Wie Studenten an einer französischen Privat-Uni zu Wirtschaftskriegern ausgebildet werden

Eine ruhige Nebenstraße in Paris. Gleich in der Nähe befinden sich zwei Monumentalbauten französischer Kriegsgeschichte: Der Invalidendom, Grabstätte berühmter Feldherren, und die École Militaire, an der schon Napoleon das Kriegshandwerk erlernte. In dieser Nachbarschaft ist die École de Guerre Economique gut aufgehoben – die „Schule für Wirtschaftskrieg“. Auf einer schmalen blauen Tür zeigt ein Schild mit der schlichten Aufschrift „EGE“ dem Besucher an, dass er richtig ist. Christian Harbulot, der Direktor, öffnet die Tür. Er hat die kleine Hochschule, die an eine private Business-School angegliedert ist, 1997 zusammen mit einem Geheimdienstgeneral gegründet. Zuvor bewegte er sich selbst im Dunstkreis der Nachrichtendienste und arbeitete als Spezialist für strategische Recherche in einer Beratungsfirma. Harbulot, 61 Jahre alt, bittet in sein Büro. Dort steht seine wichtigste Waffe: ein Computer mit drei riesigen Bildschirmen. Er nimmt an einem gläsernen Konferenztisch Platz. Das gesamte Gespräch über bleibt er kerzengerade sitzen, fast regungslos, die Hände auf dem Tisch. Als wolle er sagen: Ich habe nichts zu verbergen. Monsieur Harbulot, Sie lehren an Ihrer Hochschule das Fach „Intelligence économique“ – übersetzt in etwa: „wirtschaftliche Geheimdienstarbeit“. Was muss man sich darunter vorstellen? Die Studenten lernen, Informationen zu sammeln und zu analysieren, die für den Geschäftserfolg unerlässlich sind. Im nächsten Schritt geht es darum, diese Informationen zu nutzen, um Märkte zu erobern – oder um sich gegen unfaire Wettbewerber zu wehren. Das klingt abstrakt. Was genau sind die Schlachtfelder des Wirtschaftskrieges? Die Auseinandersetzung findet einerseits in der konkreten Welt statt, in der es darum geht, das betriebswirtschaftliche Handwerk besser zu beherrschen als die anderen. Das ist die Ebene, auf der es um Kosten und Preise geht, um Bilanzen, Innovationen und Verkaufsstrategien. Das bekommt man an Universitäten beigebracht. Und bestenfalls auch noch virales Marketing. Doch auf die Auseinandersetzung auf einer anderen, unsichtbaren Ebene werden die Studenten nicht vorbereitet: Es ist der entscheidende Kampf in der immateriellen Welt, deren wichtigster Schauplatz das Internet ist. Ich meine nicht die Nutzung des Internets für Werbung und E-Commerce. Ich meine das planvolle Sammeln und Verbreiten von Informationen über die Wettbewerber. Hier geht es darum, sämtliche Schwachstellen des Gegners auszumachen und sie zu nutzen, um ihn zu schlagen. Wirtschaftskrieg bedeutet vor allem Informationskrieg. Die meisten Unternehmen sind nicht gewappnet für diese Konfrontation, in der es wenig moralisch zugeht. Wir rüsten für diesen Krieg. Lernt man bei Ihnen nur die Verteidigung – oder auch den Angriff? Verteidigung, also Krisenkommunikation, lehren wir auch. Allerdings ist Defensive nicht sehr profitabel. Wer in der Defensive ist, hat etwas falsch gemacht. Man muss daher zum Angriff fähig sein. Wer weiß, welche Schwächen das Produkt eines Konkurrenten hat oder welche Probleme er intern hat, kann mit diesem Wissen attackieren. Die Studenten lernen, auf der Grundlage gesicherter Erkenntnisse eine Argumentationsstrategie aufzubauen und eine öffentliche Polemik loszutreten. Wenn sie in der Lage sind, einen Wettbewerber zu destabilisieren, haben wir unser Ausbildungsziel erreicht. Gegen eine Gebühr von rund 10.000 Euro bildet die EGE in einem einjährigen Aufbaustudiengang sowie zwei berufsbegleitenden Kursen zum diplomierten Business-Krieger aus. Informationen streuen, Gerüchte zerstreuen, Angreifer zerstören. Darum geht es. Jährlich durchlaufen 100 Absolventen aller Fachrichtungen die Schule. Die Auswahl findet mittels Aufnahmegespräch statt. Zehn deutsche Muttersprachler haben die EGE bisher besucht – Französisch in Wort und Schrift ist Pflicht. Ebenso starkes Engagement: Mit 600 Unterrichtsstunden pro Jahr ist der Aufwand hoch. Die Dozenten sind teils Uni-Professoren, teils Praktiker aus dem Militärgeheimdienst. Geben Sie uns bitte