Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 07.10.2022 · IWW-Abrufnummer 231669

    Amtsgericht St.Ingbert: Urteil vom 15.09.2022 – 23 OWi 65 Js 667/22 (1278/22)

    1. Die in Bußgeldverfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten stark zunehmende Tendenz, Behörden und Gerichte zu „überfluten“ mit ausufernden Schriftsätzen und Anträgen (auf Beiziehung/Überlassung zahlreicher Daten und Unterlagen, weitere Beweiserhebungen, Aussetzung der Hauptverhandlung etc.), Widersprüchen zur Verwertung von Beweismitteln sowie Vorlage von sog. Sachverständigengutachten, um die Grund- und Menschenrechte von Fahrzeugführern/innen nach Grundgesetz, EU-Menschenrechtskonvention und UN-Charta vor staatlicher Willkür in Form von hinterhältigen und wegelagerischen Radarfallen zu “schützen“, dies selbst bei geringfügigen Geldbußen, steht in diametralem Kontrast zu Sinn und Zweck des standardisierten Messverfahrens nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – gerade für den Bereich der massenhaft vorkommenden Verkehrsordnungswidrigkeiten mit vergleichsweise geringfügigen Sanktionen zum Zweck nachdrücklicher Pflichtenmahnung. Dieses seit Jahrzehnten bewährte Rechtsinstitut wird dadurch unterlaufen und ad absurdum geführt (sehr anschaulich: OLG Frankfurt, Beschluss vom 14. Juni 2022 - 3 Ss-OWi 476/22).
    2. Solange der Gesetzgeber hier nicht ein - überfälliges - einheitliches Reglement zur Verfügung stellt, obliegt es den Gerichten, dieser Tendenz entgegenzuwirken und dem „dahinsiechenden“ standardisierten Messverfahren materiell-rechtlich wieder Leben einzuhauchen, um der Verantwortung für höchstmögliche Sicherheit im Straßenverkehr und damit Schutz von Leib und Leben aller Verkehrsteilnehmer gerecht zu werden.
    3. Wird von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen, bedarf es der Hinzuziehung eines Beschilderungsplanes bzw. der verkehrsrechtlichen Anordnung nicht (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 5. Mai 2020 - 1 OWi 2 SsBs 94/19). Die Messörtlichkeit einschließlich der Beschilderung ist durch das Messprotokoll in der Akte ausreichend dokumentiert, so dass die Überlassung der verkehrsrechtlichen Anordnung nicht nötig ist. Verkehrszeichen stellen Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen dar und sind nach §§ 43 III, 44 VwVfG nur unwirksam, wenn sie nichtig sind, ansonsten ist ein Verwaltungsakt zu befolgen, auch wenn er fehlerhaft ist (OLG Koblenz, Beschluss vom 17. November 2020 - 1 OWi 6 SsRs 271/20).
    4. Für die Verwertbarkeit einer Messung trotz nicht gespeicherter/vorhandener Rohmessdaten spricht, dass nach Stellungnahmen und Beiträgen der PTB (zusammengefasst in der Fassung vom 4. November 2021, https://doi.org/10.7795/520/20211104) eine Messung an Hand von Rohmessdaten nicht aussagekräftig überprüft bzw. plausibilisiert werden kann. Nach den einleuchtenden Erläuterungen der PTB ist also nicht davon auszugehen, dass mit der Löschung/Nichtspeicherung von Rohmessdaten eine nachträgliche Überprüfung der Messung verhindert werden soll, wie es einige sog. Sachverständigenbüros suggerieren wollen. Es soll damit lediglich verhindert werden, dass der geeichte Messwert, gesetzliche Grundlage des Messwesens, mit ungeeigneten Mitteln in Frage gestellt wird.
    5. Für den Messwert einer konkreten Einzelmessung gibt es keinen Zusammenhang mit den Messergebnissen für Fahrzeuge, die in den Stunden davor oder danach erfasst wurden, so dass die Daten einer gesamten Messreihe – unabhängig davon, dass dieser Begriff nicht definiert und damit unbestimmt ist – ungeeignet sind zur Überprüfung der Einzelmessung (PTB, 30.03.2020, https://doi.org/10.7795/520.20200330).
    6. Bei Messungen mit dem Messgerät PoliScan besteht kein Anspruch auf Überlassung des sog. Token. Wird die Tuff-Datei mit der nötigen Software und dem dazugehörigen Token (auch public key, key oder Schlüssel genannt) geöffnet, ist ein grüner Haken sichtbar, mittels Token wird demnach die Integrität der Datei visualisiert. Diese Visualisierung kann als pdf-Datei abgespeichert und an die Verteidigung herausgegeben werden. Der Token ist mithin kein Medium zum Öffnen/Entschlüsseln einer Datei; er dient ausschließlich dazu, die Integrität der Messdaten zu visualisieren in Form des o.a. Häkchens.


