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30.08.2004 · IWW-Abrufnummer 042296

Oberlandesgericht Brandenburg: Beschluss vom 09.02.2004 – 1 Ss (OWi) 15 B/04

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss

1 Ss (OWi) 15 B/04 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Bußgeldsache

wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen das Anhaltegebot bei rotem Wechsellichtzeichen einer Lichtzeichenanlage

hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts als Senat für Bußgeldsachen durch

am 9. Februar 2004

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 13. August 2003 mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Brandenburg an der Havel zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen durch das angefochtene Urteil wegen vorsätzlichen Nichtbefolgens des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage bei schon länger als 1 Sekunde andauernder Rotphase zu einer Geldbuße von 125,00 ? verurteilt und außerdem gegen ihn ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat verhängt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, der mit näheren Ausführungen die Verletzung materiellen und formellen Rechts rügt.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Allerdings ist die geltend gemachte Verfahrensbeanstandung einer Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) unzulässig. Sie genügt nicht den rechtlichen Vorgaben der §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Nach dieser Vorschrift ist eine Verfahrensrüge nur dann zulässigerweise erhoben, wenn sie mit hinreichender Bestimmtheit den Verfahrensverstoß und die den Mangel begründenden Tatsachen angibt. Dies hat so genau und vollständig zu geschehen, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein auf Grund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob der behauptete Verfahrensfehler vorliegt (std. Senatsrechtsprechung, vgl. Beschlüsse vom 27. September 2001 - 1 Ss (OWi) 84/01 - und vom 16. April 2002 - 1 Ss (OWi) 74 B/02 -). Eine zulässige Aufklärungsrüge setzt deshalb voraus, dass ein bestimmtes Beweismittel und ein bestimmtes Beweisergebnis genannt werden (vgl. Senat a.a.O.).

Diesen Vorgaben wird die vom Betroffenen erhobene sogenannte Aufklärungsrüge nicht gerecht. Sie benennt zwar ein bestimmtes Beweismittel - Sachverständigenbeweis - und verhält sich zu den Umständen, auf Grund derer sich der Bußgeldrichter nach Auffassung des Rechtsmittelführers zur vermissten Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen. Offen bleibt aber, welches sachlich-rechtliche Ergebnis die Erhebung des Sachverständigenbeweises aus Sicht des Betroffenen gehabt hätte.

2. Demgegenüber greift die vom Betroffenen erhobene Sachrüge durch. Die instanzgerichtliche Entscheidung erweist sich als materiell-rechtlich rechtsfehlerhaft, denn sie genügt nicht den Mindestanforderungen, die an eine Verurteilung wegen eines sogenanntes Rotlichtverstoßes gemäß §§ 37 Abs. 2 Nr. 1, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO, 24 StVG und in diesem Zusammenhang insbesondere an die Darstellung der Beweiswürdigung zu stellen sind.

Eine Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes macht grundsätzlich Feststellungen zur Dauer der Gelbphase, der zulässigen und der vom Betroffenen eingehaltenen Geschwindigkeit sowie dazu erforderlich, wie weit dieser mit seinem Fahrzeug noch von der Ampel entfernt war, als sie von Gelb- auf Rotlicht umschaltete. Nur bei Kenntnis dieser Umstände lässt sich nämlich entscheiden, ob der Betroffene bei zulässiger Geschwindigkeit und mittlerer Bremsverzögerung in der Lage gewesen ist, dem von dem Gelblicht ausgehenden Haltegebot zu folgen, was unerlässliche Voraussetzung für den Vorwurf ist, das Rotlicht schuldhaft missachtet zu haben (vgl. OLG Köln VM 1984, 83 m.w.N.; std. Senatsrechtsprechung, vgl. Beschluss vom 8. Oktober 2002 - 1 Ss (OWi) 213/02 -). Demgegenüber stellt das Amtsgericht lediglich fest, der Betroffene habe die Haltelinie vor einer Kreuzung... überquert, obwohl die dort befindliche Lichtzeichenanlage in seine Fahrtrichtung bereits länger als 1 Sekunde Rotlicht angezeigt habe. Der Senat kann den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils bei dieser Sachlage vor allem nicht entnehmen, in welcher Entfernung zur Lichtzeichenanlage sich der Betroffene im Zeitpunkt deren Umschaltens auf Rotlicht befunden hat und mit welcher Geschwindigkeit er gefahren ist.

