Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

05.02.2001 · IWW-Abrufnummer 010181

Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 27.04.2000 – 4 Ss 310/00

1. Zur Annahme vorsätzlicher Trunkenheit im Straßenverkehr bei hoher BAK.
2. Zur erforderlichen Feststellung der Tatzeit-BAK und zu dessen Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit


Beschluss: Strafsache gegen J.E.,
wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Straßenverkehr.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Detmold vom 19. Januar 2000 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 27.04.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Detmold zurückverwiesen.

Gründe:
I. Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je DM 25 verurteilt, seine Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von noch sieben Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Zum Tatgeschehen hat der Amtsrichter festgestellt:

"Am 04.09.1999 befuhr der Angeklagte im alkoholisierten Zustand gegen 16.35 Uhr unter anderem die Bielefelder Straße und den Azaleenweg in Detmold mit seinem PKW Volvo, amtliches Kennzeichen DT-N 764. Er war sich darüber bewusst, fahruntüchtig zu sein. Eine um 17.32 Uhr entnommene Blutprobe ergab einen Wert von 3,03 Promille." (UA 2)

Zum Vorsatz des Angeklagten, der "die Fahrt in alkoholisiertem Zustand" eingeräumt, Angaben über "Menge, Art und Umstände des zuvor genossenen Alkohols" nicht gemacht hat (UA 3), ist in den Urteilsgründen ausgeführt:

"Das Gericht ist überzeugt davon, dass der Angeklagte sich seiner Fahruntüchtigkeit bewusst war. Um einen derart hohen Blutalkoholwert von 3,03 Promille zu erreichen, muß der Angeklagte zuvor solche Mengen an Alkohol zu sich genommen haben, dass er nicht mehr davon ausgehen konnte, noch fahrtüchtig zu sein. Zudem scheidet angesichts der Tatzeit auch Restalkohol als Begründung für den Blutalkoholwert aus. Der Angeklagte muß tagsüber Alkohol in Mengen getrunken haben und nahm dann die Fahruntüchtigkeit auch billigend in Kauf." (UA 3).

Das Gericht ist "aufgrund des ganz erheblichen Grades an Trunkenheit von verminderter Einsichtsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung" ausgegangen (UA 3) und hat dazu bemerkt:

"Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB des Angeklagten scheidet bei Berücksichtigung der Angaben im ärztlichen Bericht vom 04.09.1999, welcher in der Hauptverhandlung auszugsweise verlesen worden ist, wonach der Angeklagte nach Einschätzung des Arztes zwar deutlich unter Alkoholeinfluss stand, aber bei klarem Bewusstsein war, aus." (UA 3).

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten, form- und fristgerecht eingelegten (Sprung-)Revision, mit der er seine Verurteilung wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr angreift.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

II. Das Rechtsmittel hat - jedenfalls vorläufig - Erfolg.

1. Zu Recht macht der Verteidiger in der Revisionsbegründung geltend, dass die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen den Schuldspruch wegen vorsätzlicher Tatbegehung nicht tragen.

a) Eine Bestrafung wegen vorsätzlichen Vergehens nach § 316 StGB setzt voraus, dass der Fahrzeugführer seine rauschbedingte Fahruntüchtigkeit kennt oder zumindest mit ihr rechnet und sie billigend in Kauf nimmt, gleichwohl aber am öffentlichen Straßenverkehr teilnimmt (vgl. OLG Hamm NZV 1998, 291 f. m.w.N. - ständige Senatsrspr. -). Die Feststellung der Kenntnis der Fahruntüchtigkeit als innerer Tatsache hat der Tatrichter auf der Grundlage des Ergebnisses der Hauptverhandlung und unter Heranziehung und Würdigung aller Umstände zu treffen.

