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26.11.2004 · IWW-Abrufnummer 043016

Oberlandesgericht Karlsruhe: Beschluss vom 09.08.2004 – 3 Ws 182/04

Beruht ein in Rechtskraft erwachsenes Urteil auf einem Verstoß gegen übergeordnetes EU-Gemeinschaftsrecht, ist gleichwohl die Wiederaufnahme des Verfahrens weder nach § 359 Nrn. 5, 6 StPO, noch nach § 79 Abs. 1 BVerfGG zulässig, auch nicht in entsprechender Anwendung dieser Bestimmungen.


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE
3. Strafsenat

3 Ws 182/04

wegen fahrl. Fahrens ohne Fahrerlaubnis

hier: Versagung der Wiederaufnahme des Verfahrens

Beschluss vom 09. August 2004

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts M. vom 06. Juli 2004, mit dem der Antrag des Verurteilten auf Wiederaufnahme des mit Urteil des Amtsgerichts H. vom 01. Oktober 2001 (11 Cs 53 Js 8411/01 - AK 447/01 -) in der Gestalt des Urteils des Landgerichts H. vom 18. Juni 2002 (5 Ns 53 Js 8411/01) rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens als unzulässig verworfen worden ist, wird aus den zutreffenden, durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräfteten Gründen der angefochtenen Entscheidung kostenpflichtig (§ 473 Abs. 1 StPO) als unbegründet verworfen.

Gründe:

Auch der Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 5 StPO ist vorliegend nicht gegeben. Auf Rechtstatsachen kann der Wiederaufnahmeantrag nicht gestützt werden, insbesondere nicht auf einen Wandel der Rechtsprechung oder gar auf die Änderung oder - von § 79 BVerfGG abgesehen - den Wegfall eines Gesetzes (vgl. BVerfG 12, 338, 340; BGHSt 39, 75, 79). Sachlich-rechtliche Fehler, hier ein Verstoß gegen übergeordnetes EU-Gemeinschaftsrecht durch Anwendung der Bestimmung des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV auf den den genannten Urteilen zugrundeliegenden Sachverhalt (vgl. hierzu EuGH Urt. v. 29.04.2004 - C-476/01 -; OLG Stuttgart B. v. 24.05.2004 - 2 Ss 129/04 -), können den Antrag ebenfalls nicht begründen, selbst wenn sie offensichtlich wären. Die auf fehlerhafter Rechtsauffassung bzw. -anwendung beruhende Entscheidung könnte im Wiederaufnahmeverfahren nur bei Unrichtigkeit des der fehlerhaften Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhaltes, was hier nicht der Fall ist, beseitigt werden (BGH a.a.O.; LR-Gössel StPO 25. Aufl. § 359 Rdnr. 78; KK-Schmidt StPO 5. Aufl. § 359 Rdnr. 19; Meyer-Goßner StPO 47. Aufl. § 359 Rdnrn. 24, 25). Andernfalls würde das Wiederaufnahmeverfahren zu einer zeitlich "unbefristeten Revision umfunktioniert" werden.

Außerdem ist hier kein Fall nach § 359 Nr. 6 StPO gegeben, in dem mit einer Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Verletzung der EMRK festgestellt wäre. Einer Entscheidung des EuGH, hier dem im Wege der Vorabentscheidung nach Art. 234 EGV zur Auslegung der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29.07.1991 ergangenen Urteil des EuGH vom 29.04.2004 - C-476/01 -, kommt keine entsprechende Wirkung zu; sie eröffnet mithin die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 359 Nr. 6 StPO nicht (Meyer-Goßner a.a.O. § 359 Rdnr. 52).

Soweit der Verurteilte eine entsprechende Anwendung des § 79 Abs. 1 BVerfGG begehrt, vermag der Senat diesem Petitum nicht zu folgen. Zwar wird eine entsprechende Anwendung dieser Bestimmung auch auf Fälle vorliegender Art diskutiert (vgl. Jokisch, Gemeinschaftsrecht und Strafverfahren, 2000, S. 225 ff.). Der Senat sieht aber keine Notwendigkeit für eine den Anwendungsbereich des § 79 Abs. 1 BVerfGG erweiternde Normauslegung. Selbst der Gesetzgeber hatte bei der Erweiterung der Wiederaufnahmegründe um den Wiederaufnahmegrund nach § 359 Nr. 6 StPO (durch Urteil des EGMR festgestellte Verletzung der EMRK) durch das Gesetz vom 09.07.1998 zur Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmerechts (BGBl. I 1802; vgl. BT-Drucks. 13/10333) keinen Anlass, einen dieser Bestimmung oder dem § 79 Abs. 1 BVerfGG nachgebildeten Wiederaufnahmegrund im Falle von bloßen Vorabentscheidungen des EuGH nach Art. 234 EGV über die Auslegung des Gemeinschaftsrecht, aus denen sich u. U. Verstöße der Strafgerichte gegen das Gemeinschaftsrecht bei dessen Anwendung herleiten lassen, einzuführen.

