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20.09.2011 · IWW-Abrufnummer 113545

Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 16.06.2011 – 11 K 1985/10

Die infolge eines Erlasses nach § 227 AO vorgenommene Erstattung von einbehaltener Kirchensteuer ist, sofern sie nicht mit in dem Jahr der Auszahlung gezahlter Kirchensteuer verrechnet werden kann, als so genannter Erstattungsüberhang im Vorjahr bei den Aufwendungen (gezahlte Kirchensteuer) mindernd zu berücksichtigen. Insoweit liegt ein rückwirkendes Ereignis gem. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO vor, das zu einer Änderung der nach § 10 Abs. 1 S. 1 EStG als gezahlte Kirchensteuer geltend gemachten Aufwendungen führt.


Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine Bescheidänderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO).
Die Kläger sind Eheleute, wurden in den Jahren 2006 und 2007 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt und erzielten in diesen Jahren jeweils Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Der Kläger gehört der römisch-katholischen Kirche an und beendete zum 30.09.2006 seine Tätigkeit bei seinem bisherigen Arbeitgeber, wofür er eine Abfindung in Höhe von 520.550,-- EUR erhielt.
Der Beklagte unterwarf im Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 25.05.2007 die Abfindung als außerordentliche Einkünfte nach der sog. Fünftelregelung gem. § 34 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) der Besteuerung. Da das verbleibende zu versteuernde Einkommen im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG 180.841,-- EUR betrug, unterlag dieses einem Grenzsteuersatz von 42 % und damit dem Spitzensteuersatz. Das verbleibende zu versteuernde Einkommen zuzüglich eines Fünftels der außerordentlichen Einkünfte betrug 292.252,-- EUR und unterlag ebenfalls dem Grenzsteuersatz von 42 %. Durch die Steuerberechnung nach § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG ergab sich somit im Ergebnis keine Tarifermäßigung.
Mit Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 25.05.2007 setzte der Beklagte die Einkommensteuer auf 278.754,-- EUR und die römisch-katholische Kirchensteuer betreffend den Kläger auf 25.113,87 EUR fest. Wegen der im Lohnsteuerverfahren einbehaltenen römisch-katholischen Kirchensteuer des Ehemannes in Höhe von 25.693,49 EUR ergab sich insofern ein Restguthaben in Höhe von 579,62 EUR.
Mit Schreiben vom 05.07.2007 teilte das bischöfliche Ordinariat A (Dezernat Finanzen, Verwaltung und Bau) dem Beklagten mit, dass den Klägern auf deren Antrag vom 03.06.2007 die römisch-katholische Kirchensteuer gemäß § 2 Abs. 6 der Kirchensteuerordnung für die Diözese A (hessischer Anteil) vom 10.12.1968 ermäßigt worden sei. Dabei wurde auch die konkrete Berechnung der Kirchensteuerermäßigung aus der Abfindung dargestellt und mitgeteilt, dass sich als Ergebnis dieser Berechnung ein Erlassbetrag in Höhe von 9.838,35 EUR ergebe. Gleichzeitig wurde der Beklagte unter dem Hinweis, dass der vom bischöflichen Ordinariat erlassene Betrag von diesem nicht ausgezahlt worden sei, gebeten, den Erlass vorbehaltlich der Rechtskraft des Steuerbescheides durchzuführen. Eine Zweitschrift dieses Schreibens wurde nach Aktenlage den Klägern übersandt.
Mit Schreiben vom 09.07.2007 erließ der Beklagte gegenüber den Klägern die römisch-katholische Kirchensteuer zur Einkommensteuer 2006 in Höhe von 9.838,35 EUR und teilte mit, dass das Guthaben nach Buchung des Erlasses durch die Finanzkasse erstattet werde. Als Fälligkeit/Tag des Wirksamwerdens des Erlasses gab der Beklagte den 05.07.2007 an. Der nach der verwaltungsinternen Dienstanweisung vorgesehene Hinweis auf die Mitteilung der Kirchenbehörde unterblieb im Schreiben vom 09.07.2007. Am 12.07.2007 wurde der Betrag von 9.838,35 EUR durch die Finanzkasse erstattet.
