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14.03.2001 · IWW-Abrufnummer 010207

Bundesgerichtshof: Urteil vom 11.11.1992 – IV ZR 271/91

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

IV ZR 271/91

Verkündet am:
11. November 1992

Heinz
Justizangestellte als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Bundschuh, den Richter Dr. Zopfs, die Richterin Dr. Ritter und die Richter Dr. Schlichting und Terno auf die mündliche Verhandlung vom 11. November 1992

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 27. Mai 1991 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte dem Kläger die für den Fall bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit zugesagten Leistungen zu gewähren hat.

Sie haben, nachdem der Kläger einen Formularantrag vom 9. Juni 1986 gestellt hatte, einen Lebensversicherungsvertrag mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung gemäß Versicherungsschein vom 24. Juni 1986 geschlossen. Vereinbartes Vertragsende ist der 31. Juli 2000.

Das Antragsformular wurde von einem Agenten der Beklagten ausgefüllt.

Der Kläger war als Lokomotivführer bei der Deutschen Bundesbahn beschäftigt und ist von seinem Dienstherrn vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden. Er beansprucht von der Beklagten ab 1. April 1989 Rentenzahlung und Freistellung von der Prämienzahlung, da er am 15. März 1989 einen Bandscheibenvorfall im Lendenwirbelsäulenbereich erlitten habe und dadurch berufsunfähig geworden sei. Auf die Anspruchsanmeldung hin holte die Beklagte eine Stellungnahme des bereits im Antragsformular benannten Hausarztes des Klägers ein und trat mit Schreiben vom 19. Juli 1989 von dem Versicherungsvertrag zurück, weil der Kläger nach ihrer Ansicht seine Anzeigeobliegenheit verletzt hat. Er habe seine jahrelang ärztlich behandelten Wirbelsäulenleidens trotz entsprechender Formularfragen nicht angezeigt.

Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben. Mit seiner Revision verfolgt er sein Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe:

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht vertritt die Ansicht, die Beklagte sei rechtswirksam vom Versicherungsvertrag zurückgetreten und damit leistungsfrei geworden. Allerdings müsse sie sich das, was dem Agenten zu den Gesundheitsverhältnissen des Klägers bei dem Ausfüllen des Formulars gesagt worden sei, als ihr bekannt zurechnen lassen. Sie habe aber den Beweis geführt, daß ihr Agent entgegen der Darstellung des Klägers nicht ordnungsgemäß informiert worden sei.

Es sei zwar von Rückenschmerzen die Rede gewesen. Nicht offengelegt worden sei aber, daß "eine jahrelange Leidensgeschichte mit wechselnden Erkrankungen im Bereich der Lendenwirbelsäule bzw. der Halswirbelsäule vorausging". Daran ändere sich auch nichts, wenn die Aussage der Ehefrau des Klägers zutreffe, man habe angegeben, daß der Kläger wegen Rückenschmerzen seit Jahren in Behandlung sei. Der Kläger könne sich auch nicht darauf berufen, daß seine allgemeinen Angaben den Agenten hätten veranlassen müssen, Genaueres zu erfragen.

Der Kläger habe auch schuldhaft gehandelt. Mit den ihm vorgelesenen Gesundheitsfragen 10.5 und 10.6 sei ihm deutlich vor Augen geführt worden, was die Beklagte von ihm habe wissen wollen. (Zu der Frage, ob Gesundheitsstörungen, körperliche oder geistige Schäden, chronische Leiden oder Unfallfolgen bestehen, wurde das Kästchen für Nein angekreuzt. Die Frage, ob in den letzten fünf Jahren Untersuchungen, Beratungen oder Behandlungen durch Ärzte oder andere Behandler stattgefunden haben, wurde mit Ja und dem Zusatz beantwortet: Routineuntersuchungen Bahnarzt o.B.) Er hätte sich auch vergewissern müssen, was der Agent in das Formular aufgenommen habe.

Die Vorerkrankungen im Lendenwirbelsäulenbereich, deren Angabe unterblieben sei, beträfen auch das Risiko, das sich mit dem Bandscheibenvorfall im Bereich der Lendenwirbelsäule verwirklicht habe.

Diese Ausführungen sind nicht durchweg rechtsfehlerfrei.

