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08.07.2016 · IWW-Abrufnummer 187088

Landgericht Stuttgart: Urteil vom 18.04.2016 – 27 O 382/15

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Aktenzeichen:  27 O 382/15
 
Landgericht Stuttgart

Im Namen des Volkes         

Urteil

In dem Rechtsstreit

xxx

wegen Rechtsanwaltshonorars

hat das Landgericht Stuttgart - 27. Zivilkammer - durch den Richter am Landgericht Wahle als Einzelrichter auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 21.03.2016 für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin wird verurteilt, an den Beklagten 8.330,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26. Januar 2016 zu bezahlen.

3. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 61.300,18 € festgesetzt (Klageantrag: 51.076,23 Euro; Widerklageantrag Nr. 1: 8.330,00 Euro; Nr. 2: 1.393,95 Euro; Nr. 3: 500,00 Euro).

Tatbestand

Die Klägerin verlangt vom Beklagten Anwaltshonorar für die Bearbeitung einer Selbstanzeige wegen Steuerhinterziehung; der Beklagte verlangt widerklagend die Rückzahlung der Vorschüsse.

Der Beklagte hat im Jahr 2004 ein Bankkonto in Liechtenstein eröffnet. Am 11. August 2015 beauftragte er die Klägerin, eine Rechtsanwaltskanzlei, eine steuerliche Selbstanzeige zu erstellen. Zwischen den Beteiligten bestand Einigkeit, dass die Selbstanzeige noch vor Abgabe der Steuererklärung für das Jahr 2014, die der Beklagte bereits gefertigt hatte, eingereicht werden sollte.

Im Erstberatungsgespräch mit Herrn Rechtsanwalt G. teilte der Beklagte mit, dass er insgesamt 65.000,00 Euro aus einer Erbschaft angelegt habe und der Gesamtvermögenswert auf 82.000,00 Euro angestiegen sei (Anlage K 20). In dem Termin schlossen die Parteien eine schriftliche Vergütungsvereinbarung (Anlage K 2). Sie sah einen Stundensatz von 250,00 Euro vor. Weiter wurde vereinbart, dass als „Mindestgebühr“ die 30/10-Gebühr des § 30 StBVV in doppelter Höhe geschuldet wird, und der Gegenstandswert mindestens das Doppelte des gesetzlichen Mindestgegenstandswertes entspricht. Zudem war eine Auslagenpauschale in Höhe von 5 % der berechneten Gebühren vorgesehen.
Der Beklagte leistete Vorschüsse in Höhe von insgesamt 8.330,00 Euro auf die Rechnung vom 12. August 2015 (Anlage K 3) sowie die Rechnung vom 02. September 2015 (Anlage B 5), von deren Begleichung die weitere Bearbeitung abhängig gemacht worden war (Anlage B 10).

Am 09. September 2015 erstellte die Klägerin einen - dem Beklagten zunächst nicht bekannt gegebenen - Entwurf für die Nachmeldung von Einkünften (Anlage K 10). Auf der Basis einer von der Klägerin eingeholten Erträgnisaufstellung der Bank wurden darin Einkünfte aus Kapitalvermögen von insgesamt rund 15.000,00 Euro unter Berücksichtigung von Werbungskosten (insgesamt ca. 300,00 Euro) aufgeführt. Zusätzlich wurde ein Sicherheitszuschlag von 20 % angegeben. Weiter weist der Entwurf darauf hin, dass der Mandant noch fristgerecht eine Steuererklärung für das Jahr 2014 abgeben kann, aber vorsorglich auch „Einkünfte aus abhängiger Tätigkeit“ mit knapp 30.000,00 Euro, „Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit“ mit ca. 3.000,00 Euro und Einkünfte aus Kapitalvermögen mit ca. 1.300,00 Euro - jeweils einschließlich Sicherheitszuschlag - angegeben werden.