Am 27.06.2008 erließ der Beklagte erstmalig den Einkommensteuerbescheid für 2007 und berücksichtigte dabei bei den Sonderausgaben im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG die gezahlte römisch-katholische Kirchensteuer wie folgt:

Kirchensteuer 2007 Betrag/EUR
Lohnkirchensteuer  3.116,52 EUR
Erstattung 2006; Bescheid vom 25.05.2007 ./. 579,62 EUR
Erlass vom 12.07.2007 ./. 9.838,35 EUR
Erstattungsüberhang ./. 7.301,45 EUR
Sonderausgaben i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG  0,00 EUR
Der Bescheid führte zu folgender Nachzahlung:
2007 Einkommen-steuer/EUR Rk Kirchensteuer/EUR Solidaritätszu-schlag/EUR Insgesamt/EUR
Festsetzung  40.652,00 EUR 3.545,37 EUR  2.235,86 EUR  46.433,23 EUR
Steuerabzug vom Lohn ./. 38.791,00 EUR ./. 3.116,52EUR ./. 2.126,54 EUR ./. 44.034,06 EUR
Nach-zahlung 1.861,00 EUR  428,85 EUR  109,32 EUR  2.399,17 EUR
Ferner änderte der Beklagte am 08.08.2008 den Einkommensteuerbescheid für 2006 gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und berücksichtigte bei den Sonderausgaben im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG die gezahlte römisch-katholische Kirchensteuer wie folgt:
Kirchensteuer 2006 Betrag/EUR
Lohnkirchensteuer  25.693,49 EUR
Rücktrag Erstattungsüberhang 2007 ./. 7.301,00EUR
Erstattung 2005; Bescheid vom 05.04.2006 ./. 260,35 EUR
Gezahlte Kirchensteuer  18.132,14 EUR
Sonderausgaben i.S.d. § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG  18.132,14 EUR
Der Bescheid führte zu folgender Nachzahlung:
2006 Einkommen-steuer/EUR Rk Kirchensteuer/EUR Solidaritätszu-schlag/EUR Insgesamt/EUR
Festsetzung 281.820,00 EUR 25.389,90 EUR 15.500,10 EUR 322.710,00 EUR
Bisher festgesetzt 278.754,00 EUR 25.113,87 EUR 15.331,47 EUR 319.199,34 EUR
Nach-zahlung  3.066,00 EUR  276,03 EUR  168,63 EUR  3.510,66 EUR
Gegen den am 08.08.2008 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheid für 2006 legten die Kläger mit Schreiben vom 17.08.2008 Einspruch ein, mit welchem sie sich unter Hinweis auf den Erlass vom 09.07.2007 gegen die Nachzahlung von 3.510,66 EUR wandten.
Das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren ruhte zwischenzeitlich bis zu einer Entscheidung des BFH im Verfahren X R 24/08.
