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17.08.2021 · IWW-Abrufnummer 224118

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 15.04.2021 – 5 Sa 289/20


Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 6. August 2020, Az. 6 Ca 690/19, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.


2. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung und einer Täuschungsanfechtung sowie die Weiterbeschäftigung des Klägers.



Der 1967 geborene Kläger (verheiratet, zwei unterhaltsberechtigte Kinder) ist Diplom-Ingenieur (FH) der Fachrichtung Maschinenbau. Er ist seit dem 08.08.2018 bei der Beklagten als Business Development Manager "Industrie/Versorgungstechnik" beschäftigt. Die Parteien haben ein monatliches Gehalt von € 6.000,00 brutto, ein volles 13. Monatsgehalt, variable Gehaltsbestandteile von maximal € 18.000,00 und die Gestellung eines Firmenwagens mit dem Recht zur Privatnutzung vereinbart. Der geldwerte Vorteil wurde mit € 412,00 versteuert. Die Beklagte stellt Kunststoffprodukte her; sie beschäftigt nach dem Vortrag des Klägers regelmäßig mehr als 800 bzw. 1.450 Arbeitnehmer; es besteht ein Betriebsrat. Im schriftlichen Arbeitsvertrag vom 13.06.2018 wurde ua. vereinbart:

"§ 1 Tätigkeit und Aufgabenbereich:a) [Die Beklagte] überträgt [dem Kläger] mit Wirkung vom 08. August 2018 die Position eines Business Development Managers Industrie/Versorgungstechnik.b) Der Kläger berichtet in dieser Funktion an Vertriebsleiter der Division Rohre- und Formteile.c) Die Tätigkeit erstreckt sich auf alle mit dieser Position in Zusammenhang stehenden Aufgaben. [Die Beklagte] ist berechtigt, [dem Kläger] jederzeit ein anderes, seinen Fähigkeiten und Qualifikationen entsprechendes, gleichwertiges Aufgaben- und Verantwortungsgebiet zu übertragen....§ 11 Vertragsdauer und Kündigung...Nach der Probezeit gilt für beide Parteien eine ordentliche Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Quartalsende....§ 12 Schlussbestimmungen...Vereinbarungen außerhalb dieses Vertrags sind zwischen den Parteien nicht getroffen...."



Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis zunächst mit Schreiben vom 18.09. zum 31.12.2019 aus betriebsbedingten Gründen. Gegen diese Kündigung hat der Kläger am 02.10.2019 Klage erhoben und ua. die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats gerügt. Das Arbeitsgericht hat der Klage gegen diese Kündigung mit (rechtskräftigem) Teilurteil vom 20.02.2020 wegen Nichteinhaltung der Stellungnahmefrist des § 102 Abs. 2 BetrVG stattgegeben.



Mit Anhörungsbogen vom 23.10.2019 hörte die Beklagte den Betriebsrat erneut zu einer ordentlichen Kündigung (diesmal) zum 31.03.2020 an. Ob der Betriebsrat das Schreiben erhalten hat, ist streitig. Der Betriebsrat äußerte in seiner Stellungnahme vom 28.10.2019 Bedenken.



Mit Schreiben vom 29.10.2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.03.2020. Gegen diese Kündigung wehrt sich der Kläger mit seiner Klageerweiterung vom 04.11.2020. Er ist der Ansicht, die Kündigung sei nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und deshalb sozial ungerechtfertigt. Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten hätten durchaus bestanden, die Beklagte habe fehlerhaft keine Sozialauswahl durchgeführt. Er sei mit den sozial stärkeren Arbeitnehmern D. G. (Anfang 30, ein Kind, etwas früher eingestellt) und M. M. (Anfang 30, ein Kind, vier Monate früher eingestellt) vergleichbar. Zum 01.09.2019 habe die Beklagte die Arbeitnehmer J. K. und A. Sch. neu eingestellt. Auch mit diesen Arbeitnehmern sei er vergleichbar. Die Kündigung sei zudem wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats unwirksam.



Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien (auch nicht) durch die schriftliche ordentliche Kündigung vom 29.10.2019, zugegangen am 30.10.2019, zum 31.03.2020 aufgelöst worden ist,2. hilfsweise (für den Fall des Obsiegens mit dem Klageantrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, ihn zu den im Arbeitsvertrag vom 13.06.2018 geregelten Arbeitsbedingungen als Business Development Manager Industrie/Versorgungstechnik oder in einem anderen seinen Fähigkeiten und Qualifikationen entsprechenden gleichwertigen Aufgaben- und Verantwortungsgebiet zu einem Bruttomonatsgehalt von € 6.000,00 einschließlich der in § 2c des Arbeitsvertrags geregelten variablen Gehaltsbestandteile unter Zurverfügungstellung eines Dienstwagens bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiterzubeschäftigen.



Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.



