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Beschluss vom 17.08.2021 · IWW-Abrufnummer 230632

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Aktenzeichen 22 Ta 36/21

Ist der Prozesskostenhilfeantrag entscheidungsreif, ist aufgrund des Beschleunigungsgebots unverzüglich über die Prozesskostenhilfe zu entscheiden. Auch das Verfahrensgrundrecht auf ein faires Verfahren verbietet, die Entscheidung über einen entscheidungsreifen Prozesskostenhilfeantrag zurückzustellen.


Im Beschwerdeverfahren mit d. Beteiligten
Kläger/Beschwerdeführer -
Proz.-Bev.: Rechtsanwälte
hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Freiburg - 22. Kammer - durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Dr. Kramer ohne mündliche Verhandlung am 17.08.2021
beschlossen:

Tenor:
1. Auf die Gehörsrüge des Klägers vom 29. Juli 2021 wird der Beschluss vom 1. Juli 2021 aufgehoben.


2. Vielmehr lautet die Entscheidung nunmehr wie folgt:


Auf die sofortige Beschwerde des Klägers vom 15. Februar 2021 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen vom 11. Februar 2021 - Az.: 1 Ca 169/20 abgeändert.


Dem Kläger wird ab dem 21. Dezember 2020 im ersten Rechtszug auch für die Klageerweiterungsanträge vom 2. Oktober 2020 und vom 21. Dezember 2020 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S als Prozessbevollmächtigter beigeordnet. Auf die Prozesskosten sind derzeit keine Zahlungen zu leisten.


3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.


4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.



Gründe



I.



Die Beschwerde wendet sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe (PKH) für die Klageerweiterungen.



In der Hauptsache haben die Parteien aufgrund Klage vom 9. April 2020 wegen Kündigungsschutz sowie im Wege der Klageerweiterung vom 2. Oktober 2020 wegen Datenschutz und im Wege der Klageerweiterung vom 21. Dezember 2020 wegen Schadenersatz gestritten. Die Rechtsache endete im Zuge der Kammerverhandlung am 14. Januar 2021 mit dem Abschluss eines Vergleichs, auf dessen Wortlaut Blatt 101 eAkte verwiesen wird.



Der Beschwerdeführer (fortan Kläger) erhielt mit Beschluss vom 31. Juli 2020 antragsgemäß für die Klage vom 9. April 2020 ratenfreie PKH. Der Kläger hatte auch für die Klageerweiterungen jeweils die Bewilligung von PKH beantragt und darauf hingewiesen, dass sich an den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nichts geändert habe. Diesen Antrag hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 11. Februar 2021 zurückgewiesen. Zu Begründung gab es an, in der mündlichen Verhandlung vom 14. Januar 2021 sei dem Kläger unter Fristsetzung und Ablehnungsandrohung bis 4. Februar 2021 aufgegeben worden, eine aktualisierte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen vorzulegen. Dies habe er versäumt, weshalb der Antrag für die Klageerweiterung gem. § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO zurückgewiesen werden müsse. Dieser Beschluss ging dem Kläger am 15. Februar 2021 zu.



Damit war der Kläger nicht einverstanden und verwies im Rahmen der per beA am 15. Februar 2021 beim Arbeitsgericht eingereichten sofortigen Beschwerde auf die laut Poststempel beim Arbeitsgericht am 11. Februar 2021 im Original eingereichte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Der Kläger habe diese schon mit Schriftsatz vom 3. Februar 2021 zur Post gegeben, wo sie aber zu seiner Überraschung offensichtlich erst am 11. Februar 2021 eingegangen sei.



Das Arbeitsgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 1. März 2021 nicht ab. Die Unterlagen seien erst nach Ablauf der Frist eingereicht und ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei weder gestellt worden noch sei dieser gerechtfertigt.