Am 07. September 2015 stellte die Klägerin dem Beklagten ihre Leistungen in Rechnung. Dabei rechnete sie für jedes der zehn Veranlagungsjahre 2004 bis 2013 eine 60/10-Gebühr gem. § 30 StBVV aus einem Gegenstandswert von 16.000,00 Euro ab, jeweils netto 3.564,00 Euro. Für das Veranlagungsjahr 2014 rechnete sie für jede Einkunftsart in entsprechender Weise ab, wobei sie für die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit einen Gegenstandswert von bis zu 30.000,00 Euro wählte, was zu einer Gebühr von 4.776,00 Euro führte. Weiter beinhaltet die Rechnung eine Auslagenpauschale von 2.377,20 Euro. Unter Berücksichtigung der Vorschüsse sowie der Umsatzsteuer ergibt sich die Klageforderung von 51.076,23 Euro.

Am 15. September 2015 forderte die Klägerin durch Frau Rechtsanwältin W. den Beklagten zur Begleichung der Rechnung bis zum 17. September 2015 auf. Dabei wies Frau Rechtsanwältin W. darauf hin, dass die Selbstanzeige zeitnah an das Finanzamt übermittelt werden müsse, andernfalls die Klägerin das Mandat wegen der Gefahr der strafrechtlichen relevanten Beihilfe zur Steuerhinterziehung niederlegen müsse und im Rahmen der gerichtlichen Geltendmachung der Honoraransprüche nicht an die anwaltliche Schweigepflicht gebunden sei (Anlage K 13). Am 18. September 2015 leitete die Klägerin das gerichtliche Mahnverfahren ein (Anlage K 15). Am 21. September 2015 beendete der Beklagte das Mandat (Anwaltsschreiben, Anlage K 16). Die Selbstanzeige ließ er durch die Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten im Dezember 2015 abgeben. Darin wurden für die Jahre 2004 bis 2013 Einkünfte aus Kapitalvermögen von insgesamt ca. 8.500,00 Euro nacherklärt (Anlage B 17).

Die Klägerin behauptet,

Herr Rechtsanwalt G. habe den Beklagten im Erstberatungsgespräch darauf hingewiesen, dass sich das Honorar in der Größenordnung von 50.000,00 Euro bewegen werde. Er habe ferner mitgeteilt, der Beklagte habe damit zu rechnen, dass zum Ende des Verfahrens inklusive Anwaltsvergütung, Nachversteuerung und Verzinsung alles, was er im Ausland habe, weg sei. Die Erklärung zu den Einkünften des Jahres 2014 sei vorgesehen worden, um zu vermeiden, dass das Finanzamt von einer versuchten Steuerhinterziehung ausgeht.

Die Klägerin beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 51.076,23 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18. September 2015 zu zahlen,

2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin vorprozessuale Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.954,46 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18. September 2015 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Widerklagend beantragt der Beklagte,

wie in Ziffer 2 der Urteilsformel erkannt.

Die Klägerin beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet,

Herr Rechtsanwalt G. habe in der Erstberatung das Szenario aufgemalt, dass der Beklagte mit einem Strafverfahren vor dem Landgericht rechnen müsse, er dann vorbestraft sei und damit rechnen müsse, seine Anstellung im öffentlichen Dienst zu verlieren. Diese Folgen hätten durch eine strafbefreiende Selbstanzeige vermieden werden können. Aufgrund dieser Äußerungen habe sich der Beklagte unter Druck gesetzt gesehen, die Honorarvereinbarung zu unterzeichnen. Zum Inhalt der Gebührenvereinbarung habe sich Herr Rechtsanwalt G. nicht geäußert, mit Ausnahme des Stundensatzes. Die Frist zur Abgabe der Steuererklärung für 2014 sei bis zum 30. September 2015 offen gewesen, deshalb habe der Beklagte der Klägerin keinen Auftrag zur Nacherklärung der Einkünfte für das Jahr 2014 erteilt.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass die Honorarvereinbarung wegen arglistiger Täuschung anfechtbar sei. Wäre er über die tatsächlich drohenden Folgen eines Strafverfahrens aufgeklärt worden - seiner Auffassung nach eine Geldbuße gem. § 153a StPO in Höhe von höchstens 2.000,00 Euro - hätte er die Honorarvereinbarung nicht unterzeichnet.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen. Weitere Widerklageanträge aus Ansprüchen wegen fehlerhafter Bearbeitung des Mandats hat der Beklagte mit Zustimmung der Klägerin zurückgenommen.