Sie hat erstinstanzlich ausgeführt, die Kündigung vom 29.10.2019 sei wirksam. Der Kläger sei für den neu geschaffenen Geschäftsbereich des Projekts "FutuR0100", für welches die Wachstumsinitiativen "PP-R Rohrsysteme für Heiß- und Kaltwasseranwendungen" und "vor-isoliertes Rohrsystem für Nah- und Fernkältetransport" definiert worden seien, eingestellt worden. Ziel dieser Wachstumsinitiativen sei gewesen, das Marktsegment im Bereich Gebäudetechnik auf Basis eines für sie neuen Materials (PP-R/PP-R + Glasfaseranteil) zu entwickeln und zu vermarkten. Dieses Segment setze fachliche Spezialkenntnisse im Bereich der Gebäudetechnik voraus, die der Kläger mit seiner ausgewiesenen Expertise und Berufserfahrung in der Sanitär-, Heizungs- und Kältetechnik abgedeckt habe. Er habe konkret die Aufgabe gehabt, den Einsatz der von ihr hergestellten Rohre und Rohrsysteme in der Gebäudetechnik für Heiß- und Kaltwasseranwendungen technisch und marktseitig zu entwickeln und zu vermarkten. Dementsprechend seien seine Aufgaben allein auf gebäudetechnische Anwendungen und den technischen Einsatz der Rohre beschränkt gewesen. Mit der technischen Produktion der Rohre sei der Aufgabenbereich des Klägers nicht verbunden gewesen, sondern allein mit dem Einsatz dieser in der Gebäudetechnik. Sie habe sich entschlossen, dieses Tätigkeitsfeld der Gebäudetechnik ersatzlos einzustellen. Konkret habe der Vorstand und eine Prokuristin nach einer Besprechung vom 28.08.2019 entschieden, die Marktinitiative in der Gebäudetechnik nicht fortzuführen. Der Vorstand habe entschieden, dass der Betriebsteil endgültig stillgelegt werden solle. Der Kläger sei der einzige Mitarbeiter gewesen, der in diesem Geschäftsbereich gearbeitet habe. Sein Beschäftigungsbedarf sei mit Schließung des Geschäftsbereichs ersatzlos weggefallen. Ein anderer freier Arbeitsplatz sei nicht vorhanden und eine Sozialauswahl nicht durchzuführen gewesen. Der Kläger sei insbesondere mit den von ihm benannten Arbeitnehmern M. M. und D. G. nicht vergleichbar. M. sei als Außendienstmitarbeiter im Bereich Rohrleitungsbau tätig. Er verfüge über qualifizierte Spezialkenntnisse über die physikalischen und chemischen Eigenschaften von Kunststoffrohren und langjährige Erfahrung im Bereich Kunststoffe. Gebhard besetze die Position des Business Developers "Wasseraufbereitung". Er habe besondere Spezialfachkenntnisse im Bereich der Wasseraufbereitung, insbesondere der physikalischen und chemischen Eigenschaften von Kunststoffrohren im Bereich der Meerwasserentsalzung und langjährige Berufserfahrung. Selbst wenn man eine Vergleichbarkeit annehmen wollte, wäre G. als "Leistungsträger" nicht in die soziale Auswahl einzubeziehen. Soweit der Kläger auf die neu eingestellten Arbeitnehmer J. K. und A. Sch. zum 01.09.2019 hinweise, sei sein Vortrag verspätet. Im Übrigen sei er mit diesen Arbeitnehmern, die in dem Geschäftsfeld des Tiefbaus arbeiteten, aufgrund deren Spezialkenntnissen nicht vergleichbar. Sch. verfüge über Spezialkenntnisse im Bereich Kanalsanierung, K. sei aufgrund seines Erfahrungsschatzes im Fachbereich von Kunststoffrohren im Tiefbau "Leistungsträger". Im Übrigen erforderten die Positionen der Arbeitnehmer M., G., K. und Sch., dass sie ein "großes Netzwerk" in ihrem Bereich (Rohrleitungsbau, Wasseraufbereitung, Tiefbau) mitbringen, über das der Kläger nicht verfüge.



Hilfsweise erklärte die Beklagte im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 09.03.2020 die Anfechtung des Arbeitsvertrags für den Fall, dass ihre Kündigung unwirksam sein sollte. Der Kläger habe im Rechtsstreit vorgetragen, dass er keine Spezialkenntnisse im Bereich der Gebäudetechnik besitze. Er habe daher in der Bewerbung und den Vorgesprächen falsche Angaben gemacht und sich so den Vertragsschluss erschlichen.



Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des angefochtenen Schlussurteils vom 06.08.2020 Bezug genommen.