Das Beschwerdegericht hat dem Kläger mit Verfügung vom 8. März 2021 mitgeteilt, dass die Beschwerdebegründung vom 3. März 2021 bereits vorliege. In dieser Beschwerdebegründung wiederholt der Kläger seine Argumente. Er habe am 3. Februar 2021 die angeforderten Unterlagen an das Arbeitsgericht abgeschickt und habe davon ausgehen können, dass diese dort rechtzeitig eingegangen seien. Daraufhin wiederholt der Kläger die Prozessgeschichte und weist darauf hin, dass das Arbeitsgericht trotz Entscheidungsreife bis zum Kammertermin vom 14. Januar 2021 keine Entscheidung über die PKH für die Klageerweiterungsanträge getroffen habe. Erst im Termin sei der Kläger aufgefordert worden, eine aktualisierte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen vorzulegen. Deshalb habe es nicht am Kläger gelegen, dass nicht spätestens im Kammertermin über die Bewilligung von PKH entschieden werden konnte. Das Gericht habe es in der Hand gehabt, den Antragsteller rechtzeitig vor dem Kammertermin aufzufordern, ergänzende Unterlagen vorzulegen, was unterblieben sei. Demzufolge dürften dem Antragsteller keine Nachteile dadurch entstehen, dass das Gericht solche Unterlagen erst nach Abschluss der Instanz überhaupt angefordert habe. Es liege ein klarer Fall von vorheriger falscher Sachbehandlung vor.



Diese Beschwerdebegründung wurde vom Beschwerdegericht nicht zur Kenntnis genommen, weil üblicherweise bei PKH-Beschwerden eine Eingangsverfügung mit folgendem Wortlaut ergeht: "D. Kläger kann die Beschwerde bis xx abschließend begründen. Er möge alle zur Begründung der Beschwerde notwendigen Belege beifügen. Es handelt sich um eine Frist nach § 571 Abs. 3 ZPO. Das bedeutet, dass das Beschwerdegericht eine Begründung der Beschwerde und eine Auseinandersetzung mit der arbeitsgerichtlichen Entscheidung/dem Nichtabhilfebeschluss erwartet." Bei der vorliegenden Bearbeitung sah man in der eAkte nur "VFG 08.03.2021". Das wurde irrtümlicherweise als "übliche Verfügung" gedeutet, wofür sich die Vorsitzende entschuldigt hat. So kam es zum vorgefertigten Formularbeschluss für nicht begründete Beschwerden. Der Kläger erhob zu Recht eine Gehörsrüge.



II.



Die sofortige Beschwerde des Klägers im Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 15. Februar 2021, der am selben Tag per beA beim Arbeitsgericht einging, war gem. den §§ 11a Abs. 1 ArbGG, 127 Abs. 2 Satz 2, 567 Abs. 1 Satz 1 ZPO statthaft und im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erfolgt (§§ 78 Satz 1 ArbGG, 569, 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO). Entsprechendes gilt für die Gehörsrüge, die eine Neubearbeitung der Beschwerde begründet:



In der Sache hat die Beschwerde des Klägers Erfolg. Grundsätzlich kann das Gericht PKH ablehnen, wenn eine formgerecht gesetzte gerichtliche Frist zur Vorlage von Unterlagen nicht eingehalten wurde (1). Dies gilt jedoch nicht, wenn das Gericht seinerseits die Entscheidung über den Antrag verzögert hat (2). In diesem Fall kann PKH rückwirkend bewilligt werden (3).



1. Nach § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO kann das Gericht die Bewilligung von PKH ablehnen, wenn der Antragsteller innerhalb einer vom Gericht gesetzten Frist die Angaben über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht glaubhaft gemacht oder bestimmte Fragen nicht oder ungenügend beantwortet hat. Nach § 118 Abs. 2 Satz 1 ZPO kann das Gericht verlangen, dass der Antragsteller seine tatsächlichen Angaben glaubhaft macht. Nach Satz 2 dieser Norm kann es hierzu die Vorlage von Urkunden anordnen. Nach § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind schon dem Antrag auf PKH neben einer Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die entsprechenden Belege beizufügen (BAG, Beschluss vom 03. Dezember 2003 - 2 AZB 19/03 -, Rn. 9, juris). Der Ausschlusswirkung von § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO steht nicht entgegen, dass nach § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit der sofortigen Beschwerde grundsätzlich neue Tatsachen vorgetragen werden können. Der Gesetzgeber hat mit § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO eine spezielle gesetzliche Regelung geschaffen, die der allgemeinen Regelung des § 571 ZPO vorgeht. Der Vorrang dieser Regelung ergibt sich aus deren Sinn und Zweck. Es wäre sinnwidrig, dem Ausgangsgericht eine Ablehnung des Antrags nach Ablauf der vom Gericht gesetzten Frist zwingend gesetzlich vorzuschreiben, dem Beschwerdegericht aber eine solche Berücksichtigung ausdrücklich zu eröffnen (BAG, Beschluss vom 03. Dezember 2003 - 2 AZB 19/03 -, Rn. 13, juris). Vorliegend war durch den gerichtlichen Vergleich vom 14. Januar 2021 die Instanz und der Rechtsstreit beendet. Die nach dem Fristablauf eingegangenen Belege und Unterlagen konnten deshalb prinzipiell nicht mehr berücksichtigt werden. Der Kläger konnte sich grundsätzlich nicht auf die Post verlassen (streitig, siehe BGH, Beschluss vom 22. Juni 2021 - VIII ZB 56/20 -, juris) und hätte die Absendung der Unterlagen am 3. Februar 2021 glaubhaft machen müssen.



