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  • · Fachbeitrag · Rotlichtverstoß

    Die aktuelle Rechtsprechung zum Rotlichtverstoß: Qualifizierter Verstoß und Fahrverbotsfragen

    von RA und RiOLG a.D. Detlef Burhoff, Münster/Augsburg

    Im Anschluss an Teil 1 der Rechtsprechungsübersicht in VA 11, 177 finden Sie nachstehend einen Überblick über die aktuelle Rechtsprechung zu Fragen des qualifizierten Rotlichtverstoßes und zum Fahrverbot.

     

    Rechtsprechungsübersicht / Qualifizierter Verstoß/Rotlichtverstoß

     

    Die mit einem Rotlichtverstoß zusammenhängenden Fragen sind in der Praxis vor allem auch deshalb von Bedeutung, weil nach Nr. 132.3 BKatV gegen den Betroffenen ein Fahrverbot verhängt werden kann (vgl. dazu unten), wenn die sog. Rotlichtzeit mehr als 1 Sekunde betragen hat. Die Dauer der Rotlichtzeit ist daher von erheblicher Bedeutung.

    Umstände des Einzelfalls

    Rechtsfolge

    Fundstelle

    Verurteilung wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes.

    Der Tatrichter muss feststellen, dass das Rotlicht nach einer Rotlichtphase von mehr als einer Sekunde missachtet wurde. Ausschlaggebend ist der Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie oder, falls nicht vorhanden, das Einfahren in den Kreuzungsbereich.

    OLG Hamm

    VRR 07, 316;

    VA 08, 50 m.w.N.;

    VA 08, 100

    Die Rotlichtzeit ist mit einer automatischen Kamera gemessen worden.

    Das Ergebnis der Messungen bei Auslösen der Kamera sowie die Anknüpfungstatsachen sind mitzuteilen (die Abstände zwischen Haltelinie, erster und zweiter Induktionsschleife sowie die jeweiligen Rotlichtzeiten beim Überfahren der Induktionsschleifen bzw. beim Vorhandensein nur einer Induktionsschleife der zeitliche Abstand zwischen den Lichtbildaufnahmen und die zwischen den Aufnahmezeitpunkten zurückgelegte Fahrstrecke).

    OLG Karlsruhe

    VA 09, 65

    Verwendung eines stationären standardisierten Messverfahrens zum Beleg eines innerörtlichen qualifizierten Rotlichtverstoßes.

    Es reicht grundsätzlich aus, dass das Urteil neben dem Hinweis, dass die Messung auf einem stationären standardisierten Verfahren beruht, die Nettorotlichtzeit mitteilt und dass die Fluchtlinie der Kreuzung überfahren wurde.

    Praxishinweis: Die konkrete Messtoleranz muss ausnahmsweise nicht genannt werden, wenn ausgeschlossen werden kann, dass von der gemessenen und mitgeteilten Bruttorotlichtzeit unter Abzug des für den Betroffenen günstigsten Sicherheitsabschlags von 0,4 Sekunden die maßgebliche Nettorotlichtzeit unter einer Sekunde liegt.

    OLG Frankfurt a.M. VA 08, 213

    Es wird aus den Angaben eines Zeugen auf das Vorliegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes geschlossen.

    Zulässig, jedoch muss die im Urteil festgestellte Verkehrssituation konkrete Tatsachen aufweisen, auf denen die Schätzung der Dauer der Rotlichtphase zum Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie beruht und einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich sein.

    OLG Hamm

    DAR 08, 35

    Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes innerorts durch die zufällige Beobachtung eines erfahrenen Polizeibeamten.

    Nicht ausreichend, wenn keine Feststellungen zur Geschwindigkeit des Betroffenen oder zum Abstand von der Haltelinie möglich waren.

    AG Landstuhl

    24.2.11, 4286 Js 13706/10.OWi, Abruf-Nr. 111555

    Bei einer gezielten Ampelüberwachung wurde der qualifizierte Rotlichtverstoß vom Polizisten geschätzt, der durch Zählen („21, 22“) zu der Feststellung gelangte, dass die Rotlichtphase bei Überfahren der Haltelinie schon mind. zwei Sekunden andauerte.

    Grds. zulässig, aber die Schätzung muss für das Tatgericht und das Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar sein. Deshalb muss das tatrichterliche Urteil Feststellungen dazu enthalten, nach welcher Methode die Zeit geschätzt wurde und Angaben zum Ablauf des Rotlichtverstoßes, zur Entfernung des Fahrzeugs zur Lichtzeichenanlage und zu einer gegebenenfalls vorhandenen Haltelinie treffen.

    OLG Hamm

    VA 09, 156;

    ähnlich OLG Hamm

    VA 10, 17

    Es wird ausschließlich aufgrund einer Zeugenaussage, wonach der Zeuge im Querverkehr Grünlicht gehabt hat, ein qualifizierter Rotlichtverstoß angenommen.

    Unzulässig.

    OLG Jena

    DAR 06, 164

    Rechtsprechungsübersicht / Fahrverbotsfragen

    Die Verwirklichung eines der Regelbeispiele des § 4 Abs. 1 S. 1 BKat, wie z.B. eines qualifizierten Rotlichtverstoßes (Nr. 132.3 BKatV) indiziert das Vorliegen einer groben Verletzung der Pflichten eines Fahrzeugführers nach § 25 Abs. 1 S. 1 StVG. Es bedarf dann regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots. Wegen dieser Indizfunktion ist das Vorliegen einer Ausnahmesituation nur zu prüfen, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, oder der Betroffene diese einwendet (zuletzt OLG Hamburg NZV 10, 42 m.w.N.).

