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Urteil vom 28.03.2023 · IWW-Abrufnummer 235543

Landesarbeitsgericht Köln - Aktenzeichen 4 Sa 659/22

Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgrund eines Unfalls sind für die Frage der negativen Zukunftsprognose grundsätzlich nicht relevant, da sie regelmäßig nicht prognosefähig sind.


Tenor:
1) Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 28.07.2022 - 1 Ca 303/22 - wird zurückgewiesen.


2) Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.


3) Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten um eine ordentliche Kündigung der Beklagten wegen häufiger Kurzerkrankungen.



Die am 1967 geborene, geschiedene, nicht schwerbehinderte Klägerin ist seit dem 01.11.2015 bei der Beklagten, die ausschließlich der Auszubildenden mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, als Lagermitarbeiterin tätig. Ihre zuletzt bezogene Vergütung belief sich nach ihren Angaben auf 2.252,93 Euro brutto pro Monat.



Ab dem 01.01.2019 erkrankte die Klägerin bis zum 04.02.2022 wie folgt:



2019: 130 Tage



21.02.



22.02.



07.03.



08.03. - 15.03.



29.03.



01.04. - 18.04.



03.05.



09.05.



10.05.



13.05.



14.05. - 20.09.



17.10.



21.11.



22.11. - 06.12.



2020: 60 Tage



13.02. - 21.02.



10.03.



14.04. - 26.06.



18.11.



19.11.



2021: 164 Tage



04.01. - 05.01.



29.01. - 01.02.



08.02. - 19.02.



04.03. - 05.03.



26.04. - 28.04.



18.05.



26.05. - 27.05.



01.06.



02.06. - 11.06.



22.06. - 23.06.



06.07. - 31.12.



2022 (bis 04.02.2022): 21 Tage



01.01. - 04.02.2022.



Entgeltfortzahlung leistete die Beklagte im Jahr 2019 an 69 Tagen, im Jahr 2020 an 38 Tagen und im Jahr 2021 an 56 Tagen. Im Jahr 2022 fielen bis zum 04.02.2022 keine Entgeltfortzahlungskosten an.



Die Klägerin erlitt in dieser Zeit am 14.05.2019 sowie am 14.04.2020 - nicht beruflich veranlasste - Unfälle.



Die Parteien führten 2 Verfahren zum betrieblichen Eingliederungsmanagement durch, welche am 11.10.2019 sowie am 03.06.2020 abgeschlossen wurden. Mit Schreiben vom 25.08.2021 wurde der Klägerin ein weiteres BEM-Verfahren angeboten. Dieses nahm sie jedoch nicht an.



Mit Datum vom 03.01.2022 fertigten die behandelnden Ärzte der Klägerin einen Plan zur stufenweisen Wiedereingliederung, nach dem die Klägerin in der Zeit vom 10.01.2022 bis zum 21.01.2022 täglich 4 Stunden und in der Zeit vom 24.01.2022 bis zum 04.02.2022 täglich 6 Stunden arbeiten sollte. Die Beklagte erklärte hierzu ausdrücklich ihr Einverständnis. Entsprechend wurde die Klägerin ab dem 10.01.2022 eingesetzt.



Unter dem 11.01.2022 hörte die Beklagte den im Betrieb gewählten Betriebsrat zur beabsichtigten ordentlichen, krankheitsbedingten Kündigung an. Der Betriebsrat widersprach mit undatiertem Schreiben und verwies auf einen entsprechenden Beschluss vom 18.01.2022.



Mit Schreiben vom 27.01.2022, welches der Klägerin am selben Tage zuging, kündigte die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.03.2022.



Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass diese Kündigung sozial nicht gerechtfertigt sei, da es bereits an einer negativen Zukunftsprognose fehle.



Die Erkrankungen vom 08.03.2019 bis 15.03.2019, vom 01.04.2019 bis 19.04.2019 sowie am 10.05.2019 seien zurückzuführen auf klimakterische Störungen. Die Klägerin hat behauptet, diese seien ausgeheilt. Die unmittelbaren Folgen aus dem Unfall vom 14.05.2019 - Meniskusriss links, Fraktur des Tibiaschaftes links sowie eine Verstauchung und Zerrung des linken Knies - hätten ab dem 22.09.2019 nicht mehr zu einer Arbeitsunfähigkeit geführt. Sie hat behauptet, dass sich durch die Schädigung des linken Knies eine Entzündung der linken Achillessehne entwickelt habe, die in der Zeit vom 21.11.2019 bis zum 04.12.2019 zu einer Arbeitsunfähigkeit geführt habe, die mittlerweile ausgeheilt sei.



