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28.10.2010 · IWW-Abrufnummer 103275

Kammergericht Berlin: Urteil vom 01.03.2010 – 12 U 126/09

1. Beantragt die Partei in einem nachgelassenen Schriftsatz die Ladung des Sachverständigen zum Zwecke der Beantwortung ergänzender Fragen, so hat das Gericht den Sachverständigen auch dann antragsgemäß zu laden, wenn es selbst meint, die angekündigten Fragen seien nicht geeignet, das Ergebnis des Gutachtens in Zweifel zu ziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 2009 - VIII ZR 295/08 - ).



2. Das Eigenlenkverhalten eines Neufahrzeuges (Pkw) mit einem Versatz von ca. einem Meter pro 100 m Fahrstrecke, der nur während der Beschleunigungsphase ab einer Geschwindigkeit von über 80 km/h auftritt, ist kein Sachmangel im Sinne des § 434 Abs. 1 BGB.


12 U 126/09

Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 28. Mai 2009 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin – 18 O 453/08 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe
I.

Die mit Schriftsatz vom 19. Juni 2009 am 24. Juni 2009 eingelegte und mit einem am 7. August 2009 eingegangenen Schriftsatz vom 6. August 2009 nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist begründete Berufung des Klägers richtet sich gegen das am 4. Juni 2009 zugestellte Urteil des Landgerichts Berlin vom 28. Mai 2009, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird.

Mit seiner Berufung richtet sich der Kläger gegen die Abweisung seiner Klage auf Zahlung von 23.240,- EUR abzüglich Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe des bei dem Beklagten gekauften Pkw Citroen Typ C4 Picasso Hdi 110 FAP Comfort.

Er rügt einen Verfahrensfehler des Landgerichts, weil dieses auf seinen Antrag im Schriftsatz vom 19. Mai 2009 nicht erneut in die mündliche Verhandlung eingetreten sei und den Sachverständigen S nicht zum Termin geladen habe.

Er ist der Auffassung, dass sich unabhängig davon die Begründetheit der Klage bereits aus den Ausführungen des Sachverständigen S in dem vorliegenden Gutachten vom 24. April 2009 ergebe, da der Sachverständige dort ausgeführt habe, dass das begutachtete Fahrzeug ein Eigenlenkverhalten nach rechts mit einem Versatz von etwa 1 m pro 100 m Fahrstrecke aufweise.

Bereits dies stelle entgegen der Auffassung des Landgerichts einen Mangel eines Neufahrzeugs dar. Die berechtigte Erwartungshaltung eines Käufers eines Neufahrzeugs der Mittelklasse bestehe darin, dass das Fahrzeug auch beim Beschleunigen kein Eigenlenkverhalten zeige. Auf die Frage, ob das Eigenlenkverhalten beherrschbar sei, komme es insoweit nicht an.

Darüber hinaus habe er, der Kläger, unter Beweisantritt dazu vorgetragen, dass die Abweichung des Eigenlenkverhaltens des Fahrzeugs nicht lediglich 1 m pro 100 m, sondern 2 m pro 100 m Fahrstrecke aufweise. Diesem Beweisantritt sei das Landgericht fehlerhaft nicht nachgegangen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts Berlin vom 28. Mai 2009 (18 O 453/08) aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger Zug um Zug gegen Rückgabe des Pkw Typ C4 Picasso Hdi 110 FAP Comfort des Herstellers Citroen, Farbe Tivoli-blau (metallic), Fahrgestell-Nr.: x, 23.240,- EUR abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 0,093 EUR pro Kilometer gemäß Tachostand zum Zeitpunkt der Rückgabe, zuzüglich auf den nach dieser Berechnung zu zahlenden Betrag Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21. Oktober 2008 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und führt aus, dass ein Verfahrensfehler des Landgerichts bereits deshalb nicht vorgelegen habe, weil der Kläger nicht dargelegt habe, wieso die Befragung des Sachverständigen entscheidungserheblich gewesen sein könnte.

Die von dem Kläger angekündigten Fragen an den Sachverständigen seien zudem nicht geeignet, die Entscheidung des Landgerichts in Frage zu stellen, da sich ihre Beantwortung bereits aus dem Gutachten selbst ergeben würde.

Auch nach den von dem Kläger vorgetragenen Kriterien liege unter Berücksichtigung des Entwicklungsstandes der gesamten Automobilindustrie für vergleichbare Fahrzeuge auch anderer Hersteller kein Mangel vor, was der Sachverständige in seinem Gutachten bereits festgestellt habe.