Wenn der Angeklagte zu den insoweit erheblichen Tatsachen von seinem Schweigerecht Gebrauch macht, kann der Schluss auf die innere Tatseite nur aus Beweiszeichen abgeleitet werden, wobei der Schuldbeweis und damit der Beweis der Schuldform (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) nur erbracht ist, wenn auch alle gleich naheliegenden Deutungsmöglichkeiten für und gegen den Angeklagten geprüft worden sind.

b) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht:

aa) Der Tatrichter ist hier - entgegen den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 18. März 2000 dieser Aufgabe nicht etwa deshalb enthoben gewesen, weil der Angeklagte eingeräumt hätte, vorsätzlich gehandelt zu haben. Die in der Stellungnahme wiedergegebene Protokollerklärung des Verteidigers, der Angeklagte räume den Tatvorwurf der vorsätzlichen Trunkenheit im Verkehr "voll" ein, hat weder wörtlich, noch in dem von der Generalstaatsanwaltschaft ausgelegten Sinn Eingang in die Urteilsgründe gefunden; nach ihnen hat er lediglich "die Fahrt in alkoholisiertem Zustand" zugestanden.

An dieses vom Tatrichter in der Urteilsurkunde mitgeteilte Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Revisionsgericht gebunden. Ein Rückgriff auf den Akteninhalt ist ihm bei der Nachprüfung aufgrund der Sachrüge verwehrt (vgl. BGHSt 21, 149, 151; BGH NJW 1998, 3654, 3655; Kleinknecht/Meyer-Goßner, 44. Aufl. (1999), § 337 StPO Rdnr. 22, 23).

bb) Nicht zu beanstanden ist, dass das Amtsgericht im Rahmen seiner das Tatbestandsmerkmal der alkoholbedingten Fahrunsicherheit des Angeklagten im Sinne des § 316 StGB betreffenden Erwägungen von dem in der Blutprobe festgestellten Alkoholgehalt von 3,03 %o ausgegangen ist. In diesem Zusammenhang ist nämlich zugunsten des Angeklagten von dem Mindestwert auszugehen. Diesem entspricht jedenfalls dann der Wert der Blutalkoholkonzentration in der Blutprobe, wenn der Zeitpunkt des Resorptionsabschlusses nicht feststeht und zwischen Tatzeit und Zeitpunkt der Blutentnahme nicht mehr als zwei Stunden liegen (vgl. BGH NJW 1974, 246; Hentschel/Born, Trunkenheit im Straßenverkehr, 7. Aufl. (1996), Rdnr. 93 ff.).

Anlass zu Bedenken geben allerdings die Erwägungen des Amtsgerichts, angesichts der Tatzeit scheide Restalkohol als Begründung für den Blutalkoholwert aus. Die Tatzeit um 16.35 Uhr ist nicht geeignet, Rückschlüsse auf die Umstände der Alkoholaufnahme und deren Ende zu ermöglichen.

cc) Rechtsfehlerhaft hat der Tatrichter sodann an die Blutalkoholkonzentration von 3,03 %o die Schlussfolgerung geknüpft, der Angeklagte habe bedingt vorsätzlich gehandelt, weil er, um den hohen Blutalkoholwert zu erreichen, zuvor solche Mengen an Alkohol zu sich genommen haben müsse, dass er nicht mehr davon habe ausgehen können, noch fahrtüchtig zu sein.

Damit stellt das Amtsgericht für seine Überzeugungsbildung zum Vorsatz zwar nicht allein auf die Höhe der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit absondern bezieht zusätzlich die Trinkmenge in seine Betrachtung ein. Der allgemeine Erfahrungssatz, den das Gericht hierauf aufbaut, wonach jedem, auch trinkgewohnten Autofahrer bei einem Konsum einer solchen Trinkmenge die Möglichkeit seiner Fahrunsicherheit im konkreten Fall bei Fahrtantritt bewusst sei und er dies billigend in Kauf nehme, wenn er gleichwohl einen PKW im öffentlichen Straßenverkehr führe, besteht jedoch nicht. Mit fortschreitender Alkoholisierung nimmt nämlich die Kritik- und Erkenntnisfähigkeit ab, so dass gerade hohe Blutalkoholkonzentrationen eine Kritiklosigkeit zur Folge haben können, die den tatsächlich fahruntüchtigen Täter glauben lässt, noch fahrtüchtig zu sein (vgl. OLG Hamm NZV 1998, 291, 292 m.w.N.; Hentschel/Born, a.a.O., Rdnr. 346 m.w.N.). Insoweit hätte die Möglichkeit einer bewussten Fahrlässigkeit des Angeklagten bei der Beurteilung seiner Fahrsicherheit ausgeschlossen werden müssen.

