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01.09.2010 · IWW-Abrufnummer 102793

Oberlandesgericht Köln: Urteil vom 25.02.2002 – 5 U 179/99

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Oberlandesgericht Köln, 5 U 179/99
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 2.8.1999 - 11 O 17/95 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage ist hinsichtlich der geltend gemachten Schäden aus der Behandlung der Klägerin in der Zahnklinik der Beklagten zu 3. insoweit dem Grunde nach gerechtfertigt als sie auf der fehlerhaften Einbringung des Implantats in regio 27 beruhen.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein Teilschmerzensgeld in Höhe von 5.000.-EUR nebst 4 % Zinsen seit dem 1.8.1992 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin alle aus der fehlerhaften Einbringung des Implantates in Regio 27 entstandenen und noch entstehen den materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen.
Soweit Schadensersatz wegen des Einbringens weiterer Implantate geltend gemacht wird, wird die Klage abgewiesen. Insoweit wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Das Urteil ist hinsichtlich des zuerkannten Teilbetrages vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten wird gestattet, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Voll-streckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zu gelassen.
1. T a t b e s t a n d
Der 1965 geborenen Klägerin mussten wegen rezidivierender Entzündungen im Oberkiefer schon früh Zähne gezogen werden; als auch an den letzten drei im Oberkiefer verbliebenen Zähnen Probleme auftraten, wurde die Klägerin von ihrem behandelnden Zahnarzt an die Beklagte zu 3) verwiesen, dies Ende Februar 1991. In der chirurgischen Abteilung der Beklagten zu 3) wurden die restlichen im Oberkiefer verbliebenen drei Zähne als nicht erhaltungswürdig eingestuft und deren Extraktion mit Anfertigung einer Totalprothese nahegelegt. Zusätzlich wurde der Klägerin seitens des Beklagten zu 1) mitgeteilt, dass statt der Totalprothese auch die Möglichkeit bestehe, eine Sofortimplantation von sogenannten Branemark - Implantaten vornehmen zu lassen. Eine solche Behandlung wurde der Klägerin als freie Behandlung innerhalb einer fachwissenschaftlichen Studie angeboten. Die Klägerin stimmte dem zu. Der Beklagte zu 2), seinerzeit Oberarzt in der Chirurgischen Abteilung der Beklagten zu 3), bestätigte den Behandlungsplan.
Nach entsprechenden Vorbereitungsmaßnahmen wurden am 1.7.1991 die Zähne 13,23 und 27 gezogen, der verlagerte Weisheitszahn 28 operativ entfernt und 6 Branemark - Implantate und Gore - Tex - Folien eingesetzt. Nach zunächst komplikationslosem Heilungsverlauf und Ziehen der Fäden wurde die Oberkieferprothese unterfüttert und eingesetzt sowie die Modellgußprothese am Unterkiefer eingesetzt. 4 Wochen nach Einsetzung der Implantate traten Schmerzen am Oberkiefer auf. Ende August 1991 wurde festgestellt, dass das Implantat 13 gelockert war. 2 Wochen später wurden dieses Implantat sowie die rechtseitigen Gore - Tex - Folien (regio 23, 24, 27) entfernt, und Mitte November 1991 wurden die Folien an der linken Seite entfernt. Am 5.2.1992 wurden die Implantate 15, 23 und 25 im Rahmen einer kieferchirurgischen Operation entfernt.
Die Klägerin macht mit der vorliegenden Klage Schmerzensgeld und Ersatz materiellen Schadens geltend (u.a. Verdienstausfallschaden) und hat behauptet, die Implantation der Branemark - Implantate sei aus verschiedenen Gründen kontraindiziert gewesen, dies einmal aufgrund unzulänglicher Immunabwehr, vorbestehender allergischer Erkrankungen, ferner wegen bestehenden Verdachts auf Herdinfektionen und unzulänglicher Mundhygiene. Auch sei die Behandlung im Vorfeld der Implantation unzulänglich gewesen; so sei das Knochenangebot nicht ausreichend untersucht worden, auch seien vorhandene Erkrankungen wie z.B. Entzündungen nicht vorrangig behandelt worden.