    Rechtsprechung

    Anschluss OLGFrankfurt Senat für Bußgeldsachen, 14. Juni 2022, 3 Ss-OWi 476/22, ...
    Anschluss OLGKoblenz 1. Senat für Bußgeldsachen, 17. November 2020, 1 OWi 6 SsRs 271/20
    Anschluss OLGZweibrücken Senat für Bußgeldsachen, 5. Mai 2020, 1 OWi 2 SsBs 94/19, ...

     

    Tenor

    Gegenden Betroffenen wird wegen fahrlässiger Überschreitung der außerorts zulässigenHöchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 25 km/h eine Geldbuße in Höhe von 100,-€ festgesetzt.

    DerBetroffene trägt die Kosten des Verfahrens.

    AngewendeteVorschriften: §§ 41 I, 49 III Nr. 4 StVO, § 24 StVG

    Gründe

    Randnummer1

    Inder Hauptverhandlung, in der der Betroffene von der Pflicht zum persönlichenErscheinen entbundenen war, wurden folgende Feststellungen getroffen:

    Randnummer2

    Gegenden Betroffenen liegen nach Auskunft aus dem Fahreignungsregister (Bl. 33 d.A.) keine Voreintragungen vor.

    Randnummer3

    DerBetroffene befuhr ‒ nach insofern geständiger Einlassung ‒ am Mittag des04.12.2021 mit dem PKW (amtliches Kennzeichen: …) die BAB 620 FahrtrichtungVölklingen.

    Randnummer4

    InHöhe der dortigen „Total“-Tankstelle bei Saarlouis befand sich laut vorgelegtenMessprotokolls (Bl. 3 d. A.) eine semi-stationäre Geschwindigkeitsmessanlageder Firma Vitronic, Typ PoliScan F1 HP, ausweislich vorgelegten Eichscheins(Bl. 5 d. A.) zur Tatzeit gültig geeicht. Den Lichtbildern, die in Augenscheingenommen wurden und auf die gemäß den §§ 46 OWiG, 267 Abs. 1Satz 3 StPOBezug genommen wird, war zu entnehmen, dass sich das Fahrzeug mit denerforderlichen Teilen in plausibler Form im Auswerterahmen befindet.

    Randnummer5

    DieMessung erfolgte nach Auskunft des Verkehrsdienstes West (Bl. 40 d. A.) imStativ-Betrieb durch den ausweislich Schulungsbescheinigung (Bl. 7 d. A.)geschulten Messverantwortlichen PK ….

    Randnummer6

    BeiMessungen mit dem hier zum Einsatz gekommenen Messgerät der Firma Vitronic, TypPoliScan F1 HP, handelt es sich nach der obergerichtlichen Rechtsprechung umstandardisierte Messverfahren (vergl. Saarländisches OLG, Beschluss vom28.05.2019, ss Rs 24/2019, OLG Bamberg, Beschlussvom 12.03.2019, 2 Ss OWi 67/19zu Enforcement Trailer, Pfälzisches OLG Zweibrücken, 01.12.2021, 1 OWi 2 Ss Bs100/21).

    Randnummer7

    Abgespeichertwerden bei dem Messgerät Poliscan Orts- und Zeitinformationen des ersten undletzten Punkts sowie 3 weitere Punkte in der Software-Version 4.4.5 sowie 2Positionsdaten in der Version 4.4.9.

    Randnummer8

    Beidem Messgerät Poliscan kann der Geschwindigkeitswert durch Weg-Zeit-Berechnungsowie durch Photogrammetik überprüft werden, und zwar bei beidenSoftwareversionen.

    Randnummer9

    DiesePlausibilisierungsverfahren können ‒ wie die Gerichtspraxis zeigt - durchSachverständige ohne weiteren Aufwand und ohne Rückgriff auf nicht zur Verfügungstehende Algorithmen durchgeführt werden und bedürfen keiner Erstellung einesModells, welches wohl auch nur besonders befähigte bzw. ausgebildeteSachverständige erstellen könnten.

