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26.02.2021 · IWW-Abrufnummer 220804

Landesarbeitsgericht Niedersachsen: Urteil vom 02.12.2020 – 13 Sa 856/19


Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 11.10.2019 (8 Ca 60/19) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.


2. Die Revision wird zugelassen.



Tatbestand



Die Parteien streiten über die Vergütung von Umkleide- und innerbetrieblichen Wegezeiten.



Der Kläger ist Mitglied der Gewerkschaft IG-Metall. Er trat 1986 in die Dienste der Beklagten, die ihn zuletzt als Anlagenmechaniker in deren P. in H-Stadt mit einem monatlichen Bruttogehalt von 4.494,50 € beschäftigte.



Nach der Einstellmeldung vom 08.01.1986 (Anlage B2, Bl. 89 d. A.) unterliegt das Arbeitsverhältnis "den Bestimmungen des Manteltarifvertrages für Lohnempfänger, des Lohntarifvertrages und der Arbeitsordnung der V. in der jeweils gültigen Fassung."



In dem zum 01.01.2009 in Kraft getretenen Manteltarifvertrag zwischen der Beklagte und der IG Metall Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt (MTV V.; Anlage B 12, Bl. 417 - 478 d. A.) heißt es u. a.:



"§ 6 Arbeitszeit



...



6.3 Arbeitszeitverteilung



6.3.1



...



Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie die Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage - in der Regel von Montag bis Freitag - werden mit dem Betriebsrat vereinbart.



§ 7 Arbeitszeitflexibilität / Mehrarbeit



7.1 Grundsätze



...



7.1.2 Mehrarbeit



7.1.2.1 Mehrarbeit liegt vor, wenn die im Rahmen der Verteilung der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit jeweils festgelegte tägliche und wöchentliche Arbeitszeit überschritten wird. Mehrarbeit wird nur vergütet, wenn sie von der/dem zuständigen Vorgesetzten angeordnet ist.



Es werden jedoch nur volle ¼ Stunden verrechnet.



Grundsätzlich wird Mehrarbeit durch bezahlte Freistellung von der Arbeit ausgeglichen.



...



§ 12 Entgeltregelungen



12.1 Grundsätze



12.1.1 Bezahlt wird geleistete Arbeit und Arbeitsbereitschaft, es sei denn, dass durch Tarifverträge andere Regelungen getroffen sind.



...



§ 28 Sonstiges



...



28.2 Beschäftigte, die besonders schmutzige Arbeiten verrichten, erhalten täglich eine bezahlte Waschzeit bis zu 20 Minuten, die innerhalb der täglichen Arbeitszeit liegt. In der Regel beträgt sie zum Beispiel bei Hertha, Lackspritzen und Schleifen in der C. 10 Minuten und bei Beschäftigten in der G. 20 Minuten.



Mit dem Betriebsrat kann vereinbart werden, dass zur Auslastung der betrieblichen Anlagen die festgelegte Waschzeit unmittelbar im Anschluss an die tägliche Arbeitszeit gelegt wird. Sie wird nicht auf die Mehrarbeitsbegrenzung des § 7.1.2.2 angerechnet.



...



§ 30 Beilegung von Meinungsverschiedenheiten



30.1 Rechtsstreitigkeiten



30.1.1 bei Rechtsstreitigkeiten zwischen



V. und Beschäftigten



sowie



V. und Betriebsrats/Gesamtbetriebsrat,



die sich aus Anwendung, Auslegung oder Durchführung der Tarifverträge ergeben, ist zwischen der vom Vorstand bestimmten Stelle und dem Betriebsrat oder Gesamtbetriebsrat eine Einigung zu versuchen.



Kommt eine Einigung nicht zustande, so sollen die beiderseitigen Vertreter der Tarifvertragsparteien hinzugezogen werden. Wird auch hier keine Einigung erzielt so steht der Rechtsweg offen. ..."



In der bei der Beklagten bestehenden Gesamtbetriebsvereinbarung Nr. 1/77 zur Arbeitsordnung vom 03.06.1977 (Anlage B 9, Blatt 353 - 371) heißt es:



"§ 6 Arbeitszeit



Die Dauer der Arbeitszeit richtet sich nach den gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen. Beginn und Ende der tariftäglichen Arbeitszeit und der Pausen werden mit dem Betriebsrat vereinbart. Entsprechendes gilt für Abweichungen.



...



Abgrenzung



Die Arbeit beginnt und endet am Arbeitsplatz. Waschen und Umkleiden sind außerhalb der Arbeitszeit durchzuführen. Tarifliche und Sonderregelungen bleiben hiervon unberührt. ..."