Zur Begründung ihres Einspruches trugen die Kläger vor, dass nach der Rechtsprechung des BFH zur Kirchensteuer die Erstattung von Sonderausgaben zwar ein rückwirkendes Ereignis sei. Dabei könnten auch mangels endgültiger wirtschaftlicher Belastung zur Vermeidung nicht zu rechtfertigender Steuervorteile nicht nur im Erstattungsjahr sondern auch im Jahr der Zahlung erstattete Sonderausgaben mit gezahlten Sonderausgaben verrechnet werden. An nicht zu rechtfertigenden Steuervorteilen fehle es aber, wenn - wie hier - die Kirchensteuer infolge des Erlasses des Finanzamtes erstattet werde. Denn durch den Erlass seien die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 47 AO erloschen. An diese zwingende gesetzliche Rechtsfolge sei das Finanzamt nach Art. 20 Grundgesetz (GG) gebunden. Eine Änderung nach § 175 AO könne nicht erfolgen, weil hierdurch die Rechtsfolge des Erlöschens der Steuerschuld nach § 47 AO wieder aufgehoben würde. Wegen des Erlöschens der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 47 AO infolge des Erlass liege kein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vor. Damit sei es auch unerheblich, ob sie - die Kläger - tatsächlich und endgültig wirtschaftlich belastet seien. Es sei mit dem Sinn und Zweck des Erlasses nicht zu rechtfertigen und laufe den gesetzlichen Wertungen zuwider, wenn nach über einem Jahr nun Steuern in erheblichem Umfang zurückgefordert würden. So werde zum einen aufgrund des Erlasses der Kirchensteuer nun Kirchensteuer in Höhe von 276,03 EUR nachgefordert. Zum anderen resultierten aus der erlassenen Kirchensteuer von 9.838,35 EUR Nachzahlungen für 2007 in Höhe von 2.399,17 EUR und für 2006 in Höhe von 3.510,66 EUR. Dies mache rund 60 % des erlassenen Betrages aus und sei damit höher als der Grenzsteuersatz aus dem Bescheid vom 25.05.2007. Eine andere rechtliche Beurteilung ergebe sich auch nicht aus dem BFH-Urteil vom 26.11.2008 (X R 24/08), da vorliegend nicht das bischöfliche Ordinariat sondern der Beklagte selbst die Kirchensteuer erlassen habe.
Mit Einspruchsentscheidung vom 09.07.2010 wies der Beklagte den Einspruch gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 08.08.2008 als unbegründet zurück. Der Sonderausgabenabzug sei vorliegend im Zahlungsjahr über § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu korrigieren. Im Streitfall sei der Tatsache, dass die im Jahre 2007 erstattete Kirchensteuer nicht mit in diesem Jahr gezahlter Kirchensteuer verrechnet werden könne (sog. Erstattungsüberhang) Rückwirkung beizumessen. Mit der Erstattung der durch die Kirchenbehörde erlassenen Kirchensteuer und der fehlenden Verrechnungsmöglichkeit in 2007 habe festgestanden, dass die Kläger durch die Zahlung der Kirchensteuer im Jahre 2006 in Höhe des Erstattungsüberhangs aus 2007 wirtschaftlich nicht belastet seien. Der Rechtsgrund – hier: der Erlass durch die zuständige Kirchenbehörde - aus dem ein sog. Erstattungsüberhang resultiere, sei für die Frage, ob er in das Jahr der Zahlung der Kirchensteuer zurückgetragen werden könne, unerheblich. Nach den Umständen habe es den Klägern bewusst sein müssen, dass es sich bei der Erlassverfügung des Finanzamtes vom 09.07.2007 lediglich um die verfahrenstechnische Umsetzung des Erlasses durch das bischöfliche Ordinariat A vom 05.07.2007 gehandelt und dass das Finanzamt den Erlass nicht in eigener Zuständigkeit ausgesprochen habe. Rechtsgrund für die Kirchensteuererstattung in 2007 sei der Erlass durch das bischöfliche Ordinariat vom 05.07.2007 gewesen.
Hiergegen richtet sich die Klage.