Die Klägerin hat behauptet, dass sie infolge des Unfalls vom 14.04.2020 eine Verletzung am rechten Knie erlitten habe, aufgrund dessen sie bis zum 28.06.2020 arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Auch hiernach hätten sich Beschwerden an der Achillessehne - dieses Mal der rechten - ergeben. Diese seien im Juni derart erheblich geworden, dass sie erneut arbeitsunfähig erkrankt sei. Die Klägerin hat behauptet, dass diese Erkrankung letztendlich bis zum 03.01.2022 angehalten hätte, nunmehr aber ausgeheilt seien.



Die Klägerin hat zudem die Ansicht vertreten, dass eine Beeinträchtigung betrieblicher Interessen nicht vorliege. Soweit sich die Beklagte auf die Notwendigkeit berufe, dass andere Arbeitnehmer Überstunden leisten müssten, so liege dies daran, dass ein Arbeitnehmer auf eigenen Wunsch die Abteilung verlassen habe, ohne, dass die Beklagte diese Vakanz ausgeglichen habe. Zudem kooperiere die Beklagte mit Zeitarbeitsunternehmen, so dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass ein Ersatz nicht zu finden gewesen sei.



Die Klägerin ist zudem auch von der Unverhältnismäßigkeit der streitgegenständlichen Kündigung ausgegangen.



Die Klägerin hat die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats bestritten.



Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 27.01.2022 nicht beendet wird.



Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.



Sie hat die Auffassung vertreten, dass die streitgegenständliche Kündigung sozial gerechtfertigt sei.



Eine Indizwirkung hinsichtlich der negativen Zukunftsprognose sei gegeben und von der Klägerin auch nicht erschüttert worden. Die Beklagte hat bestritten, dass die Beschwerden der Achillessehne am 27.01.2022 dauerhaft ausgeheilt gewesen seien.



Sie hat vorgetragen, dass sich die Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen ihrer Auffassung nach bereits aus den hohen Entgeltfortzahlungskosten sowie aus dem Umstand ergebe, dass das anwesende Personal vermehrt Überstunden hätte leisten müssen. Geeignete Leiharbeiter stünden zudem nicht zur Verfügung.



Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass die Kündigung auch verhältnismäßig sei, da ihr eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden könne.



Mit Urteil vom 28.07.2022 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben, im Wesentlichen mit folgender Begründung:



Die Kündigung sei unverhältnismäßig. Es sei zunächst zu berücksichtigen, dass die Klägerin zuletzt nicht mehr häufig kurzzeitig erkrankt gewesen sei, sondern seit Juli 2021 durchgängig gefehlt habe. Hier dränge sich die Frage auf, ob nunmehr im Vergleich zu den vorherigen Jahren andere Krankheitsursachen vorliegen würden. Jedenfalls aber hätte die Beklagte die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung andauernde stufenweise Wiedereingliederung abwarten müssen, da mit dem erfolgreichen Abschluss der Wiedereingliederung die aktuelle Vertragsstörung durch die langandauernde Arbeitsunfähigkeit auch ohne den Ausspruch der Kündigung überwunden gewesen wäre. Zudem wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, der Klägerin erneut ein betriebliches Eingliederungsmanagement anzubieten, da unklar sei, ob nach der Überwindung der langandauernden Arbeitsunfähigkeit nunmehr anderweitige Möglichkeiten bestanden hätten, auch weitere zukünftige Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin zu vermeiden. Aufgrund der positiven Prognose der behandelnden Ärzte - erkennbar durch Aufstellung des Wiedereingliederungsplans - habe es auf der Hand gelegen, dass sich die aktuellen Umstände seit dem letzten Angebot auf Durchführung einer betrieblichen Wiedereingliederung zeitnah ändern könnten.



Gegen das der Beklagten am 29.08.2022 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 15.09.2022 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufung, die sie am 28.11.2022 innerhalb der bis zum 28.11.2022 verlängerten Berufungsbegründungsfrist unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags im Wesentlichen wie folgt begründet:



Das Arbeitsgericht habe eingeräumt, dass die Krankheitszeiten erheblich seien und durchaus eine Indizwirkung für einen entsprechenden zukünftigen Verlauf haben könnten. Die Klägerin habe diese Wirkung auch nicht widerlegen können. Dass die letzte Erkrankung - die Entzündung der Achillessehne - zum Kündigungszeitpunkt dauerhaft ausgeheilt gewesen sei, erkenne die Beklagte nicht. Hierfür spreche nichts.