Ferner gilt bei der Beklagten die Gesamtbetriebsvereinbarung 02/2007 individuelles Flexibilitätskonto vom 01.12.2006 (im Folgenden kurz: GBV individuelles Flexibilitätskonto; Bl. 613 - 617 d. A. nebst Protokollnotiz vom 20.02.2007, Bl. 618 d. A.). Danach wird Mehrarbeit entweder durch Zeitgutschrift auf dem individuellen Flexibilitätskonto oder - bei positivem Zeitsaldo - entsprechend einer festgelegten Staffelung teils in Geld, teils durch Zeitgutschrift vergütet. Ab einem Zeitguthaben von 381 Stunden erfolgt eine Bezahlung zu 100 %



Schließlich gilt für das P. der Beklagten in H-Stadt die Betriebsvereinbarung (BV) Nr. H 09/2012 über das 18-Schichten-Arbeitszeitmodell (Anlage B2, Bl. 86f d. A.).



Der Kläger ist bei der Beklagten im tariflichen Entgeltgrundsatz "Leistungsentgelt" (direkter Bereich) mit einer tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit von 33 Stunden beschäftigt. Seine schichtplanmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt 37,5 Stunden.



Auf Anordnung der Beklagten ist der Kläger verpflichtet, vor der Arbeitsaufnahme eine persönliche Schutzkleidung der Stufe 2 (PSA), bestehend aus Jacke mit V. Emblem und Name des Beschäftigten, Hose, Sicherheitsschuhen, Handschuhen, Ärmelschonern und einer Schutzbrille (Abbildung, Anlage K 4, Bl. 149 d. A.), als Arbeitskleidung anzulegen.



Zu Beginn der Schicht begibt sich der Kläger bei der Beklagten zunächst zu einem ihm zugewiesenen Spind in der Waschkaue 0 in Halle 0. Dort zieht er seine Alltagskleidung aus und die (feuerbeständige) Jacke, (feuerbeständige) Hose und Schutzschuhe der PSA an. Anschließend geht er zu seinem Arbeitsplatz. Die hierfür benötigten Zeiten werden außerhalb der schichtplanmäßigen Arbeitszeit aufgewendet und von der Beklagten nicht vergütet. Das Anlegen der Handschuhe, Ärmelschoner und der Schutzbrille findet hingegen unmittelbar am Arbeitsplatz statt und wird von der Beklagten vergütet.



Nach Arbeitsende werden Handschuhe, Ärmelschoner und Schutzbrille am Arbeitsplatz wieder abgelegt, wobei auch dieser Vorgang vergütet wird. Danach begibt sich der Kläger zurück zur Waschkaue, wo er die restliche Schutzkleidung ablegt und seine Alltagskleidung anzieht.



Mit Unterschriftenlisten vom 01.09.2017 (Anlage K 1, Bl. 204 - 218, insbesondere 211 d. A.) machten der Kläger und andere im P. tätige Mitarbeiter Ansprüche "gemäß § 23 MTV" betreffend "Umkleidezeit für Schutzbekleidung" geltend. Als zeitlicher Aufwand für das An- und Ausziehen setzten sie 18 Minuten täglich an. Zudem wurde um schriftliche Stellungnahme im Rahmen des MTV § 30.1.1 gebeten.



Mit E-Mail vom 02.11.2017 (Anlage 2, Bl. 219 d. A.) bestätigte die Beklagte den Eingang einer Unterschriftenliste mit der Geltendmachung von Ansprüchen bzgl. "Umkleidezeiten für Schutzbekleidung" gemäß § 23 Manteltarifvertrag. Sie wies darauf hin, dass Vertreter der V. sowie Mitglieder des GBR-Ausschusses für Tariffragen bereits entsprechende Gespräche zu diesem Thema aufgenommen hätten und nach Abschluss der Gespräche über die Ergebnisse informiert werde.



In einem vorangegangenen, 2018 begonnenen Rechtstreit gegen die Beklagte begehrte der Kläger vor dem Arbeitsgericht Hannover (8 Ca 129/18) die Feststellung, dass seine vergütungspflichtige Arbeitszeit mit Betreten des Umkleideraums vor Schichtbeginn anfängt und mit Verlassen des Umkleideraums nach Schichtende aufhört. Ferner begehrte er die Feststellung, dass es sich bei den Umkleidezeiten für das An- und Ablegen der PSA sowie den damit zusammenhängenden innerbetrieblichen Wegezeiten zu Schichtbeginn und -ende um vergütungspflichtige Arbeitszeit handelt und diese 17:48 Minuten beträgt.



Mit Urteil vom 08.08.2018 stellte das Arbeitsgericht im Vorprozess fest, dass die vom Kläger für das An- und Ablegen der Schutzkleidung sowie die innerbetriebliche Wegezeit von der Waschkaue zum Arbeitsplatz und zurück benötigte Zeit von der Beklagten als Arbeitszeit zu berücksichtigen und zu vergüten ist. Im Übrigen wies es die Klage ab.



Daraufhin machte der Kläger mit Schreiben vom 05.10.2018 (Bl. 6 d. A.) erfolglos die Bezahlung von Umkleide- und innerbetrieblichen Wegezeiten für bis zu 188 Arbeitstage im Zeitraum 03.11.2017 bis 04.10.2018 in Höhe von insgesamt 1.602,04 € brutto hilfsweise eine Freistellung im Umfang von 54,77 Stunden geltend.