Das Arbeitsgericht hat dem Kündigungsschutzantrag stattgegeben und die Beklagte zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers als Business Development Manager Industrie/Versorgungstechnik "zu unveränderten Bedingungen" verurteilt. Zur Begründung hat es zusammengefasst ausgeführt, die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.10.2019 sei nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse iSd. § 1 KSchG gerechtfertigt. Es liege bereits keine unternehmerische Entscheidung vor, die den Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger bedinge. Es sei zwar nachvollziehbar, dass bei Einstellung eines bestimmten Projekts, das bis dato ausschließlich dem Kläger zugewiesen worden sei, dieser Teil der Beschäftigungsmöglichkeit für ihn entfalle. Entgegen der Ansicht der Beklagten handele es sich bei dem Projekt "FutuR0100" nicht um einen eigenständigen Betriebsteil. Betriebsteile setzten in der Regel voraus, dass bereits Strukturen errichtet seien, mit denen der Arbeitgeber mit personellen und sachlichen Mitteln bestimmte Tätigkeiten verrichte, die dann markttechnisch vertrieben werden. Die Auslotung von Geschäftschancen in einem bestimmten Bereich in Form von Vorüberlegungen und Marktuntersuchungen erfülle diese Voraussetzungen aber nicht. In diesem Zusammenhang sei von besonderer Bedeutung, dass der Kläger nach dem Inhalt des Arbeitsvertrags mit sämtlichen Entwicklungstätigkeiten im Bereich "Industrie/Versorgungstechnik" hinsichtlich des Vertriebs befasst gewesen sei. Nach seinem Vortrag habe er neben spezifisch gebäudetechnisch ausgerichteten Projekten auch einen Projektprospektentwurf "Industrielüftung" bearbeitet. Selbst wenn man alle übrigen Tätigkeiten, die der Kläger aufgelistet habe, dem Bereich Gebäudetechnik zuschreiben und die Entscheidung der Beklagten den Wegfall dieser Einsatzmöglichkeiten bedingen sollte, sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Beklagten eine Weiterbeschäftigung nicht möglich sei. Der Kläger sei Diplom-Ingenieur (FH) der Fachrichtung Maschinenbau. Vor diesem Hintergrund sei in Anbetracht der Regelung in § 1c des Arbeitsvertrags die bloße Behauptung der Beklagten, der Kläger verfüge lediglich über Qualifikationen in der Gebäudetechnik nicht nachvollziehbar. Insoweit beschränke sich der Vortrag der Beklagten lediglich auf den Wegfall der konkreten Aufgaben des Klägers im Bereich Gebäudetechnik. Zum konkreten Arbeitskräftebedarf im Bereich Business Development Industrie sowie im parallelen Bereich Infrastruktur fehle konkreter Vortrag. Dieser wäre erforderlich gewesen, weil ausweislich des vorgelegten Organigramms (Bl. 89 d.A.) eine halbe Stellenvakanz im Bereich Infrastruktur vorliege. Wegen weiterer Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Schlussurteils vom 06.08.2020 Bezug genommen.



Gegen das am 25.09.2020 zugestellte Schlussurteil hat die Beklagte mit einem am 06.10.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 11.11.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.



Sie macht nach Maßgabe ihrer Schriftsätze vom 11.11.2020 und 22.01.2021, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, im Wesentlichen geltend, das Arbeitsgericht habe die Voraussetzungen einer betriebsbedingten Kündigung nicht ordnungsgemäß geprüft. Es habe zu Unrecht angenommen, dass sie keine unternehmerische Entscheidung getroffen habe. Es sei unstreitig, dass sie sich entschlossen habe, im Tätigkeitsfeld der Gebäudetechnik nicht weiter tätig zu bleiben. Sie habe alles Erforderliche zum Vorliegen ihrer unternehmerischen Entscheidung vorgetragen. Darüber hinaus habe sie Zeugenbeweis angeboten, wann, wo und mit welchem Inhalt sie die Entscheidung getroffen habe. Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht eigene Überlegungen zur Sinnhaftigkeit, Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit ihrer Entscheidung angestellt. Es habe sie im Ergebnis dazu aufgefordert, den ehemaligen Arbeitsplatz des Klägers aufrechtzuerhalten und damit unberechtigt in ihre unternehmerische Entscheidungsfreiheit eingegriffen. Das Arbeitsgericht habe zu akzeptieren, dass der konkrete Arbeitsplatz des Klägers durch ihre unternehmerische Entscheidung weggefallen sei. Von weiterhin bestehenden Beschäftigungsmöglichkeiten hätte das Arbeitsgericht nur ausgehen dürfen, wenn der Kläger hierzu vorgetragen und Beweis angeboten hätte. Beides sei nicht der Fall. Es sei Sache des Arbeitnehmers darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, dass in Wirklichkeit eine Beschäftigungsmöglichkeit für ihn weiterhin bestehe. Auf den Vortrag des Arbeitgebers, dass der ehemalige Arbeitsplatz des Arbeitnehmers weggefallen sei und dass keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit bestehe, sei nach § 292 ZPO nur der Beweis des Gegenteils zulässig. Das Arbeitsgericht habe nicht geprüft, ob andere freie geeignete Arbeitsplätze vorhanden seien, sondern sei schlicht davon ausgegangen. Es habe diffus und unkonkret angenommen, dass wohl andere Beschäftigungsmöglichkeiten zu finden seien. Das Arbeitsgericht habe zudem nicht geprüft, ob eine ordnungsgemäße Sozialauswahl erfolgt sei. Die vom Kläger benannten Arbeitnehmer seien nicht mit ihm vergleichbar und zudem sozial schutzwürdiger. Das Arbeitsgericht habe sich bei seiner Entscheidung offensichtlich von einer Interessenabwägung leiten lassen, die bei einer betriebsbedingten Kündigung nicht vorzunehmen sei. Es habe zu Unrecht angenommen, dass es sich bei der ehemaligen Abteilung zur Erschließung eines neuen Marktsegments nicht um einen eigenen Betriebsteil gehandelt habe. Der ehemalige Betriebsteil, in welchem allein der Kläger gearbeitet habe, habe in ihrem Unternehmen nur die Funktion und den Aufgabenbereich gehabt, das Marktsegment der Gebäudetechnik zu erschließen. Die vom Arbeitsgericht titulierte Verurteilung zur Weiterbeschäftigung sei nicht vollstreckbar. Der Arbeitsplatz des Klägers sei nicht mehr vorhanden, so dass eine Beschäftigung "zu unveränderten Bedingungen" unmöglich sei.



Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,

das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Mainz - Auswärtige Kammern Bad Kreuznach - vom 06.08.2020, Az. 6 Ca 690/19, abzuändern und die Klage abzuweisen.



Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.



Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags.



Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.



Entscheidungsgründe



I.



Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie genügt den gesetzlichen Begründungsanforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO und erweist sich auch sonst als zulässig.



II.



In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Die zulässige Kündigungsschutzklage ist begründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.10.2019 zum 31.03.2020 nicht nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt und damit rechtsunwirksam ist. Die von der Beklagten für den Fall der Unwirksamkeit der Kündigung erklärte Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung iSv. § 123 BGB greift nicht durch. Die Beklagte ist zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers verpflichtet.



1. Die Kündigung der Beklagten vom 29.10.2019 ist nicht sozial gerechtfertigt.



a) Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist die Kündigung ua. sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist.



Dringende betriebliche Erfordernisse, die iSv. § 1 Abs. 2 KSchG geeignet sind, eine Kündigung zu bedingen, liegen vor, wenn die Umsetzung einer unternehmerischen (Organisations-)Entscheidung spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist zu einem voraussichtlich dauerhaften Wegfall des Bedarfs an einer Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers führt (vgl. etwa BAG 27.02.2020 - 8 AZR 215/19 - Rn. 71 mwN). Ein kündigungsrechtlich relevanter Rückgang des Arbeitskräftebedarfs kann auch aus einer organisatorischen Maßnahme des Arbeitgebers folgen, die ökonomisch nicht zwingend geboten war. Eine solche unternehmerische Entscheidung ist gerichtlich nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur daraufhin, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Ohne Einschränkung nachzuprüfen ist hingegen, ob die fragliche Entscheidung tatsächlich umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist (vgl. BAG 27.02.2020 - 8 AZR 215/19 - Rn. 72 mwN).



In Fällen, in denen die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss praktisch deckungsgleich sind, muss der Arbeitgeber seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen. Dadurch soll unter anderem verhindert werden, dass die unternehmerische Entscheidung lediglich als Vorwand benutzt wird, um Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeit fortbestehen und lediglich die Arbeitsvertragsinhalte und die gesetzlichen Kündigungsschutzbestimmungen als zu belastend angesehen werden (vgl. BAG 16.05.2019 - 6 AZR 329/18 - Rn. 43 mwN).



b) Daran gemessen hat das Arbeitsgericht zu Recht angenommen, dass die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.10.2019 nicht aus betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 KSchG ist.



aa) Entgegen der Ansicht der Berufung wird im Streitfall nicht gemäß § 292 ZPO das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse iSd. § 1 Abs 2 S 1 KSchG gesetzlich vermutet, denn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG liegen nicht vor. Die von der Berufung zitierte Rechtsprechung betrifft Fälle, in denen bei Kündigungen aufgrund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet sind. Ein solcher Sachverhalt ist hier nicht gegeben.



bb) Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass sich aus dem vorgetragenen Entschluss der Beklagten vom 28.08.2019, das "Tätigkeitsfeld" bzw. die "Marktinitiative" Gebäudetechnik nicht fortzuführen, das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 KSchG nicht ableiten lässt. Dabei ist unerheblich, ob - wie die Beklagte meint - die "ehemalige Abteilung zur Erschließung eines neuen Marktsegments", die nur aus der Tätigkeit des Klägers bestanden haben soll, einen abgrenzbaren Betriebsteil darstellte, was das Arbeitsgericht mit beachtlichen Argumenten abgelehnt hat. Die Entscheidung der Beklagten im Marktsegment der Gebäudetechnik nicht weiter tätig zu bleiben, unterliegt zwar keiner gerichtlichen Kontrolle. Vom Arbeitgeber im Einzelnen darzulegen und von den Gerichten zu überprüfen ist hingegen, dass bzw. ob die unternehmerische Entscheidung zu einem Wegfall des Beschäftigungsbedarfs geführt hat. Dieser Darlegungslast ist die Beklagte nicht nachgekommen. Wie das Arbeitsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, fehlt jeder Vortrag zum Arbeitskräftebedarf im Bereich Business Development sowie im parallelen Bereich Infrastruktur. Die Beklagte hat auch zweitinstanzlich keine konkreten Tatsachen dafür vorgetragen, die den Rückschluss darauf erlauben, durch den bloßen Wegfall eines von mehreren Projekten sei das Beschäftigungsvolumen so zurückgegangen, dass eine Weiterbeschäftigung des Klägers nicht möglich wäre.



c) Auch die Würdigung des Arbeitsgerichts, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG, weil die Beklagte die Möglichkeit gehabt hätte, den Kläger anderweitig im Betrieb weiterzubeschäftigen, ist nicht zu beanstanden.



aa) Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b KSchG ist die Kündigung auch dann sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann. Auf diese Weise wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Kündigungsrecht normativ konkretisiert. Er gebietet dem Arbeitgeber, vor einer Beendigungskündigung dem Arbeitnehmer von sich aus eine mögliche anderweitige Beschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz, ggf. zu geänderten (gleichwertigen oder schlechteren) Bedingungen, anzubieten (vgl. BAG 26.03.2015 - 2 AZR 417/14 - Rn. 26 mwN).



