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09.07.2010 · IWW-Abrufnummer 101997

Oberlandesgericht Bamberg: Beschluss vom 16.03.2010 – 2 Ss OWi 235/10

Zu den Voraussetzungen einer Divergenzvorlage bei abweichender Rechtsauffassung zum Vorliegen eines strafprozessualen Beweisverwertungsverbotes.


OLG Bamberg, Beschl. v. 16. 3. 2010 - 2 Ss OWi 235/10
Zum Sachverhalt:
Das AG verurteilte den Betr. am 19.11.2009 wegen einer am 05.06.2009 auf einer BAB begangenen Abstandsunterschreitung zu einer Geldbuße von 240 € und verhängte gegen ihn ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats. Das AG hat den Abstandsverstoß aufgrund der Ergebnisse des eingesetzten Brückenabstandsmessverfahrens mittels einer Videoabstandsmessanlage (VAMA) als erbracht angesehen. Mit seiner hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde rügte der Betr. die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Unter Berufung auf den Beschluss der 2. Kammer des 2. Senats der BVerfG v. 11. 8. 2009 (2 BvR 941/08) beanstandete der Betr. insbesondere, dass es an einer gesetzlichen Grundlage für die Videoaufzeichnung fehle, so dass das gefertigte Bildmaterial nicht zu Beweiszwecken zu seinem Nachteil habe verwertet werden dürfen. Im übrigen sei das OLG aufgrund einer abweichenden Entscheidung des OLG Düsseldorf verpflichtet, die Sache nach § 121 II GVG dem BGH zur Entscheidung vorzulegen. Das Rechtsmittel blieb ohne Erfolg.
Aus den Gründen:
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerde hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betr. ergeben (§ 349 II StPO i.V.m. § 79 III 1 OWiG). Zur Begründung wird auf die – auch unter Berücksichtigung der Gegenerklärung der Verteidigung – im Ergebnis zutreffende Stellungnahme der GenStA in ihrer Antragsschrift Bezug genommen. Ergänzend bemerkt der Senat:
Unabhängig von der Frage, ob das vom Betr. behauptete Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot mit einer den Begründungsanforderungen des § 344 II 2 StPO i.V.m. § 79 III 1 OWiG genügenden und damit zulässigen Verfahrensrüge geltend gemacht wurde (vgl. hierzu OLG Rostock, Beschluss vom 16.11.2009 - 2 Ss OWi 257/09 = VRR 2010, 35; OLG Hamm, Beschluss vom 11.11.2009 - 3 Ss OWi 856/09 = VRR 2010, 43 und OLG Koblenz, Beschluss vom 04.03.2010 - 1 SsBs 23/10), liegen auch die Voraussetzungen des § 79 III 1 OWiG i.V.m. § 121 II GVG für eine Vorlage des Verfahrens an den Bundesgerichtshof im Hinblick auf den Beschluss des Einzelrichters des OLG Düsseldorf <3. Strafsenat> vom 09.02.2010 - IV-3 RBs 8/10 (= VRR 2010, 154 f. = DAR 2010, 213 ff. = DuD 2010, 338 ff. = NJW 2010, 1216 ff.) nicht vor.
1. Zwar geht das OLG Düsseldorf in der vorgenannten Entscheidung davon aus, dass für die Videoaufzeichnung mit dem bei der dort verfahrensgegenständlichen Messung eingesetzten ViBram-System keine Rechtsgrundlage besteht und setzt sich damit nicht nur in Widerspruch zur Rechtsprechung des erkennenden Senats (OLG Bamberg <2. Senat>, Beschluss vom 16.11.2009 - 2 Ss OWi 1215/09 = NJW 2010, 100 f. = DAR 2010, 26 ff. m. Anm. Grunert = VRR 2009, 468 ff. m. Anm. Deutscher = zfs 2010, 50 ff.; vgl. auch OLG Bamberg <3. Senat>, Beschluss vom 25.02.2010 – 3 Ss OWi 206/10 = DAR 2010, 279 f. = VRR 2010, 190 ff. m. Anm. Gieg), sondern auch zu derjenigen weiterer Oberlandesgerichte (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 29.01.2010 – 4 Ss 1525/09 = VRR 2010, 115 f. = NJW 2010, 1219 f.; OLG Jena, Beschluss vom 06.01.2010 - 1 Ss 291/09 = NJW 2010, 1093 f. = VRR 2010, 115; OLG Dresden, Beschluss vom 02.02.2010 – Ss OWi 788/09 = DAR 2010, 210 ff. = VRR 2010, 154 f.; OLG Hamm, Beschluss vom 22.10.2009 – 4 Ss OWi 800/09 = NJW-Spezial 2010, 107; OLG Koblenz, Beschluss vom 04.03.2010 – 1 SsBs 23/10 = DuD 2010, 341), die jeweils übereinstimmend von einer Anwendbarkeit des § 100 h I 1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 46 I OWiG ausgehen.
2. Unabhängig von der Frage, ob das der Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 09.02.2010 (aaO.) zu Grunde liegende Messverfahren tatsächlich mit dem in Bayern eingesetzten VAMA-Verfahren identisch ist, beruht die Entscheidung des Senats letztlich aber nicht auf dieser unterschiedlichen rechtlichen Beurteilung in Bezug auf die Ermächtigungsgrundlage für eine Videoaufzeichnung. Denn selbst wenn von einer fehlenden Eingriffsermächtigung ausgegangen werden sollte, folgt aus einem dann anzunehmenden Beweiserhebungsverbot vorliegend kein Beweisverwertungsverbot. Wie das OLG Hamm in seinem Beschluss vom 22.12.2009 - 1 Ss OWi 960/09 (= VRR 2010, 114 ff. = SVR 2010, 115 = DAR 2010, 212) zutreffend dargelegt hat, führt selbst eine verdachtsunabhängige Kontrolle mittels Videoaufzeichnung, für die § 100 h StPO keine Ermächtigungsgrundlage bildet, nicht zu einem Verwertungsverbot im Bezug auf die gewonnenen Aufzeichnungen.