Auf die Berufung der Beklagten wies das LAG Niedersachsen im Vorprozess mit Urteil vom 15.08.2019 (Az. 6 Sa 722/18) unter teilweiser Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils die Feststellungsklage insgesamt ab.



Mit der vorliegenden, am 24.01.2019 erhobenen Klage hat der Kläger sein Zahlungs- und hilfsweise sein Freistellungsbegehren weiterverfolgt.



Er hat geltend gemacht, als Maßnahme des Arbeitsschutzes sei das zwingend erforderliche Anlegen der PSA fremdnützig und gehöre grundsätzlich zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit. Das Betreten und Verlassen des Werkgeländes der Beklagten in Arbeitskleidung sei 2013 mit Aushang (Anlage K 5, Bl. 150 d. A.) untersagt worden. Die Reinigung der regelmäßig stark verschmutzenden PSA sei aus technischen Gründen (metallabweisende Imprägnierung) durch die Mitarbeiter nicht möglich.



Die Wegezeiten von der Waschkaue zum Arbeitsplatz und zurück fielen zusätzlich an, denn ohne die Verpflichtung sich umzuziehen, müsse er sich nicht in die Waschkaue begeben.



Pro Arbeitstag seien nach näherer Maßgabe seiner schriftsätzlichen Darstellung 17:48 Minuten als Umkleide- und Wegezeit anzusetzen. Jedenfalls sei aufgrund seiner Angaben eine Schätzung durch das Gericht möglich.



Hilfsweise könnten die Umkleide- und Wegezeiten als Mehrarbeit durch bezahlte Freistellung ausgeglichen werden.



Eine Kürzung um Zeiten unterhalb einer vollen Viertelstunde komme nicht in Betracht, da seit Einführung des SAP-Systems 2001 die Mehrarbeit minutenweise abgerechnet werde.



Der Kläger hat beantragt,



die Beklagte zu verurteilen, 1.602,04 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.12.2017 sowie einen Verzugsschaden in Höhe von 40 € an den Kläger zu zahlen,



hilfsweise



die Beklagte zu verurteilen, den Kläger 54,77 Stunden unter Fortzahlung der Vergütung von der Erbringung der Arbeitsleistung freizustellen.



Die Beklagte hat beantragt,



die Klage abzuweisen.



Sie hat vorgetragen, das Unterbleiben des tariflichen Einigungsverfahrens mache die Klage unzulässig.



Ungeachtet dessen sei die Vergütungspflicht für Umkleide- und Wegezeiten wirksam ausgeschlossen. Der Manteltarifvertrag sei dahin auszulegen, dass nur wertschöpfende Arbeitstätigkeit bezahlt werden solle, wenn nicht ausnahmsweise Abweichendes geregelt sei.



Jedenfalls folge ein wirksamer Ausschluss der Vergütungspflicht aus § 6 Abs. 3 der Arbeitsordnung, soweit der Kläger sich nicht am Arbeitsplatz umziehe. § 6.3.1 MTV V. lasse eine Betriebsvereinbarung zum Ausschluss der Vergütung von Umkleidezeiten ausdrücklich zu. Die vergütungspflichtige Arbeitszeit entspreche im P. der Schichtzeit, die in der BV Nr. H 09/2012 geregelt sei.



Auch durch den Arbeitsvertrag und seine Verweisung auf die Arbeitsordnung selbst sei eine Vergütung von Umkleide- und Wegezeiten wirksam ausgeschlossen.



Selbst wenn Umkleide- und Wegezeiten grundsätzlich vergütungspflichtig seien bestehe der geltend gemachte Anspruch nicht. Der Kläger könne die unauffällige PSA auch außerhalb des Betriebs tragen und zu Hause an- und ablegen.



Anderenfalls seien Umkleide- und Wegezeiten Mehrarbeit, für die der Kläger keine Zahlung, sondern allenfalls Freistellung verlangen könne. Dabei sei die tarifliche Kappungsgrenze zu beachten, nach der arbeitstäglich nur Mehrarbeit von mehr als einer vollen ¼ Stunde relevant sei.



Ferner könne dem Zahlenwerk des Klägers nicht gefolgt werden. Die Wegezeiten seien bereits nicht notwendig. Der Kläger müsse ohnehin an der Waschkaue vorbeigehen, um zu seinem Arbeitsplatz zu gelangen. Außerdem habe der Kläger wesentliche Bemessungsfaktoren und Variablen des Umkleidevorgangs nicht dargelegt. Allenfalls könne als Umkleide- und Wegezeit eine Zeit von insgesamt 10 Minuten pro Arbeitstag anfallen.



Schließlich seien die Ansprüche tariflich verfallen.



Das Arbeitsgericht hat mit einem dem Kläger am 07.11.2019 zugestellten Urteil vom 11.10.2019 (Bl. 500 - 506+R d.A.), auf das wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie seiner Würdigung durch das Arbeitsgericht verwiesen wird, die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die am 21.11.2019 eingelegte und am 28.02.2020 innerhalb verlängerter Frist begründete Berufung des Klägers.



