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· Arztbesuch

Diese Regeln gelten beim Arztbesuch während der Arbeitszeit

Bild: IWW/canva

| Der Arztbesuch während der Arbeitszeit ist gerade in kleinen und mittelständischen Unternehmen nicht immer einwandfrei geklärt. So kommt es zu Streitigkeiten, wenn es um Nachsorge-, Routinecheck- oder Impf-Termine während der Arbeitszeit bei Voll- und auch Teilzeitbeschäftigten geht. § 616 BGB regelt dabei, wann ArbN ihr Entgelt weiter erhalten. Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen oder Arbeitsverträge enthalten oft präzisere Regelungen. Nachfolgend ein Faktencheck sowie Tipps für ArbN und ArbG. |

1. Grundsätzlich: § 616 BGB beachten

Nach § 616 BGB haben ArbN einen Anspruch auf Entgelt, wenn sie die Arbeitsunterbrechung nicht selbst „zu vertreten“ haben und sie die Arbeit nur verhältnismäßig kurz unterbrechen. Aber Vorsicht: § 616 BGB ist anders als andere gesetzliche Regelungen arbeitsvertraglich vollständig abdingbar. Macht der ArbG im Rahmen einer wirksamen Arbeitsvertragsklausel hiervon Gebrauch, kann der ArbN sich nicht mehr auf die Norm berufen!

 

Aber: Beschäftigte müssen sich bemühen, den Arztbesuch außerhalb der Arbeitszeit zu legen. Ist das nicht möglich, muss der Arzt die medizinische Notwendigkeit der Untersuchung oder Behandlung bescheinigen und dokumentieren, dass ein anderes Zeitfenster nicht zur Verfügung steht.

 

Ein Arztbesuch während der Arbeitszeit kann generell als „erforderlich“ angesehen werden, wenn der ArbN die Lage des Untersuchungstermins nicht beeinflussen kann (BAG 22.1.86, 5 AZR 34/85; LAG Sachsen-Anhalt 23.6.10, 5 Sa 340/09).

 

Übersicht / Das sind die Fakten beim Arztbesuch

  • 1. Arztbesuche, die der Gesundheitsvorsorge dienen und keinen akuten Anlass haben: Diese Arzttermine gelten als Privatsache. Aus diesem Grund sollten Beschäftigte dann nicht während der Arbeitszeit zur Ärztin oder zum Arzt gehen.

 

  • 2. Der ArbN wird während der Arbeit akut krank: Selbstverständlich muss der ArbN dann die Möglichkeit haben, sofort zum Arzt zu gehen (z. B. starke Glieder- oder Zahnschmerzen). Stets Voraussetzung: Der Besuch während der Arbeitszeit muss medizinisch notwendig sein. Wird der ArbN dann arbeitsunfähig krankgeschrieben, hat er Anspruch auf Lohnfortzahlung nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz, da krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit besteht.

 

  • 3. Routinechecks oder Vorsorgeuntersuchungen: Sind medizinisch nicht notwendig, daher muss der ArbN diese außerhalb der Arbeitszeit legen. Es ist hier durchaus für den ArbN zumutbar, dass er bei medizinisch nicht notwendigen Terminen notfalls auch länger auf einen freien Termin wartet, Urlaub nimmt oder die Möglichkeiten flexibler Zeiteinteilung wahrnimmt.
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  • 4. Der Arzt hat keine anderen Termine mehr frei: Der ArbG muss freigeben.
  • 5. Alle Sprechstunden fallen in die Arbeitszeit: Der ArbG muss freigeben.
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  • 6. Nachuntersuchungen: Werden häufig medizinisch notwendig sein, der ArbG sollte hierfür dem ArbN freigeben.

 

  • 7. Bei speziellen Untersuchungen, die nur zu bestimmten Zeiten angeboten werden (z.B. Blutentnahme in nüchternem Zustand, Röntgen oder Computertomografie): Der ArbG muss den ArbN freistellen und Entgelt weiterzahlen. Zur Entgeltzahlung gehört nicht nur die Zeit des Arztbesuchs, sondern auch der Weg in die Praxis. Aber aufgepasst: Tarifverträge oder Arbeitsverträge können andere Regelungen enthalten.

 

  • 8. Der Arzt oder Zahnarzt bietet Abendsprechstunden an: In diesem Fall muss der ArbN den Arztbesuch grundsätzlich auf eine Zeit außerhalb der Arbeitszeit legen. Ausnahme: Die medizinischen Notwendigkeiten erfordern den Arztbesuch während der Arbeitszeit (z.B. ArbN muss „nüchtern“ erscheinen).

 

  • 9. Der ArbG darf nicht verlangen, dass ArbN den Arzt wechselt. Hintergrund: Das schränkt das Recht auf freie Arztwahl ein. Denn die Wahl des Arztes hat Vorrang vor den Interessen eines ArbG, der die Bezahlung eines Arztbesuches möglichst vermeiden will (BAG 29.2.84, 5 AZR 92/82).
  • 10. Teilzeitbeschäftigte: Diese können in der Regel auch außerhalb der Arbeitszeit zum Arzt gehen. Ihnen unterstellt man, dass sie das ‒ außer in ganz dringenden Fällen ‒ außerhalb der Arbeitszeit tun können. Sie haben sonst keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Unter Umständen müssen sie die ausgefallene Arbeit auch nachholen.