Auch der Europäische Gerichtshof unterstreicht die Bedeutung des Grundsatzes der Rechtskraft von nach Ausschöpfung des Rechtsweges oder nach Ablauf der Rechtsmittelfristen unanfechtbar gewordenen Gerichtsentscheidungen, löst die Problematik in Rechtkraft erwachsener, gegen Gemeinschaftsrecht verstoßender Gerichtsentscheidungen daher im Wege einer - nur unter engen Voraussetzungen begründeten - Staatshaftung. Diese verlangt allerdings keine Abänderung der derart fehlerbehafteten Gerichtsentscheidung (EuGH Urt. V. 30.09.2003 - C-224/01 -, teilw. abgedr. in NJW 2003, 3539).

Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass es vorliegend - bei Anlegung des vom EuGH hierzu entwickelten Maßstabes - an der vom EuGH geforderten Offenkundigkeit des Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht, bei der eine Staatshaftung überhaupt erst in Betracht kommt, fehlt, jedenfalls unter den Umständen des Ausgangsverfahrens. Der letztinstanzlich entscheidende 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe, der mit Beschluss vom 15.10.2002 - 2 Ss 156/02 - die Revision des Verurteilten gegen das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 19.06.2002 gem. § 349 Abs. 2 und 3 StPO einstimmig als offensichtlich unbegründet verwarf, hegte keine Zweifel an der Auslegung des hier maßgeblichen Gemeinschaftsrechts. Es kann keine Rede davon sein, jener Senat habe - in objektiv willkürlicher Weise (vgl. hierzu KK-Hannich a.a.O. GVG § 121 Rdnr. 13 m.w.N.) - von einer Vorlage an den EuGH abgesehen. Immerhin hatte er in einem vorangegangenem ähnlich gelagerten Revisionsverfahren die Sache, da er die Anwendbarkeit des am 01.01.1999 in Kraft getretenen § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV, jedenfalls auf sog. "Altfälle" aus der Zeit vor Inkrafttreten des § 28 FeV bezogen, - von einer Entscheidung des OLG Saarbrücken ( B. v. 19.07.2000 - Ss 25/2000 -) abweichend - verneinen wollte, mit Beschluss vom 19.07.2001 - 2 Ss 173/00 - (Die Justiz 2002, 66 = NStZ 2002, 92 = NStZ-RR 2002, 86 = VRS 101, 220) nach § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof vorgelegt. Demgegenüber bejahte der Bundesgerichtshof (B. v. 20.06.2002 - 4 StR 371/01 -; BGHSt 47, 335) die Erstreckung von § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV auch auf diese "Altfälle", wobei er ausdrücklich feststellte und ausführte, dass einer solchen Auslegung das Recht der Europäischen Gemeinschaften nicht entgegen steht (BGHSt 47, 335, 342). Erst hierauf verwarf der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe in vorliegender Sache die Revision des Verurteilten mit Beschluss vom 15.10.2002 - 2 Ss 156/02 -. Der EuGH selbst hatte sich zu der aufgeworfenen Frage noch nicht geäußert; seine Vorabentscheidung datiert erst vom 29.04.2004.

Gleichwohl liegt unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles - in Anbetracht verbleibender staatshaftungsrechtlicher Risiken - eine vollstreckungsrechtliche Lösung nahe, worauf der Senat vor allem mit Blick auf den seit 13.10.2003 bestehenden Vollstreckungshaftbefehl (§§ 457 Abs. 2 StPO, 50 Abs. 1 StVollstrO) der Staatsanwaltschaft Heidelberg diese hierwegen zur Entscheidung berufene Vollstreckungsbehörde vorab - unter Wahrung und Betonung ihrer eigenen Zuständigkeit - hingewiesen hat. Für eine Anordnung des Aufschubes der Vollstreckung durch den Senat selbst (§ 360 Abs. 2 StPO) war freilich mangels Erfolgsaussicht des Wiederaufnahmebegehrens des Verurteilten kein Raum.

RechtsgebieteStPO, BVerfGGVorschriftenStPO § 359 Nr. 5 StPO § 359 Nr. 6 BVerfGG § 79 Abs. 1

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