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  • · Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung

    Wann kann der Geschädigte als Verbraucher seinen Gutachterauftrag widerrufen?

    | Bekanntlich besteht bei einem Außergeschäftsraumvertrag (AGV) wie auch bei einem Fernabsatzgeschäft grundsätzlich das Verbraucherwiderrufsrecht (§§ 312b, 312c, § 312g Abs. 1 BGB i. d. F. ab 13.6.14). Dieses Recht hat ein Geschädigter in Anspruch genommen, nachdem der von ihm eingeschaltete SV die Position Wertminderung im Schadensgutachten nicht zu seiner Zufriedenheit ermittelt hatte. Im anschließenden Honorarprozess blieb diese Rechtsverteidigung in beiden Instanzen ohne Erfolg. |

     

    Sachverhalt

    Nach einem Unfall befand sich das Fahrzeug des Bekl. zwecks Reparatur in einer Werkstatt. Dort unterzeichnete der Bekl. in Abwesenheit des SV ein vorbereitetes und vorgehaltenes Formular „Sicherungsabtretung“. Darin heißt es u. a.: „Aus Anlass des oben beschriebenen Schadenfalls habe ich das Kfz-Sachverständigenbüro … beauftragt“. Das unterzeichnete Formular wurde von einem Mitarbeiter des Autohauses an den Kl. weitergeleitet, der daraufhin sein Gutachten erstattete.

     

    Der Bekl. ist der eingeklagten Honorarforderung mit dem Argument entgegengetreten, bei dem Gutachterauftrag handele es sich um einen AGV, sein Widerruf sei folglich wirksam. Bei der Situation im Autohaus habe es sich um eine „klassische Überrumpelung“ gehandelt, da er den Auftrag des Klägers außerhalb dessen Geschäftsräume unter dem Eindruck des Unfalls unterzeichnet habe. Der Autohaus-Mitarbeiter habe nur als Bote gehandelt.

     

    Demgegenüber meint der Kl., § 312b BGB sei nicht anwendbar, wenn der Verbraucher ein Blankoformular unterzeichnet habe. Dass das Autohaus für ihn als Stellvertreter oder Beauftragter gehandelt habe, trägt er nicht vor.

     

    Entscheidungsgründe

    Wie die I. Instanz (AG Ratingen 22.11.16, 11 C 54/16) hat das LG Düsseldorf den Widerruf nicht akzeptiert (21.7.17, 20 S 196/16, Abruf-Nr. 195684). Allerdings mit anderer Begründung als das AG.

     

    • Ob § 312b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 BGB anwendbar ist, hat die Kammer dahinstehen lassen. Ihrer Ansicht nach fehlt bereits die Grundvoraussetzung, dass der Vertrag außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen worden ist. Vielmehr sei die Werkstatt als Geschäftsraum des Klägers zu qualifizieren, wenn der Autohausmitarbeiter, wie vom Bekl. vorgetragen (wirklich?), als Bote oder Stellvertreter des Kl. gehandelt habe. Das folge aus § 312b Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 312b Abs. 1 S. 2 BGB.

     

    • Gleichfalls verneint hat das LG ein Widerrufsrecht unter dem Gesichtspunkt Fernabsatz (§ 312c BGB). Für die Vertragsverhandlungen und für den Vertragsabschluss seien nicht ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet worden. Vielmehr sei „mit der zutreffenden Ansicht des Beklagten“ (!) davon auszugehen, dass der Mitarbeiter der Werkstatt im Namen oder im Auftrag des Kl. den Vertrag face to face mit dem Bekl. verhandelt oder abgeschlossen habe.

     

    Relevanz für die Praxis

    Das seit dem 13.6.14 geltende „neue“ Verbraucherwiderrufsrecht ist für die Gerichte noch weitgehend Neuland. Wie sehr man schwimmt, zeigen die nur im Ergebnis übereinstimmenden Entscheidungen in der vorliegenden Sache.

     

    Sowohl unter dem Blickwinkel AGV als auch in der Frage Fernabsatz kommt es entscheidend auf die tatsächlichen Abläufe und deren rechtliche Bewertung an. Kam der Gutachtenvertrag telefonisch zustande? Diese Variante lag im Streitfall unzweifelhaft nicht vor. Es war auch nicht so, dass Kl. und Bekl. gleichzeitig im Autohaus anwesend waren und dort ihren Vertrag geschlossen haben. Das wäre ein AGV. Vielmehr war es, wie meist, die Werkstatt, die den Kontakt hergestellt und die Gutachtenübernahme organisiert hat. Aber in welcher Eigenschaft? Reiner Vermittler ohne Zugehörigkeit zu dem einen oder dem anderen Lager? Nur Bote? Oder Vertreter des Geschädigten? Oder umgekehrt des Sachverständigen?