Im Übrigen bestreitet der Beklagte weiterhin, dass das Eigenlenkverhalten bereits bei Übergabe des Fahrzeugs am 11. Mai 2007 vorhanden gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat den Sachverständigen S auf Antrag des Klägers zum Termin geladen. Wegen des Ergebnisses der Anhörung des Sachverständigen wird auf das Protokoll vom 8. Februar 2010, Bl. 154-156 der Akten, verwiesen.

II.

Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers bleibt erfolglos.

1. Zur Recht rügt der Kläger allerdings mit seiner Berufung, dass das Landgericht auf seinen Antrag im Schriftsatz vom 19. Mai 2009 nicht erneut in die mündliche Verhandlung eingetreten ist, um den Sachverständigen S zur Erläuterung seines Gutachtens und zur Befragung durch den Kläger zu laden.

Dabei kommt es entgegen den Ausführungen des Landgerichts nicht darauf an, ob die von dem Kläger in seinem Schriftsatz vom 19. Mai 2009 angekündigten Fragen an den Sachverständigen überhaupt geeignet waren, Zweifel an den gutachterlichen Feststellungen zu begründen.

Auf Antrag einer Partei ist das Gericht grundsätzlich verpflichtet, den Sachverständigen zu laden (vgl. Zöller-Greger, 27. Aufl., § 411 ZPO Rn. 5a). Zwar hat die Partei gemäß § 411 Abs. 4 ZPO dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraumes ihre Einwendungen gegen das Gutachten sowie etwaige Anträge und Ergänzungsfragen mitzuteilen. Dabei ist es allerdings nicht einmal erforderlich, dass die Partei die Fragen, die sie dem Sachverständigen zu stellen beabsichtigt, im Voraus konkret formuliert (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2002 – VI ZR 353/01NJW-RR 2003, 208).

Der Anspruch der Partei auf mündliche Anhörung des Sachverständigen geht auch dann nicht verloren, wenn dieser – wie vorliegend nicht einmal erfolgt – die Fragen der Parteien zuvor schriftlich beantwortet (Zöller-Greger aaO.). Selbst in diesem Fall kann das Gericht nur dann von einer Ladung des Sachverständigen absehen, wenn die Partei ihren Antrag zurücknimmt.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger den Antrag auf Ladung des Sachverständigen erst nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung gestellt hat. Das Sachverständigengutachten war dem Kläger nur fünf Tage vor der mündlichen Verhandlung zugegangen, weshalb ihm das Landgericht auf seinen Antrag zu Recht eine Stellungnahmefrist zu den Feststellungen und Würdigungen des Sachverständigen gewährt hatte. Wenn der Kläger innerhalb dieser Frist mit Schriftsatz vom 19. Mai 2009 beantragt, den Sachverständigen zu hören und Fragen an den Sachverständigen ankündigt, musste das Landgericht dem nachkommen, ohne, dass es darauf ankam, ob die vom Kläger angekündigten Fragen nach Auffassung des Gerichts eine weitere Aufklärung versprachen (vgl. hierzu BGH aaO.).

2. Auch die in der Berufungsinstanz nachgeholte Anhörung des Sachverständigen S führt jedoch nicht zu einer anderen Beurteilung der Rechtslage, weil das Urteil des Landgerichts im Ergebnis richtig ist.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Kläger nicht bewiesen hat, dass das von ihm erworbene Fahrzeug an einem zum Rücktritt berechtigenden Mangel leidet.

Eine Sache ist nur dann frei von Sachmängeln, wenn sie die vereinbarte Beschaffenheit hat, sich im Übrigen für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann (§ 434 Abs. 1 BGB).

Nach diesem Sachmangelbegriff kommt es für die Frage, ob das von dem Kläger erworbene Fahrzeug mangelhaft ist, darauf an, ob der Käufer eines derartigen Fahrzeugs erwarten kann, dass es die von dem Kläger bewiesenen, nach seiner Auffassung mangelhaften Eigenschaften, nicht aufweist.

