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01.09.2010 · IWW-Abrufnummer 102769

Oberlandesgericht Saarbrücken: Urteil vom 10.12.1997 – 1 U 290/97

Es greift eine Beweislastumkehr zu Lasten des Arztes ein, der es in erheblichem Umfang unterläßt,
Diagnose- und Kontrollbefunde zum Behandlungsgeschehen zu erheben. Diese Beweislastregel findet
Anwendung, wenn es ein Zahnarzt unterläßt, sich nach dem Einsatz von Implantaten durch eine
Röntgenkontrolle über die Paßgenauigkeit zu vergewissern.


SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT
URTEIL
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Rechtsstreit XXX
hat der 1. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken auf die mündliche Verhandlung vom 26. November 1997 unter Mitwirkung XXX
für Recht erkannt:
1. Die Berufung des Beklagten gegen das am 25. Februar 1997 verkündete Urteil des Landgerichts in Saarbrücken - 16 O 57/93 - wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Beklagten zur Last.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Der Wert der durch diese Entscheidung begründeten Beschwer des Beklagten wird auf 5.120,00 DM festgesetzt.
Tatbestand
(abgekürzt gemäß § 543 ZPO)
Am 2. März 1991 setzte der beklagte Zahnarzt drei Implantate im Unterkiefer des Klägers ein. Eine Unterkieferprothese wurde am 26. März 1991 mit den Implantaten verbunden. In der Folgezeit verspürte der Kläger Schmerzen und beanstandete die Paßgenauigkeit der Prothese. Am 6. Juni 1991 wurden die Implantate von dem Beklagten entfernt. Neue Implantate wurden dem Kläger während des Zeitraumes vom 27. August 1991 bis 9. September 1991 in der XXX-klinik Saarbrücken eingefügt. Eine neue Prothese erhielt der Kläger schließlich im Januar/Februar 1992.
Im vorliegenden Verfahren nimmt der Kläger unter dem Vorwurf eines Behandlungsfehlers den Beklagten auf Schadensersatzleistung, Zahlung eines Schmerzensgeldes und Feststellung seiner Ersatzpflicht bezüglich des Zukunftsschadens in Anspruch. Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung eines Schadensersatzes über 120,00 DM sowie eines Schmerzensgeldes in Höhe von 5.000,00 DM verurteilt sowie das Feststellungsbegehren abgewiesen. Mit der Berufung verfolgt, der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte sowie ordnungsgemäß begründete Berufung des Beklagten ist zulässig, bleibt aber aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung im Ergebnis ohne Erfolg. Der Beklagte ist dem Kläger wegen einer fehlerhaften Zahnbehandlung nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung sowie gemäß §§ 823, 847 BGB zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 120,00 DM sowie eines Schmerzensgeldes in Höhe von 5.000,00 DM verpflichtet.
1. Im Arzthaftungsprozeß kann eine Beweislastumkehr für den Kausalitätsnachweis nach den Grundsätzen, die bei groben Behandlungsfehlern dazu entwickelt worden sind, auch dann in Betracht kommen, wenn der Arzt in erheblichem Ausmaß Diagnose- und Kontrollbefunde zum Behandlungsgeschehen nicht erhoben hat und deshalb in besonderem Maße dafür verantwortlich ist, daß die Daten zur Aufdeckung des Behandlungsverlaufs nicht zur Verfügung stehen (BGHZ 85, 212).
