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12.10.2010 · IWW-Abrufnummer 103012

Kammergericht Berlin: Beschluss vom 24.08.2010 – 3 Ws (b) 404/10 - 2 Ss 243/10

Eine Verletzung des förmlichen Beweisantragsrechts setzt voraus, dass in der Hauptverhandlung überhaupt ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag gestellt worden ist. Allein die Stellung von Beweisanträgen in einem Hauptverhandlungstermin, der zur Aussetzung der Hauptverhandlung führte, reicht dazu nicht aus, denn nach einer Aussetzung der Hauptverhandlung bedarf es der Wiederholung bereits früher gestellter Beweisanträge im neuen Hauptverhandlungstermins.


KAMMERGERICHT

Beschluss

Geschäftsnummer:
3 Ws (B) 404/10 - 2 Ss 243/10
319 OWi 258/10

In der Bußgeldsache gegen

x,

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts in Berlin am 24. August 2010 beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 4. Juni 2010 wird mit der Maßgabe verworfen, dass festgestellt wird, dass das verhängte Fahrverbot einen Monat beträgt.

Der Betroffene hat die Kosten der Rechtsbeschwerde zu tragen.

G r ü n d e :

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen § 24 a Abs. 2 Satz 1 und 2 StVG nach § 24 a Abs. 3 und 4 StVG zu einer Geldbuße von 250,00 Euro verurteilt, gemäß § 25 a Abs. 1 StVG ein Fahrverbot von (wie sich lediglich aus den Urteilsgründen ergibt) einem Monat angeordnet und nach § 25 Abs. 2 a StVG eine Bestimmung über dessen Wirksamwerden getroffen. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gerügt wird, hat keinen Erfolg.

1. Die Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe zwei vom Betroffenen gestellte Beweisanträge gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zurückgewiesen, obwohl die geforderte Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich gewesen sei, und zudem seine Entscheidung nicht ausreichend begründet, ist zumindest unbegründet.

a) Soweit mit der Rechtsbeschwerde die Behauptung aufgestellt wird, das Amtsgericht habe im Hauptverhandlungstermin vom 4. Juni 2010 entgegen der erfolgten Protokollierung, die sich auf den „Beweisantrag Bl. 62 d. A.“ bezieht, den auf Bl. 61 d. A. befindlichen Beweisantrag zurückgewiesen und es müsse sich insoweit um einen Schreibfehler der Protokollführerin handeln, steht dem die formelle Beweiskraft des Sitzungsprotokolls nach § 274 StPO entgegen, die positiv bedeutet, dass im Protokoll vermerkte Vorgänge als geschehen gelten, und negativ, dass als nicht geschehen gilt, was im Protokoll nicht vermerkt ist, und die nur durch den - hier nicht geltend gemachten - Nachweis der Fälschung gemäß § 274 Satz 2 StPO durchbrochen werden kann (vgl. Senat, VRS 104, 141 (142); KG, Beschluss vom 28. Januar 2002 -(4) 1 Ss 167/01 (122/01) - juris Rn. 3; Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl., Rn. 3, 13, 14; Engelhardt in KK, StPO 6. Aufl., Rn. 7; jeweils zu § 274 StPO). Beweisanträge und die diese bescheidenden Beschlüsse des Gerichts gehören jedoch zu den nach § 273 Abs. 1 StPO zu protokollierenden Verhandlungsvorgängen, die der besonderen Beweiskraft des Protokolls nach § 274 StPO unterliegen (vgl. RGSt 25, 248 (250); BGHSt 1, 216 (217); OLG Hamm VRS 38, 293 (294); Gollwitzer in Löwe-Rosen-berg, StPO 25. Aufl., § 274 Rn. 18).

b) Soweit mit der Rechtsbeschwerde die Zurückweisung des Beweisantrags von Bl. 62 d. A. durch Beschluss des Gerichts in der Hauptverhandlung vom 23. April 2010 beanstandet wird, bezieht sie sich auf einen Hauptverhandlungstermin, aufgrund dessen das angefochtene Urteil nicht ergangen ist, da in diesem Termin die Hauptverhandlung ausgesetzt wurde und das Urteil allein auf der neuerlichen Hauptverhandlung vom 4. Juni 2010 beruht.