Auch der Eingriff selbst sei fehlerhaft durchgeführt worden. Es habe keine Sofortimplantation vorgenommen werden dürfen, und es seien zu lange Implantate ausgewählt worden. Die Implantate seien überdreht und die Kieferhöhle dadurch beeinträchtigt worden. Die Implantate seien auch falsch ausgerichtet worden, und schließlich seien die Verschlußschrauben nicht richtig festgeschraubt worden. Auch die Nachuntersuchungen sowie die Röntgenkontrollen im Rahmen der Nachbehandlungen seien unzureichend gewesen.
Ferner sei die Dokumentation nicht ausreichend.
Außerdem sei sie über den Eingriff und die damit verbundenen Risiken nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden.
Die Klägerin hat behauptet, aufgrund der diversen Behandlungsfehler sei es zu dem Implantatverlust, zu Entzündungen, insbesondere zu einer chronischen Entzündung der linken Kieferhöhle, persistierenden Schmerzen, Arbeitsunfähigkeit, neurotischen Depressionen mit reaktiven Anteilen, phobischen Störungen, linksseitiger Trigeminusneuralgie sowie der Notwendigkeit weiterer Operationen gekommen. Die Klägerin hat diesbezüglich ein Schmerzensgeld von 100.00 DM für angemessen erachtet.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld aus dem Eingriff vom 01.Juli 1991 zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 100.000,00 DM nebst 2,5 % Zinsen über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank - mindestens verzinslich jedoch mit 4% Zinsen - und zwar aus 30.000,00 DM seit dem 01.08.1992, aus weiteren 20.000, 00 DM seit dem 16.01.1994, aus weiteren 50.000,00 DM seit Rechtshängigkeit,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 66.131,51 DM nebst 2,5 % Zinsen über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank - mindestens verzinslich jedoch mit 4 % Zinsen - seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ab dem 01.01.1995 eine vierteljährlich vorauszahlbare monatliche Rente in Höhe von 1.200,00 DM, jeweils im voraus zum 01.01., 01.04., 01.07., 01.10., eines jeden Jahres bis zum 07.03.2028 ( 63. Lebensjahr der Klägerin ) zu zahlen,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ab 01.01.1995 eine vierteljährlich vorauszahlbare monatliche Rente in Höhe von 770,00 DM, jeweils im voraus zum 01.01., 01.04., 01.07., 01.10., eines jeden Jahres bis zum 07.03.2040 ( 75. Lebensjahr der Klägerin ) zu zahlen,
festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtliche künftigen immateriellen sowie alle weiteren materiellen Schäden der Vergangenheit und Zukunft, die infolge des Eingriffes vom 01.07.1991 entstehen, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben Behandlungsfehler bestritten und ordnungsgemäße Aufklärung vor dem Eingriff behauptet. Kontraindikationen hätten nicht bestanden.
Nach Beweiserhebung durch Vernehmung von Zeugen und Einholung von Gutachten des Sachverständigen Dr. A. hat das Landgericht durch Urteil vom 2.8.1999 die Klage abgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, nach den Feststellungen des Sachverständigen sei die Behandlung der Klägerin ordnungsgemäß durchgeführt worden und sei diese auch über die damit verbundenen Risiken in ausreichender Weise aufgeklärt worden.
Gegen dieses am 3.8.1999 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 3.9.1999 Berufung eingelegt und diese am 3.11.1999 nach entsprechender Berufungsbegründungsfristverlängerung begründet.
Die Klägerin wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und macht geltend, die Einbringung der Sofortimplantate sei aufgrund ihrer gesamten Kiefersituation kontraindiziert gewesen, außerdem seien Fehler bei dem Einsetzen der Implantate unterlaufen, insbesondere sei bei einem der Implantate der Kiefer durchbohrt worden, was zu einer Kieferhöhlenentzündung geführt habe. Des weiteren sei sie auch nicht ausreichend über das mit der Einbringung der Sofortimplantate verbundene Risiko informiert worden.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach ihren zuletzt
gestellten erstinstanzlichen Klageanträgen zu erkennen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen,
ihnen zu gestatten, Sicherheit auch durch die Bürgschaft einer deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse oder Volksbank zu leisten.