    Randnummer10

    DieRichtigkeit der Messung bzw. des Messergebnisses ist zwar seitens desBetroffenen in Abrede gestellt worden.

    Randnummer11

    Folgendeswurde eingewandt:

    Randnummer12

    DasGerät speichere keine Rohmessdaten, so dass die Messung nicht überprüfbar unddamit nicht verwertbar sei.

    Randnummer13

    DemVerteidiger seien Unterlagen nicht zur Verfügung gestellt worden, u. a.Beschilderungsplan und verkehrsrechtliche Anordnung.

    Randnummer14

    DieseEinwände waren jedoch für die Entscheidung nicht von Bedeutung.

    Randnummer15

    DemVerteidiger wurde durch Verfügung der Verwaltungsbehörde vom 03.02.2022 (Bl.22, 24 d. A.) umfangreich Akteneinsicht gewährt. Ein darüberhinausgehenderAnspruch bestand nicht.

    Randnummer16

    DerUmstand, dass bei diesem Messgerät wie mittlerweile bei fast allen Messgerätensog. Rohmessdaten nicht gespeichert werden bzw. nicht vorhanden sind, führtenach Auffassung des Gerichts nicht zu einem Verwertungsverbot betreffendMessung und Messdaten.

    Randnummer17

    Fürdie Verwertbarkeit der Messung trotz nicht gespeicherter/vorhandenerRohmessdaten spricht, dass nach Stellungnahmen und Beiträgen der PTB(zusammengefasst in der Fassung vom 04.11.2021,https://doi.org/10.7795/520/20211104) eine Messung an Hand von Rohmessdatennicht aussagekräftig überprüft bzw. plausibilisiert werden kann.

    Randnummer18

    Stattauf den Einzelmesswert wird die Überprüfbarkeit auf das Messgerät selbstverlagert, zusammen mit verschiedenen anderen Schutzvorschriften z. B. in Formvon Verkehrsfehlergrenzen und Eichfristen. Hält das Messgerät bei derÜberprüfung nach § 39 Mess- und Eichgesetz unter Berücksichtigung derVerwendungssituation alle Anforderungen bezüglich Messrichtigkeit undMessbeständigkeit ein, dann hat das Messgerät auch bei der gegenständlichenMessung korrekt gearbeitet, da die Verwendungssituation in beiden Fällen gleichwar. Durch diesen Rückschluss wird die Problematik aufgelöst, dass dergegenständliche Messvorgang nicht wiederholbar ist.

    Randnummer19

    Nachden einleuchtenden Erläuterungen der PTB ist also nicht davon auszugehen, dassmit der Löschung/Nichtspeicherung von Rohmessdaten eine nachträglicheÜberprüfung der Messung verhindert werden soll, wie es einige sog.Sachverständigenbüros suggerieren wollen. Es soll damit lediglich verhindertwerden, dass der geeichte Messwert, gesetzliche Grundlage des Messwesens, mitungeeigneten Mitteln in Frage gestellt wird.

    Randnummer20

    Ausdem Recht auf ein faires Verfahren, welches insbesondere durch das Verlangendes Betroffenen nach verfahrensrechtlicher „Waffengleichheit“ und einer Paritätdes Wissens geprägt ist, folgt nur, dass ein Anspruch auf Informationszugang zuden nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehördetatsächlich vorhandenen Informationen besteht.

    Randnummer21

    Diegrundsätzliche Verwertbarkeit der Ergebnisse einer Geschwindigkeitsmessungunter Verwendung eines standardisierten Messverfahrens (hier: PoliScan FM1)hängt nicht von der nachträglichen Überprüfbarkeit oder Plausibilisierung derDaten ab, die der Messung zugrunde liegen.

    Randnummer22

    EinVerwertungsverbot resultiert nicht aus einer „gezielten staatlichenBeweisrekonstruierungsvereitelung“ durch die Physikalisch-TechnischeBundesanstalt (PTB); hierfür bestehen keinerlei Anhaltspunkte.

    Randnummer23

    (OLGFrankfurt, Beschluss vom 14.06.2022, 3 Ss-OWi 476/22).