Für das Fehlen einer anderweitigen Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ist gem. § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig. Dabei gilt eine abgestufte Darlegungslast. Macht der Arbeitnehmer geltend, es sei eine Beschäftigung an anderer Stelle möglich, obliegt es ihm darzulegen, wie er sich seine anderweitige Beschäftigung vorstellt. Daraufhin muss der Arbeitgeber eingehend erläutern, aus welchen Gründen eine solche Beschäftigung nicht möglich war (vgl. BAG 29.08.2013 - 2 AZR 721/12 - Rn. 19 mwN).



bb) Danach ist die Würdigung des Arbeitsgerichts, die Beklagte habe den Kläger auf einem anderen Arbeitsplatz beschäftigen können, nicht zu beanstanden. Der Kläger hat - seiner sekundären Darlegungslast entsprechend - erstinstanzlich angegeben, dass im Organigramm der Beklagten (Anlage K 7 zum Schriftsatz vom 27.12.2019, Bl. 89 d.A.) im Bereich "Vertrieb & Services Rohre und Formteile" im Business Development eine halbe freie Stelle (1/2 N.N.) ausgewiesen ist und er auf dieser Stelle eingesetzt werden könnte. Es wäre Sache der Beklagte gewesen, zu erläutern, aus welchem Grund eine Beschäftigung auf dieser Stelle nicht möglich gewesen ist. Dem ist die Beklagte auch in zweiter Instanz nicht nachgekommen. Die Berufung macht lediglich geltend, das Arbeitsgericht hätte von anderen Beschäftigungsmöglichkeiten nur ausgehen dürfen, wenn der Kläger hierzu vorgetragen und Beweis angeboten hätte, was nicht der Fall sei. Die Berufung übersieht, dass der Kläger eine andere Beschäftigungsmöglichkeit aufgezeigt und das Arbeitsgericht auf das Organigramm mit einer halben Stellenvakanz in den Entscheidungsgründen (Seite 12 letzter Absatz) ausdrücklich abgestellt hat. Die Rüge, das Arbeitsgericht habe "diffus und unkonkret" angenommen, dass wohl andere Beschäftigungsmöglichkeiten zu finden seien, findet im Tatsächlichen keine Stütze.



Die Berufung verkennt die Darlegung- und Beweislast, wenn sie meint, dass auf den Vortrag des Arbeitgebers, der ehemalige Arbeitsplatz des Arbeitnehmers sei weggefallen, eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit bestehe nicht, nach § 292 ZPO nur der Beweis des Gegenteils zulässig sei. Wie bereits ausgeführt, betrifft die von der Berufung zitierte Rechtsprechung die Darlegungs- und Beweislast bei Kündigungen aufgrund eines Interessenausgleichs mit Namensliste. Gegen die Vermutung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG ist nur der Beweis des Gegenteils zulässig. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.



Die Beklagte hätte dem Kläger die halbe freie Stelle im Bereich "Vertrieb & Services Rohre und Formteile" mit einer Änderungskündigung anbieten müssen. Wenn dem Arbeitnehmer eine Tätigkeit auf dem freien Arbeitsplatz nicht objektiv schlechthin unzumutbar ist, soll grundsätzlich er selbst entscheiden können, ob er eine Weiterbeschäftigung unter veränderten, möglicherweise erheblich schlechteren Arbeitsbedingungen akzeptiert oder nicht (vgl. BAG 26.03.2015 - 2 AZR 417/14 - Rn. 28 mwN).



d) Die Kündigung ist ferner wegen einer unzureichenden sozialen Auswahl unwirksam.



aa) Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung trotz Vorliegens dringender betrieblicher Erfordernisse im Sinne des Abs. 2 der Bestimmung sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer von dessen Betriebszugehörigkeit, dessen Lebensalter, mögliche Unterhaltspflichten und ggf. eine Schwerbehinderung nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG dient der personellen Konkretisierung der eine Kündigung bedingenden dringenden betrieblichen Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 KSchG in Fällen, in denen die Zahl der vom Rückgang des Beschäftigungsbedarfs betroffenen Arbeitnehmer die der verbliebenen Arbeitsplätze übersteigt. Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG soll dann grundsätzlich dem Arbeitnehmer gekündigt werden, der auf das Arbeitsverhältnis am wenigsten angewiesen ist. Dies bestimmt sich anhand der Kriterien Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten, Lebensalter und Schwerbehinderung. Sie bilden jeweils typisierend die Merkmale einer besonderen Schutzbedürftigkeit aus.



