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08.09.2010 · IWW-Abrufnummer 102823

Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 10.03.2010 – 11 K 62/10

1. Die in § 238 Abs. 1 S. 1 AO geregelte Höhe des Zinssatzes für Hinterziehungszinsen ist verfassungsgemäß.



2. Die Festsetzung der Hinterziehungszinsen dient in gleicher Weise wie die Verzinsung gem. § 233a AO der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Sie soll den Vorteil ausgleichen, der in der verspäteten Zahlung der hinterzogenen Steuern liegt. Keinesfalls hat die Festsetzung von Hinterziehungszinsen Strafcharakter.



3. Bei der Festsetzung der Hinterziehungszinsen ist eine lange Verfahrensdauer auch im Hinblick auf den Grundsatz von Treu und Glauben nicht zu berücksichtigen.



4. Über den Erlass von Hinterziehungszinsen aus Billigkeitsgründen ist nicht im Festsetzungsverfahren zu entscheiden.


FG Baden-Württemberg v. 10.03.2010

11 K 62/10

Tatbestand
Streitig ist die Höhe der gegen B festgesetzten Hinterziehungszinsen zur Schenkung- und Erbschaftsteuer.

Der Kläger ist Alleinerbe der am xx.xx 2009 verstorbenen B.

Am xx.xx. 2000 verstarb C (künftig Erblasserin). Sie wurde unter anderem von B, der Nichte ihres vorverstorbenen Ehemannes, beerbt.

In der am 2. September 2000 beim beklagten Finanzamt (FA) eingereichten Erbschaftsteuererklärung verneinte B die unter A. Allgemeine Angaben, 4. gestellte Frage, ob die Erblasserin zu Lebzeiten Schenkungen oder andere unentgeltliche Zuwendungen gemacht habe. Sie versicherte mit ihrer Unterschrift, dass sie die Angaben in der Erbschaftsteuererklärung nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig gemacht habe.

Am 5. Dezember 2000 erging der erstmalige Erbschaftsteuerbescheid. Darin setzte das FA Erbschaftsteuer in Höhe von xx.xxx DM (=xx.xxx Euro) fest, ohne Vorerwerbe (§ 14 ErbStG) der B zu berücksichtigen.

Aufgrund von Ermittlungen der Steuerfahndungsstelle des Finanzamts bei der Sparkasse in den Jahren 2001 bis 2005 wurde bekannt, dass die Erblasserin Tafelgeschäfte getätigt hatte. Weitere Nachforschungen ergaben, dass die Erblasserin bereits im Jahr 1996 der B Tafelpapiere im Wert von xxx.xxx DM geschenkt hatte. Weder die Erblasserin noch B hatten die Schenkung beim Finanzamt angezeigt.

Am 13. September 2005 erhielt das FA den Steuerfahndungsbericht des Finanzamts vom 26. August 2005.

Es erließ daraufhin am 13. Oktober 2005 einen erstmaligen Schenkungsteuerbescheid (festgesetzte Schenkungsteuer = xx.xxx Euro) sowie einen gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Erbschaftsteuerbescheid für B (festgesetzte Erbschaftsteuer = xx.xxx Euro). Die festgesetzte Erbschaftsteuer war damit gegenüber der erstmaligen Festsetzung um x.xxx Euro höher.

Die festgesetzten Steuern wurden am 17. November 2005 an das FA entrichtet.

Gegen beide Bescheide wurde Einspruch eingelegt und die Aussetzung der Vollziehung beantragt.

Bezüglich der Schenkungsteuer gewährte das FA mit Verfügung vom 14. Dezember 2005 für einen Teilbetrag von x.xxx Euro die Aussetzung der Vollziehung.

Mit Bescheiden vom 15. Februar 2006 änderte das FA sowohl die Schenkung- als auch die Erbschaftsteuerfestsetzung (§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a AO). Der Steuerwert der Schenkung wurde von bislang xxx.xxx DM auf xxx.xxx DM gemindert und die Schenkungsteuer auf xx.xxx DM (=xx.xxx Euro) festgesetzt. Dies hatte auch Auswirkungen auf die Erbschaftsteuerfestsetzung, da der bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs einzubeziehende Vorerwerb sowie die anzurechnende Steuer aus dem Vorerwerb ebenfalls entsprechend herabgesetzt wurden.

Die Änderungsbescheide wurden bestandskräftig.

Mit getrennten Bescheiden vom 23. März 2006 setzte das Finanzamt Hinterziehungszinsen zur Schenkungsteuer in Höhe von x.xxx Euro sowie zur Erbschaftsteuer in Höhe von xxx Euro fest, die es wie folgt berechnete:

Steuerart und Steuerabschnitt zu verzinsender Betrag Beginn Ende Zinszeitraum in vollen Monaten Zinssatz 0,5 % je Monat Zinsbetrag
des Zinslaufs
Schenkungsteuer 28.200 EUR 12.09.00 17.11.05 62 31 % x.xxx,00 EUR
Erbschaftsteuer 1.150 EUR 08.01.01 17.11.05 58 29 % xxx, EUR

Am 3. April 2006 legte B gegen die Zinsfestsetzungen Einspruch ein.