    Randnummer24

    DieEinschätzung des erkennenden Gerichts zur Verwertbarkeit vomMessungen/Messergebnissen stützt sich insbesondere auf die Rechtsprechung desBundesgerichtshofs (19.08.1993, 4 StR 627/92 und 30.10.1997, 4 StR 24/97), mit welcher das Institut desstandardisierten Messverfahrens geschaffen wurde. Den Entscheidungen lagenGeschwindigkeitsmessungen mit dem Lasermessgerät L TI 20/20 (Vorgängermodelldes Messgeräts Riegel FG 21-P) zu Grunde, bei welchen keinerlei Daten oderFotos gespeichert oder gefertigt werden.

    Randnummer25

    DieseAuffassung zur Verwertbarkeit von Messungen und Messergebnissen wirdmittlerweile von nahezu allen Oberlandesgerichten in Deutschland vertreten undist nach Auffassung des erkennenden Gerichts auch konform mit der Entscheidungdes Bundesverfassungsgerichts vom 12.11.2020 (2 BvR 1616/18).

    Randnummer26

    DerEntscheidung des BVerfG ist nämlich nicht zu entnehmen, dass Messungen undMessergebnisse nicht verwertet werden dürfen, wenn nach dem Messvorganggeräteintern (Roh-) Messdaten nicht abgespeichert werden. Im Gegenteil ist ausdem Postulat der „Waffengleichheit“ - als Ausprägung des Rechts auf ein fairesVerfahren - zwischen Verfolgungsbehörde und Betroffenem zu folgern, dass einBetroffener nur die Daten herausverlangen kann, die auch bei derVerfolgungsbehörde vorhanden sind und dieser einen Informationsvorteilverschaffen könnten.

    Randnummer27

    DieMöglichkeiten der Geltendmachung der Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses unterBerufung auf die erlangten und ausgewerteten Informationen sind hierbei inzeitlicher Hinsicht begrenzt: ein Betroffener kann sich mit den Erkenntnissenaus dem Zugang zu weiteren Informationen nur erfolgreich verteidigen, wenn erdiesen rechtzeitig im Bußgeldverfahren begehrt. Dies ist nach Einschätzung deserkennenden Gerichts so auszulegen, dass dies gegenüber der Verwaltungsbehörde‒ erforderlichenfalls mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG - vor Anhängigkeit desGerichtsverfahrens erfolgen muss, zumal die Gerichte über entsprechende Datenim Regelfall gerade nicht verfügen und eine sog. Waffengleichheit im Verhältniszum Gericht ausdrücklich nicht in Rede steht, und nicht erst nach Anhängigkeitdes Gerichtsverfahrens oder gar in bzw. kurz vor der Hauptverhandlung, wie esin der Praxis häufig vorkommt.

    Randnummer28

    Auchergibt sich aus der Entscheidung unter dem Aspekt, dass eine sachgerechteEingrenzung des Informationszugangs geboten ist und angeforderteDaten/Informationen eine erkennbare Relevanz für die Verteidigung aufweisenmüssen, aus Sicht des erkennenden Gerichts kein Anspruch eines Betroffenen aufZugang zu den Daten einer gesamten Messreihe, unabhängig davon, dass nichtdefiniert ist, was das sein soll (Daten eines Tages, einer Woche, eines Jahres zwischenden Eichterminen?). Denn zum einen ergeben sich aus den Daten der gesamtenMessreihe nach der ‒ öffentlich zugänglichen - Stellungnahme der Physikalischentechnischen Bundesanstalt (PTB) vom 30.03.2020 keine brauchbaren Erkenntnissefür die gegenständliche Messung. Zum anderen wären datenschutzrechtlicheBelange anderer Verkehrsteilnehmer, auf die sich solche Daten beziehen, massivtangiert. Um Letzteres zu verhindern, bedürfte es eines sehr aufwändigenProcederes, die Daten dieser anderen erfassten Verkehrsteilnehmer unkenntlichzu machen.

