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26.03.2021 · IWW-Abrufnummer 221429

Kammergericht Berlin: Beschluss vom 15.01.2021 – 3 Ws 5/21

1. Ein Wiedereinsetzungsgesuch ist unzulässig, wenn die für die Frage der Entschuldigung maßgeblichen Tatsachen nicht lückenlos mitgeteilt werden, sodass nicht allein aufgrund dieser Ausführungen beurteilt werden kann, wie und gegebenenfalls durch welche Umstände es zu der Versäumung der Hauptverhandlung gekommen ist.

2. Den Angeklagten trifft an seinem verspäteten Erscheinen zur Berufungshauptverhandlung ein Verschulden, wenn er die allgemein bekannten und nicht seltenen Verzögerungen bei der Benutzung öffentlicher Nahverkehrsmittel sowie bei der Einlasskontrolle im Gericht nicht einplant.


Kammergericht
3. Senat

Beschluss vom 15. Januar 2021

Geschäftsnummer:
3 Ws 5/21121 AR 243/20
(558) 281 AR 176/20 Ns (20/20)

In der Strafsache gegen

X

wegen    Fahrens ohne Fahrerlaubnis

hat der 3. Strafsenat des Kammergerichts am 15. Januar 2021 beschlossen:

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 30. November 2020 gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 19. November 2020 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

G r ü n d e :

I.

Mit Urteil vom 10. Juni 2020 hat das Amtsgericht Tiergarten gegen den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt. Die Verwaltungsbehörde ist angewiesen worden, dem Angeklagten vor Ablauf von 24 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Die gegen das Urteil eingelegte Berufung hat das Landgericht mit Urteil vom 28. Oktober 2020 um 9.22 Uhr verworfen, nachdem zwar der Verteidiger, nicht aber der Beschwerdeführer zu der für diesen Tag um 9.00 Uhr anberaumten Hauptverhandlung erschienen war. Ausweislich eines Vermerks der Richterin von diesem Tag erschien der Angeklagte jedoch um 9.25 Uhr im Saal mit dem Bemerken, er habe den Saal nicht gefunden und die Mobilfunknummer des Verteidigers sei ihm nicht bekannt gewesen.

Mit am 3. November 2020 eingegangenem Schreiben vom selben Tag hat der Angeklagte Revision gegen das Urteil eingelegt und gleichzeitig beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung des Berufungshauptverhandlungstermins zu gewähren. Zur Begründung hat der Beschwerdeführer ausführen lassen, er sei bereits um 8.20 Uhr von seinem Wohnort mit der U-Bahn losgefahren. Es sei aber sowohl beim Umsteigen als auch später im Eingangsbereich des Kriminalgerichts, wo er gegen 8.50 Uhr angekommen sei, zu längeren Wartezeiten gekommen. Beim Einlass um 9.10 Uhr habe er erfahren, dass die Verhandlung in einem anderen Gebäude stattfinden würde. Auf dem Weg dorthin habe er sich verlaufen, sodass er erst um ca. 9.25 Uhr am Saal eingetroffen sei. Mit Schreiben vom 3. November 2020, bei Gericht eingegangen am Folgetag, hat der Beschwerdeführer die vorgetragenen Umstände nach seinem Eintreffen im Kriminalgericht eidesstattlich versichert.

Das Landgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung mit Beschluss vom 19. November 2020 als unzulässig verworfen und ausgeführt, dass es an der erforderlichen Glaubhaftmachung der zur Begründung des Antrages vorgebrachten Tatsachen fehle. Gegen diesen, seinem Verteidiger am 30. November 2020 zugestellten Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer mit der am selben Tag eingegangenen sofortigen Beschwerde.

II.

Die zulässige, gemäß §§ 329 Abs. 7, 46 Abs. 3 StPO statthafte und innerhalb der Frist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegte sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Versagung der Wiedereinsetzung, über die gemäß § 342 Abs. 2 StPO vorrangig vor der Revision zu entscheiden war, ist unbegründet. Das Landgericht hat den Antrag im Ergebnis zutreffend als unzulässig verworfen, weil es ‒ unabhängig von der Frage ausreichender Glaubhaftmachung ‒ an einem ausreichenden Tatsachenvortrag hinsichtlich eines anzuerkennenden Wiedereinsetzungsgrundes fehlt.

Die Zulässigkeit eines Wiedereinsetzungsantrages nach den §§ 329 Abs. 7, 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 StPO erfordert, dass der Angeklagte umfassend einen Sachverhalt vorträgt und glaubhaft macht, der ein Verschulden an seiner Säumnis ausschließen soll (vgl. Senat, Beschlüsse vom 30. September 2020 ‒ 3 Ws 219/20 ‒, 18. November 2019 ‒ 3 Ws 352/19 ‒ und 26. Februar 2019 ‒ 3 Ws (B) 75/19 ‒, beide juris m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 63. Aufl., § 45 Rn. 5 m.w.N.). Zwar dürfen die Anforderungen an ein Wiedereinsetzungsvorbringen nicht überspannt werden (vgl. BerlVer-fGH NJW 2004, 1158). Jedoch ist erforderlich, dass der Angeklagte dem Gericht die für die Frage der Entschuldigung maßgeblichen Tatsachen so vollständig mitteilt, dass es allein aufgrund dieser Ausführungen beurteilen kann, wie und gegebenenfalls durch welche Umstände es zu der Versäumung der Hauptverhandlung gekommen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 30. September, a.a.O.; KG, Beschluss vom 8. Oktober 2018 ‒ 4 Ws 135/18 ‒).