Der Kläger macht geltend, das Arbeitsgericht habe seine Darlegungslast überspannt. Da er sich unstreitig auf Veranlassung der Beklagten umgekleidet habe, seien die hierdurch verursachten Zeiten incl. der zusätzlichen Wegezeiten jedenfalls konkludent angeordnet worden, weshalb er insbesondere hierzu nichts näher habe vortragen müssen.



Er verfolge nunmehr nur noch für die in der Tabelle auf S. 8 - 10 der Berufungsbegründung angegebenen 185 Arbeitstage die sich aus seiner tabellarischen Aufstellung auf S. 16 - 65 seiner Berufungsbegründung aufgeschlüsselten Zeiten. Soweit sich danach geringere Umkleidezeiten als die erstinstanzlich verfolgten ergäben liege dies daran, dass er vorsorglich das Ab- und Anlegen aller Teile seiner Straßenkleidung herausgenommen habe. Danach ergäben sich Umkleide- und Wegezeiten von arbeitstäglich 15,53 Minuten (= 15 Minuten und 32 Sekunden). Soweit er für bestimmte Tage lediglich 14,9 Minuten (= 14 Minuten und 54 Sekunden) angegeben habe, habe er berücksichtigt, dass er wegen der wärmeren Witterung keine Jacke mit Reißverschluß ab- und angelegt habe.



Selbst wenn Umkleide- und Wegezeiten in das individuelle Flexiblitätskonto einzustellen seien, könne er wählen, ob er Vergütung oder Zeitgutschrift begehre. Ein Zahlungsanspruch sei jedenfalls nicht ausgeschlossen.



Der Kläger beantragt zuletzt,



das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 11.10.2019 (8 Ca 60/19) abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, 1.420,02 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.12.2017 an den Kläger zu zahlen,



hilfsweise



die Beklagte zu verurteilen, den Kläger 47,17 Stunden unter Fortzahlung der Vergütung von der Erbringung der Arbeitsleistung freizustellen.



hilfsweise



festzustellen, dass nach Ziffer 3.3.1 der Betriebsvereinbarung individuelles Flexibilitätskonto bei einem positiven Zeitsaldo zwischen 28 und 30 Stunden dem Kläger 35,38 Stunden Arbeitszeit gutzuschreiben und 355,00 € auszuzahlen sind.



Die Beklagte beantragt,



die Berufung zurückzuweisen.



Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen unter Verteidigung des angefochtenen Urteils und trägt insbesondere vor, der Kläger könne neben der tatsächlich geleisteten Schichtarbeit allenfalls die tatsächlich täglich aufgewendeten Umkleide- und Wegezeiten bezahlt erhalten. Obwohl er sich hierüber taggenaue Aufzeichnungen habe fertigen können, habe er die Zeiten lediglich anhand der tariflichen Arbeitszeitregelung und maximal zweier Messungen pauschal für jeden Arbeitstag in gleicher Höhe vorgetragen, was von vorneherein auf eine Schätzung hinauslaufe und unzulässig sei.



Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Sitzungsprotokoll verwiesen.



Entscheidungsgründe



I.



Die Berufung des Klägers ist gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG statthaft sowie form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt worden. Sie ist auch im Übrigen zulässig, jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat den Rechtstreit im Ergebnis zutreffend entschieden.



1.



Der auf Zahlung gerichtete Hauptantrag hat keinen Erfolg.



a)



Der Kläger begehrt mit dem Hauptantrag die Bezahlung von Umkleide- und Wegezeiten, soweit eine Bezahlung zulässig und der Höhe nach gerechtfertigt ist. Dies ergibt die Auslegung seines Klagevorbringens. Für ein Verständnis dahingehend, er verfolge den Hauptantrag nur, soweit die GBV individuelles Flexibilitätskonto eine Bezahlung zu 100% zulasse, oder dahingehend, dass es ihm ausschließlich um genau die im Antrag genannte Summe und anderenfalls allein um Freistellung geht, war angesichts des Vorprozesses und der mit der Berufungsbegründung vom Kläger selbst vorgelegten Betriebsvereinbarung bereits vor dem rechtlichen Hinweis der Kammer in der Berufungsverhandlung kein Raum. Ausweislich seiner Ausführungen im letzten Absatz unter 7.c. seiner Berufungsbegründung hat der Kläger die Problematik der Staffelung von Bezahlung und Zeitgutschrift bei Mehrarbeit gesehen. Ersichtlich geht es ihm vor diesem Hintergrund um Vergütung der Mehrarbeit nach den Bestimmungen der Betriebsvereinbarung entweder durch Bezahlung oder durch Zeitgutschrift oder durch beides.



b)



Der so ausgelegte Zahlungsantrag ist zulässig.



aa)



Der Vorprozess steht der Zulässigkeit des Antrags weder ganz noch teilweise entgegen.



