Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

21.07.2011 · IWW-Abrufnummer 112473

Landgericht Aurich: Urteil vom 31.05.2011 – 3 O 724/10

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Landgericht Aurich
Geschäfts-Nr.: 3 O 724/10
verkündet am: 31.05.2011

Im Namen des Volkes!
Urteil
In dem Rechtsstreit XXX

hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Aurich auf die mündliche Verhandlung vom 04.05.2011 durch den Richter am Landgericht H. als Einzelrichter

für R e c h t erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe geleitet hat.

Tatbestand
Der Kläger verlangt von der Beklagten Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung.
Der Kläger schloss im Jahr 2001 bei der Beklagten eine Berufsunfähigkeitsversicherung ab. Gegenstand des Vertrages war eine Renten-Police mit einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BUZV). Die Berufsunfähigkeitsrente wurde nach dem Zusatztarif R vereinbart. Maßgebend sind die Bedingungen in den "BUZVB 06.00". Danach (§ 1 Abs. 1) liegt eine Berufsunfähigkeit im Sinne der Bedingungen vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich 6 Monate ununterbrochen zu mindestens 50 % außerstande ist, in ihrem zuletzt vor Eintritt dieses Zustandes ausgeübten Beruf nachzugehen. Weiter regelt § 1 Abs. 2 der BUZVB, dass keine Berufsunfähigkeit vorliegt, wenn die versicherte Person nach Eintritt eines Zustandes im Sinne des § 1 Abs. 1 eine andere, ihrer Ausbildung und Erfahrung sowie bisherigen Lebensstellung entsprechende Tätigkeit ausübt und sie dazu aufgrund ihrer gesundheitlichen Verhältnisse zu mehr als 50 % in der Lage ist.
Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses war der Kläger als Rettungsassistent mit einer Vergütung nach BAT VII. tätig. Die zweijährige Ausbildung zum Rettungsassistenten hatte er im Jahr 2000 abgeschlossen. Im Jahr 2003 wurde bei dem Kläger Morbus Crohn festgestellt. Der Kläger schied daraufhin wegen Berufsunfähigkeit aus dem öffentlichen Dienst aus. Aufgrund der Berufsunfähigkeit erhielt der Kläger vertragsgemäß Leistungen von der Beklagten ab 01.03.2003. Bis Mitte 2005 war der Kläger selbständig tätig. Von Mitte 2005 bis September 2007 arbeitete der Kläger als ungelernter Kellner. Er schulte um und erlangte im Juni 2009 den Gesellenbrief zum Restaurantfachmann. In der Zeit von September bis Dezember 2009 absolvierte der Kläger die Meisterschule und erlangte im Dezember 2009 des Meisterbrief zum Restaurantmeister. Seit Januar 2010 arbeitet der Kläger als Restaurantmeister.
Zum 01.06.2010 stellte die Beklagte ihre Leistungen ein, nachdem sie den Kläger mit Schreiben vom 01.04.2010 auf die Vergleichbarkeit des neuen Berufs mit dem Beruf des Rettungsassistenten hingewiesen hatte.
Der Kläger steht auf dem Standpunkt, dass er nicht auf den neuen Beruf verwiesen werden könne, da bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit auf den Beruf abzustellen sei, der zum Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit ausgeübt wurde. Als Restaurantmeister übe er aber eine völlig andere Tätigkeit aus als ein Rettungsassistent. Insbesondere sei die Lebensstellung nicht vergleichbar. Der Kläger sei im öffentlichen Dienst tätig gewesen, wodurch ihm bessere soziale Leistungen zustanden und er praktisch unkündbar gewesen sei. Demgegenüber sei der jetzige Beruf durch Saisontätigkeit geprägt. Ein häufigerer Arbeitgeberwechsel sei typisch. Die soziale Sicherheit sei wesentlich schlechter. Das Einkommen habe als Rettungsassistent im Jahr 2003 bei etwa 1.500,00 € netto gelegen. Dieses würde er aufgrund von Zulagen auch jetzt erreichen. Der Stundenlohn sei aber geringer.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, 647,20 € nebst Zinsen hieraus, die 5%-Punkte über dem jeweiligen Basiszinssatz liegen, seit dem 01.06.2010 an den Kläger zu zahlen,