Entscheidungsgründe

A.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger kann aus dem geschlossenen Anwaltsvertrag keine Vergütung verlangen.

I.

Soweit die Klägerin Anwaltsgebühren für eine Erklärung von Einkünften aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit für das Jahr 2014 geltend macht, kann sie nicht nachweisen, hierfür beauftragt worden zu sein.

Der Beklagte hatte zwar den Auftrag erteilt, eine Selbstanzeige zu erstatten. Auch wenn dieser Auftrag weder in der Vollmacht noch in der Vergütungsvereinbarung näher umschrieben wurde, konnte die Klägerin ihn jedoch allenfalls so verstehen, dass die Kapitaleinkünfte für das Jahr 2014 ermittelt werden sollen. Keinesfalls durfte sie annehmen, auch dazu beauftragt zu sein, dem Finanzamt innerhalb offener Frist Einkünfte aus anderen Einkunftsarten zu melden. Laut Schreiben des Finanzamts vom 27. August 2015 war die Steuererklärung bis zum 30.09.2015 abzugeben (vgl. Anlage B 4). Die Klägerin wusste auch, dass der Beklagte die Steuererklärung bereits vorbereitet hatte. Für die Übernahme der vom Beklagten selbst ermittelten Einkünfte aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit in den Entwurf der Selbstanzeige gab es keinen Anlass. Mithin hat die Klägerin keine Berechtigung, hierfür Gebühren von netto 8.757,00 Euro (brutto 10.420,83 Euro) abzurechnen.

II.

Der Klägerin steht insgesamt keine Vergütung zu, da der zwischen den Parteien geschlossene Anwaltsvertrag gegen die guten Sitten verstößt und damit nichtig ist.

1.

Ein Rechtsgeschäft ist wegen Sittenverstoßes nach § 138 Absatz 1 BGB nichtig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Zweck und Beweggrund zu entnehmenden Gesamtcharakter gegen die guten Sitten verstößt (BGH, Urteil vom 19. Januar 1989 – IX ZR 124/88, juris Rn. 10). Ein Verstoß gegen die guten Sitten kann bei wucherähnlichen Rechtsgeschäften anzunehmen sein, auch wenn die Voraussetzungen des § 138 Absatz 2 BGB nicht in vollem Umfang vorliegen. Dies kann zutreffen, wenn zwischen den Leistungen der Vertragsparteien ein auffälliges Missverhältnis besteht und eine Vertragspartei die Unterlegenheit - etwa Unerfahrenheit oder mangelndes Urteilsvermögen - der anderen bewusst zu ihrem Vorteil ausnutzt (BGH, Urteil vom 23. Februar 1995 – IX ZR 29/94, juris Rn. 60).

Bei der Beurteilung, ob die Honorarvereinbarung eines Rechtsanwaltes sittenwidrig ist, ist allerdings nicht alleine der Vergleich zu den gesetzlichen Gebührensätzen maßgeblich. Da die gesetzlichen Gebühren sich nach dem Gegenstandswert der Angelegenheit richten, kann bei Sachen mit niedrigen oder mittleren Streitwerten auch ein Honorar, das die gesetzlichen Gebühren um ein Mehrfaches übersteigt, im Einzelfall in angemessenem Verhältnis zu Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie ihrer Bedeutung für den Auftraggeber stehen (BGH, Urteil vom 30. Mai 2000 – IX ZR 121/99, juris Rn. 25). Entscheidend ist, ob die Vergütung den mit der anwaltlichen Tätigkeit verbundenen Aufwand angemessen abdeckt (BGH, Versäumnisurteil vom 04. Juli 2002 – IX ZR 153/01, juris Rn. 7).

a)

Zwischen dem abgerechneten Honorar und den gesetzlichen Gebühren besteht ein auffälliges Missverhältnis.

aa)