eine Vorstellung davon, wie der Unterricht aussieht. Zum Beispiel zeigen wir den Studenten Internetauftritte und PR-Filme. Davon ausgehend sollen sie Strategien entwickeln, wie die erhaltenen Informationen gezielt gegen das betreffende Unternehmen gewendet werden können. Unsere Studenten konnten etwa zeigen, dass eine chinesische Verleumdungskampagne gegen den französischen Einzelhandelskonzern Carrefour gar nicht von China ausging. Sie wurde sehr wahrscheinlich von anderen ausländischen Handelsunternehmen lanciert. Neben der Technik zur Informationsgewinnung scheint es wichtig, auch die Technologie zu beherrschen. Trainieren Sie den Cyberwar gegen den US-Geheimdienst NSA? Bei uns lernt man nicht, wie man abhört, verwanzt oder das Internet illegal anzapft. Wir müssen realistisch sein: Das Internet wird noch sehr lange ein poröses Universum sein, das von den Amerikanern beherrscht wird. Ich glaube auch nicht an den absoluten Schutz durch Verschlüsselungstechnik, selbst wenn ein Dozent bei uns die Grundlagen dazu erklärt. Sie wehren sich dagegen, mit Spionage in Verbindung gebracht zu werden. Wo verläuft die Grenze zwischen dieser und dem, was Sie machen? Wir befähigen dazu, ausschließlich aus legal erworbenem Wissen einen Mehrwert zu schaffen. Wir unterweisen niemanden in Identitätsklau und zeigen auch nicht, wie man Rechner hackt – selbst wenn das im echten Leben verbreitete Praktiken sind. Wir kämpfen mit offenem Visier, der Gegner muss die Chance haben, auf Vorwürfe zu reagieren. Spionage ist dagegen von der Vorstellung getrieben, dass nur völlig unzugängliche Geheiminformationen einen Wert haben. Was falsch ist. Das ist ein anderes, viel diskreteres Metier, in dem sich fast nur Exgeheimdienstler tummeln. Es kann vorkommen, dass unsere Absolventen im Job später mit solchen Dienstleistern zusammenarbeiten. Spüren Sie seit dem NSA-Skandal ein verstärktes Interesse an Ihrem Studienangebot? Auf jeden Fall. Der Skandal hat zumindest in französischen Konzernen das Bewusstsein für die Gefahren geschärft. Neben Wissen gibt es auch die traditionellen Rohstoffe, um die Kriege geführt werden. Was ist damit? In einem Seminar behandeln wir strategische Fragen um Energievorkommen oder seltene Erden. Wer für ein europäisches Unternehmen etwa in den Kongo oder in den Niger geschickt wird, muss wissen, wie er Geschäftsinteressen selbst in einem unsicheren Umfeld vertreten kann. Wie Amerikaner und Briten haben die Franzosen wenig Komplexe, ihre Interessen in der Welt mit robusten Mitteln zu verteidigen. In dieser Denkschule wird auch Wirtschaft schnell in militärischen Kategorien betrachtet. Harbulot geht von der Prämisse einer feindseligen Welt aus. Die verwinkelten Gänge, die von seinem Büro in die Seminarräume im Souterrain führen, wirken wie eine Mischung aus Luftschutzbunker und Räuberhöhle. Am Boden stapeln sich mehrere Kisten eines der teuersten Bordeaux-Weine. In einer Ecke steht eine blau-weiß-rote Trikolore. Harbulot verhehlt nicht, dass es ihm im Wirtschaftskrieg auch um die „ökonomische Souveränität“ Frankreichs geht. Im weltweiten Wettbewerb stehen französische Unternehmen derzeit schlechter da als deutsche. Heißt das nicht, dass Ihre Einrichtung unnütz ist? Sie müssen sehen, dass wir erst rund 1.000 Absolventen ausgebildet haben. Das ist nicht viel. Aber allmählich gelangen unsere Exstudenten an Schaltstellen, dann werden sie auch mehr Einfluss haben auf den Kurs der Unternehmen. Viele sind mit der Pflege der E-Reputation ihrer Firmen betraut. Sie arbeiten etwa bei der Airbus Group, bei Michelin oder bei der Unternehmensberatung Boston Consulting Group. In einer Welt, die als feindlich wahrgenommen wird, könnte man für Verschwörungstheorien anfällig werden. Lehren Sie auch, sich gegen diese Gefahr zu wehren? Uns schützt etwas sehr Banales vor Paranoikern: der Egoismus unserer Studenten. Sie denken an ihr persönliches Fortkommen und streben ein angenehmes, friedliches Leben an. Sie sind extrem motiviert, haben aber nicht die Einstellung eines Soldaten. Unser Problem ist eher, ihnen Gemeinschaftssinn und Kampfesgeist einzuflößen.