2. die Beklagte weiter zu verurteilen, an den Kläger ab Juli 2010 aus der Berufsunfähigkeitsversicherung mit der Versicherungsschein-Nr. 123 Leistungen in Höhe von 647,20 € längstens bis zum Vertragsende am 31.05.2026 zu zahlen, zahlbar monatlich im Voraus bis zum dritten Werktag eines jeden Monats.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, leistungsfrei zu sein, da der Kläger nunmehr als Restaurantmeister einen gleichwertigen Beruf ausüben würde, auf den er verwiesen werden könne. Auch sei das durchschnittliche Einkommen leicht höher als im Jahr 2003, so dass die erforderliche Vergleichbarkeit der Lebensstellung gegeben sei.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Die Voraussetzungen für eine Leistungspflicht der Beklagten aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung liegen nicht mehr vor. Der Kläger ist nicht mehr berufsunfähig im Sinne der Bedingungen.
Im Jahr 2003 ist bei dem Kläger, der zu der Zeit eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst als Rettungsassistent ausübte, aufgrund eines Morbus Crohn bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit eingetreten, was zu einem Anerkenntnis der Leistungspflicht durch die Beklagte geführt hat. Mittlerweile hat sich der Kläger jedoch fortgebildet und eine Ausbildung zum Restaurantfachmann und zum Restaurantmeister mit Erfolg abgeschlossen. Dieses führte zu einer berechtigten Verweisung des Klägers auf den neuen Beruf gemäß § 1 Abs 2 der BUZVB 06.00 und damit zu einer Beendigung der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit.
Eine Verweisung ist grundsätzlich nach den zugrunde liegenden Bedingungen (§ 10 Abs. 1, § 1 Abs. 2 BUZVB 06.00) möglich, wenn - auch unter Berücksichtigung neu erworbener beruflicher Fähigkeiten - der Kläger nunmehr einen Beruf ausübt, der in seiner Lebensstellung dem entspricht, was der Kläger zum Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit ausgeübt hat.
Dabei wird die maßgebende Lebensstellung vor allem durch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit geprägt. Die Berufsausübung des Klägers vor Eintritt des Versicherungsfalls liefert den Vergleichsmaßstab dafür, ob die neue Tätigkeit gleichwertig ist und der bisherigen Lebensstellung entspricht. Mithin muss konkret festgestellt werden, welche Anforderungen die bisherige Tätigkeit an den Versicherten stellte, welche Fähigkeiten sie voraussetzte, welches Einkommen sie ihm sicherte und wie sich seine beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten real darstellten (BGH-Urteil vom 11.12.2002 - IV ZR 302/01; BGH-Urteil vom 21.04.2010 - IV ZR 8/08). Eine Vergleichstätigkeit ist mithin dann gefunden, wenn die neue Erwerbstätigkeit keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und in ihrer Vergütung wie in ihrer Wertschätzung nicht spürbar unter das Niveau des bislang ausgeübten Berufes absinkt (BGH, jeweils a.a.O.). Will der Versicherte geltend machen, die von ihm neu ausgeübte Tätigkeit entspreche nicht seiner bisherigen Lebensstellung, ist es an ihm, die konkreten Umstände darzulegen, aus der sich die fehlende Vergleichbarkeit ergeben soll.
Die vorliegend vom Kläger vorgebrachten Umstände sprechen gegen das Fehlen einer Vergleichbarkeit.