    Randnummer29

    Wennman trotz dieser einleuchtenden wissenschaftlichen Erkenntnisse undhöchstrichterlichen Leitlinien fordern sollte, dass Ergebnisse von bewährtenGeschwindigkeitsmessgeräten, die über eine PTB-Zulassung oderKonformitätsbescheinigung verfügen, geeicht sind und von geschultem Personalbedient oder eingesetzt werden (weltweit wohl höchster Standard), somit dieVoraussetzungen für ein standardisiertes Messverfahren erfüllen, aber keineRohmessdaten speichern, nicht verwertet werden dürfen, werdenGeschwindigkeitsmessungen nicht mehr möglich sein angesichts dessen, dass diemeisten Messgeräte keine Rohmessdaten ‒ mehr ‒ speichern. Dies hätte einesignifikante Beeinträchtigung der Sicherheit im Straßenverkehr zur Folge, dainsbesondere gravierende Geschwindigkeitsüberschreitungen für die Fahrer/innenkeine Konsequenzen mehr hätten, es auch keine abschreckende Wirkung mehr gäbe,wenn Geschwindigkeitsmessungen nicht mehr stattfänden oder nicht verwertbar wären.In Anbetracht des realen Verkehrsaufkommens und der Verkehrsdichte könnte derStaat das Grundrecht der Bürger und damit aller Verkehrsteilnehmer auf maximalmögliche körperliche Unversehrtheit nicht mehr in ausreichendem und leistbaremAusmaß gewährleisten.

    Randnummer30

    Wirdwie vorliegend von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen, bedarf esder Hinzuziehung eines Beschilderungsplanes bzw. der verkehrsrechtlichenAnordnung nicht (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 05.05.2020 ‒ Az. 1 OWi SsBs 94/19,juris Rn. 19). Die Messörtlichkeit einschließlich der Beschilderung ist durchdas Messprotokoll in der Akte ausreichend dokumentiert, so dass es derÜberlassung der verkehrsrechtlichen Anordnung nicht bedarf (OLG Koblenz, Beschl. v.17.11.2020 ‒ Az. 1 OWi 6 SsRs 271/20,juris Rn. 56). Verkehrszeichen stellenVerwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen dar, vgl. § 35 VwVfG (BVerwG, Urt. v.11.12.1996 ‒ Az. 11 C 15/95,NJW 1997, 1021, 1022). Sie sind nach §§ 43 III, 44 VwVfG nur unwirksam, wenn sie nichtigsind, ansonsten ist ein Verwaltungsakt zu befolgen, auch wenn er fehlerhaft ist(OLG Koblenz, Beschl. v.17.11.2020 ‒ Az. 1 OWi 6 SsRs 271/20,juris Rn. 57). Ein Verwaltungsakt ist nach § 44 I VwVfG nichtig, soweit er an einembesonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigungaller in Betracht kommender Umstände offenkundig ist, darüber hinaus nur unterden Voraussetzungen des § 44 II VwVfG (OLG Düsseldorf, Beschl. v.27.11.1990 ‒ Az. 5 Ss (OWi) 384/9, NVZ 1994, 204).

    Randnummer31

    Demsteht die Entscheidung des saarländischen Verfassungsgerichtshofs vom05.07.2019 ‒ Lv 7/17) nicht entgegen, der sich mitdieser Thematik nicht befasst hat, sondern nur mit dem Vorhandensein von(Roh-)Messdaten zum Zweck vermeintlicher Überprüfbarkeit einer Messung.

    Randnummer32

    Daranhat auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtsvom 12.11.2020 ‒ 2 BvR 1616/18‒ nichts geändert. Danach folgt aus dem Grundsatz des Rechts auf ein fairesVerfahren in der Ausprägung des Gedankens der „Waffengleichheit“, dass einemBetroffenen im Bußgeldverfahren wegen des Vorwurfs einerGeschwindigkeitsüberschreitung auf sein Verlangen hin durch dieVerwaltungsbehörde Informationen/Daten zu einem Messverfahren zugänglich zumachen sind, über die sie selbst verfügt, auch wenn sich diese Daten nicht inder Verfahrensakte befinden. Die begehrten, hinreichend konkret benanntenInformationen müssen zum einen in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhangmit dem jeweiligen Ordnungswidrigkeitenvorwurf stehen und zum anderen erkennbareine Relevanz für die Verteidigung aufweisen.

    Randnummer33

    Dader Informationszugang des Betroffenen gerade im Bereich massenhaftvorkommender Ordnungswidrigkeiten einer sachgerechten Eingrenzung bedarf, setztder Zugangsanspruch in sachlicher Hinsicht voraus, dass die begehrten,hinreichend konkret benannten Informationen zum einen in einem sachlichen undzeitlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Ordnungswidrigkeitenvorwurf stehenund zum anderen aus der maßgeblichen Perspektive des Betroffenen erkennbar eineRelevanz für die Verteidigung aufweisen. Dabei ist entscheidend, ob derBetroffene eine Information verständiger Weise für die Beurteilung desOrdnungswidrigkeitenvorwurfs für bedeutsam halten darf. Bei entsprechenden Zugangsersuchenobliegt es den Bußgeldbehörden und den Gerichten, im Einzelfall zu entscheiden,ob sich das Gesuch innerhalb des durch diese Voraussetzungen gesetzten Rahmenshält (BGH, Beschl. v.30.03.2022 - 4 StR 181/21).