a) Ob ein auf rechtswidrige Weise erlangtes Beweismittel zulasten des Betr. verwertet werden darf, ist nach ständiger verfassungsgerichtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verfahrensverstoßes sowie der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter (BVerfG NJW 2008, 3053 f.; 2006, 2684 ff.; NStZ 2006, 46 f.; BGHSt 51, 285, 290; 44, 243, 249; OLG Bamberg NJW 2009, 2146 m.w.N.). Ebenso wie bei einer Verletzung anderer Eingriffsnormen ist dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz fremd, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht. Dabei muss beachtet werden, dass die Annahme eines Verwertungsverbotes, auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf die Wahrheitserforschung „um jeden Preis“ gerichtet ist, eines der wesentlichen Prinzipien des Strafrechts einschränkt, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind (BGHSt 51, 285, 290; 44, 243, 249). Die Bejahung eines Beweisverwertungsverbotes ist folglich die Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist. Von einem Beweisverwertungsverbot ist deshalb nur dann auszugehen, wenn einzelne Rechtsgüter durch Eingriffe fern jeder Rechtsgrundlage so massiv beeinträchtigt werden, dass dadurch das Ermittlungsverfahren als ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geordnetes Verfahren nachhaltig geschädigt wird und folglich jede andere Lösung als die Annahme eines Verwertungsverbotes – jenseits des in § 136 a III 2 StPO normierten - unerträglich wäre (BGHSt 51, 285, 290). Selbst das BVerfG hat in seinem Kammerbeschluss vom 11.08.2009 (NJW 2009, 3293 f. m. Anm. Bull NJW 2009, 3279 ff. = zfs 2009, 589 ff. m. Anm. Bode = StRR 2009, 356 f. = VRR 2009, 354 f. m. Anm. Burhoff = DAR 2009, 577 ff. = DVBl. 2009, 1237 ff. = NZV 2009, 618 ff.) ausdrücklich klargestellt, dass aus einem Beweiserhebungsverbot nach allgemeinen strafprozessualen Grundsätzen ein Beweisverwertungsverbot folgen „kann“, wobei dies anhand einer Betrachtung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu ermitteln ist. Vielmehr erscheint auch dem BVerfG (nur) „möglich, dass die Fachgerichte einen Rechtsverstoß annehmen, der ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht.“
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze wäre – unabhängig von der anwendbaren Ermächtigungsgrundlage für die Videoaufzeichnung – im vorliegenden Verfahren jedenfalls kein Beweisverwertungsverbot anzunehmen. Angesichts der hohen Bedeutung der Verkehrsüberwachung für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs, des Gewichts des Verstoßes im Einzelfall, stellt sich ein etwaiger Verfahrensverstoß durch die Dauervideoüberwachung mit der Tele- oder Messkamera weder als bewusste Gesetzesverletzung der beteiligten Personen noch als objektiv willkürlich dar. Dies um so mehr, als nach den Feststellungen des AG eine Identifizierung von Fahrern oder Fahrzeugen durch die permanent laufenden Kameras in Bezug auf die Mess- und Beobachtungsstrecke auf Grund der eingesetzten analogen Technik technisch gar nicht möglich und von vorneherein nicht beabsichtigt ist. Die Aufnahmequalität entspricht etwa der einer Digitalaufnahme mit 0,44 Megapixel und leidet zudem durch die Aufzeichnung auf VHS-Bändern (OLG Koblenz a.a.O.). Die Intensität eines etwaigen Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung – soweit dieser hier überhaupt bejaht werden kann – durch die Videoaufzeichnung des fließenden Verkehrs ist vor diesem Hintergrund bereits auf ein Minimum reduziert. Die aufgezeichneten Daten betreffen auch nicht den Kernbereich privater Lebensgestaltung des Betr. oder seine engere Privatsphäre. Vielmehr setzt sich der Betr. durch die Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer wie auch der Kontrolle seines Verhaltens im Straßenverkehr durch die Polizei und die Ordnungsbehörden aus, so dass der verfahrensgegenständliche Verstoß ohne weiteres auch durch andere rechtmäßige, anlassbezogene Eingriffsmaßnahmen hätte festgestellt werden können (OLG Hamm a.a.O.).
3. Damit steht die Entscheidung des Senats in Übereinstimmung mit der verfassungsgerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Beurteilung eines Beweisverwertungsverbotes im jeweiligen konkreten Einzelfall, ohne dass es insoweit einer Divergenzvorlage nach § 79 III 1 OWiG i.V.m. § 121 II GVG bedarf.

RechtsgebieteStPO, OWiGVorschriften§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG § 136a Abs. 3 S. 2 StPO

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