2. Zutreffend ist die Ansicht des Berufungsgerichts, das, was dem Agenten der Beklagten, ihrem Empfangsbevollmächtigten, auf die vorgelesenen Gesundheitsfragen und sonst im Zuge der Antragstellung gesagt worden ist, sei hiermit auch zur Kenntnis der Beklagten gebracht worden (BGHZ 102, 194).

Die Vollmacht ihres Agenten zur Entgegennahme von Wissenserklärungen des Klägers konnte die Beklagte nicht rechtswirksam mit folgender Klausel in dem Antragsformular einschränken:

"Schlußerklärung des Antragstellers und der zu versichernden Person - Bitte besonders beachten!

1. ...

2. ...

3. Die Antragsfragen sind nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig beantwortet, ... Ich weiß, daß die BBV-Leben und die BBV-Sach bei Verletzung dieser Pflichten vom Vertrag zurücktreten bzw. die Leistung verweigern können; für die Richtigkeit der Angaben bin ich allein verantwortlich, auch wenn ich den Antrag nicht selbst ausgefüllt habe.

Der Vermittler darf über die Erheblichkeit von Antragsfragen oder Erkrankungen keine verbindlichen Erklärungen abgeben."

Die Rechtsunwirksamkeit derartiger Klauseln hat der Senat nach Erlaß des Berufungsurteils bereits in seinem Urteil vom 18. Dezember 1991 - IV ZR 299/90 - VersR 1992, 217 = BGHZ 116, 387 bejaht. Hierauf wird verwiesen.

3. Es kommt deshalb darauf an, wie der Kläger dem Agenten die Gesundheitsfragen beantwortet hat.

a) Das Berufungsgericht hat es als erwiesen angesehen, daß bei dem Ausfüllen des Antragsformulars von Rückenschmerzen des Klägers die Rede war.

Für die Revisionsinstanz ist darüber hinaus davon auszugehen, daß dem Agenten auch mitgeteilt worden ist, wegen dieser Rückenschmerzen stehe der Kläger seit Jahren in Behandlung. Insoweit hat das Berufungsgericht die Richtigkeit der Aussage der Zeugin K unterstellt.

Zwischen den Parteien ist ferner unstreitig geworden, daß der Agent am 9. Juni 1986 zunächst auf den Kläger warten mußte, weil dieser bei einer Massagebehandlung war, und daß der Agent dies auch wußte, weil es ihm die Ehefrau des Klägers sagte (vgl. dazu Protokollniederschrift vom 2. Oktober 1990, Bl. 46 und 48 GA).

b) Diese Angaben mußten der Beklagten, der sie als bekanntgegeben zuzurechnen sind, die Notwendigkeit aufdrängen, zur Abrundung ihrer noch unzulänglichen Kenntnisse rückzufragen (so schon Senatsurteil vom 28. November 1990 - IV ZR 219/89 - VersR 1991, 170 unter 3 a). Für Rückfragen war ihr im Formular auch schon der Hausarzt benannt und vom Kläger für die Zeit vor Antragsannahme und für die nächsten drei Jahre von der ärztlichen Schweigepflicht befreit worden. An ihn wandte sich die Beklagte aber erst, als der Kläger ihr Berufsunfähigkeit anzeigte.

Mit den vorstehend aufgezählten, in der Revisionsinstanz teilweise zu unterstellenden Angaben wäre aufgezeigt worden, daß sich der Kläger seit Jahren bis zum Tage der Antragstellung wegen Rückenschmerzen behandeln ließ. Die Angaben hätten es der Beklagten aber noch nicht erlaubt, die Schwere seiner Erkrankung sachgerecht zu beurteilen, wie es eine Risikoprüfung vor Vertragsschluß erfordert. Die Beklagte war zu einer ordnungsgemäßen Risikoprüfung nicht nur in ihrem eigenen Interesse, sondern aufgrund des vorvertraglichen Vertrauensverhältnisses auch im Interesse des Klägers gehalten. Demnach hätte sie sich zu einer ihren Kenntnisstand ergänzenden Rückfrage veranlaßt sehen müssen.