Die Kündigung verstoße entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Für die Erkrankung vom 06.07.2021 bis zum 04.02.2022 sei der Klägerin ein betriebliches Wiedereingliederungsmanagement angeboten worden, so dass die Beklagte ihre Verpflichtung aus § 167 Absatz 2 SGB IX erfüllt habe. Die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin habe fortbestanden, es sei keine wiederholte Arbeitsunfähigkeit aufgetreten. Dass die Beklagte die streitgegenständliche Kündigung während der stufenweisen Wiedereingliederung ausgesprochen habe, führe ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis. Eine stufenweise Wiedereingliederung werde nicht im Einvernehmen der Parteien des Arbeitsverhältnisses vollzogen und erschöpfe sich darin, dass der behandelnde Arzt den Arbeitnehmer für einen bestimmten Zeitraum nicht vollständig "gesundschreibe", sondern dass diese "Gesundschreibung" zunächst nur für eine Teilzeittätigkeit erfolge. Es erschließe sich nicht, weshalb dies Einfluss auf die Verhältnismäßigkeit habe. Hätte der behandelnde Arzt für den Zeitraum nach dem 09.01.2022 keine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erteilt, hätte die Beklagte das Arbeitsverhältnis kündigen können. Dasselbe Recht hätte die Beklagte im Falle einer uneingeschränkten Fortsetzung der Krankschreibung gehabt. Weshalb dieses Kündigungsrecht entfalle, weil die Klägerin ab dem 10.01.2022 (nur) stufenweise habe arbeiten können, sei nicht erkennbar. Die Auffassung des Arbeitsgerichts führe zu einem Sonderkündigungsschutz für Arbeitnehmer, die auf ärztlichen Rat nach längerer Erkrankung nicht vollzeitig, sondern nur teilzeitig arbeiten. Für diese Annahme gebe es keine sachliche Rechtfertigung.



Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 28.07.2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.



Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.



Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil, wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag und führt ergänzend aus, dass sie das Angebot auf Durchführung eines weiteren betrieblichen Eingliederungsmanagements nicht abgelehnt, sondern nur darauf verwiesen habe, dass dieses aufgrund der zu diesem Zeitpunkt bestehenden Arbeitsunfähigkeit derzeit nicht durchgeführt werden könne. In der Berufungsbegründung verkenne die Beklagte zudem Sinn und Zweck einer stufenweisen Wiedereingliederung. Da die Klägerin nicht schwerbehindert sei, könne diese Wiedereingliederung nur mit Zustimmung der Beklagten erfolgen. Die Kündigung während der stufenweisen Wiedereingliederung auszusprechen und der Klägerin kein weiteres betriebliches Eingliederungsmanagement anzubieten, führe zur Unverhältnismäßigkeit.



Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die ausweislich der Sitzungsprotokolle abgegebenen Erklärungen ergänzend Bezug genommen.



Entscheidungsgründe



Die Berufung der Beklagten ist an sich statthaft (§ 64 Absatz 1, Absatz 2 lit. c) ArbGG) und nach den §§ 64 Absatz 6, 66 Absatz 1 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 519 ZPO am 15.09.2022 gegen das am 29.08.2022 zugestellte Urteil form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der bis zum 28.11.2022 verlängerten Berufungsbegründungsfrist ordnungsgemäß begründet worden. Sie ist damit insgesamt zulässig.



Die Berufung ist nicht begründet. Richtigerweise hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Die Kündigungsschutzklage ist zulässig und begründet.



1) Zulässigkeit



Die Klage war insgesamt zulässig. Das Feststellungsinteresse für den Klageantrag ergab sich vorliegend aus den §§ 4,7 KSchG.



2) Begründetheit



Der Klageantrag war begründet. Die streitgegenständliche Kündigung beendete das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht.



Nachdem die Klägerin, die sich auf die Anwendbarkeit des KSchG nach den §§ 1,23 KSchG berufen konnte, die vorliegende Kündigungsschutzklage innerhalb der Frist der §§ 4,7 KSchG eingereicht hatte, war die streitgegenständliche Kündigung auf ihre soziale Rechtfertigung hin zu überprüfen.



Eine solche lag nicht vor.



Nach § 1 Absatz 2 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung unter anderem dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe, die in der Person des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist.



Bei häufigen (Kurz-)Erkrankungen ist, damit sie eine Kündigung sozial rechtfertigen können, zunächst eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen - erste Stufe. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes - zweite Stufe - festzustellen ist. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung - dritte Stufe - ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen (BAG vom 20.11.2014, 2 AZR 755/13; BAG vom 10.12.2009, 2 AZR 400/08; BAG vom 07.11.2002, 2 AZR 599/01).