    Umstände des Einzelfalls

    Fahrverbot ja oder nein?

    Fundstelle

    Fehlender Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen dem Rotlichtverstoß und der eingetretenen Unfallfolge.

    Kein Regelfahrverbot.

    OLG Koblenz

    NZV 07, 589

    Der Fahrzeugführer lässt sich in seiner Aufmerksamkeit von einem liegengebliebenen Fahrzeug derart ablenken, dass er das Rotlicht einer Lichtzeichenanlage übersieht.

    Kein Augenblicksversagen.

    OLG Karlsruhe

    VA 07, 14

    Dem Betroffenen ist die Lichtzeichenanlage aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit als Taxifahrer und seiner Ortskenntnis bekannt.

    Ja, vor allem weil sich der Betroffene der bereits seit geraumer Zeit Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanlage auf gerader Strecke nachts um 5.40 Uhr im Dunkeln nähert.

    OLG Hamm

    DAR 06, 521

    Es wird unbefugt ein Sonderfahrstreifen mit eigenen Lichtzeichen benutzt.

    Es gelten zwar nicht die Lichtzeichen für den Sonderstreifen, sondern die Lichtzeichen, die für den allgemeinen Verkehr auf den übrigen Fahrstreifen vorgesehen sind. Ist aber trotz Missachtung des dortigen Rotlichts eine Gefährdung des Querverkehrs ausgeschlossen, weil das Lichtzeichen für den nichtberechtigt benutzten Sonderstreifen die Fahrt freigibt, so kann eine Unterschreitung der Regelbuße des Bußgeldkatalogs und ein Absehen vom Fahrverbot geboten sein.

    KG VA 10, 209;

    vgl. OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 02, 55

    und OLG Hamburg

    VRS 100, 205

    Der Verkehrsverstoß wird nachts zu verkehrsarmer Zeit begangen.

    Ja, reicht (allein) nicht.

    OLG Hamm VA 06, 103; s. aber auch OLG Hamm DAR 06, 521

    Bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß ist die erforderliche abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer zum Zeitpunkt des Rotlichtverstoßes ausgeschlossen, weil diese nicht in den geschützten Kreuzungsbereich eindringen dürfen, weil die Fahrspuren für den Querverkehr bzw. auch die Fußgängerfurten gesperrt sind.

    Absehen vom Fahrverbot.

    KG NZV 10, 361; ähnlich KG

    VRS 114, 60

    Rotlichtverstoß beruht auf einer augenblicklichen Unachtsamkeit, nämlich den Bezug auf ein falsches Lichtzeichen, aufgrund Nachtzeit waren andere Verkehrsteilnehmer, die hätten gefährdet werden können, nicht vorhanden.

    Absehen vom Fahrverbot, da der Betroffene als Pizzalieferant durch ein Fahrverbot in seiner Berufsausübung auch noch besonders hart getroffen wäre.

    AG Frankfurt a.M. NZV 08, 371

    An der betreffenden Ampelanlage ist durch ein grünes Pfeilschild das Rechtsabbiegen nach Anhalten trotz Rotlichts erlaubt.

    Absehen vom Fahrverbot.

    KG VRS 113, 300

    Es kommt infolge eines sog. Mitzieheffekts zu einem „qualifizierten“ Rotlichtverstoß.

    Das Absehen vom Fahrverbot bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls.

    Praxishinweis: Beim „qualifizierten“ Rotlichtverstoß infolge Mitzieheffekts liegt kein atypischer Fall vor, der eine Herabsetzung der Regelgeldbuße rechtfertigen würde.

    OLG Jena

    VRS 110, 54

    Der Betroffene hält, nachdem er an einer Kreuzung rechts abgebogen ist, an einer kurz nach der Kreuzung befindlichen, Rotlicht zeigenden Fußgängerampel an, hat einen oder zwei Fußgänger die Straße queren lassen und ist dann weitergefahren, obwohl die Fußgängerampel durch Rotlicht (seit mehr als 1 Sekunde) noch das Anhalten gebot.

    Kein Absehen vom Fahrverbot. Sachverhalt reicht noch nicht aus, um eine abstrakte Gefährdung zu verneinen. Diese ist nur gemindert, aber nicht beseitigt.

    OLG Hamm

    VA 10, 49

    Anfahren bei rotem Ampellicht nach vorherigem Anhalten.

    Ja, allein die Tatsache, dass der Betroffene das Rotlicht zunächst beachtet hat, hebt das anschließende Fehlverhalten noch nicht aus dem Regelfall des qualifizierten Rotlichtverstoßes heraus.

    OLG Köln

    VA 11, 85

    Rotlichtverstoß eines „Frühstarters“.

    Allein der Umstand, dass es sich bei dem Betroffenen um einen sog. „Frühstarter“ handelt, rechtfertigt ohne das Hinzutreten sonstiger besonderer Umstände grds. keine Ausnahme vom Fahrverbot wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes.

    OLG Bamberg

    VA 09, 209

    (s.a. OLG Bamberg DAR 08, 596 und OLG Hamm VA 10, 49)

     
    Quelle: Ausgabe 11 / 2011 | Seite 196 | ID 28855350