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  • 15.10.2021 · IWW-Abrufnummer 225209

    Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein: Beschluss vom 08.04.2021 – 1 Sa 358/20

    Zur Glaubhaftmachung des "Spontanversagens" des beA bei der Ermittlung des Sendungsempfängers und dem (Miss-)Erfolg eines damit begründeten Wiedereinsetzungsantrags.


    Tenor:

    Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 05.11.2020 - 2 Ca 1382/20 - wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

    Die Revisionsbeschwerde wird zugelassen.



    Gründe



    A.



    Die Parteien führen einen Kündigungsschutzprozess.



    Gegen das ihr am 25.11.2020 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Klägerin am 21.12.2020 Berufung eingelegt. Nach einem Wechsel in der Person des Prozessbevollmächtigten ist die Frist zur Begründung der Berufung auf dessen Antrag bis zum 25.02.2021 verlängert worden. Die Berufungsbegründung ist im elektronischen Rechtsverkehr am 26.02.2021 um 0:23 Uhr auf dem Server des Landesarbeitsgerichts eingegangen. Auf den Hinweis des Landesarbeitsgerichts vom selben Tag auf den Ablauf der Begründungsfrist hat die Klägerin am 04.03.2021 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt, den sie wie folgt begründet:



    Es sei vorliegend unvermeidlich gewesen, dass ihr Prozessbevollmächtigter den Schriftsatz erst kurz vor Fristablauf habe fertigstellen können. Dieser habe den Fall erst bearbeiten können, nachdem er am 25.01.2021 Einsicht in die ca. 200 Seiten umfassende Gerichtsakte habe nehmen können, der vormalige Prozessbevollmächtigte habe nur unvollständige Unterlagen übermittelt. Er habe umfangreiche Recherchen betreiben müssen, was auch durch den Umfang der Berufungsbegründung belegt werde. Der Schriftsatz sei daher "grob finalisiert" am Abend des 25.02.2021 erstellt und um 23:24 per E-Mail an sie - Klägerin - übersandt worden. Im Anschluss seien noch einzelne Korrekturen gefertigt worden, um ca. 23:45 Uhr habe sich der Schriftsatz im Signaturkorb befunden.



    Ihr Prozessbevollmächtigter nutze die Software "Advolux". Diese sei direkt mit der Software des beA verbunden. Dokumente würden direkt an beA weitergeleitet und dort empfangen. Die Zustelladresse ermittle beA eigenständig anhand der Adresse im Schriftsatz. Erkenne die Software die Adresse nicht, könnten die Empfängerdaten durch die Eingabe in einem Suchfeld ermittelt werden. Dies erfolge seit Monaten reibungslos. Die Suche des Empfängers über dessen Safe-ID sei nicht möglich. Die Safe-ID des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein sei bei ihr auch nicht bereits dauerhaft hinterlegt gewesen.



    Ihr Prozessbevollmächtigter habe den Schriftsatz elektronisch signiert. Die Software habe aber dann die Safe-ID des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein nicht ermittelt. Es seien die Adressen anderer Landesarbeitsgerichte vorgeschlagen worden, obwohl Name und Anschrift richtig im Dokument beschrieben worden seien. Der Vorgang sei mehrfach wiederholt worden, indem der Schriftsatz wieder zurück in den digitalen Dokumentenkorb verschoben und dann erneut in den Versand gegeben worden sei. Auch die Ermittlung der Adresse über die manuelle Sucheingabe sei nicht erfolgreich gewesen. Der Versand über beA sei am 25.02.2021 auch bereits ordnungsgemäß erfolgt, sodass es keinen Anlass für die Vermutung gegeben habe, das Gerät werde versagen.



    Eine Versendung über die BeA-Client-Security-Software sei nicht möglich gewesen, da ihr Prozessbevollmächtigter nicht über die hierfür notwendige Zugangskarte verfüge. Eine Versendung über andere Rechner der Kanzlei sei nicht möglich gewesen, da ihr Prozessbevollmächtigter auf diese keinen Zugriff habe und sich kein anderer Rechtsanwalt in der Kanzlei befunden habe.



    Nach mehreren Versuchen, nach Erinnerung des Prozessbevollmächtigten ca. sieben bis acht, sei dann um 0:15 Uhr die Zustelladresse des Landesarbeitsgerichts erkannt und der Schriftsatz sofort über das beA versendet worden. Eine Verzögerung durch die verspätete Übersendung sei ausgeschlossen.