Bei Abrechnung nach gesetzlichen Gebühren wäre lediglich eine Honorarforderung in Höhe von insgesamt 10.721,78 Euro entstanden.
Dabei ist für die Vergleichsberechnung davon auszugehen, dass der Klägerin bei Anwendung der Vorschriften der Steuerberatervergütungsverordnung (StBVV) die jeweilige Mittelgebühr zugestanden hätte, da sie bei durchschnittlichen Verhältnissen Anwendung findet (BGH, Urteil vom 19. Oktober 1995 – IX ZR 20/95, juris Rn. 26) und die Klägerin nicht vorgetragen hat, dass ihre Tätigkeit überdurchschnittlich schwierig oder umfangreich war. Hierfür gibt es auch keine Anhaltspunkte, nachdem die Ermittlung der Kapitaleinkünfte standardisiert auf der Grundlage eingeholter Bankauskünfte erfolgt. Die Klägerin hat in den Jahren 2014 und 2015 Selbstanzeigen für eine Vielzahl von Mandanten bearbeitet. Zudem stellen sich für jedes Veranlagungsjahr ähnliche tatsächliche und rechtliche Fragen.

Für die Fertigung einer Selbstanzeige wäre demzufolge für jedes der zehn Veranlagungsjahre 2004 bis 2013 gem. § 30 StBVV eine 20/10-Gebühr aus einem Gegenstandswert von 8.000,00 Euro, mithin 866,00 Euro (Tabelle A), gerechtfertigt gewesen. Da gebührenrechtlich zehn verschiedene Angelegenheiten vorliegen, wäre jeweils die Auslagenpauschale von 20,00 Euro  gem. § 16 StBVV abrechenbar gewesen (BGH, Urteil vom 21. November 1996 – IX ZR 159/95, juris Rn. 11) sowie die Umsatzsteuer in Höhe von 19 % (vgl. § 15 StBVV). Dies ergibt für zehn Veranlagungsjahre 10.543,40 Euro. Für die Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen aus dem Jahr 2014 wäre zusätzlich eine 6/20-Gebühr aus § 27 Absatz 1 StBVV abrechenbar gewesen (129,90 Euro (Tabelle A) zzgl. 20,00 Euro Auslagenpauschale zzgl. Umsatzsteuer), insgesamt 178,38 Euro.

bb)

Zwar dürfen die gesetzlichen Gebühren nicht unbesehen als Vergleichsmaßstab herangezogen werden, da sie das Honorar pauschalieren und nicht notwendigerweise den angemessenen Arbeitsumfang des Rechtsanwalts abdecken. Gerade in Angelegenheiten mit niedrigem oder mittlerem Gegenstandswert kann der Rechtsanwalt ein aufwändiges Mandat nur bei Abschluss einer Honorarvereinbarung kostendeckend bearbeiten. Die von der Klägerin vorgelegten Stundenaufzeichnungen belegen indes, dass die gesetzlichen Pauschalgebühren dem tatsächlichen Aufwand der Klägerin gerecht wurden. Die Klägerin kommt auf einen Aufwand von knapp 36 Stunden (Anlage K 21), wovon ca. 31 Stunden abrechenbar waren. Die weiteren ca. fünf Stunden, die nach der Mandatskündigung ab dem 23.09.2015 aufgewandt wurden, dienten ersichtlich der Durchsetzung der eigenen Honorarforderung und nicht der Bearbeitung des Mandats.
Bei der Zugrundelegung des vereinbarten Stundensatzes von 250,00 Euro hätte sich eine Honorarforderung von netto 7.750,00 Euro nebst Auslagenpauschale von - die Wirksamkeit der Vereinbarung unterstellt - netto 387,50 Euro ergeben, insgesamt 9.683,63 Euro brutto. Dies entspricht zu 90 % den gesetzlichen Gebühren.

cc)

Die verlangten 59.406,23 Euro (Rechnungen vom 12.08.2015 - Anlage K 3, 02.09.2015 - Anlage B 5 und 07.09.2015 - Anlage K 11) stehen hierzu in einem auffälligen Missverhältnis; an dieser Wertung ändert sich nichts, wenn von diesem Gesamtbetrag 10.420,83 Euro abgezogen werden, weil hierfür kein Auftrag des Mandanten vorlag (vgl. oben unter A. I.).

