Neue Technologien:Mit dem künstlichen Auge ins Museum

Neue Technologien: Wer alte Meister anschauen will, muss künftig nicht mehr unbedingt ins Museum gehen. Mit künstlicher Intelligenz könnte dies aus der Ferne gehen.

Wer alte Meister anschauen will, muss künftig nicht mehr unbedingt ins Museum gehen. Mit künstlicher Intelligenz könnte dies aus der Ferne gehen.

(Foto: Clary/AFP)

Kunst und künstliche Intelligenz: Auf diese Kombination setzen immer mehr Ausstellungsmacher. Die Technologie eröffnet ganz neue Möglichkeiten. Ein radikaler Wandel bahnt sich an.

Von Kathrin Werner, New York

Es ist Nacht im Metropolitan Museum. Die riesige Marmorstatue der Athena Parthenos in der Eingangshalle (ca. 170 v. Chr.) hat schon eine Menge gesehen, aber so etwas noch nicht. In dem New Yorker Museum ist heute Abend künstliche Intelligenz bei der Arbeit. Eine Gruppe Hacker, Designer, Programmierer, Datenwissenschaftler und IT-Forscher hat sie auf die Kollektion des größten amerikanischen Museums losgelassen.

Das alte Haus hat sich hübsch gemacht für die jungen Computerspezialisten. Die hohen Decken strahlen in pink- und lilafarbenem Licht. Ein DJ legt auf. Ein Computer projiziert Bilder aus der Kollektion auf die mächtige Treppe, Van Goghs Selbstbildnis mit Strohhut zum Beispiel. "Wir sind von Natur aus eine konservative Institution", ruft Museumsdirektor Max Hollein seinen Abendgästen zu. "Ihr müsst uns aufrütteln. Wir brauchen jemanden, der für Unruhe sorgt."

Das Metropolitan Museum hat sich vorgenommen, die 1,5 Millionen Ausstellungsstücke nicht nur den 7,4 Millionen Besuchern zu zeigen, die jährlich in die Museen kommen, sondern allen 3,9 Milliarden Menschen mit Internetzugang. Und die sollen nicht nur Bilder auf der Website des Museums anklicken, sondern Kunst wirklich erleben können. "Wir brauchen Digitalisierung, um unserer Mission gerecht zu werden", sagt Hollein.

Künstliche Intelligenz (KI) soll dabei eine große Rolle spielen. Sie soll Kunst für Menschen interessant machen, die lieber das Smartphone zücken, als sich stundenlang im Museum die Füße platt zu stehen - oder die schlicht keine Möglichkeit haben, nach New York und in das gewaltige Gebäude am Central Park zu reisen. Kunst soll nicht den Eliten vorbehalten sein. Künstliche Intelligenz hat in den vergangenen Jahren riesige Fortschritte gemacht. Sie kann gesprochene Sprache verstehen und Gegenstände auf Bildern erkennen. Künstler experimentieren mit der Technik - und es gibt sogar Kunstwerke, die allein von Maschinen geschaffen wurden. Im vergangenen Jahr hat das Auktionshaus Christie's ein Bild einer KI für mehr als 400 000 Dollar versteigert. Und nun soll KI den Museumsbesuch demokratisieren.

Das Metropolitan Museum hat gemeinsam mit Microsoft und dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) einen sogenannten Hackathon organisiert, eine Veranstaltung, bei der die Teilnehmer gemeinsam an KI-Technik für das Museum arbeiteten. Jetzt kann ein Maschinengehirn etwa Bilder von Instagram mit Bildern von Kunstwerken im Museum ersetzen. Wer ein Foto von seinem japanischen Abendessen in dem sozialen Medium veröffentlicht hat, kann nun ein Kunstwerk in der Met-Kollektion finden, das ähnlich aufgebaut ist, und sich Informationen dazu anzeigen lassen - zum Beispiel Ryūryūkyo Shinsais Druck einer Sushi-Mahlzeit aus der Edo-Periode (1602-1868). Was einfach klingt, erfordert komplexe Algorithmen. Schließlich muss KI erst einmal erkennen, dass ein Bild Reis mit Fisch zeigt und die Struktur des Instagram-Fotos analysieren, bevor sie die Datenbank des Metropolitan Museums durchsuchen kann. Microsoft hat die Technik dahinter entwickelt.