Bereits die erste Stufe war nicht erfüllt, so dass insbesondere die Frage der Verhältnismäßigkeit nicht mehr zu prüfen war. Eine negative Zukunftsprognose konnte zumindest zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Kündigung noch nicht erstellt werden.



Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast in Bezug auf die erste Stufe der negativen Zukunftsprognose galt hierbei folgendes:



Der Arbeitgeber kann sich zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten des Arbeitnehmers in der Vergangenheit mitzuteilen. Hierbei ist nicht auf einen starren Zeitraum abzustellen. Der Arbeitnehmer muss sodann - sofern die vom Arbeitgeber mitgeteilten Zahlen die Annahme einer negativen Zukunftsprognose vermuten lassen - gemäß § 138 Absatz 2 ZPO dartun, weshalb die Besorgnis weiterer Erkrankungen unberechtigt sein soll. Dieser Mitwirkungspflicht genügt er schon dann, wenn er die Behauptung des Arbeitgebers bestreitet und die Ärzte von der Schweigepflicht entbindet, die ihn behandelt haben, soweit darin die Darstellung liegt, die Ärzte hätten die künftige gesundheitliche Entwicklung ihm gegenüber bereits tatsächlich positiv beurteilt. Trägt er selber konkrete Umstände, wie die Krankheitsursache vor, so müssen diese geeignet sein, die Indizwirkung der bisherigen Fehlzeiten zu erschüttern (BAG vom 10.11.2005, 2 AZR 44/05; BAG vom 07.11.2002, 2 AZR 599/01; BAG vom 06.09.1989, 2 AZR 19/89).



Beweispflichtig für die negative Zukunftsprognose ist der Arbeitgeber, § 1 Absatz 2 Satz 4 KSchG (vgl. BAG vom 12.04.2002, 2 AZR 148/01).



Die als unstreitig feststehenden Fehlzeiten der klagenden Partei, ihre jeweilige Dauer und ihre Ursachen sind in erster Linie die für die Rechtfertigung der Besorgnis künftiger Erkrankungen maßgebenden Anhaltspunkte. Ihre Bewertung, ob sie ausreichen, die Annahme künftiger erheblicher Fehlzeiten zu rechtfertigen, ist in erster Linie Sache des Tatrichters, dem hierfür im Rahmen der §§ 144, 286 ZPO ein Ermessensspielraum zusteht (BAG vom 20.11.2014, 2 AZR 755/13; BAG vom 14.01.1993, 2 AZR 343/92; BAG vom 26.05.1977, 2 AZR 201/76; BAG vom 06.09.1989, 2 AZR 19/89; BAG vom 07.12.1989, 2 AZR 225/89). Der Tatrichter ist im Rahmen seines Ermessens nach § 144 ZPO nur dann zur Erhebung des Sachverständigenbeweises verpflichtet, wenn ihm die Sachkunde zur Prüfung fehlt, ob der bisherige Krankheitsverlauf ausreichende Indizien für eine negative Prognose enthält (BAG vom 06.09.1989, 2 AZR 19/89; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn. 181)



Jedoch kann bestimmten Ursachen bereits aufgrund ihrer Eigenart die Eignung für eine auf sie aufbauende Gesundheitsprognose abgesprochen werden, so dass es insoweit auf die richterliche Würdigung und den darin enthaltende Ermessensspielraum nicht ankommt. Hierunter fallen alle Erkrankungen, denen ihrer Natur nach oder aufgrund ihrer Entstehung keine Aussagekraft für eine Wiederholungsgefahr beizumessen ist. Dazu gehören in erster Linie Unfälle, soweit es sich nach ihrer Entstehung um einmalige Ereignisse handelt, sowie sonstige offenkundig einmalige Gesundheitsschäden (BAG vom 20.11.2014, 2 AZR 755/13; BAG vom 08.11.2007, 2 AZR 292/06; BAG vom 10.11.2005, 2 AZR 44/05; BAG vom 06.09.1989, 2 AZR 19/89; BAG vom 02.11.1989, 2 AZR 335/89; BAG vom 07.12.1989, 2 AZR 225/89; NK-ArbR/Christof Kerwer KSchG § 1 Rn. 456 f.).



So verhielt es sich hier. Aufgrund der Eigenart der streitgegenständlichen Krankheitsursachen schied eine negative Zukunftsprognose aus:



Die Klägerin hatte - unstreitig - im streitgegenständlichen Zeitraum 2 Unfälle: Am 14.05.2019 sowie am 14.04.2020.



