16.08.2012 · IWW-Abrufnummer 122530
Oberlandesgericht Köln: Urteil vom 10.02.2012 – 20 U 94/11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Köln
20 U 94/11
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 11. Mai 2011 verkündete Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln ‑ 26 O 394/10 - aufgehoben.
Die Sache wird, auch zur Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht Köln zurückverwiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers hat (vorläufigen) Erfolg; sie führt auf seinen Hilfsantrag zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht Köln gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Die Entscheidung des Landgerichts leidet an wesentlichen Verfahrensmängeln. Im Ausgangspunkt zutreffend führt das Landgericht an, dass derjenige, der Leistungen aus einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung verfolgt, substantiiert vortragen muss, wie seine berufliche Tätigkeit in gesunden Tagen ausgestaltet war. Dazu genügt die Angabe eines bloßen Berufstyps und die Angabe der Arbeitszeit nicht. Vielmehr müssen die im Rahmen der beruflichen Tätigkeit anfallenden Arbeiten ihrer Art, ihrem Umfang und ihrer Häufigkeit nach nachvollziehbar beschrieben werden (BGH, NJW-RR 1996, 345; OLG Köln - 20. Zivilsenat -, Urt. v. 3. Juni 2011 - 20 U 168/10 - und Hinweisbeschl. v. 18. Februar 2010 - 20 U 133/09 -; OLG Köln - 5. Zivilsenat -, VersR 2009, 667). Die Anforderungen an den insoweit erforderlichen Sachvortrag dürfen indes nicht überspannt werden (vgl. BGH, VersR 2010, 1206; OLG Köln - 20 Zivilsenat -, Urt. v. 3. Juni 2011 - 20 U 168/10 -). Es darf nicht aus dem Blick geraten, dass die Klärung des Berufsbildes vornehmlich den Zweck verfolgt, dem Sachverständigen die notwendigen tatsächlichen Vorgaben zur medizinischen Beurteilung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit an die Hand zu geben. Steht – was in aller Regel unstreitig sein wird – fest, dass der Versicherte überhaupt einer Berufstätigkeit nachgegangen ist, darf ihm der Zugang zu den versicherten Leistungen nicht durch übersteigerte Anforderungen an die Pflicht zur substantiierten Darlegung seiner Berufstätigkeit unzumutbar erschwert werden. Die Abweisung einer Klage auf Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung wegen nicht hinreichend substantiierter Darstellung der Berufstätigkeit muss auf solche Fälle beschränkt bleiben, in denen trotz eingehender, ggf. wiederholter gerichtlicher Hinweise (§ 139 ZPO) das Berufsbild unklar und widersprüchlich bleibt (vgl. den Fall OLG Köln - 5. Zivilsenat ‑, VersR 2009, 667).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die angefochtene Entscheidung des Landgerichts rechts- und verfahrensfehlerhaft. Das Landgericht hat die Anforderungen an die Darlegungslast des Klägers deutlich überspannt. Seine in gesunden Tagen ausgeübte Tätigkeit hatte der Kläger in der Klageschrift (GA 4), im Schriftsatz vom 9. Februar 2011 (GA 92 ff.) und im Schriftsatz vom 26. April 2011 (GA 106 ff.) beschrieben; er hatte zudem einen „Stundenplan“ (GA 37) vorgelegt, der nicht nur die zum Zeitpunkt der Abfassung ausgeübte Tätigkeit, sondern insgesamt die Tätigkeit bis Oktober 2010 (und damit auch die Tätigkeit in gesunden Tagen) wiedergeben sollte (Schriftsatz vom 9. Feburar 2011, GA 93). Dieser Vortrag war angesichts des augenscheinlich einfach strukturierten, regelmäßig wiederkehrenden Tätigkeitsbildes nach Auffassung des Senats ausreichend; eventuell noch klärungsbedürftige Einzelheiten hätten im Rahmen der durchzuführenden Beweisaufnahme erörtert werden können. Wenn das Landgericht gleichwohl weiteren Vortrag zur schlüssigen Darlegung der Berufstätigkeit fordern wollte, dann hätte es den Kläger hierauf konkret hinweisen müssen. Der im Termin zur mündlichen Verhandlung am 30. März 2011 gegebene pauschale Hinweis, es bedürfe zur Beschreibung des Berufsbildes der „Darlegung der Einzeltätigkeiten im Rahmen eines exemplarischen Stundenplanes einer Woche“ erscheint mit Blick darauf, dass der Kläger bereits Einzelheiten seiner Tätigkeit angegeben hatte, nicht sachdienlich und damit nach § 139 ZPO unzureichend, weil dem Kläger nicht konkret vor Augen geführt worden ist, inwieweit die schon beschriebene Tätigkeit eines vertieften Vortrags bedurft hätte. Erst recht ist den knappen Urteilsgründen nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Erwägungen der nach dem Hinweis erfolgte weitere Vortrag im Schriftsatz vom 26. April 2011 der vom Landgericht geforderten Substantiierung immer noch nicht entsprochen hat. Dort hatte der Kläger die in den Jahren 2004-2008 nach seiner Darstellung regelmäßig anfallenden Tätigkeiten erneut und im Einklang mit dem bisherigen Sachvortrag nochmals in einer Weise beschrieben, die einen ausreichenden Überblick über seine berufliche Tätigkeit vermittelte. Warum es auch unter Berücksichtigung dieses Vortrags weiterhin an einer schlüssigen Darlegung der in gesunden Tagen ausgeübten Tätigkeit fehlen soll, erschließt sich nicht.