Selbst wenn die gesetzlichen Gebühren wegen ihrer Pauschalierung nicht immer dem tatsächlichen Aufwand des Rechtsanwalts gerecht werden und deshalb eine die gesetzlichen Gebühren übersteigende Honorarvereinbarung auch unter Berücksichtigung der Berufsfreiheit (Artikel 12 GG) grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, zeigt insbesondere der Vergleich mit der von den Parteien vorrangig vereinbarten Stundenvergütung die grobe Unangemessenheit der verlangten „Mindestvergütung“. Wenn die Parteien den Aufwand der Klägerin in Höhe von 250,00 Euro pro Stunde als angemessen eingeschätzt haben, steht die „Mindestvergütung“ in keinem angemessenen Verhältnis zum Umfang und zur Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit oder ihrer Bedeutung für den Auftraggeber. Auch wenn für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit der Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages maßgebend ist (BGH, Urteil vom 15. April 1987 – VIII ZR 97/86, juris Rn. 29), so ist das auffällige Missverhältnis in der Honorarvereinbarung angelegt, weil der Klägerin der Bearbeitungsumfang Mandats, von dessen Art sie eine Vielzahl bearbeitet hatte, in etwa vorhersehbar war.

b)

Bei Anwaltsdienstverträgen ist in der Regel davon auszugehen, dass das auffällige Missverhältnis den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung desjenigen rechtfertigt, der sich die überhöhte Vergütung hat zusagen lassen (BGH, Urteil vom 30. Mai 2000 – IX ZR 121/99, juris Rn. 27).
Im vorliegenden Fall ist darüber hinausgehend feststellbar, dass die Klägerin die Unterlegenheit des Beklagten auch bewusst zu ihrem Vorteil ausgenutzt hat.

Bei der Kammer sind mehrere Verfahren - darunter einige der Klägerin - anhängig gewesen, in denen Rechtsanwälte mit der Fertigung einer Selbstanzeige wegen einer begangenen Steuerhinterziehung beauftragt waren. In einigen dieser Verfahren haben die Mandanten weit überhöhte Honorarvereinbarungen abgeschlossen in der Sorge, für die begangene Steuerhinterziehung (möglicherweise in einem öffentlichen Strafverfahren) belangt zu werden. Diese Sorge - gestärkt durch die öffentliche Berichterstattung über sogenannte Steuer-CDs - wird nach der Einschätzung der Kammer von einigen Rechtsanwälten zur Durchsetzung unangemessen hoher Honorarforderungen ausgenutzt. Der vorliegende Fall zeichnet ein hervorgehobenes Beispiel dieser Praxis:

aa)

Herrn Rechtsanwalt G., der für die Klägerin das Erstberatungsgespräch führte, war bekannt, dass der Beklagte e„finanziell nicht gut dran war“ (Protokoll, Seite 2). Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse hat der Rechtsanwalt neben dem Umfang und der Schwierigkeit sowie der Bedeutung der Angelegenheit bei der Bestimmung der Rahmengebühren zu berücksichtigen (§ 14 Absatz 1 Satz 1 RVG). Gleichwohl hat Herr Rechtsanwalt G. dem Beklagten eine Vergütungsabrede angesonnen, die sowohl beim gesetzlichen Mindestgegenstandswert als auch bei der Rahmenhöchstgebühr - ohne Bindung an die gesetzlichen Ermessensleitlinien - eine Verdoppelung vorgesehen hat. Die finanzielle Bedeutung dieser „Mindestvergütung“ konnte dem Beklagten als juristischen Laien nicht bewusst geworden sein. Selbst ein im Umgang mit der Steuerberatervergütungsverordnung vertrauter Mandant hätte erst anhand der Gebührentabellen die Auswirkungen dieser „Mindestvergütung“ abschätzen können. Die Honorarvereinbarung (Anlage K 2) umfasst etwa fünf Seiten eng bedruckten Textes in relativ kleiner Schriftgröße.