Mit Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2006 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus, es liege eine vollendete Steuerhinterziehung (§ 370 AO) vor. Damit sei das FA verpflichtet, Hinterziehungszinsen gemäß § 235 AO in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise festzusetzen. Der Zeitraum zwischen Erhalt des Steuerfahndungsberichts und Ergehen der Steuerbescheide habe genau einen Monat betragen. Eine kürzere Bearbeitungszeit sei nicht vorstellbar. Auch eine zwischenzeitliche Vermögenslosigkeit wegen Weitergabe der geschenkten Güter führe zu keiner Senkung der Zinsen. Bei Verarmung des Schenkers stehe diesem nach §§ 528 ff. BGB ein Rückforderungsrecht zu.

Hiergegen richtet sich die am 24. Juli 2006 erhobene Klage. Für den Zeitraum vom 12. September 2000 bis 17. November 2005 könnten keine Zinsen festgesetzt werden, da B nicht für die lange Verfahrensdauer verantwortlich sei. Des Weiteren sei der – obgleich gesetzlich vorgeschriebene – Zinssatz in Höhe von 6 % pro Jahr zu hoch. Im streitigen Zeitraum seien laut den Angaben des statistischen Bundesamtes lediglich jährliche Zinsen in Höhe von 1,2 % bis 2 % erzielbar gewesen. Bei Ansatz eines durchschnittlichen Zinssatzes von 1,6 % errechneten sich Zinsen für die Schenkungsteuer in Höhe von (xx.xxx Euro × 62 Monate × 1,6 %/12 =) x.xxx Euro und für die Erbschaftsteuer in Höhe von (x.xxx Euro × 58 Monate × 1,6 %/12 =) xx Euro, insgesamt also x.xxx Euro. Eine höhere Zinsfestsetzung stelle einen Eingriff in das Eigentum und damit einen Verstoß gegen Art. 14 GG dar. Die maßgeblichen Vorschriften der Abgabenordnung seien als verfassungswidrig anzusehen.

Der Kläger beantragt,

die Zinsbescheide vom 23. März 2006 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2006 abzuändern und Zinsen zur Schenkungsteuer in Höhe von x.xxx Euro sowie Zinsen zur Erbschaftsteuer in Höhe von xx Euro, insgesamt x.xxx Euro festzusetzen;

hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht teilte dem Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 26. Juni 2009 mit, dass nach vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage die angefochtenen Verwaltungsakte rechtmäßig seien.

Der Prozessbevollmächtigte unterrichtete das Gericht, dass dennoch an der Klage festgehalten werde.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Im Übrigen wird verwiesen auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie auf die vom FA vorgelegten Steuerakten (1 Bd. Schenkungsteuerakten; 1 Bd. Erbschaftsteuerakten; 1 Bd. Rechtsbehelfsakten).



Entscheidungsgründe
I. Durch den Tod der durch einen Prozessbevollmächtigen vertretenen B trat keine Unterbrechung des Verfahrens ein (vgl. hierzu § 155 FGO i.V.m. § 246 Abs. 1 Satz 1 ZPO). An ihre Stelle trat der Kläger als ihr Alleinerbe und damit Gesamtrechtsnachfolger (§ 1922 Abs. 1 BGB; § 45 AO).

II. Das Gericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid (§ 90a Abs. 1 FGO).

III. Die Klage ist nicht begründet.

Die angefochtenen Zinsbescheide in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 2006 sind rechtmäßig.

1. Der Kläger hält die in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO geregelte Höhe des Zinssatzes für verfassungswidrig, da im streitigen Zeitraum bei einer Kapitalanlage nur deutlich niedrigere Zinssätze erzielbar gewesen seien.

Der Senat vermag sich dem nicht anzuschließen. Das Verfahren war somit nicht auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG einzuholen (Art. 100 Abs. 1 GG).

a) Nach dem Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 3. September 2009 1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009, 2115 zur Verzinsung gem. § 233a AO durfte der Gesetzgeber im Interesse der Praktikabilität und der Verwaltungsvereinfachung den auszugleichenden Zinsvorteil und -nachteil typisierend auf 0,5 % pro Monat festsetzen. Dies ist rechtsstaatlich unbedenklich und stellt insbesondere keinen Verstoß gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Übermaßverbot dar. Nach der Absicht des Gesetzgebers soll der konkrete Zinsvorteil oder -nachteil für den Einzelfall nicht ermittelt werden müssen. Eine Anpassung an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz nach § 247 BGB würde wegen dessen Schwankungen auch zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten führen, da im einzelnen für die Vergangenheit festgestellt werden müsste, welche Zinssätze für den jeweiligen Zinszeitraum zugrunde zu legen wären (vgl. Bundestags-Drucksache 8/1410, 13). In vielen Fällen ist eine solche Ermittlung gar nicht möglich, weil es von subjektiven Entscheidungen des Steuerpflichtigen abhängt, in welcher Weise er Steuernachzahlungen finanziert oder das noch nicht zu Steuerzahlungen benötigte Kapital verwendet. Zudem ist auch bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen, dass der hohe Zinssatz des § 233a in Verbindung mit § 238 AO gleichermaßen zugunsten wie zulasten des Steuerpflichtigen wirkt.