     

    Im Gegensatz zum AG hat das LG sich dafür entschieden, das Auftreten der Werkstatt dem Kl., also dem Sachverständigen, zuzuordnen. Den Vortrag des Bekl. hat man dahin (miss-?)verstanden, dass der Mitarbeiter der Werkstatt als Bote oder Vertreter des Kl. gehandelt habe. Bei einem Auftreten als Vertreter/Beauftragter des Kl., eine ziemlich abenteuerliche Annahme, liegt in der Tat kein AGV vor. Denn dann kommt § 312b Abs. 2 S. 2 BGB ins Spiel: Geschäftsräumen des Unternehmers gleichgestellt sind entsprechende Räume, die von einer anderen Person im Namen oder Auftrag des Unternehmers genutzt werden.

     

    Bei Annahme einer Botenstellung ist das keine „gleichzeitige körperliche Anwesenheit“ i. S. d. § 312b Abs. 1 Nr. 1 BGB, sodass Nr. 2 in den Fokus rückt.

     

    Richtig dürfte das AG Ratingen liegen, wenn es den Autohausmitarbeiter im Lager des Bekl. sieht (Bote oder Vertreter). Darlegungs- und beweispflichtig für die situativen Voraussetzungen eines AGV wie eines Fernabsatzgeschäfts ist der Verbraucher. Ein AGV setzt keine Überrumpelungssituation voraus und muss deshalb auch nicht vorgetragen werden. Was Fernabsatz angeht (hier der richtige Ansatz), so ist im Vorhalten des Formulars das nach § 312c Abs. 1 BGB notwendige Vertriebssystem zu sehen.

     

    Fazit: Wenn sich die (falsche) Düsseldorfer Meinung durchsetzt, ist das im Ergebnis für Sachverständige, die den Vertriebsweg des Kl. gehen, durchaus günstig (keine Widerrufsbelehrung, keine Info-Pflichten u. a.). Gleiches gilt für Anwälte, die via Werkstatt mandatiert werden. Wird dagegen zutreffend die Widerruflichkeit angenommen, kommt es ‒ zumal bei Dienstleistungen ‒ zu einem Rattenschwanz von Anschlussproblemen, etwa im Kontext mit § 356 Abs. 4 und § 357 Abs. 8 BGB. Weitere Frage: Muss der Geschädigte in Erfüllung seiner Schadenminderungspflicht von seinem Widerrufsrecht Gebrauch machen?

     

     

    Interessant ist das Düsseldorfer Urteil unter einem weiteren Gesichtspunkt: Der Bekl. hat eine Honorarpflicht auch wegen Fehlerhaftigkeit des Gutachtens abgelehnt. Der Kl. habe den merkantilen Minderwert mit 1.200 EUR deutlich zu niedrig bemessen. Richtig sei ein Betrag von 2.700 EUR, wie er auch vom TÜV Rheinland ermittelt und vom Versicherer reguliert worden sei. Dieser Vortrag genügte dem LG (insoweit im Einklang mit dem AG) nicht für eine schlüssige Mängelrüge. Was soll ein Geschädigter mehr vortragen, als sich auf ein Gegengutachten zu berufen und sich dessen Inhalt zu eigen zu machen?

     

    Einsender: Rechtsanwalt Henrik Momberger, Düsseldorf

    Weiterführende Hinweise

    • Über die ab dem 13.6.14 geltenden Verbraucherschutzregeln im Zusammenhang mit Unfalldienstleistungen informieren die Beiträge in den Ausgaben 5 und 6/2014 von „UE Unfallregulierung effektiv“ (unter ue.iww.de, Abruf-Nr. 42641362 und 42686536); ferner Eggert, VA 14, 114.
    • Zur Pflicht des Kfz-Sachverständigen, den Geschädigten bei Vereinbarung eines unüblich hohen Honorars auf Regulierungsschwierigkeiten hinzuweisen, s. BGH 1.6.17, VII ZR 95/16, Abruf-Nr. 194817, VA 17, 131.
    Quelle: Ausgabe 09 / 2017 | Seite 152 | ID 44817528