Auch die Beklagten wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen, treten den Darlegungen der Klägerin in allen Punkten entgegen und beziehen sich ferner auf die in erster Instanz durchgeführte Beweisaufnahme.
Der Senat hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 16.2.2000 in Verbindung mit dem Beschluss vom 29.3.2000 und 3.9.2001.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. N. vom 14.11.2000 sowie die Ergänzungsgutachten vom 29.5.2001, 16.1.2002 Bezug genommen sowie ferner auf das Protokoll der mündlichen Anhörung des Sachverständigen vom 3.7.2002.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die beiderseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
1. E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die zulässige Berufung der Klägerin führt zur Abänderung des angefochtenen landgerichtlichen Urteils.
Die Klage ist nach Maßgabe der nachstehenden Ausführungen teilweise dem Grunde nach gerechtfertigt; zusätzlich kann der Klägerin bereits nach dem derzeitigen Stand des Verfahrens ein Teilschmerzensgeld in Höhe von 5.000.- EUR zuerkannt werden. Ebenfalls bereits entscheidungsreif ist das Feststellungsbegehren.
Im einzelnen:
Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist die Behandlung der Klägerin seitens der Beklagten nicht fehlerfrei durchgeführt worden. Vielmehr ergibt sich aus den überaus eingehenden, nachvollziehbar begründeten und überzeugenden Ausführungen des in zweiter Instanz beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. N., dass es in einem Punkt zu Behandlungsfehlern gekommen ist.
Zwar hat der Sachverständige - insoweit im wesentlichen in Übereinstimmung mit den Ausführungen des in erster Instanz beauftragten Sachverständigen Dr. A. - im einzelnen dargelegt, dass eine Vielzahl der von der Klägerin behaupteten Behandlungsfehler nicht zu bestätigen ist. Im einzelnen hat er hierzu dargelegt, dass weder eine schlechte Mundhygiene - wie bei der Klägerin im Eingangsbefund festgestellt - noch auch eine vorbestehende Entzündung der Parodontien und eine chronische Gingivitis eine absolute Kontraindikation für eine Implantatbehandlung darstellen; ebenso wenig ergebe sich eine solche Kontraindikation aus einer akuten Infektion am Zahn 13, die im Fall der Klägerin sicherlich nicht vorgelegen habe, was der Sachverständige im einzelnen begründet hat (S. 11 und 12 seines Gutachtens vom 14.11.2000). Zusätzlich hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass sich für eine mangelhafte Immunabwehr der Klägerin keine verifizierbaren Anhaltspunkte ergeben und auch sonstige Vorerkrankungen nicht auf eine reduzierte Immunabwehr hingewiesen hätten; der Sachverständige hat dies nachvollziehbar zusätzlich damit begründet, dass bei einer reduzierten Immunabwehr die durch die schlechte Mundhygiene verursachten gingivalen Entzündungen zu einer schweren Destruktion des knöchernen Zahnhalteapperates geführt haben müßten, was jedoch ausweislich der vorliegenden Röntgenbefunde im Bereich der Parodontien der natürlichen Zähne an keiner Stelle der Fall gewesen sei. Auch eine Allergieneigung hinsichtlich des hier verwendeten Implantatwerkstoffs Titan sei in jeder Hinsicht unwahrscheinlich, und auch das postimplantäre Geschehen bei der Klägerin spreche in keiner Weise für eine allergische Reaktion gegen dieses Material. Auch die Vorbehandlung des Zahnes 13 habe den medizinischen Kriterien für eine Sofortimplantation genügt, auch hinsichtlich der Zahnfleischentzündungen habe eine Therapie dieser Erkrankungen in der Phase der gedeckten Einheilung der Implantate durchgeführt werden können, so dass sich auch hieraus keine Kontraindikation für die vorgesehene und durchgeführte Behandlung ergebe.
Diese Feststellungen des Sachverständigen decken sich zu den vorgenannten Punkten mit denen des Vorgutachters erster Instanz und überzeugen den Senat in jeder Hinsicht.
Ein den Beklagten anzulastender und zu ihrer Haftung führender Behandlungsfehler ergibt sich jedoch aus dem von dem Sachverständigen Prof. Dr. N. überzeugend festgestellten Umstand, dass die Perforierung des Kie-
ferhöhlenbodens durch das Implantat Regio 27 nicht rechtzeitig erkannt und trotz Perforation hier ein Implantat eingebracht worden ist.