Die Kläger machen im gerichtlichen Verfahren im Hinblick auf das BFH-Urteil im Verfahren X R 24/08 erneut geltend, dass vorliegend das Finanzamt selbst die Kirchensteuer erlassen habe. Der Erlass sei ein begünstigender Verwaltungsakt, der mit der Bekanntgabe an den Adressaten wirksam werde. Mit dem Zugang eines solchen Verwaltungsaktes erlösche der erlassene Anspruch nach § 47 AO. Damit sei aber gleichzeitig der Weg zu § 175 AO für das Veranlagungsjahr 2006 versperrt, weil ansonsten über die Konstruktion des rückwirkenden Ereignisses nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO die eindeutige Rechtsfolge des Erlöschens der Steuerschuld nach § 47 AO wieder aufgehoben werde. So habe auch der BFH in einem rechtssystematisch ähnlich gelagerten Fall, entschieden, dass im Falle des Erlöschens eines Vergütungsanspruches nach § 47 AO eine rückwirkende Anwendung von § 171 Abs. 3 AO nicht mehr in Betracht komme. Ihnen - den Klägern - sei entgegen der nicht bewiesenen Behauptung des Finanzamtes nicht bekannt gewesen, dass das Finanzamt mit der Erlassverfügung lediglich eine verfahrenstechnische Umsetzung der Mitteilung des Bischöflichen Ordinariats habe vornehmen wollen. Auch wenn das Finanzamt versehentlich die ihnen zugesandte Verfügung nicht mit dem Hinweis auf den Erlass durch das bischöfliche Ordinariat versehen habe, sei dessen Verwaltungsakt (Erlass) nach § 124 AO wirksam. Insoweit sei es unerheblich, ob sie
- die Kläger - tatsächlich und endgültig wirtschaftlich belastet worden seien.
Die Kläger beantragen,
den Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 08.08.2008 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 16.07.2010 aufzuheben und den Betrag in Höhe von 3.510,66 EUR an sie auszuzahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist zur näheren Begründung auf die Einspruchsentscheidung und auf das BFH-Urteil vom 26.11.2008 (X R 24/08). Für den Rücktrag des sog. Erstattungsüberhangs in das Zahlungsjahr komme es gerade nicht darauf an, auf welchem Rechtsgrund der Erstattungsüberhang der Kirchensteuer beruhe. Damit sei auch ohne Bedeutung, ob der Erlass vom bischöflichen Ordinariat (der Kirche) oder - wie von den Klägern angeführt - vom Finanzamt ausgesprochen worden sei. Durch die rückwirkende Erhöhung des Steueranspruchs würden die Wirkungen des Erlasses nicht rückgängig gemacht. Wegen des Selbstminderungseffektes der Kirchensteuer bei der Festsetzung der Einkommensteuer erhöhe sich durch den Rücktrag des Erstattungsüberhangs die Einkommensteuer für das Jahr, für das der Erlass ausgesprochen worden sei und damit auch die Kirchensteuer. Da es nach der BFH-Rechtsprechung für den Rücktrag des Erstattungsüberhangs in das Zahlungsjahr auf den Rechtsgrund für den Erlass nicht ankomme, habe der BFH diesen Effekt in Kauf genommen.
Die Beteiligten haben mit Schreiben vom 07.01.2011 und vom 12.03.2011 mitgeteilt, dass sie mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden sind. Dem erkennenden Senat haben bei seiner Entscheidung die den Streitfall betreffenden Akten vorgelegen. Wegen der Einzelheiten wird hierauf und auf die im Klageverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Gründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Die Kläger sind durch den geänderten Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 08.08.2008 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 09.07.2010 nicht in ihren Rechten verletzt (§§ 40 Abs. 1, 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung
-FGO-).
1. Der Beklagte hat im Zuge des Erlasses von Kirchensteuer durch Bescheid vom 09.07.2007 die angegriffene Bescheidänderung rechtmäßig nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vorgenommen. Die auf Aufhebung des Änderungsbescheides für 2006 vom 08.08.2008 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 09.07.2010 gerichtete Anfechtungsklage gemäß § 40 Abs. 1 FGO ist folglich unbegründet. Soweit die Kläger die Zahlung von 3.510,66 EUR begehren, ist die Klage bereits gemäß § 44 Abs. 1 FGO unzulässig, weil über Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerverhältnis betreffen, zunächst durch Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO zu entscheiden ist. Ein solcher Abrechnungsbescheid ist im Streitfall nicht ergangen.
2. Zu Recht hat sich der Beklagte bei der Bescheidänderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO darauf gestützt, dass der Kläger mit der im Jahre 2007 erlassenen und erstatteten Kirchensteuer in Höhe von 9.838,35 EUR nicht endgültig wirtschaftlich belastet war. Der Rücktrag des sich bei der Veranlagung 2007 ergebenden Erstattungsüberhanges in das Zahlungsjahr 2006 ist zutreffend erfolgt.
Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Das Ereignis muss nachträglich, d.h. nach Erlass des Steuerbescheids eingetreten sein und deshalb zur Zeit des Ergehens des Einkommensteuerbescheids noch nicht bestanden haben. Das Ereignis muss ferner den Sachverhalt ändern und dabei derart in die Vergangenheit zurückwirken, dass ein Bedürfnis besteht, eine schon gültige, bestandskräftig getroffene Regelung im Sinne der §§ 118, 157 AO an die Sachverhaltsänderung anzupassen (BFH-Urteil vom 2. September 2008 X R 46/07, BFHE 222, 215, BStBl II 2009, 229). Unter Ereignis im Sinne von § 175 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist also jede Begebenheit verstehen, die den Sachverhalt oder einen Teil des Sachverhaltes ausfüllt, der den gesetzlichen Tatbestand verwirklicht (§ 38 AO). Der Sachverhalt umfasst die gesamten Tatsachen, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Verhältnisse und Eigenschaften, die im konkreten Einzelfall vorliegen.
Vorliegend hat das Finanzamt im Jahre 2007 infolge des Erlasses nach § 227 AO die Erstattung (Rückzahlung) der ohne Rechtsgrund einbehaltenen Kirchensteuer gemäß § 37 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AO vorgenommen. Das Finanzamt hat dabei der Tatsache, dass die im Jahre 2007 erstattete Kirchensteuer des Klägers nicht mit in diesem Jahr gezahlter Kirchensteuer verrechnet werden konnte (sog. Erstattungsüberhang), zutreffend Rückwirkung im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO beigemessen.
Denn nach § 10 Abs. 1 Satz 1 EStG sind bestimmte, im Einzelnen aufgeführte „Aufwendungen” als Sonderausgaben abziehbar. Hierzu gehört auch die „gezahlte Kirchensteuer” (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG). Aus der Verwendung des Begriffs „Aufwendungen” und aus dem Zweck des § 10 EStG, bestimmte, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen mindernde Privatausgaben vom Abzugsverbot des § 12 EStG auszunehmen, folgt nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, dass nur solche Ausgaben als Sonderausgaben berücksichtigt werden dürfen, durch die der Steuerpflichtige tatsächlich und endgültig wirtschaftlich belastet ist (BFH-Urteil vom 2. September 2008 X R 46/07, BFHE 222, 215, BFH/NV 2008, 2073).
Keine wirtschaftliche Belastung hat der BFH beim Sonderausgabenabzug z.B. angenommen, wenn erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraums geklärt wird, dass der Steuerpflichtige die Kirchensteuer(nach)zahlung mangels Kirchenmitgliedschaft nicht geschuldet hat und diese zu Unrecht geleisteten Zahlungen nach Änderung der Kirchensteuerbescheide in einem späteren Veranlagungszeitraum erstattet werden. Ist der Einkommensteuerbescheid des Zahlungsjahres noch nicht (materiell) bestandskräftig, ist der Sonderausgabenabzug um die nachträgliche Erstattung zu mindern.