    Diesen Sachvortrag hat der Prozessbevollmächtigte anwaltlich versichert.



    Die Beklagte ist den Ausführungen der Klägerin zur Wiedereinsetzung entgegengetreten.



    B.



    Die Berufung der Klägerin ist unzulässig. Ihr Antrag auf Wiedereinsetzung hat keinen Erfolg.



    I. Die Berufung der Klägerin ist unzulässig, da sie erst am 26.02.2021 und damit nach Ablauf der bis zum 25.02.2021 verlängerten Frist zur Berufungsbegründung eingelegt worden ist. Sie ist daher gemäß den §§ 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 522 Abs. 1 Sätze 1 und 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen. Auf die Frage des Umfangs der Verspätung und eine Verzögerung des Berufungsverfahrens kommt es entgegen der Auffassung der Klägerin nicht an.



    II. Wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist der Klägerin auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.



    1. Gemäß § 233 S. 1 ZPO ist einer Partei auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Dem Verschulden der Partei steht gemäß § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten gleich. Gemäß § 236 Abs. 2 S. 1 ZPO muss der Wiedereinsetzungsantrag die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Hierzu gehört eine aus sich heraus verständliche geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus der sich ergibt, auf welchen konkreten Umständen das Fristversäumnis beruht, und auf welche Weise und durch wessen Verschulden es zur Versäumung der Frist gekommen ist (BGH vom 11.11.2015 - XII ZB 257/15 - Juris, Rn. 10). Misslingt die Glaubhaftmachung, bleibt also die Möglichkeit offen, dass die Fristversäumung verschuldet war, ist der Antrag zurückzuweisen. Sprechen die Umstände für ein Vertreterverschulden, steht bereits die nicht ausschließbare Möglichkeit des Verschuldens der Gewährung der Wiedereinsetzung entgegen (Zöller, ZPO, 33. Auflage 2020, § 233, Rn. 22 m.w.N.). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein Anwalt, der eine Rechtsmittelbegründungsfrist bis zum letzten Tag ausschöpft, wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen (BGH vom 09.05.2006 - XI ZB 45/04 - Juris, Rn. 8).



    2. Die Rechtsprechung hat sich in der Vergangenheit wiederholt mit den Anforderungen an die Darlegungslast und an die hinreichende Glaubhaftmachung des Sachverhalts in Fällen befasst, in denen der fristgerechte Versand einer Rechtsmittel(begründungs)schrift aufgrund "technischer Probleme" scheiterte. So bedarf nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs ein auf einen vorübergehenden "Computerdefekt" oder "Computer-Absturz" gestützter Wiedereinsetzungsantrag näherer Darlegungen zur Art des Defekts und seiner Behebung (Beschluss vom 17.05.2004 - II ZB 22/03 - Juris). Ein einen Bedienungsfehler ausschließendes, auf einem technischen Defekt beruhendes Spontanversagen eines Faxgeräts ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht, wenn vor und nach dem erfolglosen Versuch der Übermittlung eines Schriftsatzes erfolgreiche Übermittlungen an die jeweiligen Empfänger stattgefunden haben, ohne dass zwischenzeitlich eine technische Wartung oder Reparatur erfolgt ist (Beschluss vom 10.10.2006 - XI ZB 27/05 - Juris, Rn. 12). Ein Rechtsanwalt, der einen fristgebundenen Schriftsatz am letzten Tag der Frist per Fax einreichen will, muss sicherstellen, dass die Faxnummer des Empfängers zuverlässig festgestellt ist und ohne Schwierigkeiten darauf zurückgegriffen werden kann. Will der Rechtsanwalt den Begründungsschriftsatz erst kurz vor Ablauf der Frist per Telefax übermitteln, muss er besonders darauf achten, dass bei der Übermittlung keine Fehler passieren (Beschluss vom 02.08.2006 - XII ZB 84/06 - Juris, Rn. 7).