bb) Die Beklagte hat vorliegend die Sozialdaten der vom Kläger angeführten und aus seiner Sicht sozial stärkeren Arbeitnehmer M., G., K. und Sch. nicht genannt, obwohl sie eine prozessuale Erklärungspflicht nach § 138 ZPO trifft (vgl. BAG 07.09.2012 - 2 AZR 516/11 - Rn. 48 mwN). Damit ist der Kenntnisstand des Klägers als unstreitig anzusehen (vgl. BAG 18.01.2007 - 2 AZR 796/05 - Rn. 39 mwN). Der Kläger hat dargetan, dass M. M. im Alter von Anfang 30 ist, ein unterhaltsberechtigtes Kind hat und vier Monate früher eingestellt wurde als er. Der Arbeitnehmer D. G. ist nach dem Kenntnisstand des Klägers Anfang 30, einem Kind zum Unterhalt verpflichtet und "etwas" früher eingestellt als er. Die Beklagte hat in der mündlichen Berufungsverhandlung die erneute Gelegenheit nicht genutzt, die konkreten Sozialdaten dieser Mitarbeiter vorzutragen. Die beantragte Schriftsatzfrist musste ihr nicht gewährt werden, denn ihrem Prozessbevollmächtigten war es möglich, sich unmittelbar beim Mitarbeiter der Personalabteilung Jost zu informieren, der ihn begleitet hat. Nach den konkreten Umständen konnte eine sofortige Äußerung erwartet werden (§ 139 Abs. 5 ZPO), zumal Jost über Unterlagen verfügte, die er dem Prozessbevollmächtigten zeigte. Der Beklagten war bereits in erster Instanz aufgegeben worden, die Sozialdaten mitzuteilen. Es kann dahinstehen, welcher Prozesstaktik das Zurückhalten von Tatsachenvortrag diente, denn die zwei Arbeitnehmer J. K. und A. Sch. wurden unstreitig von der Beklagten erst am 01.09.2019 neu eingestellt. Diese beiden Arbeitnehmer, deren Sozialdaten ebenfalls nicht vorgetragen, aber unerheblich sind, hatten im Zeitpunkt des Zugangs der streitgegenständlichen Kündigung vom 29.10.2019 noch nicht einmal Kündigungsschutz, weil die sechsmonatige Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG nicht abgelaufen war. Sie durften dem Kläger nicht vorgezogen werden (vgl. grundlegend BAG 25.04.1985 - 2 AZR 140/84 - Rn. 44).



cc) Zumindest die Arbeitnehmer K. und Sch., die noch keinen Kündigungsschutz hatten, waren entgegen der Ansicht der Beklagten in die soziale Auswahl einzubeziehen.



(1) Nach ständiger Rechtsprechung hat der Arbeitgeber in die Sozialauswahl diejenigen Arbeitnehmer einzubeziehen, die objektiv miteinander vergleichbar sind. Vergleichbar sind Arbeitnehmer, die - bezogen auf die Merkmale des Arbeitsplatzes - sowohl auf Grund ihrer Fähigkeiten und Kenntnisse als auch nach dem Inhalt der von ihnen vertraglich geschuldeten Aufgaben austauschbar sind. Dies ist nicht nur bei identischen Arbeitsplätzen der Fall, sondern auch dann, wenn der (unmittelbar kündigungsbedrohte) Arbeitnehmer auf Grund seiner Tätigkeit und Ausbildung die zwar andere, aber gleichwertige Tätigkeit ausüben kann. Die Notwendigkeit einer kurzen Einarbeitungszeit steht der Vergleichbarkeit nicht entgegen. An einer Vergleichbarkeit fehlt es, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aus Rechtsgründen nicht einseitig auf den fraglichen anderen Arbeitsplatz um- oder versetzen kann (vgl. BAG 20.06.2013 - 2 AZR 271/12 - Rn. 12 mwN).



(2) Die Beklagte beruft sich darauf, dass eine Vergleichbarkeit nicht vorliege, weil die Arbeitnehmer K. und Sch. im Gegensatz zum Kläger über "Spezialkenntnisse" im Bereich der Kunststoffherstellung, -verarbeitung und -anwendung und grundlegend über "Spezialkenntnisse" im Tiefbau verfügten. Diese pauschale Behauptung reicht nicht aus, um den Kläger aus der Vergleichsgruppe herauszunehmen. Die Beklagte verkennt, dass eine Austauschbarkeit erst dann ausgeschlossen ist, wenn die betriebliche Spezialisierung und die aktuellen besonderen Umstände einen solchen Grad erreicht haben, dass ein Einsatz des zu kündigenden Arbeitnehmers auf dem Arbeitsplatz des "Spezialisten" auch nach einer angemessenen Einarbeitungsfrist nicht möglich ist (vgl. BAG 18.10.2012 - 6 AZR 86/11 - Rn. 46 mwN).