Eine Vergleichbarkeit der neuen Tätigkeit lässt sich nicht schon deshalb verneinen, weil der Versicherte seine frühere Tätigkeit im öffentlichen Dienst eingebüßt hat. Auch einem früher im öffentlichen Dienst Beschäftigten ist die Aufnahme einer Tätigkeit in sozial abhängiger Stellung ohne die Absicherungen des öffentlichen Dienstes nicht generell unzumutbar.
Auch hat der Kläger ersichtlich vergleichbare bzw. nicht unzumutbar geringere Verdienstmöglichkeiten. Einer Vergleichbarkeit stünde es entgegen, wenn das in dem Verweisungsberuf erzielbare Einkommen spürbar unter das Niveau des zuletzt erzielten Verdienstes absinken würde. Während der Kläger in den Jahren 2000 - 2002 durchschnittlich etwa 17.300,00 € brutto verdiente, liegt sein jetziges Einkommen brutto sogar etwas höher, nämlich bei jährlich etwas über 18.000,00 €. Selbst wenn man der Ansicht des Klägers folgen würde, dass nur das Jahreseinkommen des Jahres 2002 in Höhe von brutto knapp 24.000,00 € als Vergleichsmaßstab dienen dürfe, weil zum Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit für die Zukunft eine Reduzierung des Einkommens nicht mehr zu befürchten gewesen wäre, kommt man zu einer Vergleichbarkeit der Verdienstmöglichkeiten, da der Einkommensunterschied von jährlich knapp 6.000,00 € brutto im Hinblick auf übliche und daher mitzuberücksichtigende Trinkgeldeinnahmen in dem neuen Beruf als nur unwesentlich anzusehen ist, zumal Trinkgeldeinnahmen steuerfrei sind.
Auch wenn man statt der Bruttoeinkünfte die Nettoeinkünfte zugrunde legen wollte, ergibt sich kein anderes Bild. Der Kläger verfügte im Jahr 2002 über monatliche Nettoeinkünfte von 1.214,42 €. Im Jahr 2010 betrug sein monatliches Nettoeinkommen anfangs 1.183,02 € bzw. in der zweiten Jahreshälfte 1.197,95 €. Der Unterschied ist ersichtlich unbedeutend, wobei etwaige Trinkgelder noch nicht berücksichtigt sind.
Auch ein sozialer Abstieg kann nicht in spürbarem Umfang festgestellt werden. Hinsichtlich der Wertschätzung eines Berufs geht es um das soziale Ansehen, das der Beruf als solcher normalerweise jedem verleiht, der ihn ausübt, indem er ihn einem bestimmten Stand zuordnet. Maßgebend für die soziale Wertschätzung sind die gesellschaftliche Bedeutung des Berufs, eine damit verbundene Vertrauens- oder Vorgesetztenstellung, die Selbständigkeit der Tätigkeit und der erforderliche Grad der Ausbildung. Nach diesem Maßstab ist der Verweisungsberuf des Restaurantmeisters durchaus sozial vergleichbar mit dem alten beruf als Rettungsassistent. Die konkreten Anforderungen der heutigen Tätigkeit liegen nicht unter dem Niveau eines Rettungsassistenten. Schon der Berufsbezeichnung nach ist der Kläger nunmehr "Meister" und nicht mehr "Assistent", was bereits auf einen verantwortungsvolleren Tätigkeitsinhalt hindeutet, da ein "Meister" regelmäßig Führungsaufgaben zu erfüllen hat, während ein Assistent eher weisungsgebunden arbeitet. Auch die Ausbildung gestaltet sich für einen Restaurantmeister aufwändiger, da zunächst der Ausbildungsberuf "Restaurantfachmann" durchlaufen wird und anschließend noch ein Meisterkurs absolviert werden muss. Demgegenüber handelt es sich bei der Ausbildung zum Rettungsassistenten um eine kürzere, nämlich lediglich zweijährige Ausbildung, die sich in ein Jahr theoretische und praktische Ausbildung und ein Jahr Vollzeitpraktikum aufgliedert. Voraussetzung für die Ausbildung zum Rettungsassistenten ist die Vollendung des 18. Lebensjahres und zumindest ein Hauptschulabschluss. Besondere Fähigkeiten werden demnach für die Ausbildung zum Rettungsassistenten nicht gefordert.
