzinsforderung für die Monate März bis Mai 2003 von jeweils 635,03 ?, insgesamt 1.905,09 ?, die Aufrechnung der Beklagten wegen überzahlter Mieten in den Monaten Februar 2001 bis Januar 2003 durchgreifen lassen. Das Berufungsgericht hat mit Rücksicht auf eine Grundfläche des Mietobjekts von nur 106 m2 zutreffend das Vorhandensein eines Mangels bejaht. Die Beklagten können daher die vertraglich geschuldete Miete mindern und Rückzahlung der insoweit in der Vergangenheit zuviel gezahlten Miete verlangen mit der Folge, daß ihnen gegen die Klageforderung aufrechenbare Gegenansprüche in gleicher Höhe zustehen.
1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht als tatsächliche Größe des gemieteten Reihenhauses eine Fl äche von 106 m2 zugrunde gelegt. Die Beklagten haben das Wohnhaus unter Berücksichtigung der vorhandenen Dachschrägen und einer hälftigen Anrechnung des überdachten Teils der Terrasse ausmessen lassen, dabei wurde die Wohnfläche mit 106 qm errechnet. Den Vortrag der Beklagten zur tatsächlichen Größe des Objekts haben die Kläger nicht angegriffen.
Allerdings weist die Revision darauf hin, daß der Begriff der "Wohnfläche" auslegungsbedürftig und nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht eindeutig ist (BGH, Urteil vom 30. November 1990 - V ZR 91/89, WM 1991, 519 unter II 4; Urteil vom 22. Dezember 2000 - VII ZR 310/99, WM 2001, 482 unter II 2). Sie meint, die Parteien hätten sich mit der Formulierung im Mietvertrag "die Wohnfläche wird mit 126,45 Quadratmetern vereinbart" auf einen bestimmten Berechnungsmodus verständigt, der zu einer Wohnfläche von 126,45 m2 führe. Für diese Annahme fehlt es jedoch nach den Darlegungen des Landgerichts an Anhaltspunkten. Danach haben die Kläger einen konkreten Tatsachenvortrag, wie es zu einer solchen Abrede gekommen sein soll, nicht erbracht; gegen das Vorbringen der Kläger spreche ihr eigener Hinweis, man habe die Größenangaben aus vorherigen Verträgen des Voreigentümers des Hauses übernommen. Diese Erwägungen des Berufungsgericht sind aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Übergangenen Sachvortrag der Kläger, wonach sich die Vertragspartner insbesondere auf eine Einbeziehung der beiden als Hobby- und Fitnessräume nutzbaren Kellerräume in die Wohnflächenberechnung geeinigt hätten, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.
2. a) Weist eine gemietete Wohnung tatsächlich eine Wohnfläche auf, die erheblich unter der im Mietvertrag angegebenen Fläche liegt, so kann dieser Umstand einen Mangel der Mietsache nach § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB n.F. und einen Fehler nach § 537 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. darstellen (OLG Dresden, MDR 1998, 643; OLG Karlsruhe, NZM 2002, 218; KG GE 2002, 257; OLG Frankfurt, GE 2003, 184; Kraemer in: Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl., III B Rdnr. 1359 f.; Schmidt-Futterer/Eisenschmid, Mietrecht, 8. Aufl., § 536 Rdnr. 44; Emmerich/Sonnenschein, Miete, 8. Aufl., § 536 Rdnr. 22; Palandt/Weidenkaff, BGB, 63. Aufl., § 536 Rdnr. 22; Staudinger/Emmerich (2003) § 536 Rdnr. 38, 39; einschränkend Lammel, Wohnraummietrecht, 2. Aufl., § 536 Rdnr. 49; a.A. Herrlein/Kandelhard, Mietrecht, 2. Aufl., § 536 Rdnr. 30). Die vereinbarte Fläche ist Teil der vertraglich festgelegten Sollbeschaffenheit der Mietsache. Zwar kann eine vertragliche Vereinbarung der Mietfläche den Sinn haben, die wahre Größe dem Streit zu entziehen und die Wohnfläche unabhängig von den tatsächlichen Umständen verbindlich festzulegen. Hierfür fehlt es jedoch - wie bereits ausgeführt - an Anhaltspunkten.
b) Umstritten ist, ob der Mieter zusätzlich darlegen muß, daß infolge der Flächendifferenz die Tauglichkeit der Wohnung zum vertragsgemäßen Gebrauch gemindert ist (dafür OLG Dresden aaO; LG Berlin, NZM 1999, 412; LG Düsseldorf, DWW 1999, 153; LG Freiburg, WuM 1988, 263; LG Kleve, WuM 1988, 13; LG Würzburg, WuM 1984, 213; Feuerlein GE 2002, 1110; dagegen OLG Karlsruhe aaO; OLG Frankfurt a.M. aaO [bei 25 % Abweichung]; LG Köln, ZMR 2003, 429; Kraemer, WuM 2000, 515, 522; ders. NZM 1999, 156; 2000, 1121; Blank, WuM 1998, 467; Pauly, WuM 1998, 469; Emmerich/Sonnenschein aaO; Schmidt-Futterer/Eisenschmid aaO; für Gewerberaum: Schul/Wichert, ZMR 2002, 633, 638). Dies ist nicht erforderlich.