Dass das Implantat bereits bei seiner Insertion den Kieferhöhlenboden perforiert hat, hat der Sachverständige bereits in seinem Ausgangsgutachten vom 14.11.2000 festgestellt. Begründet hat er dies zum einen mit einer Auswertung der vorliegenden röntgenologischen Befunde, zum anderen aber auch damit, dass sich das Implantat bei einer nachfolgenden Röntenuntersuchung mitten in der Kieferhöhle wiedergefunden hat; nach dem ausdrücklichen Hinweis des Sachverständigen spricht dieser Umstand eindeutig dafür, dass es ursprünglich nur in seinem oberen zervikalen Bereich im alveolären Restknochen fixiert war, in seiner restlichen Länge jedoch frei in die Kieferhöhle ragte; durch die im zervikalen Bereich aller Implantate stattgefundene postoperative Resorption bzw. Infektion werde sich die bestehende Knochenverbindung gelöst haben, so dass das Implantat in die Kieferhöhle habe abwandern können. Ein von diesem Geschehen unabhängiger Bruch des Kieferknochens sei demgegenüber unwahrscheinlich.
Diese Feststellung hat der Sachverständige vor dem Hintergrund diesbezüglicher Einwände der Beklagten in seinen nachfolgenden Ergänzungsgutachten weiter erläutert und bestätigt. Insbesondere in dem Ergänzungsgutachten vom 29.5.2001 hat der Sachverständige eingehend dargelegt, dass und weshalb sich aus einer Übereinander- Projektion der beiden Röntgenbilder vom 27.2.und 17.7.1991 eindeutig die Perforation des Kieferknochens während der Implantatbettpräparation ergibt. Die dahingehenden Ausführungen des Sachverständigen überzeugen den Senat in jeder Hinsicht, dies insbesondere auch vor dem Hintergrund der weiteren Darlegungen des Sachverständigen in seinem Ergänzungsgutachten vom 16.1.2002 (Seite 8 f. dort). Der Sachverständige hat dort erneut - dies auch in kritischer Auseinandersetzung mit den von den Beklagten vorgelegten Ausführungen der Frau Dr. R. - darauf hingewiesen, dass sich das Implantat 27 auf der postoperativen Aufnahme in den Bereich der Kieferhöhle projeziert, so dass eine nahe Beziehung zur Kieferhöhle vermutet werden muß. Nach seinen Feststellungen bezieht der in der Panoramaschichtaufnahme vom 17.7.1991 zu erkennende Knochenverlust auch die Regio 27 mit ein, wodurch das dort eingesetzte Implantat seine zervikale knöchernde Fixierung verloren hat, so dass es in die Kieferhöhle abwandern konnte. Der Sachverständige hat in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es nicht zu der Dislokation in die Kieferhöhle hätten kommen können, wenn das Implantat Regio 27 in gleicher Weise wie die anderen Implantate ursprünglich knöchern fixiert gewesen wäre. An dieser Feststellung hat der Sachverständige auch auf weitere Einwände der Beklagten hin auch bei seiner mündlichen Anhörung vor dem Senat festgehalten und zur Erläuterung weiter ausgeführt, auf dem genannten Röntgenbild sei der Boden der Kieferhöhle zu erkennen, wobei es nach den anatomischen Verhältnissen nicht möglich sei, dass sich das Implantat voll im Knöchernen befinde. Man komme beim Bohren nach dem Durchbohren der Knochenschicht in den Hohlraum, also in die Kieferhöhle; im Rahmen dieser Ausführungen hat der Sachverständige nachvollziehbar und überzeugend anhand des postoperativen Röntgenbildes demonstriert, dass die Lage des Implantates Regio 27 nur den zwingenden Schluss zulasse, dass mehr als die Hälfte des Implantates in die Kieferhöhle hineinragte, was nur mit einer Perforation anläßlich der Einbringung zu erklären sei.