Soweit der Kläger im Berufungsverfahren des Vorprozesses hilfsweise, die Feststellung begehrt hat, dass die von ihm für das An- und Ablegen der Schutzkleidung sowie die innerbetriebliche Wegezeit von der Waschkaue zum Arbeitsplatz und zurück benötigte Zeit von der Beklagten als Arbeitszeit zu berücksichtigen und diese 17:48 Minuten pro Arbeitstag im Zeitraum vom 01.06.2017 bis 31.07.2018 zu vergüten sind macht dies die vorliegende Leistungsklage für den Zeitraum vom 03.11.2017 bis 31.07.2018 schon deshalb nicht unzulässig, weil die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts den Hilfsantrag rechtskräftig als unzulässig abgewiesen hat.



Soweit die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts im Vorprozess den Antrag des Klägers auf Feststellung, dass die von ihm für das An- und Ablegen der Schutzkleidung sowie die innerbetrieblichen Wegezeit von der Waschkaue zum Arbeitsplatz und zurück benötigte Zeit von der Beklagten als Arbeitszeit zu berücksichtigen und diese 17:48 Minuten pro Arbeitstag zu vergüten sind, rechtskräftig als unbegründet erachtet hat, gilt wegen des andersartigen Streitgegenstands im Ergebnis nichts Anderes. Die vorliegende Leistungsklage betrifft konkrete Zeiträume in der Vergangenheit und zuletzt auch andere Umkleide- und Wegezeiten.



bb)



Die Klage ist auch nicht mangels Durchführung, des innerbetrieblichen Einigungsverfahrens (§ 30.1.1 MTV-V.) unzulässig. Selbst wenn die Tarifvertragsparteien die Beschreitung des Rechtsweges bis zur Beendigung eines innerbetrieblichen Einigungsverfahrens ausschließen wollten, wäre diese Regelung unwirksam, weil kein Fall des § 4 ArbGG vorliegt. Die vom Tarifvertrag erfassten Arbeitnehmer gehören ersichtlich nicht zu dem in § 101 Abs. 2 Satz 1 ArbGG genannten Personenkreis (zutr. LAG Niedersachsen 15.08.2019 - 6 Sa 722/18 -).



cc)



Der zuletzt gestellte Zahlungsantrag stellt keine im Berufungsverfahren nur unter den Voraussetzungen des § 533 ZPO zulässige Klageänderung dar, denn der Streitgegenstand (Bezahlung von Umkleide- und Wegezeiten im Zeitraum vom 03.11.2017 bis 04.10.2018) bleibt unverändert. Insoweit handelt es sich lediglich um eine zulässige teilweise Berufungsrücknahme.



c)



Der Zahlungsantrag ist jedoch unbegründet.



aa)



Der Zahlungsantrag ist allerdings nicht bereits deshalb von vorneherein insgesamt unbegründet, weil es sich bei den - unterstellt vergütungspflichtigen - Umkleide- und Wegezeiten um Mehrarbeit im Sinne von § 7.1.2.1 Abs. 1 S. 1, § 7.1.2.5.1 MTV, Nr. 3.3.1 GBV individuelles Flexibilitätskonto handelt und aufgrund fehlender Angaben des Klägers zum Stand seines Flexibilitätskontos völlig offenbliebe, ob und in welcher Höhe ein Zahlungsanspruch bestehen könnte. Denn der vom Kläger erstmals in der Berufungsverhandlung hilfsweise gestellte Feststellungsantrag beinhaltet als sogen. Begründungselement die Behauptung, sein individuelles Flexibilitätskonto weise bei Schluss der mündlichen Verhandlung einen positiven Zeitsaldo zwischen 28 und 30 Stunden auf. Träfe diese Behauptung zu, ließe sich die genaue Höhe eines Zahlungsanspruches zwar weiterhin nicht genau bestimmen, weil mangels Mitteilung des genauen Saldos nicht ausgeschlossen ist, dass (ggf. in welchem Umfang) bei Hinzurechnung der geltend gemachten Umkleide- und Wegezeiten aufgrund der von der Beklagten zu beachtenden Staffel in Nr. 3.3.1 GBV individuelles Flexibilitätskonto ein höherer Anteil als 25% zu bezahlen wäre. Es wären aber nach dem Vortrag des Klägers jedenfalls 25 % der Umkleide- und Wegezeiten durch Bezahlung zu vergüten.



bb)



Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf Vergütung von Umkleide- und damit verbundene Wegezeiten für den Zeitraum vom 03.11.2017 bis 04.10.2018 aus § 12.1.1 MTV, weil diese Zeiten nicht zur geleisteten Arbeit im Sinne der Tarifvorschrift zählen.



(1)



Der MTV ist kraft beiderseitiger Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar. Der Kläger ist unstreitig Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft IG Metall. Die Beklagte selbst ist Partei des (Haus-) Tarifvertrages.