Der Unfall vom 14.05.2019 führte zunächst zu einem Meniskusriss links, einer Fraktur des Tibiaschaftes links - also einem Abschnitt vom Schienbein - sowie zu einer Verstauchung und Zerrung des linken Knies. Diese unmittelbaren Folgen führten zu einer Arbeitsunfähigkeit bis zum 20.09.2019 (= 91 Tage). Mittelbare Folge dieses Unfalls war eine Entzündung der linken Achillessehne aufgrund des verletzten Knies, welche zu einer Arbeitsunfähigkeit im Zeitraum vom 21.11.2019 bis zum 04.12.2019 (= 11 Tage) führte. Damit verblieben für das Jahr 2019 allenfalls (130 - 102) 28 Tage, die möglicherweise für die Frage der Indizwirkung herangezogen werden könnten. Selbst wenn es sich - was von der Beklagten nicht vorgetragen wurde - bei den aufgeführten Tagen allein um Arbeits- und nicht Kalendertage gehandelt haben sollte, wäre bei Herausrechnung der Unfallfolgen der Zeitraum von 6 Wochen im Jahr 2019 nicht überschritten. Die Erkrankungen im Jahr 2019 waren mithin nicht geeignet, eine negative Zukunftsprognose annehmen zu können.



Gleiches gilt für das Folgejahr:



Der Unfall vom 14.04.2020 führte zu einer Verletzung des rechten Knies, was zu einer Arbeitsunfähigkeit bis zum 28.06.2020 (= 50 Tage) führte. Damit verblieben für das Jahr 2020 allein noch (60 - 50) 10 Tage, die geeignet sein könnten, um eine negative Zukunftsprognose erstellen zu können. Dieser Zeitraum liegt deutlich unter 6 Wochen, ist also kündigungsrechtlich ohne Bedeutung.



Damit waren auch die Krankheitszeiten im Jahr 2020 ebenfalls nicht geeignet, eine Indizwirkung für eine negative Zukunftsprognose anzunehmen, so dass es nicht mehr darauf ankam, dass die Klägerin für die Folgezeit - also ab dem 28.06.2020 - zu pauschal vorgetragen hatte.



Im Jahr 2021 verhielt es sich nicht anders:



Die erheblichen Krankheitstage resultierten im Wesentlichen aus einer ununterbrochenen Arbeitsunfähigkeit seit dem 06.07.2021, welche nach dem insoweit nicht näher bestrittenen Sachvortrag der Klägerin mittelbare Folge des Unfalls vom 14.04.2020 waren, da es infolge des Unfalls und seiner Folgen im weiteren Verlauf zu einer Verletzung der rechten Achillessehne kam. Auch diese Krankheitsphase ist daher auf ein einmaliges Ereignis zurückzuführen und daher nicht prognosegeeignet.



Irrelevant war in diesem Zusammenhang zudem, ob - wie von der Klägerin behauptet - die Verletzung an der Achillessehne annähernd ausgeheilt war. Die Beklagte mag bestritten haben, dass die Verletzung ausgeheilt sei. Hierauf kam es aufgrund oben dargestellter Grundsätze jedoch nicht an: Ob eine Verletzung aufgrund eines Unfalls zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung tatsächlich ausgeheilt ist, ist kündigungsrechtlich nicht relevant. Die höchstrichterliche Rechtsprechung differenziert nach den dargestellten Grundsätzen nicht zwischen ausgeheilten, unfallbedingten Verletzungen und nicht ausgeheilten, unfallbedingten Verletzungen. Stattdessen geht das BAG davon aus, dass grundsätzliche sämtliche Erkrankungen, die aufgrund eines einmaligen Ereignisses - wie ein Unfall - auftreten, nicht prognosegeeignet sind. Es wird eben gerade nicht danach differenziert, ob diese zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung tatsächlich schon ausgeheilt waren.



Nach alldem war jedenfalls zum Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Kündigung eine negative Zukunftsprognose, die die Beklagte hätte darlegen und beweisen müssen, nicht anzunehmen.



Der Klage war daher stattzugeben.



Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Absatz 6 ArbGG, 97 Absatz 1 ZPO.



Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Absatz 2 ArbGG sind nicht gegeben. Keine der entscheidungserheblichen Rechtsfragen hat grundsätzliche Bedeutung. Die Rechtsfragen berühren auch nicht wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit. Ferner lagen keine Gründe vor, die die Zulassung wegen einer Abweichung von der Rechtsprechung eines der in § 72 Absatz 2 Nr. 2 ArbGG angesprochenen Gerichte rechtfertigen würde.

Vorschriften