Die vermissten Feststellungen waren auch nicht im Einzelfall entbehrlich. Von den grundsätzlichen Anforderungen an die Feststellungen bei Vorliegen eines sogenannten Rotlichtverstoßes kann zwar abgesehen werden, wenn der Rechtsverstoß innerhalb geschlossener Ortschaften begangen worden ist. Denn im innerörtlichen Bereich kann grundsätzlich von einer gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h und von einer Gelblichtphase von 3 Sekunden (VwV zu § 37 Abs. 2 StVO Abschn. IX) ausgegangen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 31. August 2000 - 1 Ss (OWi) 78 B/00 -). Ähnliche Regularien und Erfahrungswerte gelten im außerörtlichen Bereich aber gerade nicht, obwohl dort die zulässige Höchstgeschwindigkeit für Personenkraftwagen mangels abweichender Regelungen 100 km/h beträgt (§ 3 Abs. 3 Nr. 2c StVO); denn abgesehen davon, dass insbesondere in den sogenannten neuen Bundesländern die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf Landstraßen häufig in Folge ihres Alleecharakters aus Gründen der Verkehrssicherheit weiter herabgesetzt ist (dort regelmäßig 80 km/h), gelten in Kreuzungsbereichen darüber hinausgehend aus denselben Gründen weitere Abweichungen.

Abschließend bemerkt der Senat folgendes:

Auch die für die Rechtsfolgenentscheidung des Amtsgerichts maßgeblichen Feststellungen zum Vorliegen eines sogenannten qualifizierten Rotlichtverstoßes sind nicht frei von Rechtsfehlern. Die Rechtsfolgenentscheidung hätte vor diesem Hintergrund ebenfalls keinen Bestand haben können.

Ein qualifizierter Rotlichtverstoß im Sinne einer groben Pflichtverletzung gemäß § 25 Abs. 1 S. 1 StVO, Abs. 1 Nr. 4 BKatV liegt zwar unter anderem regelmäßig dann vor, wenn ein Kraftfahrzeugführer das Wechsellichtzeichen bei schon länger als 1 Sekunde andauernder Rotlichtphase durch Einfahren in die durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereich nicht befolgt. Der Bußgeldrichter muss jedoch seine entsprechenden Feststellungen in den Entscheidungsgründen in einer für das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfbaren Weise dokumentieren. Dabei hat er zu beachten, dass es für die Dauer des Rotlichtverstoßes auf die zwischen dem Beginn der Rotlichtphase und dem Überfahren der Haltelinie nach § 31 Abs. 3 Nr. 2 (Zeichen 294) StVO verstrichene Zeit oder - bei Fehlen einer Haltelinie - auf den Zeitablauf zwischen dem Beginn der Rotlichtphase und dem Einfahren des betreffenden Fahrzeugs in den eigentlichen Kreuzungsbereich ankommt (Senatsbeschluss vom 8. Oktober 2002 a.a.O.; OLG Frankfurt/Main NZV 1995, 36 ff.; OLG Düsseldorf VRS 88, 469 ff.). Die Beweiswürdigung, auf Grund der er das Amtsgericht die Missachtung einer länger als 1 Sekunde andauernden Rotlichtphase angenommen hat, ist hier danach rechtfehlerhaft. Sie erweist sich konkret als ebenfalls lückenhaft, denn das Gericht hätte sich insoweit mit allen wesentlichen für oder gegen den Betroffenen sprechenden Tatumständen auseinandersetzen und die Ergebnisse seiner Beweisaufnahme erschöpfend darstellen und würdigen müssen. Hieran fehlt es aber. Die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils teilen lediglich mit, dass der qualifizierte Rotlichtverstoß (Rotlichtphase "1 Sekunde und 40/100 Sekunden") durch Tatort-/Frontphotos des vom Betroffenen gesteuerten Fahrzeuges dokumentiert worden sei, die mittels der Rotlichtüberwachungsanlage vom Typ Traffiphot III mit der Identifikationsnummer 593/030/60026 aufgenommen worden seien. Da das Instanzgericht auf die vom Tatgeschehen angefertigten Lichtbilder aber nur im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zur Identitätsfeststellung des Betroffenen im Sinne von § 267 Abs. 1 S. 3 StPO Bezug genommen hat, ist dem Senat die Prüfung verwehrt, ob das Amtsgericht auf ihrer Basis zu Recht von der angenommenen Rotlichtdauer von 1,4 Sekunden bei Überfahren der an der Kreuzung befindlichen Haltelinie ausgegangen ist.

RechtsgebieteOWiG, StPO, StVO, StVGVorschriftenOWiG § 79 Abs. 3 S. 1 StPO § 267 Abs. 1 S. 3 StPO § 344 Abs. 2 S. 2 StVO § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO § 25 Abs. 1 S. 1 StVO § 31 Abs. 3 Nr. 2 StVO § 37 Abs. 2 Nr. 1 StVO § 49 Abs. 3 Nr. 2 StVG § 24

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