Der Beklagte ging - entsprechend der mündlichen Erläuterung - von einem Stundenhonorar von 250,00 Euro aus und musste nicht damit rechnen, dass ein Honorar in der Größenordnung von 50.000,00 Euro oder 60.000,00 Euro abgerechnet werden würde. Dies hätte einen Arbeitsumfang von 200 bis 240 Stunden erfordert, wofür es keine Anhaltspunkte gegeben hat. Die Klägerin hat zunächst auch lediglich einen Vorschuss für zehn Stunden angefordert.

bb)

Nicht feststellbar ist die Behauptung der Klägerin, Herr Rechtsanwalt G. habe den Beklagten im Erstberatungsgespräch auf die Größenordnung der Honorarforderung von 50.000,00 Euro hingewiesen.

Soweit Herr Rechtsanwalt G. entsprechende Angaben in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, hält das Gericht ihn für nicht glaubhaft. Herr Rechtsanwalt G. hatte in der Stuttgarter Kanzlei der Klägerin - die ihren Hauptsitz in Hamburg hat - die Aufgabe, mit den Mandanten aus dem Raum Stuttgart Erstgespräche zu führen und im Zuge dessen Honorarvereinbarungen abzuschließen. Die weitere Mandatsbearbeitung erfolgte sodann durch Frau Rechtsanwältin W. aus Köln. Wie sich aus seinen eigenen Angaben ergibt, hatte Herr Rechtsanwalt G. wenige Kompetenzen für eine Beratung des Mandanten: Er hat noch kein Steuerstrafverfahren bis zur Hauptverhandlung durchgeführt und konnte deshalb - obwohl sich die Kanzlei als spezialisiert ausweist - auch keine ungefähr zu erwartende Strafhöhe benennen; zuständig für die Bearbeitung der Mandate sei Frau Rechtsanwältin W. gewesen (vgl. die Anhörung im Protokoll, S. 2/3).

Vielmehr hat Herr Rechtsanwalt G. den emotionalen Druck auf den Beklagten durch die Benennung des abstrakten Strafrahmens von fünf Jahren Freiheitsstrafe erhöht. Weiter sagte er seinen eigenen Angaben zufolge, dass das Strafverfahren je nach Strafmaß dem Beklagten berufliche Probleme bereiten würde. Der Beklagte hat hierzu in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, er habe dies so aufgefasst, dass er seine Anstellung im öffentlichen Dienst verlieren würde und als 59jähriger sodann wahrscheinlich arbeitslos bliebe. Daraufhin habe er angefangen zu zittern und seine Existenz gefährdet gesehen. Diese Reaktion ist nachvollziehbar. Die Klägerin hat durch Herrn Rechtsanwalt G. einen emotionalen Druck aufgebaut, um das Mandat sowie die Unterschrift unter eine Honorarvereinbarung zu erhalten, die für den Beklagten in diesem Moment gar nicht durchschaubar war. Zwar wusste er von Herrn Rechtsanwalt G., dass es „sehr teuer“ werden würde; hierunter mag er sich allerdings nicht das tatsächliche Ausmaß vorgestellt haben.

Dass Herr Rechtsanwalt G. die zu erwartende Honorarhöhe tatsächlich benannt haben soll, passt auch nicht in sein übriges Verhalten, dem Mandanten unter Nennung abstrakt möglicher strafrechtlicher und arbeitsrechtlicher Folgen des Strafverfahrens die überaus positive Bedeutung einer strafbefreienden Selbstanzeige vor Augen zu führen, um ihn zur Mandatierung zu bewegen. Dieser Eindruck verstärkt sich noch durch den Versuch der Klägerin, eine nicht beauftragte und auch nicht veranlasste Erklärung über weitere Einkunftsarten für brutto über 10.000,00 Euro abzurechnen. Zudem wird dieser Eindruck dadurch verstärkt, dass die Klägerin später darauf hinwies, im Fall einer Nichtzahlung gegenüber dem Gericht nicht an die anwaltliche Schweigepflicht gebunden zu sein. Der dadurch erzeugte Druck wurde nochmals dadurch erhöht, dass die Klägerin schon unmittelbar nach Ablauf einer kurz bemessenen zweitätigen Zahlungsfrist das gerichtliche Mahnverfahren einleitete. Ferner hat sie bereits Anfang November 2015 ihre Ansprüche im gerichtlichen Verfahren begründet. Die Klägerin hat hierbei keine Rücksicht darauf genommen, ob der Mandant seine strafbefreiende Selbstanzeige (wie nicht) bereits abgeben konnte. Gleichzeitig wusste sie, dass die Gerichte gemäß § 116 AO verpflichtet sind, den Verdacht von Steuerhinterziehungen den Finanzbehörden zu melden.