Erweist sich im weiteren Verfahrensverlauf der in der Revisionsinstanz zugrunde zu legende Sachverhalt als gegeben, steht fest, daß die Beklagte sich eine Rücktrittsmöglichkeit bezüglich "einer jahrelangen Leidensgeschichte mit wechselnden Erkrankungen im Bereich der Lenden- bzw. Halswirbelsäule" für die Zeit nach Vertragsschluß nicht sichern konnte. Daß sie davon absah, ihre Kenntnisse in dem für eine Risikoprüfung unerläßlichen Ausmaß durch Rückfrage abzurunden, und dies erst nachholte, als der Kläger den Eintritt des Versicherungsfalles geltend machte, ginge zu ihren Lasten (so schon Senatsurteil vom 28. November 1990 aaO).

Mußten nämlich die mündlichen Angaben des Klägers dem formularausfüllenden Agenten und damit der Beklagten vor Augen führen, daß der Kläger hiermit seiner Anzeigeobliegenheit noch nicht vollständig genügt hatte, so durfte die Beklagte nicht die Augen davor verschließen, daß ihr ohne Rückfragen noch keine Risikoprüfung möglich war. Da die erst später nachgeholte Rückfrage, wäre sie von der Beklagten nicht aufgeschoben worden, bereits vor Vertragsschluß gerade diejenigen Tatsachen zur Kenntnis der Beklagten gebracht hätte, aus denen sie nun nach Vertragsschluß ihr Rücktrittsrecht herleiten will, bliebe es ihr aufgrund ihres vorangegangenen Verhaltens verwehrt, das Rücktrittsrecht geltend zu machen: Sie durfte die ihr durch die gesetzlichen Anzeigeobliegenheiten des Klägers vor Vertragsschluß eingeräumte Risikoprüfungsmöglichkeit nicht nach Belieben verschieben. Das liefe ihrem Sinn und Zweck zuwider, denn sie soll klare Verhältnisse vor Vertragsschluß schaffen (Senatsurteil vom 25. März 1992 - IV ZR 55/91 - VersR 1992, 603 unter 2 b).

c) Wird der Antragsteller auf Veranlassung des Versicherers in die Rolle des nur mündlich auf Formularfragen Antwortenden gedrängt, muß es zu Lasten des durch seinen Agenten vertretenen Versicherers gehen, wenn sein Empfangsbevollmächtigter nicht für die nach Sachlage gebotene Rückfrage sorgt, sei es, daß er selbst sofort auf einer Präzisierung der bisherigen Antworten besteht, sei es, daß er den von ihm vertretenen Versicherer veranlaßt, bei dem im Formular vermerkten Arzt rückzufragen. Daß es dem Antragsteller aus der Hand genommen wird, das Formular selbst auszufüllen, darf nicht zu einer Verschlechterung seiner Rechtslage führen.

4. Es besteht kein Anhalt dafür, daß der Kläger und der Agent hier kollusiv zum Nachteil der Beklagten zusammengewirkt hätten, daß der Kläger eine Unkorrektheit des Agenten beim Ausfüllen des Formulars sich zunutze gemacht hätte oder daß er sie zumindest bemerken mußte. Es fehlt schon die Feststellung: daß der Agent dem Kläger das ausgefüllte Formular zur Überprüfung der Eintragungen überlassen hat.

5. Für das weitere Verfahren gibt der Senat vorsorglich noch folgenden Hinweis:

Sollte das Berufungsgericht die Beklagte weiterhin für rücktrittsberechtigt halten, so wird zu beachten sein, daß gemäß § 6 Nr. 3 der vorgelegten Allgemeinen Bedingungen der Beklagten für die kapitalbildende Lebensversicherung (nach Bl. 16 GA) in Abweichung von § 163 Satz 1 VVG das Rücktrittsrecht der Beklagten auf eine Frist von drei Jahren "seit Vertragsschluß" beschränkt worden ist, falls nicht während der ersten drei Jahre ein Versicherungsfall eingetreten ist. Der Versicherungsschein datiert immerhin vom 24. Juni 1986, das Rücktrittsschreiben erst vom 19. Juli 1989. Daß der Versicherungsfall in der Zusatzversicherung eingetreten sei, und zwar am 15. März 1989, wird von der Beklagten bestritten.

RechtsgebietVVGVorschriftenVVG § 163 Satz 1

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