Letztlich belegt aber auch das konkrete Bild der Tätigkeit, dass die Tätigkeit des Restaurantmeisters nicht geringer zu bewerten ist als die eines Rettungsassistenten. Denn im Gegensatz zu Rettungsassistenten ist ein Restaurantmeister regelmäßig nicht mit schweren körperlichen Tätigkeiten betraut. Der Rettungsassistent hat hingegen Patienten, medizinisches und technisches Gerät zu heben und zu tragen und zeitweilig diese Arbeiten im Freien ausführen. Hinzu kommen Tätigkeiten verwaltender Art wie das Ausstellen von Transportprotokollen und Transportscheinen, leitende Tätigkeiten wie die Einsatzkoordination und die Einsatzleitung sowie die Überwachung von Notfallpatienten, die Bedienung von medizinischen und anderen technischen Geräten sowie das Führen von Kraftfahrzeugen. Das Spektrum der Tätigkeiten eines Restaurantmeisters, welches der Kläger darzulegen hätte, ist nicht weniger umfangreich und vor allem nicht weniger verantwortungsvoll. So hat der Restaurantmeister in dem von ihm betreuten gastronomischen Betrieb eine Leitungsfunktion. Auf der Internetseite der Bundesagentur für Arbeit heißt es zu den Aufgaben des Restaurantmeisters:
"Als Führungskräfte koordinieren sie die Arbeitsabläufe z.B. in Restaurants, in Hotels oder in Kantinenbetrieben. Restaurantmeister/innen verteilen die anfallenden Aufgaben an die einzelnen Fachkräfte, leiten diese an und kontrollieren die Arbeitsergebnisse. Zudem sind sie an der Einstellung neuer Mitarbeiter/innen beteiligt, übernehmen den betrieblichen Teil der Ausbildung und organisieren den überbetrieblichen Teil der Aus- und Weiterbildung. Stets achten sie auf die Einhaltung der einschlägigen Vorschriften zu Arbeitsschutz, zum Umgang mit Lebensmitteln sowie zur Hygiene und motivieren ihre Mitarbeiter/innen.
Restaurantmeister/innen stellen die erforderlichen Betriebsmittel bereit und organisieren den Betriebsablauf im Restaurant. Beispielsweise kaufen sie Lebensmittel, Tischdekorationen etc. ein, sorgen für die fachgerechte Lagerung der Produkte und deren ökonomischen Einsatz. Im Rahmen ihrer organisatorischen und kaufmännischen Tätigkeiten kalkulieren sie Kosten und Preise, führen Kostenkontrollen durch und sorgen für die ordnungsgemäße Abwicklung der Buchführung und des Zahlungsverkehrs. Zudem projektieren sie Arrangements für Festlichkeiten und Empfänge. Restaurantmeister/innen sind nicht nur im Hintergrund, sondern auch aktiv im Restaurant tätig: Sie wirken an der Zubereitung von Speisen mit, servieren Speisen und Getränke, beraten und betreuen die Gäste.
Als selbstständige Betriebsleiter/innen entwickeln Restaurantmeister/innen die betrieblichen Grundsätze und bestimmen Art und Umfang der Investitionen. Darüber hinaus wählen sie das Personal aus und kontrollieren eigenverantwortlich den wirtschaftlichen Erfolg des Betriebes. Bei verkaufsfördernden Aktionen und Werbemaßnahmen repräsentieren sie den Betrieb in der Öffentlichkeit."
Daraus folgt, dass auch der Restaurantmeister, wenn auch in einem gänzlich andersartigen Tätigkeitsfeld, eine Führungsposition einnimmt, in der verschiedenste Fähigkeiten erforderlich sind. Es bedarf insbesondere wie bei einem Rettungsassistenten organisatorischer und kaufmännischer Fähigkeiten sowie der Fähigkeit zum Umgang mit und zur Führung von Menschen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Sprechen Sie uns an!

Kundenservice
Max-Planck-Str. 7/9
97082 Würzburg
Tel. 0931 4170-472
kontakt@iww.de

Garantierte Erreichbarkeit

Montag - Donnerstag: 8 - 17 Uhr
Freitag: 8 - 16 Uhr