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15.07.2009 · IWW-Abrufnummer 092333

Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 30.06.2008 – 5 Ss OWi 387/08

Auch zusammengenommen begründen eine fehlende (einschlägige) Vorbelastung und die nur geringfügige Überschreitung der nach der BKatV für die Indizierung eines Fahrverbotes maßgeblichen Geschwindigkeitsgrenze keinen Ausnahmefall, der dem Tatrichter die Möglichkeit eröffnen würde, von einem Fahrverbot abzusehen.


5 Ss OWi 387/08

Beschluss

Bußgeldsache

gegen T.K.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen gegen das Urteil des Amtsgerichts Hattingen vom 29. November 2007 hat der 5. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 30. 06. 2008 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gem. § 80 a Abs. 1 OWiG auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den insoweit getroffenen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Hattingen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen mit Urteil vom 29. November 2007 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße in Höhe von 200,00 ¤ festgesetzt. Von der Verhängung des im zugrundeliegenden Bußgeldbescheid angeordneten Fahrverbotes von 1 Monat hat es abgesehen. Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 20. April 2007 mit einem Pkw in Sprockhövel die Schmiedestraße mit einer Geschwindigkeit von 81 km/h (bereits abzüglich der Toleranz), wobei die zulässige Höchstgeschwindigkeit 50 km/h betrug. Zur Beweiswürdigung ist in dem angefochtenen Urteil ausgeführt, dass die Feststellungen auf den aktenkundig gemachten Messergebnissen des ordnungsgemäß geeichten Messgerätes Traffipax-Speedoguard beruhten und das Ergebnis der Messung von dem Betroffenen im Hauptverhandlungstermin auch nicht mehr angezweifelt worden sei.

Zur Begründung der Rechtsfolgenentscheidung heißt es in dem angefochtenen Urteil:

"Aufgrund der Tatsache, dass der Betroffene bislang wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes noch nicht in Erscheinung getreten ist und dass die hier gemessene Überschreitung nur um 1 km/h über der Grenze liegt, ab der ein Fahrverbot verhängt wird, erschien es dem Gericht vorliegend ausnahmsweise vertretbar, im Hinblick auf die Verdoppelung des Bußgeldes von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen."

Das Urteil ist der Staatsanwaltschaft Essen, die nicht an der Hauptverhandlung teilgenommen hatte, am 07. Januar 2008 zugestellt worden. Die Staatsanwaltschaft Essen hat am 08. Januar 2008 Rechtsbeschwerde eingelegt, die sie am 15. Januar 2008 mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet hat. Aus der Rechtsbeschwerdebegründung ergibt sich, dass die Staatsanwaltschaft sich gegen das Absehen von einem Fahrverbot wendet. Das nachträglich - außerhalb der gem. §§ 77 b Abs. 2, 275 Abs. 1 S. 2 StPO zu beachtenden 5-Wochen-Frist - mit Gründen versehene Urteil ist der Staatsanwaltschaft Essen am 21. April 2008 zugestellt worden, ohne dass nachfolgend eine weitere Begründung der Rechtsbeschwerde eingegangen ist. Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen beigetreten und hat beantragt, das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Hattingen zurückzuverweisen. Nach Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft rechtfertigen die Erwägungen des Amtsgerichts ein Absehen von der Verhängung des in § 4 Abs. 1 BKatV vorgesehenen Regelfahrverbots nicht.

II.

Die gem. § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat in der Sache zumindest einen vorläufigen Erfolg. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch mit den insoweit getroffenen Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache in diesem Umfang an das Amtsgericht.

1. Aus der Begründung der Rechtsbeschwerde ergibt sich, dass diese auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt ist. Mit der erhobenen Sachrüge wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Generalstaatsanwaltschaft dagegen, dass das Amtsgericht trotz Feststellung einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 31 km/h innerorts von der Verhängung des nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV i. V. m. der lfd. Nr. 11.3.6 der Tabelle 1 c des Anhangs zu Nr. 11 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV vorgesehenen (Regel-)Fahrverbots von einem Monat unter gleichzeitiger Verdoppelung des Bußgeldes abgesehen hat. Die damit vorgenommene Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch ist wirksam, denn die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils tragen die Verurteilung wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften nach § 24 StVG, § 49 Abs. 1 Nr. 3, § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO. Den nachträglich gem. § 77 b Abs. 2 OWiG zu den Akten gebrachten Urteilsgründen ist noch hinreichend zu entnehmen, dass unter Einsatz des geeichten Messgerätes Traffipax-Speedoguard und somit mit einem anerkannten Gerät im standartisierten Messverfahren nach Abzug der üblichen Messtoleranz eine Überschreitung der innerorts zu beachtenden zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 31 km/h festgestellt worden ist, wobei der Betroffene die Richtigkeit dieser Feststellung auch nicht angezweifelt hat.