(2)



Ausdrücklich definiert der Tarifvertrag nicht, was zur geleisteten Arbeit zu zählen ist, die gemäß § 12.1.1 MTV bezahlt wird. § 6 MTV enthält nur Regelungen zur Arbeitszeit. Diese betreffen die Arbeitszeitdauer, die Arbeitszeitgestaltung und die Arbeitszeitverteilung. Eine Regelung zu Beginn und Ende der tariflichen Arbeitszeit oder eine Zuordnung, welche Tätigkeiten zur Arbeitszeit zählen, enthält diese Tarifnorm nicht. In §§ 7 ff MTV sind lediglich weitere Arbeitsflexibilisierungsmaßnahmen und besondere Formen der Arbeit geregelt.



(3)



Die Auslegung des Tarifvertrages ergibt, dass zwar allein die Verwendung des Begriffs "geleistete Arbeit" in § 12.1.1 MTV eine Vergütungspflicht für Umkleidezeiten nicht ausschließt, in § 28.2 MTV aber etwas anderes geregelt ist.



(a)



Bei der Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien, wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG 26.1.2005 - 4 AZR 6/04 -, juris).



Bei der Wortlautauslegung ist zunächst vom allgemeinen Sprachgebrauch auszugehen. Dabei ist auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrags abzustellen. Der allgemeine Sprachgebrauch wird lediglich dann verdrängt, wenn die Tarifvertragsparteien den verwandten Rechtsbegriffen eine eigenständige Definition geben oder aber einen feststehenden Rechtsbegriff verwenden (vgl. BAG 18.11.2004 - 8 AZR 540/03 -, juris, Rn. 21). Verwenden die Tarifvertragsparteien einen Rechtsbegriff, ist anzunehmen, dass sie ihn in seiner rechtlichen Bedeutung verwenden wollen (vgl. BAG 24.05.2012 - 6 AZR 703/10 -, juris, Rn. 37).



(b)



Hiervon ausgehend ist bei der Auslegung des Begriffs "Arbeit" in § 12.1.1 MTV nicht vom allgemeinen Sprachgebrauch auszugehen, denn mit dem Wort "Arbeit" haben die Tarifvertragsparteien einen feststehenden Rechtsbegriff verwendet, wie er sich u. a. in § 2 Abs. 1 S. 1 ArbZG und nunmehr auch in § 611 a Abs. 1 BGB findet. Mangels tarifvertraglicher Definition ist damit aufgrund des Wortlauts zunächst davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien den Begriff Arbeit in seiner (jeweiligen) rechtlichen Bedeutung verwenden wollten. Arbeit ist danach jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient. Zu ihr gehört nach nunmehr gefestigter Rechtsprechung auch das Umkleiden für die Arbeit, wenn der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung vorschreibt und das Umkleiden im Betrieb erfolgen muss. Da die Arbeit in diesem Falle mit dem Umkleiden beginnt, zählen auch die innerbetrieblichen Wege zur Arbeitszeit, die dadurch veranlasst sind, dass der Arbeitgeber das Umkleiden nicht am Arbeitsplatz ermöglicht, sondern dafür eine vom Arbeitsplatz getrennte Umkleidestelle einrichtet, die der Arbeitnehmer zwingend benutzen muss (BAG 19.09.2012 - 5 AZR 678/11 -, juris, Rn. 23; BAG 25.04.2018 - 5 AZR 245/17 -, juris; BAG, 12.12.2018 - 5 AZR 124/18 -, juris).



Aus der Verwendung des Begriffs der "geleisteten" Arbeit allein ergibt sich noch nichts anderes. Denn die Tatsache, dass eine bestimmte Tätigkeit - wie hier Umkleidezeiten - unstreitig tatsächlich erbracht, mithin geleistet worden ist, besagt für sich genommen nichts darüber, ob sie grundsätzlich vergütungspflichtig ist.



(c)



Der tarifliche Gesamtzusammenhang verdeutlicht jedoch, dass die Tarifvertragsparteien in § 28.2 MTV eine andere Regelung getroffen haben.



(aa)



Die Kammer lässt es dahinstehen, ob aus dem Wortlaut dieser Vorschrift allgemein das Verständnis der Tarifvertragsparteien gefolgert werden kann, dass grundsätzlich nur solche Tätigkeiten auch vergütungspflichtig sein sollen, die zwischen dem (gem. § 6.3.1 MTV mit dem Betriebsrat zu vereinbarenden) Beginn und dem Ende der täglichen Arbeitszeit liegen und unmittelbar wertschöpfend sind.



(bb)



Jedenfalls für Umkleidezeiten haben die Tarifvertragsparteien mit der erforderlichen Deutlichkeit eine Vergütungspflicht ausgeschlossen.



(aaa)



§ 28.2 MTV betrifft nach seinem Wortlaut Waschzeiten. Die geregelte Bezahlung von Waschzeiten soll einen Ausgleich dafür gewähren, dass infolge besonders starker Verschmutzung oder aus gesundheitlichen Gründen eine sorgfältige Reinigung erforderlich ist, dass also der Arbeitnehmer nach der Arbeit für seine Säuberung mehr Zeit aufwenden muss, als dies im allgemeinen ein Arbeitnehmer tun muss (vgl. BAG 25.04.1962 - 4 AZR 213/61 -, Rn. 30, juris). Der Vorschrift hätte es nicht bedurft, wenn die Tarifvertragsparteien bei Abschluss des Tarifvertrages Waschzeit bereits für vergütungspflichtige "geleistete Arbeit" im Sinne des § 12.1.1 MTV gehalten hätten.