b) Diese zu § 233a AO entwickelten Maßstäbe sind auch auf die Festsetzung von Hinterziehungszinsen zu übertragen, wobei der Senat nicht verkennt, dass hier eine Zinsfestsetzung zu Gunsten des Steuerpflichtigen nicht in Betracht kommen kann.

Nach der Rechtsprechung des BFH dient die Festsetzung der Hinterziehungszinsen aber in gleicher Weise wie die Verzinsung gem. § 233a AO der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Sie soll den Vorteil ausgleichen, der in der verspäteten Zahlung der hinterzogenen Steuern liegt. Keinesfalls hat die Festsetzung von Hinterziehungszinsen Strafcharakter. Der Vorteil wird dabei in typisierender Weise bemessen. Aufgrund dessen ist auch bei der Festsetzung von Hinterziehungszinsen die Berufung darauf, dass tatsächlich kein entsprechender Liquiditätsvorteil erzielt wurde, ausgeschlossen (vgl. BFH-Urteil vom 1. August 2001 II R 48/00, BFH/NV 2002, 155 unter Bezugnahme auf das zu § 233a AO ergangene BFH-Urteil vom 20. September 1995 X R 86/94, BFHE 178, 555, BStBl II 1996, 53).

Für die Festsetzung der Hinterziehungszinsen ist es daher auch ohne Belang, dass B das von der Erblasserin erhaltene Vermögen an den Kläger weiter gegeben hatte.

2. Entgegen der Auffassung des Klägers ist bei der Zinsfestsetzung eine lange Verfahrensdauer auch aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht zu berücksichtigen.

Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung klargestellt (vgl. zusammenfassend BFH-Beschluss vom 30. Oktober 2001, X B 147/01, BFH/NV 2002, 505; die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG gemäß §§ 93a, 93b BVerfGG mit Beschluss vom 21. Januar 2005, 2 BvR 10/02, juris, nicht zur Entscheidung angenommen; vgl. auch BFH-Beschluss vom 31. Januar 2008 VIII B 253/05, BFH/NV 2008, 740), dass

bei der Entstehung des Zinsanspruchs dem Grunde und der Höhe nach die Ursachen und Begleitumstände im Einzelfall unerheblich sind,

die reine Möglichkeit der Kapitalnutzung bzw. die bloße Verfügbarkeit des Kapitalbetrags ausreicht,

die Rechtfertigung für die Entstehung einer solchen steuerlichen Nebenleistung nicht nur im abstrakten Zinsvorteil des Steuerschuldners, sondern auch in einem ebensolchen Nachteil des Steuergläubigers zu sehen ist sowie

ein Verschulden des Steuerschuldners oder des Steuergläubigers prinzipiell unbeachtlich ist.

Abgesehen von den vorstehenden Ausführungen ist eine im Hinblick auf einen langen Verzinsungszeitraum auf Treu und Glauben gestützte Argumentation gerade gegenüber einer Festsetzung von Hinterziehungszinsen schon deshalb wenig überzeugend, weil der Zinsschuldner die späte Festsetzung der richtigen Steuer durch unrichtige oder unvollständige Erklärungen erst verursacht hat. Hätte die Rechtsvorgängerin des Klägers die 1996 seitens der Erblasserin erfolgte Schenkung der Tafelpapiere im Wert von xxx.xxx DM zeitnah erklärt, dann wäre der nunmehr beklagte lange Verzinsungszeitraum hinsichtlich eines wesentlichen Teilbetrages vermieden worden.

3. Über einen Erlass der Hinterziehungszinsen aus Billigkeitsgründen (§ 227 AO) kann nicht in dem vorliegenden Verfahren betreffend die Festsetzung der Hinterziehungszinsen entschieden werden (vgl. BFH-Urteil vom 8. September 1993 I R 30/93, BFHE 172, 304, BStBl II 1994, 81; BFH-Beschluss vom 3. Mai 2000 II B 124/99, BFH/NV 2000, 1441).

4. Im Übrigen hat der Kläger keine Einwendungen gegen die Zinsfestsetzung erhoben. Aus den Akten ergaben sich ebenfalls keine Anhaltspunkte, die die Zinsfestsetzungen als rechtswidrig erscheinen lassen würden.

Nach allem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht gegeben waren.

RechtsgebieteAO, BGBVorschriftenAO § 238 Abs. 1 S. 1 AO § 233a AO § 227 BGB § 242

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