Die Beklagte versucht im Streitfall durch die schon inflationäre Verwendung des Begriffs "Spezialkenntnisse", die Nichtdurchführung einer Sozialauswahl zu rechtfertigen. Der Arbeitnehmer K. soll zudem als "Leistungsträger" iSd. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG anzusehen sein. K. soll nach dem Vortrag der Beklagten seit 1989 im Fachbereich von Kunststoffrohren im Tiefbau arbeiten und einen "sehr großen Erfahrungsschatz" sowie ein "immenses Fachwissen" gesammelt haben. Seine Erfahrung und sein Netzwerk seien "exorbitant". Er sei seit über 17 Jahren "speziell" im Bereich des Verkaufs von PE-Rohren und Formteilen für Anlagen-, Tief- und Rohrleitungsbau verwurzelt. Er kenne alle Mitbewerber, Kunden und sämtliche wichtigen Akteure am Markt und habe Erfahrungen mit ihnen. Sch. soll aufgrund einer elfjährigen Berufserfahrung im Bereich Kanalsanierung über "Spezialkenntnisse" im Tiefbau und über ein "großes Netzwerk" in der Branche verfügen. Die darlegungspflichtige Beklagte hat nicht vorgetragen, was sie unter "Spezialkenntnissen" versteht, wie sie von den Mitarbeitern K. und Sch. erworben worden und wodurch diese Kenntnisse belegt werden. Außerdem hat sie noch nicht einmal in Ansätzen dargetan, dass die für § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG notwendige Abwägung stattgefunden hat, wie sie von der Rechtsprechung gefordert wird (vgl. BAG 05.06.2008 - 2 AZR 907/06 - Rn. 29). Da K. und Sch. noch keinen Kündigungsschutz genossen, lässt die getroffene Auswahl mit Blick auf den Kläger jede soziale Ausgewogenheit vermissen.



e) Auf die Frage, ob die Beklagte vor Ausspruch der zweiten Kündigung vom 29.10.2019 den Betriebsrat nach § 102 BetrVG ordnungsgemäß angehört hat, kommt es nicht mehr an. Es kann deshalb dahinstehen, ob dem Betriebsrat das Anlagenkonvolut NM2 (insb. der Anhörungsbogen vom 23.10.2019) zugegangen ist, was der Kläger bestreitet.



2. Das Arbeitsverhältnis wurde nicht durch die für den Fall der Unwirksamkeit der Kündigung erklärte Anfechtung der Beklagten aufgelöst.



a) Zwar ist eine Anfechtungserklärung als Gestaltungserklärung grundsätzlich bedingungsfeindlich. Eine Eventualanfechtung unter einer Rechtsbedingung im Prozess - wie vorliegend - ist jedoch zulässig (vgl. Palandt/Ellenberger BGB 79. Aufl. Einf v § 158 Rn. 13 mwN). Die Anfechtung ist auch nicht durch die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, ausgeschlossen, vielmehr bestehen beide möglichen Gestaltungsrechte nebeneinander (vgl. BAG 20.03.2014 - 2 AZR 1071/12 - Rn. 26).



b) Das Arbeitsgericht hat im Rahmen des Kündigungsschutzantrags die Wirksamkeit der von der Beklagten (im Schriftsatz vom 09.03.2020) erklärten Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung nach § 123 Abs. 1 BGB materiell-rechtlich nicht geprüft, obwohl der Erfolg der Kündigungsschutzklage auch von der Wirksamkeit der Anfechtung abhängt, wenn diese - ihre Berechtigung unterstellt - auf einen Zeitpunkt wirkt, der vor dem Auflösungstermin der Kündigung liegt (vgl. BAG 20.03.2014 - 2 AZR 1071/12 - Rn. 19 mwN; vgl. zur Rechtskraftwirkung BAG 18.02.2021 - 6 AZR 92/19). Es ist unschädlich, dass die Beklagte keine Berufungsrüge erhoben hat, denn das Berufungsgericht ist gemäß § 529 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu einer umfassenden materiell-rechtlichen Überprüfung des Streitstoffs verpflichtet (vgl. BAG 12.09.2013 - 6 AZR 121/12 - Rn. 11 mwN).



c) Die Beklagte vermag die Anfechtung nicht auf § 123 Abs. 1 BGB zu stützen. Es liegt keine arglistige Täuschung im Sinne dieser Bestimmung vor.



aa) Zur Begründung der Anfechtung hat die Beklagte erstinstanzlich vorgetragen, sie habe den Kläger für den neu aufzubauenden Geschäftsbereich der Gebäudetechnik als vermeintlichen spezialisierten Gebäudetechniker eingestellt. Gerade für diesen Bereich habe sie einen "Spezialisten" gesucht. Als solcher habe sich der Kläger beworben und in den Vorgesprächen dargestellt. Im Verlauf des Kündigungsrechtsstreits habe sich herausgestellt, dass sich der Kläger den Vertragsabschluss durch falsche Angaben erschlichen habe, denn im Schriftsatz vom 18.02.2020 habe sein Prozessbevollmächtigter ausgeführt, der Kläger sei nicht in besonderer Weise auf den Bereich Gebäudetechnik spezialisiert.