Die Einwände des Beklagten zu 2) und sämtlicher Beklagter, die sich insoweit auch, unter anderem, auf eine erneute Stellungnahme der Frau Dr. R. berufen haben, greifen demgegenüber nicht durch. Die Demonstration des Sachverständigen anhand des postoperativen Röntgenbildes überzeugt den Senat angesichts der hierzu gegebenen detaillierten und anschaulichen Erklärungen des Sachverständigen, die durch die divergierenden allgemeinen Ausführungen der Frau Dr. R., insbesondere in deren Schreiben vom 4.7.2001, (mit dem der Sachverständige sich im übrigen bereits in seinem Ergänzungsgutachten vom 17.1.2002 eingehend auseinandergesetzt hat) nicht in Frage gestellt werden.
Ob bereits das Auftreten dieser Perforation als ärztlicher Behandlungsfehler zu bewerten ist, kann letztlich dahinstehen - nach den Feststellungen des Sachverständigen kann derartiges in der Praxis durchaus vorkommen - ; ein Behandlungsfehler ist den Beklagten jedoch insoweit vorzuwerfen, als man die Perforation nicht umgehend festgestellt hat. Der Sachverständige hat ausdrücklich - mit eingehenden Erläuterungen - darauf hingewiesen, dass bei sorgfältiger Sondierung eine solche Perforation immer festzustellen sei, in welchem Falle man dann das Implantat auch nicht einbringen dürfe; der letztgenannten Feststellung des Sachverständigen hat sich der Beklagte zu 2) selbst angeschlossen. Der Sachverständige hat im einzelnen erläutert, dass bereits angesichts der für eine Perforation sprechenden Röntgenaufnahme eine spezielle Röntgenkontrolle hätte durchgeführt werden müssen, durch welche - zum Beispiel durch ein CT - man genau hätte feststellen können, ob es zu einer Perforation gekommen sei. Außerdem sei ein Tastbefund nicht dokumentiert. Eine 11 mm tiefe Tastung, wie vom Beklagten zu 2) behauptet, entspreche auch nicht der Knochendicke und insbesondere nicht den anatomischen Verhältnissen in diesem Gebiet. Er könne sich deshalb nur vorstellen, dass man bei der Sondierung an der Wand entlang getastet habe und dabei die gegenüberliegende Wand getastet habe. Er könne sich jedenfalls nicht erklären, warum man die Perforation nicht ertastet habe, wenn denn tatsächlich entsprechend den Angaben der Beklagten getastet bzw. sondiert worden sei. Eine visuelle Kontrolle nütze in Bezug auf den streitigen Punkt nichts, weil man hierdurch nicht die Verhältnisse im Knochen darstellen könne. Auch hätte sich ein Nasenblasversuch empfohlen. In diesem Zusammenhang hat der Sachverständige auf Nachfrage des Gerichts ausdrücklich klargestellt, dass bei der gebotenen Sondierung, eventuell in Verbindung mit dem Nasenblasversuch, schlechterdings nicht verständlich sei, weshalb man gleichwohl die Perforation nicht erkannt habe; ein erfahrener Arzt müsse in dieser Situation durch sorgfältiges Sondieren eine vorhandene Perforation feststellen.
Vor dem Hintergrund dieser Feststellungen, die den Senat in jeder Hinsicht überzeugen, ist den Beklagten ein grober Behandlungsfehler mit der Folge einer möglichen Beweislastumkehr hinsichtlich der kausalen Folgen vorzuwerfen, also ein solcher eklatanter Verstoß gegen gesicherten Behandlungsstandard, der aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich ist, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Wenn der Sachverständige ausdrücklich darauf hingewiesen hat, bei sorgfältiger Sondierung sei es "schlechterdings nicht verständlich", dass man trotzdem die Perforation nicht erkannt habe, weil ein erfahrener Arzt in dieser Situation durch sorgfältiges Sondieren eine Perforation feststellen müsse, so sind die Voraussetzungen für die Annahme eines groben Behandlungsfehlers zu bejahen, und der Senat geht von einem solchen aus. Damit haften die Beklagten für die der Klägerin durch diesen Behandlungsfehler entstandenen gesundheitlichen Folgen.
