Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Rechtsprechung

    Finanzbehörden dürfen im Steuerverfahrensrecht personenbezogene Daten verarbeiten

    von OAR a. D. Alfred Kruhl, Sankt Augustin

    Der BFH hat mit Urteil vom 5.9.2023, IX R 32/21 entschieden, dass die Finanzbehörden nach § 29b AO legitimiert sind, unter den dort genannten Voraussetzungen für sämtliche das Steuerverfahrensrecht betreffende Maßnahmen personenbezogene Daten zu verarbeiten. Der folgende Beitrag befasst sich im Einzelnen mit dem Urteil.

     
    • Tenor des Urteils
    • 1. § 29b AO legitimiert die Finanzbehörde, unter den dort genannten Voraussetzungen für sämtliche das Steuerverfahrensrecht betreffende Maßnahmen personenbezogene Daten zu verarbeiten.

     

    • 2. Die Vorschrift genügt den Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 der Datenschutz-Grundverordnung und verletzt nicht das unionsrechtliche Normwiederholungsverbot.

     

    • 3. § 29b AO verstößt weder gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) noch gegen das Recht auf Schutz personenbezogener Daten gem. Art. 8 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.
     

    Zum Sachverhalt des Verfahrens

    Das FA ordnete beim Steuerpflichtigen ‒ einem Rechtsanwalt ‒ eine Außenprüfung zur Einkommen- und Umsatzsteuer für die Jahre 2017 bis 2019 an. In diesem Zusammenhang forderte das FA den Steuerpflichtigen auf, bis zum Prüfungsbeginn die Auszüge seines betrieblichen Bankkontos zu übersenden. Da dieser der Aufforderung nicht nachkam, ersuchte das FA unter Hinweis auf § 97 Abs. 1 Satz 1 und 3 i. V. m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AO das kontoführende Geldinstitut um Vorlage der Kontoauszüge. Diesem Ersuchen kam das Geldinstitut nach.

     

    Im Einspruchs- und Klageverfahren wandte sich der Kläger gegen das Vorlageersuchen, indem er ein Recht auf Löschung seiner personenbezogenen Daten gem. Art. 17 Abs. 1 Buchst. d DSGVO und hilfsweise eine Weiterverfolgung seines Widerspruchs gem. Art. 21 Abs. 1 DSGVO geltend machte. Haupt- und Hilfsantrag wurden vom FG Schleswig-Holstein (23.8.21, 5 K 42/21) abgewiesen.

     

    Mit seiner Revision hielt der Kläger daran fest, dass die Vorschrift des § 97 Abs. 1 Satz 1 AO, auf die das FA sein Vorlageersuchen an das Kreditinstitut gestützt hatte, nicht den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 Buchst. b SGVO genüge und somit nicht die Verarbeitung von personenbezogenen Daten gestatte. Auch sei § 29b AO keine mit den Vorgaben der DSGVO vereinbare Rechtsgrundlage. Darüber hinaus rügte der Kläger Verfahrensfehler.

     

    Das FA beantragte, die Revision zurückzuweisen, da es die Verarbeitung der den Kläger betreffenden personenbezogenen Daten im Zuge des an das Kreditinstitut gerichteten und erfüllten Vorlageersuchens von § 29b AO gedeckt sah.

     

    Entscheidung und Urteilsbegründung

    Der BFH entschied, dass die Revision unbegründet und daher gem. § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen ist. Das FG habe die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Löschung seiner personenbezogenen Daten. Ihm stehe auch kein Widerspruchsrecht gegen die Datenverarbeitung zu. Die geltend gemachten Verfahrensmängel des vorinstanzlichen Verfahrens lägen nicht vor. Der Senat könne von einer Aussetzung des Revisionsverfahrens zum Zwecke eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH absehen.