    Randnummer34

    Esist nicht ersichtlich und seitens des Betroffenen nicht substantiiertvorgetragen, inwieweit Beschilderungsplan und verkehrsrechtliche Anordnung eineRelevanz für die Messung, das Messergebnis oder die Verwertbarkeit desMessergebnisses haben soll. Die Verwaltungsbehörde verfügt darüber nicht, kannalso nicht herausgeben, was sie nicht hat.

    Randnummer35

    EinAnspruch auf Herausgabe des sog. Token bestand/besteht nicht.

    Randnummer36

    Beidem Messsystem PoliScan der Firma Vitronic, Typ FM1, wird die von dem Messgeräterzeugte Messdatei verschlüsselt und signiert in einer Tuff-Datei gespeichert.

    Randnummer37

    ZumAnschauen dieser Tuff-Datei ist eine Software (Tuff-Viewer der Firma Vitronic)nötig und eine weitere Software zum Entschlüsseln.

    Randnummer38

    DieseSoftware zum Entschlüsseln und zur Darstellung haben die Verkehrspolizei,ebenso die meisten Sachverständigen. Nach aktueller Rechtsprechung besteht keinAnspruch darauf, dass die Behörde das zu den übermittelten Messdaten passendeEntschlüsselungsprogramm zur Verfügung stellt, das Programm kann beimHersteller der Geschwindigkeitsmessanlage käuflich erworben werden (AG Gosslar,Beschl. v. 16.02.2021 ‒ Az. 26 OWi 39/21 mit Verweis auf OLG Celle, Beschl. v.21.03.2016 ‒ Az. 2 Ss (OWi) 77/16, juris Rn. 11 ff.; AG Buxtehude, Beschl. v.23.11.2017 ‒ Az. 21 OWi 382/17). Dies gilt im Übrigen für alle anderenMessverfahren gleichermaßen, ist also insofern nichts Neues.

    Randnummer39

    Wennman die Tuff-Datei entschlüsselt, erhält man eine xml-Datei und eine Bilddatei,wobei man das Format der Bilddatei selbst auswählen kann. In der xml-Dateiwerden die Messdaten angezeigt. Die xml-Datei kann mithilfe einer weiterenSoftware gelesen werden. Die Sachverständigen besitzen auch diese Software.

    Randnummer40

    DieVerkehrspolizei hat früher die Einzeltoken an die Verteidigung herausgegeben,erhält aber aktuell von der Firma Vitronic nur einen Sammeltoken, der dieDecodierung von Geschwindigkeitsmessungen bei ca. 60 verschiedenenPoliScan-FM1-Messanlagen in ganz Deutschland ermöglicht. Dieser wird aufgrunddatenschutzrechtlicher Bedenken nicht herausgegeben.

    Randnummer41

    Wirddie Tuff-Datei mit der nötigen Software und dem dazugehörigen Token (auchpublic key, key oder Schlüssel genannt) geöffnet, ist ein grüner Hakensichtbar, mittels Token wird demnach die Integrität der Datei visualisiert.Diese Visualisierung kann als pdf-Datei abgespeichert und an die Verteidigungherausgegeben werden. Daneben besteht die Möglichkeit, einen Einzeltoken beider Hessischen Eichdirektion gegen eine Gebühr in Höhe von 117,30 Euroanzufordern.

    Randnummer42

    DerToken ist mithin kein Medium zum Öffnen/Entschlüsseln einer Datei; er dientausschließlich dazu, die Integrität der Messdaten zu visualisieren in Form deso.a. Häkchens.

    Randnummer43

    Wirddie Tuff-Datei mit der Software ohne den dazugehörigen Token geöffnet,erscheint ein roter Kreis mit durchgezogenem Strich, die Integrität wird nichtvisualisiert. Darüber hinaus liefert der Token keine zusätzlichen Daten, dieder Zentralen Bußgeldbehörde oder dem Betroffenen zur Verfügung gestellt werdenkönnte.