c) Soweit man in dem gesamten Rechtsbeschwerdevorbringen auch eine Verfahrensrüge in Bezug auf die Zurückweisung des Beweisantrags von Bl. 62 d. A. im Hauptverhandlungstermin vom 4. Juni 2010 sehen könnte, wäre diese schon deshalb nicht begründet, weil eine Verletzung des förmlichen Beweisantragsrechts nach § 77 Abs. 2 OWiG voraussetzt, dass in der Hauptverhandlung überhaupt ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag gestellt worden ist (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 41 (42); BGH, Beschluss vom 29. April 2010 - 1 StR 644/09 - juris Rn. 13; OLG Hamm, Beschluss vom 15. September 2009 - 3 Ss OWi 689/09 - juris Rn. 9; Becker in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 244 Rn. 122). Dass ein solcher Beweisantrag im Hauptverhandlungstermin vom 4. Juni 2010 gestellt worden wäre, wird jedoch von der Rechtsbeschwerde nicht vorgetragen. Allein die Stellung von Beweisanträgen im Hauptverhandlungstermin vom 23. April 2010, der zur Aussetzung der Hauptverhandlung führte, reicht jedoch nicht aus, denn nach einer Aussetzung der Hauptverhandlung bedarf es der Wiederholung bereits früher gestellter Beweisanträge im neuen Hauptverhandlungstermin (vgl. RG St 2, 109; RG Rspr. 10, 599; BayObLG bei Rüth, DAR 1964, 242; Meyer-Goßner a.a.O., Rn 34; Becker in Löwe-Rosenberg a.a.O., Rn. 123; Frister in SK, StPO, Stand: Mai 2008, Rn. 63; jeweils zu § 244 StPO).

2. Zwar kann in der mit der Rechtsbeschwerde erhobenen Rüge der fehlerhaften Ablehnung der Beweisanträge zugleich eine Aufklärungsrüge gesehen werden. Deren Erhebung in zulässiger Form unterstellt, kann die Rechtsbeschwerde jedoch auch insoweit keinen Erfolg haben, weil sich das Amtsgericht zur Erhebung dieser Beweise nicht gedrängt sehen musste. Denn hinsichtlich des Beweisantrages auf Ladung eines Sachverständigen zur Feststellung fehlender Korrelation zwischen dem im Untersuchungsbericht vom 6. Januar 2010 festgestellten Werten zum THC und zur THC-Carbonsäure ist zu berücksichtigen, dass das Amtsgericht im Hauptverhandlungstermin vom 4. Juni 2010 einen medizinischen Sachverständigen gehört hat, der ausweislich der Urteilsgründe festgestellt hat, dass die Angaben des Betroffenen zum regelmäßigen Cannabis-Konsum und zu dessen letztmaligem Zeitpunkt auch unter Berücksichtigung der Befunde des Untersuchungsberichts nachvollziehbar seien, und zwar sowohl hinsichtlich des THC-Wertes sowie des Wertes der THC-Carbon-säure. Zur Ladung des Facharztes Dr. S. zwecks Aufklärung der Frage, ob bei der körperlichen Untersuchung des Betroffenen Auffälligkeiten, insbesondere im Hinblick auf die Beeinflussung durch Betäubungsmittel, festzustellen waren, musste sich das Amtsgericht schon deshalb nicht veranlasst sehen, weil es die nach dem Untersuchungsbefund festgestellten wenigen leichten Auffälligkeiten zwar im Urteil geschildert hat, diese jedoch ausweislich der Urteilsgründe für die Annahme eines schuldhaften Verstoßes des Betroffenen gegen § 24 Abs. 2 und 3 StVG ohne Bedeutung waren. Denn das Amtsgericht hat bei der Annahme fahrlässigen Handelns des Betroffenen ausschließlich darauf abgestellt, dass dem Betroffenen bewusst gewesen sei, dass er seinem Körper zur damaligen Zeit regelmäßig Drogen zuführte und er daher die Möglichkeit der fortdauernden Wirkung des Cannabiskonsums zumindest hätte erkennen können und müssen (UA S. 5).

3. Zu Recht hat das Amtsgericht den objektiven Tatbestand einer Zuwiderhandlung nach § 24 a Abs. 2 StVG in Verbindung mit der Anlage zu § 24 a StVG als erfüllt angesehen, denn hierfür genügt, dass der analytische Grenzwert von 1 ng/ml THC im Blutserum erreicht oder überschritten wird (vgl. BVerfG NJW 2005, 349), während es auf die von der Rechtsbeschwerde erörterten Umstände wie besondere Ausfallerscheinungen und Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit nicht ankommt.