 

  • 11. Minderjährige Beschäftigte und Azubis, die zur gesetzlich vorgeschriebenen Nachuntersuchung müssen, muss der ArbG bezahlt freistellen. Das steht im Jugendarbeitsschutzgesetz.

 

  • 12. Schwangere oder Mutterschaft: Das Mutterschutzgesetz sieht vor, dass der ArbG Frauen für Untersuchungen, die zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gehören, bezahlt freistellen muss.

 

  • 13. Arztbesuche während der Gleitzeit: Enthalten betriebliche Gleitzeitvereinbarungen keine speziellen Regelungen, sollten sich ArbN bemühen, Termine außerhalb der Kernarbeitszeit zu legen. Betroffene haben wohl in solchen Fällen keinen Anspruch auf Vergütung.

 

  • 14. Krankes Kind: Im Fall einer Erkrankung des Kindes eines Beschäftigten gilt die gleiche Vorgehensweise. Innerhalb der Arbeitszeiten muss ein Arztbesuch medizinisch notwendig oder nicht anders möglich sein. Zusätzlich sollte die Ärztin oder der Arzt dem oder der Beschäftigten eine ärztliche Bescheinigung ausstellen, dass für das Kind eine Begleitung erforderlich war. Das ist auch ratsam, wenn Beschäftigte andere Angehörige begleiten, zum Beispiel den kranken Schwiegervater.

 

  • 15. Impfungen: Handelt es sich um eine normale Schutzimpfung, wird diese unter die allgemeine Gesundheitsvorsorge fallen. Daher sollte der ArbN diesen persönlichen Termin außerhalb der Arbeitszeit vereinbaren. Bietet der Arzt aber keinen anderen Termin außerhalb der Arbeitszeit an, wird der Besuch als medizinisch notwendig angesehen.
  • 16. Corona-Schutzimpfung: In der in § 5 Abs. 1 der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung geltenden Fassung vom 10.9.21 musste der ArbG es den Beschäftigten ermöglichen, sich während der Arbeitszeit impfen zu lassen. Diese Regelung ist ausgelaufen. Wenn der Arzt oder das Impfzentrum aber keinen anderen Termin anbietet und er z. B. zur Risikogruppe gehört, kann auch noch jetzt eine medizinische Notwendigkeit gegeben sein. Die Beschäftigten müssen in jedem Fall den ArbG rechtzeitig informieren, wenn sie ein außerbetriebliches Impfangebot wahrnehmen wollen.

 

  • 17. Tarifliche, aber auch arbeitsvertragliche Regelungen: Diese können von der gesetzlichen Regelung abweichende Bestimmungen vorsehen. Sie dürfen nach der Rechtsprechung des BAG auch für ArbN schlechter sein. So könnte also auch in einem Tarifvertrag bestimmt werden, dass Arztbesuche während der Arbeitszeit nicht vergütet werden (BAG 25.4.60, 1 AZR 16/58).
 

 

PRAXISTIPP | Für den ArbG:

 

  • Der ArbG sollte bei Zweifel an dem Termin, den ArbN bitten, ihm eine ärztliche Bestätigung mitzubringen.

 

  • Der ArbG kann festlegen, ob und in welchen Fällen und wie lange ArbN das Recht haben, von der Arbeit bezahlt freigestellt zu werden (z.B. bei Eheschließung = einen freien Arbeitstag gegen Vergütung oder zwei Tage im Fall des Todes naher Angehöriger, drei Tage bei Umzug oder der Geburt eines Kindes etc.). Dies kann er in Arbeitsverträgen auch nachträglich regeln.

 

  • Es ist sehr hilfreich, wenn der ArbG durch eine deutliche Regelung dokumentiert, ob und in welchen Fällen der Arztbesuch während der Arbeitszeit (nicht) vergütet wird. Dies kann er im Arbeitsvertrag formulieren oder durch eine andere verbindliche Regelung. Wie bereits erwähnt kann der ArbG (solange keine tarifliche Regelung besteht) § 616 BGB im Arbeitsvertrag auch vollständig ausschließen.
 

2. Folgen bei einem Verstoß

Wer während der Arbeitszeit zu einem Arzttermin geht, obwohl dies auch in der Freizeit möglich ist, begeht eine Pflichtverletzung und verstößt gegen den Arbeitsvertrag. Der ArbG könnte schon in einem einmaligen Fall eine Abmahnung aussprechen. Schlimmstenfalls droht eine verhaltensbedingte Kündigung.

 

Aber: Ist der ArbN bereits bei Arbeitsbeginn arbeitsunfähig erkrankt und muss er deswegen den Arzt aufsuchen, greift § 616 BGB nicht ein. Es gelten dann die Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes (BAG 7.3.90, 5 AZR 189/89).

3. Fazit

Sind Beschäftigte nicht akut krank, müssen sie versuchen, ihre Arztbesuche außerhalb ihrer Arbeitszeit zu legen. Nur wenn der Arzt keinen anderen Termin vergeben kann oder will, muss der Arbeitgeber für die Dauer des Arztbesuchs während der Arbeitszeit Entgelt bezahlen. Tarifverträge können abweichende Regelungen vorsehen. Wer nicht akut krank ist, muss versuchen, Arzttermine außerhalb der Arbeitszeit zu bekommen.

Quelle: ID 49430562