    Randnummer44

    Ausgehendvon einer solchen Messung im standardisierten Messverfahren bedurfte es keinerweiteren Beweisaufnahme zur Überprüfung der Messung. Konkrete Messfehler oderUnregelmäßigkeiten waren nicht ersichtlich, wurden auch seitens des Betroffenennicht vorgebracht.

    Randnummer45

    DerBeweisantrag auf Einholung einer schriftlichen Stellungnahme der PTB undVernehmung des Leiters der Arbeitsgruppe Dr. Märtens konnte daher wie geschehenals zur Wahrheitserforschung nicht erforderlich i.S.d. § 77 Abs. 2Nr.1 OWiGabgelehnt werden.

    Randnummer46

    Dieamtliche Zulassung von Geräten und Methoden verfolgt ‒ ebenso wie dieBerücksichtigung eines Toleranzabzugs für etwaige systemimmanente Messfehler ‒gerade den Zweck, Ermittlungsbehörden und Gerichte von derSachverständigenbegutachtung und Erörterung des Regelfalls freizustellen. Diesist insbesondere im Bereich der Geschwindigkeitsüberwachung unbedenklichangesichts der Tatsache, dass nach erfolgter Zulassung eines Messverfahrensjedes zum Einsatz kommende Einzelgerät noch zusätzlich dem Erfordernis derregelmäßigen Eichung ‒ mithin einer turnusmäßigen Kontrolle derGerätefunktionen und ihrer Konformität mit dem bei der PTB hinterlegtenBaumuster durch eine unabhängige Behörde unterliegt. Bedenkt man, dass schon inStrafsachen regelmäßig die Ergebnisse allgemein anerkannter kriminaltechnischeroder rechtsmedizinischer Untersuchungsverfahren verwertet werden, ohne dass diegenaue Funktionsweise der verwendeten Messgeräte bekannt ist, so besteht keinAnlass für insoweit strengere Anforderungen in Bußgeldsachen, bei denen eslediglich um die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten geht und die im Hinblick aufihre vorrangige Bedeutung für Massenverfahren des täglichen Lebens auf eineVereinfachung des Verfahrensganges ausgerichtet sind (vergl. OLG Düsseldorf,Beschluss vom 14.07.2014, IV-1 RBs 50/14).

    Randnummer47

    ImBereich der Messstelle galt eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h beiNässe, angeordnet durch deutlich aufgestellte und wahrnehmbare Verkehrszeichen,ca. 600 m von der Messstelle entfernt. Dies war dem in der Hauptverhandlungvorgelegten Messprotokoll zu entnehmen.

    Randnummer48

    Ausweislichder Messfotos (Bl. 1, 2 d. A.) ‒ Bezugnahme nach § 267 Abs. 1S. 3 StPO ‒war die komplette Fahrbahn zum Zeitpunkt der Messung deutlich erkennbar voneinem durchgehenden Wasserfilm überzogen, bestätigt durch den polizeilichenVermerk als Zusatz zum Messprotokoll (Bl. 4 d. A.), so dass vorliegend vonNässe der Fahrbahn auszugehen war.

    Randnummer49

    DieMessung ergab, dass der Betroffene die Messstelle um 13:59 Uhr mit einerGeschwindigkeit von 105 km/h (nach vorgeschriebenem Toleranzabzug von 3 %)passierte. Dies war den vorgelegten Dateneinblendungen in den Lichtbildern, aufdie gemäß §§ 46 OWiG, 267 Abs.1 Satz 3StPO Bezuggenommen wird, zu entnehmen. Mithin überschritt der Betroffene die zulässigeHöchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 25 km/h. Hierbei ging das Gericht vonfahrlässiger Begehensweise aus.

    Randnummer50

    DemBetroffenen war eine Verkehrsordnungswidrigkeit nach den §§ 41 Abs. 1, 49 Abs.3 Nr. 4 StVO, 24 StVG vorzuwerfen.

    Randnummer51

    DerVerstoß war mit einer Geldbuße i. H. v. 100,- € zu ahnden.

    Randnummer52

    Esgab keine Anhaltspunkte, um von der Regelsanktion nach BußgeldkatalogVOabzuweichen.

    Randnummer53

    DieKostenentscheidung beruht auf den §§ 46 OWiG, 465 StPO.