Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 07.11.2023 · IWW-Abrufnummer 238186

    Landgericht Dresden: Beschluss vom 15.09.2023 – 17 Qs 66/23

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    17 Qs 66/23

    BESCHLUSS

    In dem Strafverfahren
    Gegen pp.

    Verteidiger:
    Rechtsanwalt

    wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort

    ergeht am 15.09.2023
    durch das Landgericht Dresden - 17. Große Strafkammer als Beschwerdekammer -
    nachfolgende Entscheidung:

    1. Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 22.08.2023 wird der Beschluss des Amtsgerichts Dresden - Strafrichter - vom 14.08.2023 (Az. 223 Cs 634 Js 16505/23) aufgehoben.
    2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

    Gründe

    I.

    Gegen den Beschwerdeführer erging am 14.08.2023 ein Strafbefehl des Amtsgerichts Dresden - Strafrichter - wegen unerlaubten Entfemens vom Unfallort, gegen den er Einspruch erhob.

    Am selben Tag ordnete das Amtsgericht Dresden durch Beschluss (BI. 51 d. A.) gemäß § 111a StPO die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis an, welche zugleich gemäß § 111a Abs. 3 StPO als Anordnung der Beschlagnahme des Führerscheins wirkte. Zum Zwecke der Beschlagnahme wurde die Durchsuchung der Person, der Wohnung, der Geschäftsräume und der Fahrzeuge des Angeklagten angeordnet.

    Gegen den am 18.08.2023 zugestellten Beschluss erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch seinen Verteidiger, am 22.08.2023 Beschwerde. Unter Bezugnahme auf die weiteren Einzelheiten der Begründung (BI. 57 d. A.) wird im Wesentlichen angeführt, dass angesichts eines Netto-Sachschadens in Höhe von 1.700,00 EUR kein bedeutender Schaden im Sinne von § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB für die Entziehung der Fahrerlaubnis entstanden sei, da bei der durch die Rechtsprechung vorgegebenen Grenzen die wirtschaftliche Entwicklung, insb. die Inflation zu berücksichtigen sei.

    Das Amtsgericht Dresden hat seine Nichtabhilfeentscheidung vom 23.08.2023, auf welche Bezug genommen wird, maßgeblich darauf gestützt dass laut DEKRA-Gutachten ein Sachschaden von 1/00 EUR netto (2.023 EUR brutto) entstand und aus Sicht des Gerichts unter Verweis auf aktuelle Kommentierungen ein bedeutender Schaden gegeben sei (BI. 58 d. A.). Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

    Die Geschädigte hat auf Nachfrage der Kammer mitgeteilt, dass sie zwar eine Reparatur, ggf. nach einem weiteren Gutachten, beabsichtige, aber zum hiesigen Entscheidungszeitpunkt eine Reparatur noch nicht erfolgt ist.

    II.

    Die zulässige Beschwerde ist begründet. Sie richtet sich entgegen der Angabe „16.08.2023" offensichtlich gegen den Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 14.08.2023 über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis mit Anordnung der Beschlagnahme des Führerscheins sowie der zu diesem Zwecke angeordneten Durchsuchung. Dieser Beschluss war aufzuheben, da die Voraussetzungen für den Erlass nicht erfüllt waren.

    a) Gemäß § 111a StPO kann der Richter dem Beschuldigten durch Beschluss die Fahrerlaubnis vorläufig entziehen, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Fahrerlaubnis entzogen wird. Nach § 69 Abs. 1 StGB setzt die Entziehung der Fahrerlaubnis voraus, dass der Beschuldigte zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist, wobei nach Abs. 2 Nr. 3 der Vorschrift in der Regel der Täter als ungeeignet anzusehen ist, wenn er im Falle eines hier verfahrensgegenständlichen unerlaubten Entfernens vom Unfallort weiß oder wissen kann, dass an fremden Sachen ein bedeutender Schaden entstanden ist.

    aa) Voraussetzung ist zunächst das Vorliegen eines objektiv bedeutenden Schadens. Darüber hinaus ist die Erkennbarkeit der Schadenshöhe für den Täter zum Tatzeitpunkt maßgeblich (vgl. etwa Kammerbeschluss v. 08.02.2023, Az. 17 Qs 11/23).
    Eine konkrete Schadenshöhe hat der Gesetzgeber dabei nicht vorgegeben, sodass es Aufgabe der Gerichte ist, diese zu bestimmen.

    bb) Im Ansatz zutreffend hat sich das Amtsgericht Dresden davon leiten lassen, dass nach der Kommentierung unter Verweis auf die Rechtsprechung, unter anderem des Oberlandesgerichts Dresden, von gegenwärtigen Grenzen von ca. 1.300 EUR bzw. jedenfalls nicht unter 1.500 EUR auszugehen sei.