bb) Es fehlt an einem Anfechtungsgrund. Der Kläger hat die Beklagte bei seiner Einstellung nicht über seine Ausbildung oder fachliche Qualifikation anfechtungsrelevant getäuscht. Ausweislich des schriftlichen Arbeitsvertrags vom 13.06.2018 wurde dem Kläger die Position eines Business Development Managers Industrie/Versorgungstechnik übertragen. An keiner Stelle des Arbeitsvertrags ist von einer besonderen Spezialisierung bzw. einer Einengung des Tätigkeitsbereichs des Klägers auf "Spezialist der Gebäudetechnik" die Rede. Die Parteien haben in einer allgemeinen Versetzungsklausel in § 1 Buchst. c des Arbeitsvertrags vereinbart, dass dem Kläger jederzeit ein anderes Aufgaben- und Verantwortungsgebiet übertragen werden kann. § 12 des Arbeitsvertrags enthält eine sog. Vollständigkeitsklausel ("Vereinbarungen außerhalb dieses Vertrags sind zwischen den Parteien nicht getroffen"). Das führt dazu, dass der Vertrag mit seinem schriftlich niedergelegten Inhalt gilt und es wegen der abschließend vereinbarten Beschränkung auf diesen Inhalt auf etwaige Vorgespräche nicht mehr ankommt. Der Tätigkeitsgegenstand oder Aufgabenbereich "Spezialist der Gebäudetechnik" findet sich im Vertragstext nicht. Im Übrigen kann der Prozessvortrag des Klägers nicht dahin (miss)interpretiert werden, dass er in seiner Bewerbung oder den Vorgesprächen über eine Spezialisierung im Bereich der Gebäudetechnik getäuscht habe. Der Kläger ist ausgebildeter Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau. Ausweislich seines Lebenslaufs, der der Beklagten als Bewerbungsunterlage vorlag, war er seit 1993 in verschiedenen beruflichen Positionen im In- und Ausland beschäftigt. Die berufliche Entwicklung lässt schon bei kursorischer Durchsicht des Anlagenkonvoluts K 10 (zum Schriftsatz vom 18.02.2020, Bl. 133 ff d.A.) keine Spezialisierung im Bereich der Gebäudetechnik erkennen. Der Kläger war zuletzt (ab April 2017) in einem Unternehmen aus dem Bereich Sanitär-, Heizungs- und Lüftungstechnik tätig. Dass eine besondere Spezialisierung im Bereich Gebäudetechnik von essentieller Bedeutung für die Einstellungsentscheidung der Beklagten gewesen sein könnte, hält die Berufungskammer für vorgeschoben. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass Prozessvortrag im Gesamtkontext zu würdigen ist. Der Kläger wollte mit seiner Formulierung im Schriftsatz vom 18.02.2020, er sei "nicht in besonderer Weise auf den Bereich Gebäudetechnik" spezialisiert, ersichtlich darauf reagieren, dass die Beklagte vorgetragen hat, sie sei wegen der jeweiligen vertieften "Spezialkenntnisse" nicht verpflichtet, eine Sozialauswahl mit den Arbeitnehmern M., G., K. und Sch. vorzunehmen. Danach ist der von der Beklagten gezogene Rückschluss, der Kläger habe sie in seiner Bewerbung oder den Vorgesprächen arglistig getäuscht, nicht gerechtfertigt.



3. Da das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die streitgegenständliche Kündigung vom 29.10.2019 noch die Anfechtung beendet worden ist, ist die Beklagte nach den vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Grundsätzen (BAG 27.02.1985 - GS 1/84) verpflichtet, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits weiterzubeschäftigen. Besondere Umstände, die trotz des Obsiegens des Klägers mit dem Kündigungsschutzantrag ein überwiegendes Interesse an dessen Nichtbeschäftigung begründen könnten, liegen nicht vor. Hiervon ist das Arbeitsgericht zu Recht ausgegangen.



Entgegen der Ansicht der Berufung ist der erstinstanzliche Weiterbeschäftigungstitel hinreichend bestimmt. Bei der Prüfung, welche Verpflichtungen durch den Vollstreckungstitel festgelegt werden, können neben der Entscheidungsformel auch der Tatbestand und die Entscheidungsgründe des Urteils herangezogen werden. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, den Kläger "zu unveränderten Bedingungen" als Business Development Manager Industrie/Versorgungstechnik zu beschäftigen. Die Beklagte kann den Kläger "zu unveränderten Bedingungen" beschäftigen. Der aus §§ 611, 613 iVm. § 242 BGB, Art. 1 und Art. 2 GG hergeleitete vertragliche Beschäftigungsanspruch des Klägers hat sich allein durch die Titulierung nicht in der Weise konkretisiert, dass die Beklagte ihn nur noch durch die Zuweisung des ehemaligen Arbeitsplatzes erfüllen könnte. Tituliert ist nur ein Ausschnitt des durch Weisung der Beklagten zu konkretisierenden vertraglichen Beschäftigungsanspruchs. Der Titel verhindert keine spätere ersetzende Weisung durch Zuweisung eines anderen vertragsgerechten Arbeitsinhalts (vgl. BAG 21.03.2018 - 10 AZR 560/16 - Rn. 30 ff. mwN). Der Inhalt der ausgeurteilten Beschäftigungspflicht lässt sich mit der erforderlichen Bestimmtheit feststellen.



III.



Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.



Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

Verkündet am 15.04.2021

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