cc)

Tatsächlich hätte bereits Herr Rechtsanwalt G. bei einer sachgemäßen Beratung dem Beklagten die größten Sorgen nehmen können, indem er ihn darauf hingewiesen hätte, dass unter strafrechtlichen Gesichtspunkten bei dem nicht vorbestraften und geständigen Beklagten entsprechend den öffentlich zugänglichen Strafmaßtabellen (vgl. Kohlmann, Steuerstrafrecht, 53. Lieferung 11.2015, § 370 AO, Rn. 1076) eine Geldstrafe von maximal 5.000,00 Euro drohte.

Dies ergibt sich aus den Informationen im Erstberatungsgespräch, wonach das in Liechtenstein angelegte Kapital in elf Jahren durch Zinsen von 65.000,00 Euro auf 82.000,00 Euro angewachsen ist, mithin pro Jahr durchschnittlich um ca. 1.500,00 Euro. Dies bedeutete eine Hinterziehung von Steuern von einigen Hundert Euro pro Jahr. Im Bezirk der Oberfinanzdirektion Stuttgart wäre pro Tat mit einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen bzw. mit Blick auf die Gesamtstrafenbildung (§ 53 StGB) und den hinterzogenen Gesamtbetrag von 30 bis allenfalls 60 Tagessätzen zu rechnen gewesen. Dies hätte bei den Einkommensverhältnissen des Beklagten eine maximale Geldstrafe in der Größenordnung von 4.000,00 Euro bis 5.000,00 Euro bedeutet. Statt hierüber aufzuklären, hat Herr Rechtsanwalt G. entsprechend der unwidersprochenen Angaben des Beklagten nicht die Frage beantwortet, ob es einen Unterschied in der Strafzumessung macht, ob ein Euro oder eine Million Euro hinterzogen wurde. Er meinte vielmehr, im Prinzip sei es dieselbe Straftat.

Der Beklagte hätte angesichts dieser Umstände - was nachvollziehbar ist - nicht das fünf- oder sechsfache des gesetzlichen Honorars für die Abgabe der Selbstanzeige bezahlt, wenn diese Leistung - wovon auszugehen ist - auch günstiger zu bekommen war. Selbst wenn er selbst eine unvollständige, nicht strafbefreiende Selbstanzeige verfasst hätte, wäre das Verfahren sehr wahrscheinlich gem. § 153a StPO gegen eine Geldbuße von wenigen Tausend Euro eingestellt worden. Dass er daneben die Steuern nebst Hinterziehungszinsen an das Finanzamt zu bezahlen hatte, war ihm ohnehin bewusst.

c)

In der Folge der Sittenwidrigkeit ist das gesamte Rechtsgeschäft nichtig (vgl. BGH, Urteil vom 17. Mai 1988 – VI ZR 233/87, juris Rn. 12). Dies schließt den Abschluss des Anwaltsvertrages mit ein, da die Erteilung des Mandates in engem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang der sittenwidrigen Honorarvereinbarung erfolgte. 

III.

Die Klägerin kann auch nicht die gesetzlichen Gebühren verlangen.

Eine Herabsetzung der Vergütung gem. § 3a Absatz 2 Satz 1 RVG kommt nur in Betracht, wenn nicht zugleich die Voraussetzungen des § 138 BGB vorliegen (BGH, Urteil vom 30. Mai 2000 – IX ZR 121/99, juris Rn. 23; BGH, Urteil vom 27. Januar 2005 – IX ZR 273/02, juris Rn. 7, 14).
Allerdings ist der Rechtsanwalt, der eine sittenwidrige Honorarvereinbarung abgeschlossen hat, berechtigt, die gesetzlichen Gebühren als rechtsgrundlose Leistung gemäß § 812 Absatz 1 Satz 1 i.V.m. § 818 Absatz 2 BGB zu verlangen (BGH, Urteil vom 30. Mai 2000 – IX ZR 121/99, juris Rn. 28).