Zwar hat der Sachverständige überzeugend dargelegt, dass entgegen der Ansicht der Klägerin der Verlust sämtlicher sonstiger Implantate nichts mit der Dislokation des Implantates 27 zu tun hat, dass aber andererseits die aufgetretene Kieferhöhlenentzündung zweifellos auf der Dislokation des Implantates beruht; unstreitig hat diese Kieferhöhlenentzündung nachfolgend zu einem operativen Eingriff genötigt, der den Feststellungen des Sachverständigen zufolge im Falle der Vornahme einer Radikaloperation im Sinne einer Totalausräumung ein weiterer Behandlungsfehler , bei einer Entfernung nur des Entzündlichen jedoch nicht zu beanstanden wäre; in beiden Fällen müsste sich die Klägerin jedoch zusätzlich zu den mit der Kieferhöhlenentzündung verbundenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu deren Behandlung einem operativen Eingriff unterziehen; diese gesamten Belastungen beruhen auf dem vorgenannten Behandlungsfehler, für den die Beklagten einzustehen haben.
Jedenfalls hinsichtlich der vorbenannten gesundheitlichen Folgen der fehlerhaften Behandlung für die Klägerin sieht sich der Senat bereits nach dem derzeitigen Verfahrensstand zur Zuerkennung eines Teilschmerzensgeldes in der Lage.
Das der Klägerin gem. §§ 823, 847 für die Folgen des vorgenannten Behandlungsfehlers in Ansehung der hieraus resultierenden Gesundheitsbeeinträchtigungen zustehende Schmerzensgeld bemißt der Senat nach dem derzeitigen Sachstand schon jetzt auf einen Teilbetrag in Höhe von 5.000.- EUR. Dabei hat er sich von der Überlegung leiten lassen, dass auch die Beklagten nicht in Abrede stellen, dass die durch die Perforation ausgelöste Kieferhöhlenentzündung für die Klägerin außerordentlich belastend war und sich auch über einen längeren Zeitraum erstreckt hat; sie war insbesondere mit beträchtlichen Schmerzen verbunden. Vor dem Hintergrund dieser Tatsache sowie des weiteren Umstandes, dass sich die Klägerin wegen dieser Kieferhöhlenentzündung einem weiteren operativen Eingriff hat unterziehen müssen, erachtet der Senat ein Teilschmerzensgeld in tenorierter Höhe schon jetzt für erforderlich, um diesen gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin in angemessener Weise Rechnung zu tragen. Die Bemessung der endgültigen Höhe des zuzuerkennenden Schmerzensgeld wird nach einer weiteren Abklärung der bei der Klägerin möglicherweise verbliebenen weiteren gesundheitlichen Folgen dem Schlußurteil vorzubehalten sein.
Hinsichtlich der geltend gemachten materiellen Schäden war der Rechtsstreit hingegen nur im Sinne eines Grundurteils entscheidungsreif, da es insoweit noch weiterer Sachaufklärung bedarf.
Ebenfalls begründet ist das Feststellungsbegehren, da die Beklagten, wie dargelegt, für die Nichterkennung der fehlerhaften Einbringung des Implantates in Regio 27 für alle hieraus entstandenen und entstehenden materiellen und immateriellen Schäden zu haften haben.
Eine umfassende Haftung unter dem Gesichtspunkt des Aufklärungsversagens kommt demgegenüber nicht in Betracht.
Unstreitig wurde bei der Klägerin entsprechend einem Vorschlag des Beklagten zu 1) eine implantologische Versorgung des Oberkiefers durchgeführt, in deren Zuge die verbliebenen Zähne im Oberkiefer extrahiert und sodann bis zu 7 Implantate eingesetzt werden sollten, wobei auch in die Extraktionsalveolen der bis dahin verbliebenen Zähne 13,23 und 27 Sofortimplantate eingesetzt werden sollten. Zusätzlich sollten Gore-Tex-Folien eingebracht werden. Nach den Erläuterungen des Sachverständigen besteht das Prinzip dieser Membranbehandlung darin, dass nach dem Setzen der Implantate möglicherweise vorhandene Knochendefizite mit den Membranen (Gore-Tex-Folien) dergestalt abgedeckt werden, dass sich unterhalb derselben der benötigte Knochen bilden kann, wobei die Membran die Aufgabe hat, das darüber gelegene Zahnfleischbindegewebe daran zu hindern, in die periimplantären Knochendefekte hinein zu degenerien, was ohne eine Membranabdeckung regelmäßig erfolgen würde.