Gleiches gilt auch für den vom Landgericht vermissten Vortrag des Klägers zu Umorganisationsmöglichkeiten. Der (mit-)arbeitende Betriebsinhaber hat zwar vorzutragen und erforderlichenfalls auch zu beweisen, dass die Tätigkeitsfelder, in denen er mit seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung noch arbeiten kann, ihm keine Betätigungsmöglichkeiten belassen, die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließen; zu seiner Vortrags- und Beweislast gehört, dass ihm eine zumutbare Betriebsumorganisation keine von ihm gesundheitlich noch zu bewältigenden Betätigungsmöglichkeiten eröffnen könnte, die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließen würden (vgl. BGH, VersR 2003, 631 und VersR 1996, 1090). Auch hierzu hatte der Kläger nach Auffassung des Senats ausreichend vorgetragen. Der Kläger hat dargelegt, dass er regelmäßig Transportaufträge mit Lkw bzw. Spezialfahrzeugen abwickelt, wobei er als Betriebsinhaber im Kern die gleichen Tätigkeiten wie seine beiden Angestellten durchgeführt hat; d.h. er hat eines der zur Verf ügung stehenden Fahrzeuge gefahren, Büroarbeiten sind nach seiner Darstellung nur in einem sehr geringen Umfang angefallen (GA 37: 1 Stunde am Tag). Unter Berücksichtigung des weiteren Vortrags des Klägers, wonach er die Transportfahrten einschließlich der damit verbundenen Ladetätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausführen kann, ist angesichts der geschilderten Betriebsstruktur (Kleinbetrieb mit 2 Mitarbeitern) augenfällig, dass eine zumutbare Umorganisation, die dem Kläger eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließende andere Tätigkeit eröffnet, nicht in Betracht gezogen werden kann (vgl. dazu, dass bei Kleinbetrieben die Möglichkeit einer zumutbaren Umorganisation eher fernliegt: OLG Koblenz, VersR 2009, 1249; Rixecker, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 2. Aufl., § 46, Rn. 27). Selbst wenn es dem Kläger noch zumutbar sein sollte, einen weiteren Fahrer einzustellen, der seine bisherigen Aufgabenbereich übernimmt, dann ist kein Betätigungsfeld ersichtlich, das er sinnvoll jedenfalls halbschichtig auch mit seinen behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen noch ausfüllen könnte. Auf eine bloße Verlegenheitsbeschäftigung (hier etwa – wie von der Beklagten im Ansatz vorgetragen – die passive Begleitung eines neu einzustellenden Mitarbeiters auf den Fahrten) muss der Kläger sich nicht verweisen lassen (vgl. dazu Rixecker, aaO; die von der Beklagten in diesem Zusammenhang zitierte Entscheidung des OLG Köln - 5. Zivilsenat -, r+s 1994, 35 betrifft einen nicht vergleichbaren Sachverhalt). Wenn das Landgericht indes gleichwohl die bisherige Darstellung des Klägers für unzureichend halten wollte, dann wäre es wiederum seine Sache gewesen, den Kläger unter Erteilung detaillierter Hinweise (§ 139 ZPO) zu weiterem konkreten Sachvortrag aufzufordern. Der im Termin vom 30. März 2011 pauschal unter Bezugnahme auf den Vortrag der Beklagten in der Klageerwiderung erteilte Hinweis war unzureichend, weil sich dem Kläger daraus nicht erschließen konnte, bezogen auf welches konkrete Vorbringen der Beklagten das Landgericht weiteren Vortrag des Klägers erwartete. Auch die Urteilsgründe verhalten sich dazu nicht.
Die Entscheidung des Landgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Ob die Beklagte den Versicherungsvertrag, soweit es die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung angeht, wirksam anfochten hat, steht nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand nicht fest. Insoweit könnte bereits fraglich erscheinen, ob die Frage 8 im Antragsformular (u.a.) nach erlittenen Unfällen mit Blick auf eine fehlende zeitliche Eingrenzung hinreichend konkret formuliert war. Jedenfalls aber wird der bestrittenen Darstellung des Klägers, er habe den Motorradunfall aus 1980 bei Antragstellung dem Versicherungsagenten gegenüber angegeben (Vortrag GA 9), wobei dieser ihm erklärt habe, der Unfall sei nicht aufzuführen, weil er bei Antragsaufnahme mehr als 5 Jahre zurückgelegen habe, nachzugehen sein. Träfe dies zu, müsste sich die Beklagte das mündlich vermittelte Wissen ihres Agenten zurechnen lassen. Dann würde es schon an einer objektiven Anzeigepflichtverletzung fehlen. Darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass der Unfall auch dem Agenten gegenüber nicht offenbart wurde, ist die Beklagte.
Damit kann das Urteil des Landgerichts keinen Bestand haben. Da der Senat in eine umfangreiche und aufwändige Beweiserhebung eintreten müsste, macht er von der Möglichkeit der Aufhebung und Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO Gebrauch.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.
Berufungsstreitwert: 12.177,36 €