2. Auf die begründete Sachrüge war der Rechtsfolgenausspruch im angefochtenen Urteil aufzuheben, da die Erwägungen, mit denen das Amtsgericht von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen hat, einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand halten. Den Urteilsgründen ist noch zu entnehmen, dass der Tatrichter im Ergebnis zutreffend von dem Vorliegen eines Regelfalles für die Verhängung eines Fahrverbotes ausgegangen ist. Überschreitet der Führer eines Personenkraftwagens die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 31 - 40 km/h, so sieht § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV i. V. m. der lfd. Nr. 11.3.6 der Tabelle 1 c des Anhangs zu Nr. 11 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV als Ahndung für diese Verkehrsordnungswidrigkeit die Verhängung eines Bußgeldes in Höhe von 100,00 ¤ und eines Fahrverbotes von einem Monat vor. § 4 BKatV konkretisiert damit im Sinne der Ermächtigungsnorm des § 26 a StVG die Anordnungsvoraussetzungen für die Verhängung eines Fahrverbotes nach § 25 StVG als Regelmaßnahme. Die Erfüllung eines der in § 4 Abs. 1 Nr. 1 - 4 BKatV geregelten Tatbestände indiziert das Vorliegen eines groben Verstoßes i. S. v. § 25 Abs. 1 S. 1 StVG, der zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, dass es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbotes bedarf (vgl. BGH St 38, 125 = NZV 1992, 117). Dabei betrifft die Indizwirkung - soweit keine gegenteiligen Anhaltspunkte erkennbar sind - auch die subjektive Seite des Vorwurfs (vgl. BGH NJW 1997, 3252; OLG Hamm NZV 1999, 92; OLG Karlsruhe DAR 2002, 229). Allerdings hat der Tatrichter, was das Amtsgericht nicht verkannt hat, dabei auch stets zu prüfen, ob außergewöhnliche Umstände vorliegen, die ausnahmsweise, insbesondere unter Beachtung des Übermaßverbotes, das Absehen vom (Regel-) Fahrverbot rechtfertigen (vgl. BGH St 38, 231, 237; OLG Hamm NZV 2003, 103; 1997, 185). Dabei steht dem Tatrichter allerdings kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen zu. Von der Anordnung eines nach § 4 BKatV indizierten Fahrverbotes kann im Einzelfall nur dann abgesehen werden, wenn erhebliche Härten oder eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände vorliegen, die einen Ausnahmefall begründen (vgl. BGH NZV 1992, 117, 119; OLG Hamm DAR 2003, 398; NZV 1997, 281; BayObLG NZV 1996, 374; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., § 25 StVG Rdnr. 24), wobei das Abweichen von der Regelahndung in jedem Fall einer eingehenden, auf Tatsachen gestützten Begründung bedarf (vgl. BGH a.a.O.; OLG Hamm NZV 2003, 103; VRS 91, 67; BayObLG VRS 88, 303). Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Den diesbezüglichen, äußerst knapp gehaltenen Ausführungen des Amtsgerichts sind keine Umstände zu entnehmen, die allein oder im Zusammenspiel einen Ausnahmefall begründen könnten, bei dem ein Absehen vom Regelfahrverbot gerechtfertigt oder geboten erscheint. Allein der Umstand, dass die für die Indizierung eines Fahrverbotes maßgebliche Grenze einer Geschwindigkeitsüberschreitung nur knapp (hier um 1 km/h) überschritten wurde, begründet noch keinen Ausnahmefall (vgl. OLG Köln, VRS 105, 296; OLG Düsseldorf VRS 94, 282; OLG Hamm, Beschluss vom 09. Mai 2006 - 4 SsOWi 896/05 - zum Atemalkoholgrenzwert; Hentschel a.a.O., § 25 StVG Rdnr. 25). Im Falle der Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb geschlossener Ortschaften hat der Verordnungsgeber die maßgebliche untere Grenze, ab der ein Fahrverbot eingreift, mit 31 km/h festgesetzt, so dass allein der Umstand, dass der abzuurteilende Verstoß am untersten Rand dieser Grenze liegt, ein Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbots nicht zu rechtfertigen vermag. Auch der daneben vom Tatrichter zur Begründung herangezogene Umstand, dass der Betroffene bislang noch nicht einschlägig straßenverkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist, stellt für sich gesehen keine tragfähige Begründung für die Bejahung eines Ausnahmefalles dar. Die Regelahndung nach der BKatV geht nämlich gerade nicht davon aus, dass der Betroffene vorbelastet ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 09. Mai 2006 - 4 SsOWi 896/05 -; NZV 2003, 103; 1995, 366; BayObLG NZV 1994, 487; OLG Düsseldorf VRS 94, 282). Dies folgt für die Höhe des Bußgeldes aus § 1 Abs. 2 BKatV, wonach etwaige Eintragungen des Betroffenen im Verkehrszentralregister nicht berücksichtigt sind, und für das Fahrverbot wegen grober Pflichtverletzung aus der Fassung des § 4 Abs. 1 BKatV, der die Verwirklichung dort aufgeführter Tatbestände unabhängig davon als grobe Pflichtverletzungen i. S. d. § 25 Abs. 1 S. 2 StVG qualifiziert, ob der Betroffene straßenverkehrsrechtlich vorbelastet ist oder nicht.