     

    Im Einzelnen begründet der Senat seine Entscheidung wie folgt: Die Voraussetzungen der einzig in Betracht kommenden Rechtsgrundlage des Art. 17 Abs. 1 Buchst. d DSGVO, die nach Art. 288 Abs. 2 Satz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU ohne Umsetzungsakt in jedem Mitgliedstaat der EU gilt, sind nicht erfüllt (die Gründe dafür werden im Urteil näher erläutert). Nach § 29b Abs. 1 AO ist die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Finanzbehörde zulässig, wenn sie zur Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben oder in Ausübung öffentlicher Gewalt, die ihr übertragen wurde, erforderlich ist. § 29b Abs. 2 Satz 1 regelt, dass die Verarbeitung der in Art. 9 Abs. 1 DSGVO genannten ‒ besonders (sensiblen) ‒ personenbezogenen Daten durch die Finanzbehörde zulässig ist, soweit die Verarbeitung aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses erforderlich ist und soweit die Interessen des Verantwortlichen an der Datenverarbeitung die Interessen der betroffenen Person überwiegen. In diesem Fall hat die Finanzbehörde angemessene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Interessen der betroffenen Person vorzusehen, wobei § 22 Abs. 2 Satz 2 BDSG entsprechend anzuwenden ist (§ 29b Abs. 2 Satz 2 AO).

     

    Die Beteiligten ‒ und hierbei insbesondere die Steuerpflichtigen ‒ sind zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet (§ 90 Abs. 1 Satz 1 AO). Der Finanzbehörde sind die zur Feststellung eines für die Besteuerung erheblichen Sachverhalts erforderlichen Auskünfte zu erteilen (§ 93 Abs. 1 Satz 1 AO). Auf Verlangen der Finanzbehörde haben die Beteiligten und andere Personen gem. § 97 Abs. 1 Satz 1 AO Bücher, Aufzeichnungen, Geschäftspapiere und andere Urkunden zur Einsicht und Prüfung vorzulegen. § 93 Abs. 1 Satz 3 und § 97 Abs. 1 Satz 3 AO regeln, dass andere Personen als die Beteiligten erst dann zur Auskunft bzw. zur Vorlage von Urkunden angehalten werden sollen, wenn die Sachverhaltsaufklärung durch die Beteiligten nicht zum Ziel führt oder keinen Erfolg verspricht. Zur Überprüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit der vom Kläger erklärten Betriebseinnahmen und -ausgaben war es erforderlich, die Kontoauszüge vom Kreditinstitut anzufordern und zu sichten. Das FA konnte seine Aufgabe, den besteuerungsrelevanten Sachverhalt zu ermitteln und zu überprüfen, ohne die Verarbeitung personenbezogener Daten nicht erfüllen. Die Verarbeitung personenbezogener Daten ist für die Erfüllung der den Finanzbehörden obliegenden (Kern-)Aufgabe, nämlich der gleichmäßigen Festsetzung und Erhebung von Steuern nach Maßgabe der Gesetze (Art. 3 Abs. 1 GG i. V. m. § 85 Satz 1 AO), erforderlich. Mit Blick auf die jeweils weit gefassten Begriffe der Personenbezogenheit von Daten sowie des Verarbeitens von Daten (Art. 4 Nr. 1 und 2 DSGVO) erscheint es unvorstellbar, dass das Steuerfestsetzungs- und -erhebungsverfahren ‒ insbesondere vor dem Hintergrund des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 88 Abs. 1 Satz 1 AO) ‒ ohne die Verarbeitung personenbezogener Daten gesetzmäßig und effektiv umzusetzen wäre (in diesem Sinne auch Fischbach, EFG 2022, 4, 5).

     

    Unabhängig von Vorgenanntem hat der Gesetzgeber in § 29b Abs. 1 AO den Zweck der Verarbeitung personenbezogener Daten im steuerlichen Verfahrensrecht festgelegt und damit auch die Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 DSGVO erfüllt.