Der Sachverständige S hat zu der Beschaffenheit des Fahrzeugs angegeben, dass er bei der von ihm durchgeführten Begutachtung ein Eigenlenkverhalten mit einem Versatz von ca. 1 m pro 100 m Fahrstrecke festgestellt habe. Dieses Eigenlenkverhalten sei nur bei einer Geschwindigkeit von über 80 km/h und nur während der Beschleunigungsphasen aufgetreten. Hierzu hat der Sachverständige anschaulich geschildert, dass auch bei einer höheren Geschwindigkeit kein Eigenlenkverhalten zu bemerken war, wenn diese gleich bleibend war, mithin nicht beschleunigt wurde. Lediglich wenn Kraft auf die Antriebswellen wirkte, konnte der Sachverständige das von ihm beschriebene Eigenlenkverhalten, welches er als konstruktionsbedingt ansah, feststellen.

Soweit der Sachverständige in seinem Gutachten ausgeführt hatte, dass das von dem Kläger erworbene Fahrzeug eine Fehlstellung in der Achsgeometrie aufwies, hat er ausgeschlossen, dass diese für das Eigenlenkverhalten ursächlich ist. Wäre dies der Fall, so müsste nach den Ausführungen des Sachverständigen jederzeit eine Abweichung von der Geradeausfahrt zu bemerken sein, nicht nur während der Beschleunigungsphasen.

Die aufgetretene Abweichung bezeichnete der Sachverständige auch auf ausdrückliche Nachfrage aus seiner Erfahrung heraus als normal und in der Bandbreite nach seiner Erfahrung bei Fahrzeugen aller Hersteller auftretenden Abweichungen als nicht signifikant.

Damit liegt ein Mangel nach dem Sachmangelbegriff des § 434 Abs. 1 BGB nicht vor.

Auch wenn der Kläger zutreffend ausführt, dass es bei der Frage, ob ein Mangel an dem Fahrzeug vorliegt, nicht lediglich darauf ankommt, ob sämtliche Fahrzeuge der vorliegenden Serie diese Eigenschaft aufweisen, sondern die Beurteilung an den allgemein gültigen technischen Standards zu messen sei (vgl. hierzu OLG Zweibrücken aaO.), führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung.

Der Sachverständige S, gegen dessen Sach- und Fachkunde keine Bedenken bestehen und der sein überzeugendes schriftliches Gutachten nachvollziehbar erläuterte und angab, schon mehrfach mit dem Problem des Eigenlenkverhaltens befasst gewesen zu sein, hat hierzu ausdrücklich erklärt, dass das vorliegend festgestellte Fahrverhalten nach seiner Erfahrung im Rahmen des insgesamt üblichen Standards aller Hersteller liege.

Dass etwas anderes gelten würde, wenn das Eigenlenkverhalten derart stark wäre, das entweder ständige Lenkkorrekturen oder aber ein stetiges Festhalten des Lenkrades unter Einleitung eines deutlichen Kraftaufwandes erforderlich wäre (vgl. hierzu OLG Zweibrücken, Urteil vom 3. April 1995 – 7 U 151/94DAR 1995, 332), kann vorliegend dahinstehen, weil dies nach den Feststellungen des Sachverständigen gerade nicht der Fall war, da das bloße Festhalten des Lenkrades mit zwei Fingern bei einer Geschwindigkeit von 180 km/h ausreichte, das Fahrzeug während der Beschleunigungsphase im Geradeauslauf zu halten.

3. Der Kläger kann schließlich auch nicht erfolgreich geltend machen, das Landgericht habe es unterlassen, seinem Beweisantritt dahin nachzugehen, dass die tatsächliche Abweichung nicht nur wie von dem Sachverständigen festgestellt 1 m sondern 2 m pro 100 m Fahrstrecke betrage.

Unabhängig davon, dass der Beweisantritt des Klägers unzureichend ist, da nicht ersichtlich ist, dass und weshalb seine von ihm als Zeugin benannte Lebensgefährtin hier mehr Sachkunde haben sollte als der gerichtlich bestellte Sachverständige, hat dieser ausgeführt, dass die Frage der Erheblichkeit eines Eigenlenkverhaltens nicht notwendig allein daran festzumachen sei, ob dieses nun zu einem geschätzten Versatz von 1 oder 2 m auf 100 m Fahrstrecke führe. Entscheidend sei vielmehr, inwieweit dies erheblich sei und aktives Gegenlenken erfordere. Dies war hier, wie der Sachverständige ausführte, nicht der Fall.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den § 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.

5. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

RechtsgebietBGBVorschriften§ 434 Abs 1 BGB

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