2. Darüber hinaus leidet das Urteil an weiteren durchgreifenden Rechtsmängeln.

Mit den dem ärztlichen Bericht entnommenen Angaben, der Angeklagte habe nach Einschätzung des Arztes zwar deutlich unter Alkoholeinfluss gestanden, sei aber bei klarem Bewusstsein gewesen, ist weder Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB "ausgeschieden", noch die "verminderte Schuld" des Angeklagten bei Tatbegehung begründet.

a) Der Tatrichter hat schon den Beweiswert des sog. klinischen Befundes des die Blutprobe entnehmenden Arztes, auf den er sich bei seiner Überzeugungsbildung ausschließlich gestützt hat, überschätzt.

Ein solcher kommt dem ärztlichen Bericht nur unter besonderen Voraussetzungen zu, deren Vorliegen das Amtsgericht nicht aufgeklärt hat (vgl. OLG Hamm Blutalkohol 1980, 171, 172).

Auch dann gibt er lediglich als Ergänzung des Tatzeit-Back-Wertes eine tragfähige Beurteilungsgrundlage für die Schuldfähigkeit ab (vgl. Jagusch/Hentschel, 35. Aufl. (1999), § 316 StGB Rdnr. 65 m.w.N.).

Diesen zu bestimmen, hat das Amtsgericht unterlassen. Es wird deshalb vorsorglich darauf hingewiesen, dass bei der Frage alkoholbedingter Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit eines Angeklagten der Grundsatz in dubio pro reo dazu führt, dass von der höchstmöglichen Tatzeit-BAK auszugehen ist. Zu deren Ermittlung ist dem Wert der entnommenen Blutprobe ein stündlicher Abbauwert von 0,2 %o und ein einmaliger Sicherheitszuschlag von weiteren 0,2 %o zugrunde zu legen (vgl. Tröndle/Fischer, 49. Aufl. (1999), § 20 StGB Rdnr. 9 f m.w.N.).

b) Schon ein über 3 %o liegender Tatzeit-Back-Wert ist ein Hinweis auf einen Ausschluss der Schuldfähigkeit (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., § 20 StGB Rdnr. 9 a, 9 b m.w.N.), den das "klare Bewusstsein" des Angeklagten bei der Untersuchung nicht entscheidend entkräftet.

Unabhängig davon, ob die nicht unerhebliche Alkoholbeeinflussung als Intoxikationspsychose und damit als krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 StGB oder als organisch bedingte Bewusstseinsstörung und damit als tiefgreifende Bewusstseinsstörung im Sinne des § 20 StGB angesehen wird (vgl. BGHSt 37, 231, 239; Schönke/Schröder/Lenckner, 25. Aufl. (1997), § 20 StGB Rdnr. 13 m.w.N.), fordern beide Merkmale bei alkoholischen Rauschzuständen die Prüfung, ob eine Störung der Selbstbestimmung vorliegt.

Bei Trunkenheit geht es vor allem um die Steuerungsfähigkeit, da gerade bei Rauschzuständen die Einsichtsfähigkeit noch intakt, das Hemmungsvermögen aber bereits ausgeschlossen sein kann (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., § 20 StGB Rdnr. 9 m.w.N.). Es hätte sich deshalb dem Amtsgericht die Erörterung der Frage aufdrängen müssen, ob der Angeklagte trotz seiner erheblichen Alkoholisierung zur Tatzeit in der Lage gewesen ist, seiner - angeblich verminderten - Einsicht entsprechend zu handeln.

3. Bei der Verhängung einer Geldstrafe sind bei der Berechnung der Tagessatzhöhe auch Unterhaltsverpflichtungen des Angeklagten zu berücksichtigen (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., § 40 StGB Rdnr. 16).

III. Das Urteil beruht auf den aufgezeigten Rechtsfehlern. Es war daher mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Detmold zurückzuverweisen (vgl. § 354 Abs. 2 StPO), die auch über die Kosten der Revision zu befinden hat, da deren Erfolg im Sinne des § 473 StPO nicht feststeht.

VorschriftenStGB 316

Sprechen Sie uns an!

Kundenservice
Max-Planck-Str. 7/9
97082 Würzburg
Tel. 0931 4170-472
kontakt@iww.de

Garantierte Erreichbarkeit

Montag - Donnerstag: 8 - 17 Uhr
Freitag: 8 - 16 Uhr