    Allerdings ist nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts (und nach Abstimmung der dortigen Senate) die allgemeine Preis- und Einkommensentwicklung ausdrücklich zu berücksichtigen (OLG Dresden, Beschluss v. 12.05.2005 — 2 Ss 278/05, zitiert nach juris, dort Rn. 12), weswegen das Oberlandesgericht Dresden damals gerade erst ab 1.300 EUR einen bedeutenden Schaden annahm.

    cc) Angesichts der weiter vorangeschrittenen Inflation ist die Wertgrenze anzupassen, weshalb derzeit ein bedeutender Schaden nicht unter 1.800 EUR anzunehmen ist.

    (1) Dies folgt daraus, dass laut Statistischen Bundesamt im Januar 2023 (Tatzeit: 20.01.2023) allein die Teuerungsrate 8,7 % betrug. Für das vergangene Jahr 2022 betrug die Jahresteuerungsrate 7,9 %. Im Jahr 2021 belief sie sich auf 3,1 % und im Jahr 2020 betrug sie 0,5 % (vgl. die Destatis-Pressemeldungen Nr. 69 v. 22.02.2023; Nr. 22 v. 17.01.2023; Nr. 25 v. 19.01.2022; Nr. 25 v. 19.01.2021).

    (2) Ausgehend von einer Grenze in Höhe von 1.500 EUR aus dem Jahr 2019 (noch LG Dresden, Besohl. v. 07.05.2019 — 3 Qs 29/19) war die Annahme des bedeutenden Schadens entsprechend einer Erhöhung um die jeweiligen Prozentwerte für die Folgejahre 2020 bis 2023 anzupassen. Bei stetiger Erhöhung des Ausgangswertes von 1.500 EUR um diese jeweiligen Jahresteuerungsraten ergibt sich, bei geringfügiger Rundung, ein Wert in Höhe von 1.800 EUR.

    (3) Ebenso ergibt sich, unter geringfügiger Rundung, ein Wert in Höhe von 1.800 EUR bei Heran-ziehung der noch 2005 vomn Oberlandesgericht Dresden erkannten Wertgrenze von 1.300 EUR und stetiger Erhöhung dieses Wertes um die seitdem zu berücksichtigenden Jahresteuerungsraten bis 2023, wie folgt (Veränderung Verbraucherpreisindex laut Destatis, Genesis-Online):

    Jahr Wert zu Jahresbeginn Jahresteuerungsrate Bemerkung
    2005 1.300,00 € 1,6 %
    2006 1.320,80€ 1,6%
    2007 1.341,93 € 2,3 %
    2008 1.372,80 € 2,6 %
    2009 1.408,49 € 0,3 %
    2010 1.412,72€ 1,0%
    2011 1.426,84 € 2,2 %
    2012 1.458,23 € 1,9 %
    2013 1 A85,94 € 1,5%
    2014 1.508,23 € 1,0 %
    2015 1.523,31 € 0,5 %
    2016 1.530,93 € 0,5 %
    2017 1.538,58 € 1,5 %
    2018 1.561,66 € 1,8 %
    2019 1.589,77 € 1,4 %
    2020 1.612,03 € 0,5 %
    2021 1.620,09 € 3,1 %
    2022 1.670,31 € 7,9 % Pressemitteilung 022/2023
    2023 1.802.26 €

    b) Da bei zutreffender Auffassung des Beschwerdeführers ohne eine bisher erfolgte Reparatur der gutachterlich ermittelte Netto-Sachschaden in Höhe von 1/00 EUR heranzuziehen ist, der unterhalb der nach Auffassung der Kammer derzeit anzusetzenden Wertgrenze von 1.800 EUR liegt, fehlt es an den Voraussetzungen für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a Abs. 1 StPO i.V.m. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB.

    Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.