    3. Überträgt man diese Grundgedanken der Rechtsprechung auf den hier vorliegenden Fall einer gescheiterten Versendung aus dem beA hat die Klägerin nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass ihren Prozessbevollmächtigten kein schuldhaftes Verhalten trifft. Es besteht keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass den Prozessbevollmächtigten kein Verschulden trifft (zum Begriff der Glaubhaftmachung: BGH, Beschluss vom 11.09.2003 - IX ZB 37/03 - Juris, Rn. 8). Die Möglichkeit, dass ein Fehler in der Bedienung des Programms vorliegt, ist mindestens so wahrscheinlich wie das von der Klägerin behauptete spontane Auftreten eines Softwarefehlers, der sich nach ca. einer halben Stunde ohne weitere Maßnahmen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin von selbst behoben hat.



    a) Der Vortrag der Klägerin gibt ausschließlich die eigenen Wahrnehmungen ihres Prozessbevollmächtigten wieder. Dabei kann ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Adresse des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein von der Software nicht automatisch erkannt worden ist. Unter anderem hierfür ist ja gerade die Möglichkeit der manuellen Adresssuche vorgesehen.



    Zu dieser manuellen Suche fehlt es jedoch an konkretem Vortrag der Klägerin, außer dass diese wiederholt vorgenommen worden sei. Es liegt nahe, dass hier ein Bedienfehler (Tippfehler o.Ä.) auch bei wiederholten Versuchen nicht aufgefallen ist. Dazu kann der Prozessbevollmächtigte naturgemäß nichts sagen, weil er ihn sonst vermieden hätte.



    Objektive Angaben zu den Eingaben in das Programm fehlen. Ein Screenshot ist nicht vorgelegt, der durch Anzeigen der Bildschirmoberfläche die Eingaben des Prozessbevollmächtigten und die Reaktion der Software belegt. Die Erstellung eines Screenshots hätte jedenfalls, wenn der Prozessbevollmächtigte den Vorgang sieben- bis achtmal wiederholt hat, auch nahegelegen, um die Fehlerhaftigkeit der Software zu dokumentieren. Auch eine sonstige Auswertung der Metadaten des Programms in der fraglichen Zeit liegt nicht vor. Hierüber könnte unter Umständen ebenfalls festgestellt werden, warum die Adresse des LAG Schleswig-Holstein nicht ermittelt werden konnte. So kann letztlich nicht festgestellt werden, warum die Versendung der Berufungsbegründungsfrist gescheitert ist.



    Aus Sicht des Gerichts ist ein Bedienfehler überwiegend wahrscheinlich. Nach eigenem Vortrag der Klägerin hat das beA ihres Prozessbevollmächtigten am selben Tag bereits vor der Versendung dieses Berufungsbegründungsschriftsatzes funktioniert. Das ist in der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags ausdrücklich ausgeführt. Auch nach Auftreten des Fehlers ist die Versendung ordnungsgemäß erfolgt. Daher ist der Berufungsbegründungsschriftsatz ja um 0:23 Uhr beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Ausführungen dazu, dass irgendwelche Änderungen in den Systemeinstellungen oder sonstige Maßnahmen ergriffen wurden, um den Fehler zu beheben, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Es ist aber unwahrscheinlich, dass eine Software sich ohne weiteres Zutun von selbst repariert. Wesentlich näher liegt hier die Annahme eines Fehlers bei der Eingabe. Für ein "Spontanversagen" gibt es keine plausible Erklärung.



    b) Daneben kommt ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten auch deswegen in Betracht, weil er nicht rechtzeitig Vorsorge getroffen hat, dass der Versand an das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein auch an jenem Tag gewährleistet war. Entsprechend den Ausführungen des Bundesgerichtshofs (vom 02.08.2006 - XII ZB 84/06 - Rn. 7) dürfte es jedenfalls dann, wenn ein Schriftsatz unmittelbar vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist versendet werden soll, zu den gesteigerten Sorgfaltsanforderungen an den Prozessbevollmächtigten gehören, sich über das ordnungsgemäße Funktionieren des Versands per beA und insbesondere die Adressfindung rechtzeitig zu kümmern.



    c) Ob ein weiteres Verschulden nicht auch darin liegt, dass der Prozessbevollmächtigte nicht über eine eigene Zugangskarte zum beA-System verfügt, sondern sich insoweit vollständig auf die Software verlassen hat, bedarf hier keiner Entscheidung.



    III. Die Revisionsbeschwerde ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen worden. Zur Frage der Wiedereinsetzung bei einem gescheiterten Versand eines Schriftsatzes aus dem beA heraus liegen insoweit ersichtlich keine höchstrichterlichen Entscheidungen vor.

    Vorschriften