Diesen Anforderungen genügt der Vortrag nicht.

1. Der Angeklagte hat mitgeteilt, er habe um 8.20 Uhr seine Wohnung in der X-Straße verlassen. Er sei mit der U-Bahn gefahren, einmal umgestiegen und habe dabei 8 Minuten auf den Anschlusszug warten müssen. Nach dem Verlassen der U-Bahn und einem Fußweg von etwa 800m sei er um 8.50 Uhr in der Y- Straße eingetroffen. Hinsichtlich des folgenden Geschehens sind die eigenen Erklärungen des Angeklagten vom 28. Oktober 2020 und 3. November 2020 und der anwaltliche Vortrag vom 3. November 2020 teilweise widersprüchlich. Während einerseits mitgeteilt wird, dass der Angeklagte um 9.10 Uhr „an der Reihe gewesen“ sei, wird andererseits angegeben, der Angeklagte habe „etwa 15 bis 20 Minuten“ an der Einlasskontrolle gewartet.

Für die Suche nach dem Saal habe der Angeklagte sodann weitere „10 bis 15 Minuten“ benötigt. Er sei sodann „um etwa 9.22 Uhr“, nach Vortrag des Verteidigers um 9.25 Uhr am Saal gewesen.

2. Nicht vorgetragen wird, mit welcher Fahrtdauer inklusive Zeit zum Umsteigen der Angeklagte plangemäß gerechnet hat und wie lang die Fahrt im Unterschied dazu tatsächlich gedauert hat. Es wird auch nicht mitgeteilt, welchen Zeitraum er sodann für die Einlasskontrolle in das Gericht bzw. die Suche nach dem Verhandlungssaal eingeplant und ob er eine vorsorgliche Zeitreserve eingestellt hat. Dementsprechend ist nicht nachvollziehbar, ob der Zeitraum von 10 Minuten, der ihm bei Ankunft an der Einlasskontrolle bis 9.00 Uhr noch zur Verfügung stand, seiner Planung (in etwa) entsprach. Nicht ersichtlich ist auch, ob der Angeklagte zu irgendeinem Zeitpunkt die alternative Beförderung durch ein Taxi erwogen hat, das ihn möglicherweise mit entsprechendem Zeitgewinn vor dem Gerichtseingang abgesetzt hätte.

3. Im Übrigen vermag der vorgetragene Sachverhalt den Angeklagten nicht zu entschuldigen.

Die Generalstaatsanwaltschaft führt unter Hinweis auf die VBB-Fahrinfo zutreffend an, dass bei einem Verlassen der Wohnung um 8.20 Uhr auch die reguläre Ankunft in der Y- Straße (erst) um 8.46 Uhr zu erwarten gewesen wäre, demnach nur vier Minuten vor der vorgetragenen tatsächlichen Ankunft.

Ungeachtet des Umstands, dass ein Verschulden des Angeklagten an der Verspätung bereits darin zu sehen ist, dass er die allgemein bekannten und nicht seltenen Verzögerungen im öffentlichen Nahverkehr insbesondere in Zeiten des Berufsverkehrs bei seiner Planung nicht ausreichend berücksichtigt hat (Senat, Beschluss vom 10. März 2003 ‒ 3 Ws 70/03 ‒; KG, Beschluss vom 8. Oktober 2018 a.a.O.; Beschluss vom 26. April 1999 ‒ 5 Ws 238/99 ‒, juris), ist auch die Zeit von nur 14 Minuten, die ihm nach seiner Planung verblieb, um den Weg vom Eingang des Kriminalgerichts bis zum Saal zurückzulegen, nicht ausreichend bemessen. Der Angeklagte ist, wie aus dem Bundeszentralregisterauszug ersichtlich, gerichtserfahren. Zuletzt wurde er ausweislich der Akten im Februar 2019 aufgrund einer Hauptverhandlung durch das Amtsgericht Tiergarten verurteilt. Dementsprechend wusste er ‒ was im Übrigen auch allgemeinkundig ist ‒, dass am Eingang zum Gericht Sicherheitskontrollen durchgeführt werden (vgl. Senat, Beschluss vom 18. März 1998 ‒ 3 Ws 138/98 ‒, juris; KG, Beschluss vom 2. Mai 2005 ‒ 5 Ws 216/95 ‒, juris). Zudem musste er damit rechnen, dass der Andrang dort gerade um 9.00 Uhr erheblich sein und dies zu entsprechenden Verzögerungen führen würde (vgl. KG, Beschluss vom 2. Mai 2005 a.a.O. m.w.N.). Schließlich hätte er bei seiner Planung auch einstellen können und müssen, dass das Kriminalgericht nicht nur aus einem übersichtlichen Gebäudeteil besteht und daher die Suche nach dem (möglicherweise verlegten) Sitzungssaal weitere Zeit erfordern würde (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Mai 2002 ‒ 3 Ws 143/02 ‒; KG, Beschluss vom 1. Juli 2016 ‒ 2 Ws 172/16 ‒).

Ein weiteres Verschulden des Angeklagten liegt darin, dass er trotz seines mitgeführten Mobiltelefons keine Anstrengungen unternommen hat, um, z.B. über das Büro seines Verteidigers, diesen oder die Geschäftsstelle der Strafkammer über seine verspätete Ankunft zu informieren.

III.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

RechtsgebietStPOVorschriftenStPO §§ 329 Abs. 7, 46, 45

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