2. Ist der PKH-Antrag entscheidungsreif, ist aufgrund des Beschleunigungsgebots unverzüglich über die PKH zu entscheiden. Auch das Verfahrensgrundrecht auf ein faires Verfahren verbietet, die Entscheidung über einen entscheidungsreifen PKH-Antrag zurückzustellen und ihn nach Durchführung der Beweisaufnahme oder Erledigung des Verfahrens abzuweisen (Köln FamRZ 2010, 52; Hamm FamRZ 89, 1203). Dasselbe gilt für die Antragsbearbeitung im Kammertermin mit Fristsetzung zum erneuten Sachvortrag zu den subjektiven Verhältnissen. Das in der Praxis zu beobachtende Zuwarten bei Entscheidungsreife der PKH bis zur mündlichen Verhandlung in der Hauptsache oder gar bis zum Erlass einer Entscheidung in der Hauptsache ist daher unzulässig (Schultzky in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 118 ZPO, Rn. 1; Schultzky in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 127 ZPO, Rn. 8). Entsprechendes muss gelten, wenn die Sachermittlung zum PKH-Antrag ohne hinreichende Sachgründe erst im Kammertermin durchgeführt wird und die daraus folgende Vorlagefrist kurz nach dem Kammertermin abläuft.



3. Entscheidet das Gericht nicht unverzüglich, führt dieser Verfahrensfehler grundsätzlich nicht dazu, dass PKH trotz fehlender Erfolgsaussicht zu bewilligen wäre. Der Hilfsbedürftige kann in einem solchen Fall seinen Anspruch auf PKH nach Abschluss der Instanz mit der sofortigen Beschwerde verfolgen und die rückwirkende Bewilligung erreichen, auch dann, wenn die Entscheidung in der Hauptsache inzwischen rechtskräftig geworden ist. Bei von Anfang an fehlender Erfolgsaussicht kann eine unrichtige Sachbehandlung iSd § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG vorliegen, weil dem Antragsteller die Möglichkeit genommen wird, seine Klage zurückzunehmen und so eine Gebührenermäßigung zu erreichen (VGH Kassel NJW 2012, 3738). So liegt der Fall hier. Vorliegend hat das Arbeitsgericht trotz Entscheidungsreife bis zum Kammertermin vom 14. Januar 2021 keine Entscheidung über die PKH für die Klageerweiterungsanträge getroffen. Erst im Termin wurde der Kläger aufgefordert, eine aktualisierte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen vorzulegen. Deshalb hat es nicht am Kläger gelegen, dass nicht spätestens im Kammertermin über die Bewilligung von PKH für die Klageerweiterungen entschieden werden konnte. Das Gericht hat es in der Hand gehabt, den Antragsteller rechtzeitig vor dem Kammertermin aufzufordern, ergänzende Unterlagen vorzulegen, was unterblieben ist. Aus diesem Grund kann der Kläger trotz Fristablauf noch PKH erhalten.



4. Da die Beschwerde Erfolg hatte, wird von der Erhebung von Gerichtskosten abgesehen.

Die Vorsitzende: Dr. Kramer

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