KI funktioniert nur, weil die Daten vorhanden sind - die Sammlung eines Museums ist aus Sicht einer Maschine schließlich nur ein riesiger Datensatz. Das Metropolitan Museum hat 2017 entschieden, hochaufgelöste Fotos von insgesamt 406 000 Kunstwerken zur freien Nutzung ins Internet zu stellen. Jeder kann also mit den Bildern machen, was er will - früher wäre das undenkbar gewesen, und auch für das Met bedurfte es eines radikalen Umdenkens. Schließlich ist in manchen Museen noch immer verboten, Fotos von den Werken zu schießen. Seither sind die Besucherzahlen auf der Website des Museums rasant gestiegen, und bei Wikipedia schauten zehn Millionen Menschen die Bilder an. Die Besucherzahlen sinken nicht. Das Met hat die Fotos außerdem für die BigQuery-Datenbank freigegeben - als erstes Museum weltweit. Seither kann das Datenanalysesystem von Google mit den Met-Kunstwerken arbeiten und so besser erkennen, was auf Bildern zu sehen ist.

Google beschäftigt sich schon seit einiger Zeit mit Kunst. Der Internetkonzern hat mit der App Selfie für einen großen Spaß in sozialen Medien gesorgt. Mit der App kann man seinen Doppelgänger in der Kunstwelt finden. Die künstliche Intelligenz durchsucht Porträts aus größten Museen der Welt und findet tatsächlich meist eines, das dem App-Nutzer ähnlich sieht - wobei es weißen Menschen deutlich passendere und weniger rassistische Vorschläge macht. Die Google-Sparte Arts & Culture mit Sitz in Paris hat Millionen Kunstwerke in ihr Archiv aufgenommen und dazu Kamerateams in Museen wie die Eremitage in Sankt Petersburg, das Van-Gogh-Museum in Amsterdam oder das Deutsche Museum in München geschickt.

Die American Alliance of Museums (AAM) hat vor wenigen Monaten einen Kongress zum Thema KI veranstaltet, weil die Technik inzwischen für alle möglichen Arten von Museen relevant ist. In der National Soccer Hall of Fame in Texas erfasst KI Gesichter der Besucher und schneidet so digitale Touchscreens und Virtual-Reality-Angebote in der Ausstellung auf jeden Einzelnen zu. KI erfasst gerade das Geheimarchiv des Vatikan mit Dokumenten, die bis ins achte Jahrhundert zurückreichen und bislang nur für Wissenschaftler und wenige Reisegruppen offen sind. Im Akron Art Museum in Ohio führt ein Chatbot durch die Ausstellung, und in drei Smithsonian-Museen in Washington beantwortet ein Roboter des Softbank-Konzerns Fragen der Besucher. Auch Kuratoren bekommen Hilfe von KI. Im Art Institute of Chicago misst eine Maschine zum Beispiel, wie lange Besucher in den jeweiligen Räumen bleiben.

An diesem Abend zeigt auch das Metropolitan Museum, dass es KI für die Zukunft hält. In der Eingangshalle blickt Athena auf eine KI namens Storyteller. Sie kann zuhören, wenn man zu Hause Geschichten erzählt und gleicht die gesprochenen Sätze mit Kunstwerken aus dem Museum ab. Wer etwa sagt "an einem sonnigen Tag ging ich durch den Wald", bekommt einen Druck des deutschen Künstlers Ferdinand Olivier aus dem Jahr 1823 zu sehen - samt Bäumen und Sonne. Die KI versteht mehr als 60 Sprachen und übersetzt sie zunächst ins Englische, denn die Met-Datenbank ist auf Englisch verschlagwortet. "Stell dir vor, du erzählst deinem Kind eine Gute-Nacht-Geschichte und kannst hinterher mit ihm zusammen anschauen, welche Bilder zur Geschichte passen", sagt Matt Zumwalt, einer der Programmierer. "Es ist aufregend sich vorzustellen, was Menschen alles damit anstellen können."

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