Auch zusammengenommen begründen die fehlende (einschlägige) Vorbelastung und die nur geringfügige Überschreitung der nach der BKatV für die Indizierung eines Fahrverbotes maßgeblichen Geschwindigkeitsgrenze keinen Ausnahmefall, der dem Tatrichter die Möglichkeit eröffnen würde, im Rahmen der ihm obliegenden tatrichterlichen Würdigung in vertretbarer Weise von der Verhängung eines Regelfahrverbotes abzusehen (vgl. OLG Köln VRS 105, 296; OLG Düsseldorf VRS 94, 282; OLG Hamm, Beschluss vom 09. Mai 2006 - 4 SsOWi 896/05 -zu § 24 a StVG).

Dass die Verhängung eines Fahrverbotes vorliegend eine unzumutbare Härte für den Betroffenen darstellen würde, ist den Urteilsgründen ebenfalls nicht zu entnehmen. Dabei weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass berufliche oder wirtschaftliche Schwierigkeiten, die bei einer Vielzahl von Berufen regelmäßig Folge des Fahrverbotes sind, für ein Absehen vom Fahrverbot nicht genügen, sondern grundsätzlich als selbst verschuldet hinzunehmen sind (vgl. OLG Hamm NZV 2001,355; BayObLG VRS 101, 441; OLG Köln VRS 105, 296; OLG Karlsruhe NZV 2005, 54; Hentschel, a.a.O., § 25 Rdnr. 25). Einen Ausnahmefall können insoweit nur Härten ganz außergewöhnlicher Art wie beispielsweise der drohende Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust der sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage begründen (vgl. OLG Hamm NZV 2003, 103; VRS 90, 210; Hentschel a.a.O.). Anhaltspunkte hierfür ergeben sich aus dem angefochtenen Urteil nicht. Im Übrigen lässt sich den Urteilsgründen auch nicht entnehmen, welche Möglichkeiten der Überbrückung der einmonatigen Fahrverbotsfrist dem Betroffenen unter Ausnutzung der Vier-Monatsfrist des § 25 Abs. 2 a StVG, beispielsweise durch die Inanspruchnahme von Urlaub oder die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, zur Verfügung stehen.

Die aufgezeigten Begründungsmängel führen zur Aufhebung des Urteils im gesamten Rechtsfolgenausspruch, da zwischen der verhängten Geldbuße und dem Fahrverbot eine Wechselwirkung besteht.

Eine eigene Sachentscheidung nach § 79 Abs. 6 OWiG hat der Senat nicht getroffen, da die bisherigen Feststellungen eine abschließende Entscheidung nicht ermöglichen. Die Sache war daher unter Aufhebung des Urteils im Rechtsfolgenausspruch und den hierzu getroffenen Feststellungen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

RechtsgebieteStPO, BKatVVorschriftenStPO § 267 BKatV § 4

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