Auch wenn der sog. Erstattungsüberhang - wie im vorliegenden Fall - daraus resultiert, dass die im Veranlagungszeitraum (hier: 2007) erstattete Kirchensteuer die im Veranlagungszeitraum gezahlte Kirchensteuer übersteigt, ist nach der Rechtsprechung der Steuerbescheid des Zahlungsjahres (hier: 2006) nach § 164 Abs. 2 AO bzw. - wie im vorliegenden Fall - nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern (BFH-Urteile vom 7. Juli 2004 XI R 10/04, BFHE 207, 28, BStBl II 2004, 1058 und vom 23. Februar 2005 XI R 68/03, BFH/NV 2005, 1304). Dabei hat der BFH herausgestellt, dass für die „allein interessierende Rechtsfrage”, ob „Aufwendungen” im Sinne des § 10 EStG vorliegen, der Rechtsgrund für die Erstattung unerheblich ist. Der Steuerpflichtige ist in Höhe der Erstattung nicht endgültig wirtschaftlich belastet, unabhängig davon, ob römisch-katholische Kirchensteuer mangels Kirchensteuerpflicht oder aufgrund einer Herabsetzung von Einkommensteuer erstattet wird. So wird auch bei der Verrechnung gezahlter und erstatteter Kirchensteuer im selben Steuerabschnitt nicht danach unterschieden, ob die Erstattung ihren Rechtsgrund in der fehlenden Beitragspflicht oder in einer Beitragsermäßigung hat (BFH-Urteile vom 7. Juli 2004 XI R 10/04, a.a.O. und vom 23. Februar 2005 XI R 68/03, a.a.O., jeweils mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
Der Rechtsgrund, aus dem ein sog. Erstattungsüberhang resultiert, ist nach alledem für die Frage, ob er in das Jahr der Zahlung der Kirchensteuer zurückgetragen werden kann, unerheblich. Entscheidend ist lediglich, dass ohne Rechtsgrund gezahlte Kirchensteuer wieder erstattet wird. Es kommt auch nicht darauf an, ob Steuerpflichtige im Bewusstsein mangelnder Kirchensteuerpflicht Kirchensteuer entrichtet haben (BFH-Urteil vom 26. November 2008 X R 24/08, BFH/NV 2009, 568).
Im Streitfall ist der Rechtsgrund für die vom Kläger gezahlte Kirchensteuer in Höhe des vom Finanzamt mit Bescheid vom 09.07.2007 erlassenen Betrages von 9.838,35 EUR entfallen. Dies geschah auf der Grundlage der Ermäßigung durch das bischöfliche Ordinariat vom 05.07.2007 aufgrund § 2 Abs. 6 der Kirchensteuerordnung für die Diözese A. Nach dieser Vorschrift wird, wenn die als Zuschlag zur Einkommensteuer oder aufgrund eines besonderen Steuertarifs nach dem Einkommen zu zahlende Kirchensteuer 4 % des gemeinsam zu versteuernden Einkommens gemäß § 2 Abs. 5 EStG i.V.m. § 51a EStG in der jeweils geltenden Fassung übersteigt, der Mehrbetrag auf Antrag erstattet. Der Antrag kann nur schriftlich und erst nach Eintritt der Rechtskraft des Steuerbescheides beim bischöflichen Ordinariats A gestellt werden und zwar innerhalb einer Frist von fünf Jahren, die mit dem Tage beginnt, an dem der Steuerbescheid rechtskräftig wird. Der Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO ergab sich vorliegend als Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis daraus, dass der rechtliche Grund für die Zahlung der römisch-katholischen Kirchensteuer durch den Erlass durch Bescheid vom 09.07.2007 in Höhe von 9.838,35 EUR weggefallen ist (§ 37 Abs. 2 Satz 2 AO). Die überzahlte Kirchensteuer wurde in Höhe von 9.838,35 EUR erstattet. Der Kläger war somit insoweit tatsächlich und endgültig mit der Kirchensteuer nicht wirtschaftlich belastet.