Die sich aus der Behandlung des Patienten ergebende ärztliche Verpflichtung, durch entsprechende Untersuchungsmaßnahmen einen bestimmten Krankheitsstatus zu erheben, verfolgt zwar in erster Linie therapeutische Ziele. Sie dient aber auch, ähnlich wie die Pflicht zur Dokumentation der Befunde, der Wahrung des Persönlichkeitsrechts des Patienten, dem Rechenschaft über den Gang der ärztlichen Behandlung abzulegen ist. Sicherlich hat sie keinen unmittelbaren Sicherungszweck im Hinblick auf künftige Haftpflichtprozesse. Aber wenn materiellrechtlich ein Befund zu sichern und wenn darüber Rechenschaft abzulegen ist, dann kann diese Verpflichtung in einem etwaigen späteren Prozeß nicht außer Betracht gelassen werden. Die beweisbelastete Partei kann vielmehr dem zur Sicherung der Aufklärung Verpflichteten entgegenhalten, daß er schuldhaft auch die Beweislage im Prozeß verschlechtert oder vereitelt hat. In diesem Sinne ist mithin die ärztliche Verpflichtung zur Dokumentation und auch diejenige zur Befundsicherung beweis~ und damit prozeßbezogen (BGHZ 99, 391, 397). Es ist gerechtfertigt, dem Patienten den Beweis für den Kausalzusammenhang zu erleichtern, wenn eine Befunderhebung durch eine ärztliche Untersuchungsmaßnahme angesichts der Symptome des Patienten zur Aufklärung und Sicherung :des Status ärztlich zweifelsfrei geboten gewesen ist. Wenn es um Versäumnisse ganz einfacher, naheliegender Befunderhebungen geht, kann eine Beweislastumkehr zu Lasten des Arztes in Betracht kommen. Das schuldhaft bei der ärztlichen Behandlung gesetzte Maß an Unaufklärbarkeit muß sich in einer entsprechenden Verminderung des vom Patienten zu erbringenden Beweismaßes hinsichtlich des Kausalverlaufes niederschlagen (BGHZ 99, 391, 398 f.).
2. Nach diesen Grundsätzen ist davon auszugehen, daß der Beklagte die Implantate fehlerhaft eingesetzt hat und für die weiteren von dem Kläger erlittenen Komplikationen verantwortlich ist.
Der Sachverständige hat überzeugend ausgeführt, daß es üblich ist, unmittelbar nach dem Einbringen von Implantaten eine Röntgenkontrolle vorzunehmen. Diese Maßnahme dient dem Zweck, die Implantatposition zu überprüfen sowie eine Bezugsgröße für Nachuntersuchungen zu schaffen. Da der Beklagte von einer Röntgenuntersuchung absah, ist die ersichtlich nicht mit bloßem Auge feststellbare Primärstabilität nicht dokumentiert. Bei dieser Sachlage ist davon auszugehen; daß es der Beklagte unterlassen hat, medizinisch zweifelsfrei gebotene Befunde zu erheben und zu sichern. Dieses Versäumnis führt zu einer Beweislastumkehr zu Lasten des Beklagten. Mithin ist wegen der Unaufklärbarkeit des Behandlungsgeschehens davon auszugehen, daß der Beklagte die Implantate fehlerhaft eingefügt hat.
3. Zwar hat der Kläger unstreitig nach Anbringung der Implantate seine alte Prothese weiter getragen. Dabei kann dahinstehen, ab welchem Zeitpunkt er seine frühere Prothese wieder verwendete. Zwar kann der Gebrauch der früheren Prothese nach Auskunft des Sachverständigen zu einer Verschlimmerung beigetragen haben. Da dieses Mitverschulden des Klägers (§ 254 BGB) indes nicht erwiesen ist, schlägt die Unaufklärbarkeit auch insoweit zu Lasten des Beklagten aus.
4. Schließlich kann auch unterstellt werden, daß der Beklagte dem Kläger bereits am 24. April 1991 empfahl, die Implantate zu entfernen. Diese zeitliche Verkürzung rechtfertigt keine Ermäßigung des Schmerzensgeldes. Es ist nämlich zu berücksichtigen, daß dem Kläger bei der Demontage der Implantate ein Teil des Unterkiefers herausgebrochen werden mußte. Ferner konnten neue Implantate erst im August/September 1991 eingepaßt und er erst Anfang 1992 mit einer Prothese versorgt werden. Aufgrund dieser langwierigen Erschwernisse ist ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000.00 DM durchaus angemessen.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, während die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, §, 713 ZPO beruht.

RechtsgebieteZPO, BGBVorschriftenZPO § 286 BGB § 823 I

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