Unstreitig ist der Klägerin angeboten worden, die Behandlung kostenfrei durchzuführen, wenn sie sich damit einverstanden erklärte, dass der Behandlungsablauf im einzelnen wissenschaftlich dokumentiert und die Ergebnisse publiziert werden könnten. Entsprechend den weiteren Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N. handelte es sich jedenfalls bei der vorstehend geschilderten Membranabdeckung um eine Neulandtherapie, die sich damals noch in der klinischen und wissenschaftlichen Forschung befand; der Sachverständige hat in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hingewiesen, dass für den Fall des Fehlschlagens der Therapie zu besorgen gewesen sei, dass die Situation sich nach Verlust der Implantate nicht besser darstellen werde, bestenfalls wäre sie die gleiche wie ex ante, eher aber schlechter gewesen. Über diese Möglichkeit einer möglichen Verschlechterung nach denkbarem Verlust der Implantate hätte die Klägerin als Patientin aufgeklärt werden müssen; dass eine solche Aufklärung mit der gebotenen Deutlichkeit gegenüber der Klägerin erfolgt ist, hat die Beweisaufnahme eher nicht ergeben; im Ergebnis führt dies jedoch gleichwohl nicht zu einer Haftung der Beklagten, denn nach dem gesamten Sach- und Streitstand ist davon auszugehen, dass auf Seiten der Klägerin hinsichtlich der durchgeführten Therapie jedenfalls von einer hypothetischen Einwilligung auszugehen ist und sie insbesondere bei einer entsprechenden umfassenden Aufklärung nicht wirklich in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre; jedenfalls hat sie einen solchen nicht substantiiert dargetan. In diesem Zusammenhang ist nämlich zu berücksichtigen, dass die Klägerin, wie sich sowohl aus den vorliegenden Behandlungsunterlagen als auch aus ihrem eigenem Vortrag ergibt, grundsätzlich keinesfalls die Einbringung einer Prothese wünschte, sondern vielmehr gerade zur Vermeidung dieser Maßnahme sich zu der - ihr zudem als noch im Forschungsstadium begriffene Behandlungsmethode kostenfrei - angebotenen Therapie gerade entschlossen hat, um der Einbringung einer Prothese zu entgehen. Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar und von der Klägerin insbesondere trotz gegenteiligen Vortrages der Beklagten nicht substantiiert vorgetragen, dass und weshalb sie sich bei einer Aufklärung über eine neben anderen Möglichkeiten auch denkbare Verschlechterung der Kiefersituation nach möglichem Implantatverlust in einen Entscheidungskonflikt versetzt gesehen hätte; vielmehr spricht vor dem Hintergrund ihrer erklärten Ablehnung einer Protheseneinbringung alles dafür, dass sie sich so oder so zu dem kostenlosen Behandlungsverlauf entschieden hätte. Das denkbare Aufklärungsversagen führt demzufolge nicht zu einer umfassenden Haftung der Beklagten für die durchgeführte Behandlungsmaßnahme. Über die Behandlungsrisiken im übrigen ist die Klägerin ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Das hat das Landgericht zutreffend ausgeführt. Insoweit wird auf das angefochtene Urteil verwiesen (§ 543 I ZPO a. F.).
Die Beklagten haften demzufolge vertraglich (Beklagte zu 3) als auch deliktisch (Beklagten zu 1) und 2)) nur für die gesundheitlichen Folgen der Nichterkennung der fehlerhaften Einbringung des Implantates in Regio 27. Der gesamte hieraus resultierende Schadensumfang kann nach dem derzeitigen Stand des Rechtsstreits noch nicht abschließend festgestellt werden insoweit bedarf es noch weiterer Sachaufklärung.
Die Kostenentscheidung war dem Schlussurteil vorzubehalten.
Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit wegen des zuerkannten Teilschmerzensgeldbetrages ergibt sich aus §§ 708,Ziffer 10, 711 ZPO.
Zur Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung, weil der Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch der Gesichtspunkt einer Fortbildung des Rechts über die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichtes nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO n. F.).

RechtsgebietHaftungsrecht VorschriftenZPO

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