(bbb)



Bei Waschzeiten handelt es sich um eine mit den Umkleidezeiten vergleichbare Angelegenheit (vgl. BAG 12.12.2018 - 5 AZR 124/18 -, Rn. 26, juris). Beide stellen trotz ihrer Fremdbestimmtheit und Fremdnützigkeit nicht die eigentliche Tätigkeit dar, für die der Arbeitnehmer eingestellt worden ist, sondern dafür notwendige Vor- bzw. Nachbereitungshandlungen (insoweit weiterhin zutreffend BAG 11.10.2000 - 5 AZR 122/99 -, juris, Rn. 10). Vor allem aber stehen Umkleide- und Waschzeiten - jedenfalls am Ende der Arbeit - in einem engen sachlichen Zusammenhang und werden deshalb häufig gemeinsam geregelt bzw. erörtert (vgl. etwa die Fallgestaltungen in BAG 12.12.2018, a.a.O., Rn. 4 und 26, juris; BAG 25.09.2013 - 10 AZR 258/12 -, Rn. 3, juris; BAG 11.10.2000 a.a.O., sowie § 6 Unterpunkt "Abgrenzung" der aktuellen Arbeitsordnung der Beklagten und der entsprechenden Vorgängerregelungen). Gerade bei den in § 28.2 MTV beispielhaft aufgeführten Tätigkeiten "Lackspritzen", "Schleifen in der C." sowie Tätigkeiten "in der G." liegt die Verwendung von Arbeitskleidung bzw. persönlicher Schutzausrüstung und damit das Erfordernis des Umkleidens auf der Hand. Dies verdeutlicht anschaulich die Sachverhaltsgestaltung bei dem in der G. des Werkes B. der Beklagten eingesetzten Kläger des Verfahren 3 Sa 927/18 (Hessisches Landesarbeitsgericht; Urteilsabdruck Bl. 683 - 729 d. A.). Wenn die Tarifvertragsparteien selbst bei den erwähnten besonders schmutzigen Arbeiten aber nur eine bezahlte Waschzeit bestimmen und nicht auch noch eine bezahlte Umkleidezeit, spricht dies hinreichend deutlich dafür, dass Letztere für andere Arbeiten - wie diejenigen des Klägers - erst recht ausgeschlossen sein sollte. Vor dem unstreitigen Hintergrund, dass in den bei der Beklagten aufgrund von (Gesamt-) Betriebsvereinbarungen geltenden Arbeitsordnungen jedenfalls seit 1969 stets Regelungen sowohl zu Umkleiden als auch zu Arbeitsschutzkleidung bzw. persönlicher Schutzausrüstung enthalten waren (1969: § 4.9 und § 4.12; 1977: § 6 und § 31), der hier auszulegende Manteltarifvertrag ein Haustarifvertrag ist und ausdrücklich Regelungen zu besonders schmutzigen Arbeiten enthält, besteht auch kein Grund zu der Annahme, die Tarifvertragsparteien hätten die Problematik der Umkleidezeiten bei Abschluss des Tarifvertrages nicht gesehen.



(d)



Die Regelung in § 28.2 MTV erklärt sich zudem entstehungsgeschichtlich vor dem Hintergrund der bei Tarifabschluss im Jahr 2008 bestehenden Rechtsprechung, wonach Umkleide- und Waschzeiten ebenso wie damit verbundene Wegezeiten - entsprechend dem damaligen Verständnis des Begriffs Rechtsbegriffs "Arbeit" - ohne ausdrückliche einzel- oder kollektivvertragliche Regelungen nicht zur eigentlichen vergütungspflichtigen Tätigkeit zählten (vgl. BAG 11.10.2000 - 5 AZR 122/99 -, juris). Indem die Tarifvertragsparteien - abweichend vom damaligen Verständnis des Rechtsbegriffs der Arbeit - ausdrücklich nur für Waschzeiten unter bestimmten Voraussetzungen eine Vergütungspflicht bestimmt haben, haben sie ihren Willen, dass Umkleidezeiten unvergütet bleiben sollen, nach Auffassung der Kammer hinreichend verdeutlicht und diese Materie insgesamt eigenständig geregelt. Eine solche eigenständige Regelung ist auch nach einem - wie hier - nicht durch gesetzliche oder europa- bzw. verfassungsrechtliche Vorgaben veranlassten geänderten Verständnis des Begriffs der Arbeit beachtlich. Auch nach der Änderung der Rechtsprechung zum Umfang der vergütungspflichtigen Arbeit ist ein Ausschluss von Umkleidezeiten durch Tarifvertrag rechtlich zulässig.



2.