Bei einem erheblichen Flächenmangel spricht bereits eine tatsächliche Vermutung für eine Beeinträchtigung der Gebrauchstauglichkeit, die der Mieter nicht gesondert belegen muß. Zwar ist der Gegenmeinung zuzugeben, daß für den Mieter in erster Linie der bei der Besichtigung gewonnene Eindruck von der Wohnung, ihrer Lage, ihres Zuschnitts und der Zimmeraufteilung maßgeblich ist. Sie verkennt jedoch, daß die vereinbarte Fläche ein wesentliches Merkmal für den Nutzwert der angemieteten Wohnung ist (Blank, WuM 1998, 467, 469). So wird bereits bei der Inserierung in aller Regel die Wohnungsgröße der angebotenen Wohnung angegeben, um Interessenten eine Vergleichbarkeit verschiedener Wohnungen zu erleichtern und um die Miete pro Quadratmeter errechnen zu können. Hat ein Wohnungssuchender mehrere Wohnungen, deren Mietzins und Ausstattung ähnlich sind, zur Auswahl, wird er sich in vielen Fällen für die größere Wohnung entscheiden. Während des Mietverhältnisses ist die Wohnfläche in aller Regel - so auch im vorliegenden Fall - Berechnungsgrundlage für die Verteilung von Betriebskosten und deren Erhöhung (vgl. §§ 6 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 1 und 2, 7 Abs. 1 Satz 2, 8 Abs. 1, 9 a Abs. 1 HeizKostVO, § 556 a Abs. 1 Satz 1 BGB n.F.). Ebenso ist die Wohnungsgröße ein Faktor bei der Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete im Rahmen eines Mieterhöhungsverlangens nach § 558 Abs. 2 BGB n.F. und § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MHG. Schon aus diesen Gründen kann dem Mieter durch die Angabe einer überhöhten Wohnfläche im Mietvertrag ein unmittelbarer wirtschaftlicher Schaden entstehen; dies ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß er möglicherweise nachträglich eine Neuberechnung der Betriebskosten unter Berücksichtigung der geringeren Wohnfläche verlangen kann. Liegt die tatsächliche Wohnfläche erheblich unter der vertraglich vereinbarten, so ist auch die Tauglichkeit der Wohnung gemindert, ohne daß es auf einen Nachweis einer konkreten Beeinträchtigung des Mieters durch die Flächenabweichung ankommt. Denn die Tauglichkeit der Wohnung zum vertragsgemäßen Gebrauch setzt voraus, daß die Wohnung mit der vertraglich vereinbarten Größe nutzbar ist (OLG Karlsruhe aaO; LG Köln aaO; Kraemer, NZM 1999, 156, 161). Auch ist unerheblich, wenn dem Mieter - wie hier den Beklagten vor der Nachmessung im Dezember 2002 - die geringere Wohnfläche nicht aufgefallen ist.
c) Ein abweichendes Flächenmaß ist im Sinne des § 536 Abs. 1 Satz 3 BGB n.F. und des § 537 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. dann erheblich, wenn die tatsächliche Fläche um mehr als 10 % hinter der vertraglich vereinbarten Größe zurückbleibt (OLG Karlsruhe aaO; KG aaO; Emmerich/Sonnenschein aaO; Kinne GE 2003, 100 jew. m.w.Nachw.). Ein zur Minderung berechtigender Sachmangel wird auch bei einem Vertrag über den Kauf oder die Errichtung eines Hauses bzw. einer Eigentumswohnung im Falle einer Unterschreitung der vereinbarten Wohnfläche von mehr als 10 % anerkannt (BGH, Urteil vom 11. Juli 1997 - V ZR 246/96, NJW 1997, 2874 unter II 2; vgl. auch Urteil vom 8. Januar 2004 - VII ZR 181/02, EBE/BGH 2004, 111 unter II 1 und III 1 b). Gründe für eine andere Bemessung der Wesentlichkeitsgrenze im Mietrecht liegen nicht vor (Blank, WuM 1998, 467, 468; Kraemer, NZM 1999, 156, 158). Die Revision bringt zwar zutreffend vor, daß bei einem Wohnungskauf die Größe für die mit dem Kauf bezweckte Wertschöpfung anders als im Mietrecht von Bedeutung ist. Dies rechtfertigt es jedoch - wie ausgeführt - nicht, eine Flächenabweichung von mehr als 10 % für die Tauglichkeitsminderung nach § 536 Abs. 1 Satz 3 BGB n.F. (§ 537 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F.) noch als unerheblich anzusehen. Für den Mieter ist die tatsächliche Wohnungsgröße ein wesentliches Merkmal für den Nutzwert der angemieteten Wohnung und für die Beurteilung der Höhe des geforderten Mietpreises.
d) Der Höhe nach ist die Minderung entsprechend der prozentualen Flächenabweichung gerechtfertigt (Kraemer, NZM 1999, 156, 161). Die Berechnung des Berufungsgerichts wird von der Revision nicht angegriffen und ist auch sonst nicht zu beanstanden.