Auch die von der Rechtsbeschwerde bemängelte Annahme schuldhaften Handelns des Betroffenen in Form der Fahrlässigkeit ist nicht zu beanstanden. Zwar ist das Verhalten eines Betroffenen nur dann schuldhaft, wenn er die Möglichkeit fortdauernder Wirkung seines vorangegangenen Cannabiskonsums kannte oder hätte erkennen können, wobei er sich weder einen spür- oder messbaren Wirkstoffeffekt vorstellen noch hierzu in der Lage sein muss, zumal ein Kraftfahrer die Unberechenbarkeit von Rauschdrogen in Rechnung zu stellen hat (vgl. Senat, VRS 118, 205 (207) m.w.N.). Von einer schuldhaften Zuwiderhandlung kann daher in aller Regel dann ausgegangen werden, wenn der Konsum des Betäubungsmittels zeitnah zur Teilnahme am Straßenverkehr erfolgte oder im Falle länger zurückliegenden Konsums weitere Umstände hinzutreten, nach denen der Betroffene damit zu rechnen hatte, dass die Wirkung des konsumierten Betäubungsmittels noch andauern könnte (vgl. Senat, a.a.O., S. 208 f. und Beschluss vom 16. April 2010 - 3 Ws (B) 33/10). Als ein solcher Umstand kann nicht nur - etwa in früheren Verfahren erworbenes - Spezialwissen des Betroffenen über die Wirkungsweise und -dauer des konsumierte Rauschgiftes angesehen werden, sondern auch Ausfallerscheinungen oder das Konsumverhalten selbst können Anhaltspunkte für die Annahme fahrlässigen Handelns bieten. Wer seinem Blutkreislauf regelmäßig Betäubungsmittel zuführt, muss mit der Möglichkeit rechnen, dass sich dies auch nach einer größeren Zeitspanne der Abstinenz noch nachteilig auf seine Fahrtauglichkeit auswirken kann, zumal nach derzeitigem Erkenntnisstand eine exakte Rückrechnung des THC-Wirkstoffes nicht möglich ist und er wegen des dynamischen Abbauverlaufs nicht beurteilen kann, wann die THC-Konzentration einen bestimmten Wert unterschreitet (vgl. Senat, Beschluss vom 16. April 2010, a.a.O.). Da vorliegend der Betroffene seit seinem 13. Lebensjahr Cannabis konsumiert und vor dem Tattage wegen einer Krise mit seiner Freundin bereits seit über einem halben Jahr mehr als gewöhnlich rauchte, nämlich zwei- bis viermal pro Woche, ist das Amtsgericht zu Recht von fahrlässigem Handeln des Betroffenen ausgegangen.

4. Der Rechtsfolgenausspruch, insbesondere auch das verhängte Fahrverbot von - wie die Urteilsgründe ergeben - einem Monat, ist nicht zu beanstanden. Das Urteil lässt insgesamt noch ausreichend erkennen, dass sich das Amtsgericht auch der Möglichkeit bewusst gewesen ist, unter besonderen - hier nicht vorliegenden - Umständen von der Verhängung eines Fahrverbots absehen zu können. Die Behauptung der Rechtsbeschwerde, „wie in allen diesen Fällen“ sei „die Fahrerlaubnis des Betroffenen im Zeitpunkt der Hauptverhandlung vom 4.6.2010 bereits seit mehreren Wochen durch das Referat Fahrerlaubnisse des Polizeipräsidenten in Berlin entzogen oder dort zur Verwahrung gelangt“ gewesen, ist schon deshalb unbeachtlich, weil sie urteilsfremd ist. Im Übrigen stünde ein solcher Umstand der Anordnung eines Fahrverbots nicht entgegen (vgl. OLG Düsseldorf DAR 1970, 195), wobei die Zeit entsprechender Maßnahmen gemäß § 25 Abs. 6 Satz 1 und 3 StVG auf das Fahrverbot anzurechnen ist und es aufgrund der vorhandenen gesetzlichen Regelung eines Ausspruchs über die Anrechnung im Urteil nicht bedarf und die Anrechnung nach dieser Vorschrift grundsätzlich Aufgabe der Vollstreckungsbehörde ist (vgl. BGHSt 27, 287 f.; OLG Düsseldorf a.a.O.; BayObLG, Beschluss vom 15. Juli 1994 - 2 Ob Owi 180/94 - juris Rn. 8; OLG Hamm, Beschluss vom 3. April 2008
- 4 Ss OWi 182/08 - juris Rn. 5).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

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