Der auf Freistellung gerichtete Hilfsantrag ist zulässig, aber unbegründet.



a)



Die Klage auf Freistellung von der Arbeit in einem nach Stunden und Minuten genau angegebenen Umfang unter Fortzahlung der Vergütung ist zulässig (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Insbesondere ist der Leistungstenor vollstreckungsfähig. Die Beklagte soll berechtigt sein, den Anspruch zu erfüllen, indem sie den Kläger an von ihr festzulegenden Tagen und Tageszeiten unter Fortzahlung der Vergütung von der Arbeitspflicht befreit. Es handelt sich dabei um die Vornahme einer unvertretbaren Handlung iSd. § 888 Abs. 1 ZPO (vgl. BAG 15.07.2009 - 5 AZR 867/08 -, juris, Rn. 10). Aus der Antragsbegründung ist ersichtlich, dass die hinter dem Komma angegebene Zahl der Minuten im Dezimalsystem ausgedrückt ist.



b)



Der Antrag ist unbegründet. Zwar gilt der tarifliche Grundsatz, dass Mehrarbeit durch bezahlte Freistellung von der Arbeit ausgeglichen wird (§ 7.1.2.1 Abs. 4 MTV). Die Betriebsparteien haben jedoch aufgrund der Öffnungsklausel in § 7.1.2.5.1 MTV Abweichendes vereinbart. Nach Nr. 3.3.1 GBV individuelles Flexibilitätskonto hat dann, wenn die Voraussetzungen einer Bezahlung von Mehrarbeit nicht gegeben sind, eine Vergütung "durch Zeitgutschrift" zu erfolgen. Eine Entnahme ist nur unter den Voraussetzungen der Nr. 3.2 GBV möglich. Dabei sind ggf. kollektivrechtliche Vorgaben zu beachten.



Ungeachtet dessen würde ein Freistellungsanspruch nach den Ausführungen unter 1. c) bb) jedenfalls daran scheitern, dass Umkleidezeiten tariflich nicht zur vergütungspflichtigen Arbeit zählen.



3.



Auch der weitere in der Berufungsverhandlung hilfsweise gestellte Feststellungsantrag hat in jeder denkbaren Auslegung keinen Erfolg.



a)



Bei wörtlichem Verständnis ist er bereits nicht sachdienlich, weil die eigentliche Streitfrage zwischen den Parteien, ob Umkleide- und damit verbundenen Wegezeiten vergütungspflichtig sind, nicht geklärt werden könnte. Bei unterstellter Vergütungspflicht ließe sich bereits die Höhe eines Anspruchs auf Zahlung bzw. auf Arbeitszeitgutschrift mangels Mitteilung des genauen Zeitsaldos weiterhin nicht genau bestimmen. Zudem beinhaltet der Hilfsantrag in seinem Begründungselement neuen Sachvortrag des Klägers zum (ungefähren) Stand seines Zeitkontos, zu dem sich die Beklagte im Termin nicht erklären konnte und der deshalb eine Verzögerung des Rechtsstreits zur Folge gehabt hätte.



b)



Wollte man den Antrag dahin auslegen, dass der Kläger die Feststellung einer Verpflichtung der Beklagten begehrt, ihm eine bestimmte Zeitmenge unter Berücksichtigung von Ziffer 3.3.1 der GBV individuelles Flexibilitätskonto durch Zeitgutschrift auf dem individuellen Flexibilitätskonto und/oder in Geld zu vergüten, könnte das Vorliegen des besonderen Feststellungsinteresses (§ 256 Abs. 1 ZPO) im Streitfall dahinstehen. Dieses ist besondere Sachurteilsvoraussetzung nur für ein dem Antrag stattgebendes Urteil (vgl. Greger in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 256 ZPO, Rn. 7). Der so verstandene Antrag wäre aber unbegründet, weil Umkleidezeiten nach den Ausführungen unter 1. c) bb) tariflich nicht zur vergütungspflichtigen Arbeit zählen.



II.



Der Kläger hat als unterlegene Partei die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.



III.



Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Es sind rund 100 weitere Verfahren erstinstanzlich bei dem Arbeitsgericht Hannover anhängig, mit denen Arbeitnehmer der Beklagten ebenfalls die Vergütung von Umkleide- und Wegezeiten geltend machen.

Hinweise

Parallelentscheidung zum Urteil der Kammer vom 02.12.2020 (13 Sa 855/19)

Vorschriften§ 23 MTV, MTV § 30.1.1, § 6.3.1 MTV, § 64 Abs. 1, Abs. 2 ArbGG, §§ 66, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO, § 4 ArbGG, § 101 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, § 533 ZPO, § 7.1.2.1 Abs. 1 S. 1, § 7.1.2.5.1 MTV, § 12.1.1 MTV, § 6 MTV, §§ 7 ff MTV, § 28.2 MTV, § 2 Abs. 1 S. 1 ArbZG, § 611 a Abs. 1 BGB, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, § 888 Abs. 1 ZPO, § 7.1.2.1 Abs. 4 MTV, § 256 Abs. 1 ZPO, § 97 Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG

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