     

    Nach Auffassung des Senats verletzt § 29b Abs. 1 AO auch nicht das unionsrechtliche Normwiederholungsverbot. Der BFH hat keine Zweifel, dass § 29b Abs. 1 AO ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel verfolgt und in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Zweck steht (vgl. Art. 6 Abs. 3 Satz 4 DSGVO). Die Verarbeitung personenbezogener Daten dient der Durchführung des Besteuerungsverfahrens (§ 85 AO). Die Vorschrift schließt eine unbeschränkte Datenbevorratung aus. Sie macht die Verarbeitung davon abhängig, dass diese final im Zusammenhang mit den Aufgaben der Verwaltung steht („zur Erfüllung“) und darüber hinaus insoweit auch erforderlich ist, d. h., auf das für den Zweck der Verarbeitung notwendige Maß beschränkt wird („Datenminimierung“, vgl. Art. 5 Abs. 1 Buchst. c DSGVO).

     

    § 29b Abs. 2 Satz 1 AO berücksichtigt das erhöhte Schutzniveau der in Art. 9 Abs. 1 DSGVO genannten Daten, die nicht bereits zum Zweck eines allgemeinen, sondern nur eines erheblichen öffentlichen Interesses verarbeitet werden dürfen. Darüber hinaus fordert die Norm eine strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit und wahrt damit die Grundrechte und Interessen der betroffenen Person. Ferner gewährleistet § 29b Abs. 2 Satz 1 AO keine schrankenlose Verarbeitung von Daten i. S. v. Art. 9 Abs. 1 DSGVO, sondern gestattet dies nur, „soweit“ dies aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses „erforderlich“ ist.

     

    Die vom Kläger gerügten materiellen Verfassungsverstöße hat der Senat verneint. Auch eine Verletzung von Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUGrdRCh) ist ausgeschlossen.

     

    Der BFH kommt zu dem Ergebnis, dass der Kläger keinen Anspruch auf Löschung seiner verarbeiteten personenbezogenen Daten gem. Art. 17 Abs. 1 Buchst. d DSGVO hat.

     

    Ein Vorabentscheidungsersuchen des erkennenden Senats an den EuGH gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht geboten. Der Streitfall enthält zwar entscheidungserhebliche Fragen zur Auslegung des Unionsrechts. Dieser Umstand verpflichtet den BFH aber nicht, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Denn eine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht nicht, wenn zu der entscheidungserheblichen Frage nach der Auslegung oder Gültigkeit des Unionsrechts bereits eine gesicherte Rechtsprechung des EuGH existiert („acte éclairé“) oder die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt (EuGH 6.10.1982, C-283/81, Srl CILFIT und Lanificio di Gavardo SpA gegen Ministero della Sanità, EU:C:1982:335, Rz 13 ff.; vgl. auch BVerfG 4.3.2021, 2 BvR 1161/19, Rz 55; Wegener in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl., Art. 267 AEUV Rz 33; Schönfeld, IStR 2022, 617, 623).

     

    Nach diesen Maßstäben bedarf es im Streitfall keines Vorabentscheidungsersuchens. Durch die Rechtsprechung des EuGH ist bereits geklärt, dass die Steuererhebung ‒ neben der Bekämpfung des Steuerbetrugs ‒ als eine im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe i. S. v. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. e DSGVO ist. Ebenso geklärt sind der unionsrechtliche Grundsatz des Normwiederholungsverbots und die hiervon bestehenden Ausnahmen. Da der der Datenschutz-Grundverordnung vorangestellte Erwägungsgrund Nr. 8 es ausdrücklich zulässt, dass die Mitgliedstaaten unter den dort genannten Voraussetzungen Teile der Verordnung wörtlich in ihr nationales Recht aufnehmen, besteht nach Ansicht des erkennenden Senats auch keinerlei Raum für vernünftige Zweifel, dass § 29b AO insoweit unionsrechtskonform ist.

    Quelle: ID 49814056