Der Beklagte ist jedoch nicht bereichert. Die Klägerin hat - noch bevor sie dem Beklagten den Entwurf der Selbstanzeige zur Kenntnis gebracht hatte - die weitere Bearbeitung von der Zahlung der Rechnung vom 07.09.2015 über 51.076,23 Euro abhängig gemacht. Damit hat sie ein Zurückbehaltungsrecht ausgeübt, das ihr nicht einmal ansatzweise in dieser Höhe nach § 273 BGB i.V.m. § 9 RVG zustand. Der Beklagte sah sich angesichts dieses Umstandes - insbesondere auch im Eindruck der in Kürze endenden Frist zur Abgabe der Steuererklärung für 2014 - veranlasst, am 21. September 2015 das Mandat zu beenden und einen anderen Rechtsanwalt zu beauftragen. Die bisherigen Leistungen der Klägerin sind für den Beklagten nutzlos geworden, weil sie für den Beklagten keinen bleibenden Wert darstellen. Der Beklagte war gezwungen, aufgrund der ungerechtfertigten Zurückbehaltung der Arbeitsergebnisse einen weiteren Rechtsanwalt zu beauftragen. Diese zu § 628 Absatz 1 Satz 3 BGB entwickelten Grundsätze (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2011 – IX ZR 170/10, juris Rn. 13 ff.) sind auf die Frage der Bereicherung im Sinne von § 812 BGB übertragbar.

B.

Die zulässige Widerklage ist begründet.

Der Anspruch des Beklagten auf Rückzahlung der Vorschüsse in Höhe von 8.330,00 Euro folgt aus § 826 BGB. Demnach ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wer in einer die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zugefügt hat.

Wie dargelegt hat die Klägerin den Beklagten vorsätzlich in sittenwidriger Weise zum Abschluss einer überhöhten Honorarvereinbarung gedrängt. Die hierauf bezahlten Vorschüsse stellen einen ersatzfähigen Schaden des Beklagten dar.

C.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 BGB. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Absatz 2 Nr. 1 ZPO. Soweit der Beklagte die Widerklageanträge Ziff. 2 und 3 zurückgenommen hat, betrifft dies lediglich ca. 3 % des Gesamtstreitwertes, ohne dass die nachfolgende Gebührenstufe entsprechend der Anlage 2 zu § 34 GKG erreicht worden wäre. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

Rechtsbehelfsbelehrung:
 
Gegen die Entscheidung kann das Rechtsmittel der Berufung eingelegt werden. Die Berufung ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 600 Euro übersteigt oder das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zugelassen hat.

Die Berufung ist binnen einer Notfrist von einem Monat bei dem

Oberlandesgericht Stuttgart
Olgastraße 2
70182 Stuttgart

einzulegen.

Die Frist beginnt mit der Zustellung der vollständigen Entscheidung, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung der Entscheidung.

Die Berufung muss mit Schriftsatz durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt eingelegt werden. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung und die Erklärung enthalten, dass Berufung eingelegt werde.

Die Berufung muss binnen zwei Monaten mit Anwaltsschriftsatz begründet werden. Auch diese Frist beginnt mit der Zustellung der vollständigen Entscheidung.
 
Gegen die Entscheidung, mit der der Streitwert festgesetzt worden ist, kann Beschwerde eingelegt werden, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt oder das Gericht die Beschwerde zugelassen hat.

Die Beschwerde ist binnen sechs Monaten bei dem

Landgericht Stuttgart
Urbanstraße 20
70182 Stuttgart

einzulegen.

Die Frist beginnt mit Eintreten der Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache oder der anderweitigen Erledigung des Verfahrens. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf der sechsmonatigen Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht.

Die Beschwerde ist schriftlich einzulegen oder durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle des genannten Gerichts. Sie kann auch vor der Geschäftsstelle jedes Amtsgerichts zu Protokoll erklärt werden; die Frist ist jedoch nur gewahrt, wenn das Protokoll rechtzeitig bei dem oben genannten Gericht eingeht. Eine anwaltliche Mitwirkung ist nicht vorgeschrieben.

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