Dass die Kirchensteuererstattung - wie die Kläger geltend machen – rechtliche Folge des Erlassbescheides des Finanzamtes vom 09.07.2005 und damit Folge einer partiellen Beendigung des Steuerschuldverhältnisses und des Erlöschens des Kirchensteueranspruches gem. § 47 AO in Höhe von 9.838,35 EUR war, ändert nichts an der - hier maßgeblichen - Tatsache, dass aufgrund des Erlasses und der Erstattung Aufwendungen des Klägers in Form gezahlter Kirchensteuer in Höhe von 9.838,35 EUR endgültig entfallen sind. Diese Kirchensteuerzahlungen in Höhe von 9,838,35 EUR hatten sich vor der Erstattung zudem zu Gunsten der Kläger nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG steuermindernd ausgewirkt. Insofern hat der Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass die Wirkung des Erlasses durch die rückwirkende Erhöhung des Steueranspruchs nicht rückgängig gemacht wird. Der erlassene Steueranspruch ist und bleibt gem. § 47 AO erloschen. Ferner bleiben auch bei einem Erlöschen von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis infolge Erlasses nach § 47 AO die weiteren Pflichten aus dem Steuerrechtsverhältnis unberührt (Koenig in Pahlke/Konig, Kommantar zur AO, § 47 Rdz. 2). Der weitere Hinweis des Beklagten, dass sich im Zuge des Rücktrags des Erstattungsüberhangs die Einkommensteuer für das Jahr, für das der Erlass ausgesprochen worden sei und damit auch die Kirchensteuer (wegen deren Selbstminderungseffekts) erhöhe, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Da es nach der Rechtsprechung des BFH für den Rücktrag des Erstattungsüberhangs in das Zahlungsjahr auf den Rechtsgrund für die Erstattung nicht ankommt, hat der BFH diesen Effekt im Rahmen seiner Rechtsprechung berücksichtigt.
Damit ist es vorliegend und grundsätzlich auch nicht rechtserheblich, ob die Bekanntgabe des Erlasses durch das bischöfliche Ordinariat oder durch den Beklagten erfolgte. Es kommt damit auch nicht darauf an, ob der klägerische Vortrag, wonach diesen - trotz deren Antragstellung beim bischöflichen Ordinariat am 03.06.2007 und des Inhaltes des auch an die Kläger bekanntgegebenen Bescheides des bischöflichen Ordinariats über die Ermässigung der römisch katholischen Kirchensteuer vom 05.07.2007 - nicht bekannt war, dass das Finanzamt mit dem Erlass der römisch-katholischen Kirchensteuer den Bescheid des bischöflichen Ordinariats umsetzte, den Tatsachen entspricht.
Angesichts der vorstehenden Ausführungen können sich die Kläger auch nicht auf das von ihnen angeführte BFH-Urteil vom 12.05.2009 (VII R 5/08, BFH/NV 2009, 1602) berufen. Die dortige Entscheidung des BFH, wonach eine rückwirkende Anwendung von § 171 Abs. 3 AO nicht mehr in Betracht kommt, wenn ein Vergütungsanspruch aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung nach § 47 AO erloschen ist, gibt für den hiesigen Streitfall aus den dargestellten Gründen nichts her.
Schließlich können die Kläger auch nicht mit dem Einwand durchdringen, wonach die erlassbedingten Steuernachzahlungen in Höhe von 60 % des Erlassbetrages über dem Grenzsteuersatz lägen. Denn vorliegend sind die Steuernachzahlungen auf zwei Veranlagungszeiträume (2006: 3.510,66 EUR; 2007: 2.399,17 EUR) verteilt. Der Grenzsteuersatz bezieht sich hingegen lediglich auf jeweils einen Veranlagungszeitraum. Zudem kompensieren die Steuernachzahlungen lediglich den zuvor in Höhe des Erlassbetrages steuerwirksam durchgeführten Sonderausgabenabzug. Im Übrigen ist die steuerliche Auswirkung im Streitfall systemimmanent, weil Grund und Umfang der steuerlichen Auswirkungen der Sonderausgabenabzugs von der Höhe des zuvor zu ermittelnden Gesamtbetrages der Einkünfte nach § 2 Abs. 3 EStG abhängen (BFH-Beschluss vom 19.01.2010 X B 32/09, BFH/NV 2010, 1250).
Nach alledem hat das Finanzamt bei der Ermittlung der abziehbaren Sonderausgaben zutreffend die erstattete Kirchensteuer mit der im Erstattungsjahr gezahlten Kirchensteuer verrechnet und den Erstattungsüberhang in das Zahlungsjahr, das Streitjahr 2006, zurückgetragen.
Die Klage war daher abzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

VorschriftenEStG § 10 Abs. 1 Nr. 4, AO § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, AO § 218 Abs. 2, EStG § 34 Abs. 1

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