Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

09.07.2010 · IWW-Abrufnummer 101996

Oberlandesgericht Bamberg: Beschluss vom 06.04.2010 – 3 Ss Owi 378/10

1. Stützt sich das Tatgericht zur Identifizierung des Betroffenen auf die Ausführungen eines Sachverständigen, genügt es den sachlich-rechtlichen Darlegungsanforderungen regelmäßig nicht, wenn in den Urteilsgründen im Wesentlichen nur das Ergebnis des erstatteten anthropologischen Identitätsgutachtens mitgeteilt wird.



2. Um dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung zu ermöglichen, ist darzulegen, auf welche und wie viele übereinstimmende metrische und deskriptive Körpermerkmale sich der Sachverständige im Rahmen seiner nicht standardisierten Untersuchungsmethode bei der Bewertung gestützt und auf welche Art und Weise er diese Übereinstimmungen ermittelt hat. Weiterhin sind Ausführungen dazu notwendig, welche Häufigkeit hinsichtlich der jeweils übereinstimmenden Merkmale der Wahrscheinlichkeitsberechnung zugrunde gelegt und wie die-se ermittelt wurden (Anschluss u.a. an BGH NStZ 2000, 106 f.; OLG Jena NStZ-RR 2009, 116 und OLG Hamm StV 2010, 124 ff. = StraFo 2009, 109 f.).


OLG Bamberg, Beschl. v. 6. 4. 2010 - 3 Ss OWi 378/10
Zum Sachverhalt:
Das AG verurteilte den Betr. wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße und verhängte gegen ihn ein Fahrverbot. Die Einlassung des Betr., zum Tatzeitpunkt nicht Führer des Pkw gewesen zu sein, hat das durch einen anthropologischen Sachverständigen beratene AG als widerlegt angesehen. In den Urteilsgründen hat es zum Inhalt des „in sich schlüssig und widerspruchsfrei“ erstatteten Gutachtens, dem es sich aufgrund zutreffender Anknüpfungstatsachen aus eigener Überzeugung anschloss, im Wesentlichen ausgeführt, dass das Tatfoto den Betr. mit dem Prädikat ‚Höchste Wahrscheinlichkeit’ zeige, was einer Identitätswahrscheinlichkeit von 99 % entspreche und Ausschlüsse hinsichtlich des Betr. nicht vorlägen. Der vom Betr. genannte, jedoch ungeachtet einer Ladung nicht erschienene Zeuge K. könne nach dem Gutachten ausgeschlossen werden, da es sich bei der „höchstens im Promillebereich“ anzusetzenden Möglichkeit, dass dieser zum Tatzeitpunkt Fahrer gewesen sei, „lediglich um eine rein theoretische Modellüberlegung“ handele. Allein die Möglichkeit, dass nahe Blutsverwandte das Fahrzeug geführt haben könnten, sei genau zu prüfen. Unter diesem Vorbehalt stehe deshalb auch das Gutachten. Vorliegend führe der Ausschluss des Bruders des Betr. mithin dazu, dass auch dieser Vorbehalt entfalle und die Wahrscheinlichkeit, dass der Betr. der Fahrer war, mit einer Einstufung ‚Identität höchst wahrscheinlich’ anzunehmen sei.
Die gegen das Urteil gerichtete Rechtsbeschwerde des Betr. erwies sich auf die Sachrüge als erfolgreich.
Aus den Gründen:
I. Die Urteilsgründe werden den sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Darlegung von Gutachten nicht gerecht (§ 267 StPO).
1. Nach stRspr. muss der Tatrichter, der ein Sachverständigengutachten eingeholt hat und ihm Beweisbedeutung beimisst, auch dann, wenn er sich dem Gutachten des Sachverständigen, von dessen Sachkunde er überzeugt ist, anschließt, in der Regel die Ausführungen des Sachverständigen in einer (wenn auch nur gedrängten) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Rechtsbeschwerdegericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen. Der Umfang der Darlegungspflicht richtet sich danach, ob es sich um eine standardisierte Untersuchungsmethode handelt, sowie nach der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, die der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt (BGH NStZ 2000, 106 f.).
2. Diesen Anforderungen genügt hier die Darstellung des anthropologischen Gutachtens in den Urteilsgründen nicht.
a) Zwar kann eine - wie hier - im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränkte Darstellung dann ausreichen, wenn es sich um ein allgemein anerkanntes und weithin standardisiertes Verfahren wie z.B. das daktyloskopische Gutachten (BGHR StPO § 261 Sachverständiger 4), die Blutalkoholanalyse (BGHSt 28, 235/237 f.: Angabe des Mittelwertes genügt) oder die Bestimmung von Blutgruppen (BGHSt 12, 311/314) handelt (grundlegend: BGHSt 39, 291/297 ff.). Um ein standardisiertes Verfahren handelt es sich aber bei einem anthropologischen Vergleichsgutachten, bei dem anhand von Tatbildern einer Dokumentationskamera im Straßenverkehr eine bestimmte Zahl deskriptiver morphologischer Merkmale (z.B. Nasenfurche, Nasenkrümmung etc.) oder von Körpermaßen des Täters herausgearbeitet und mit den entsprechenden Merkmalen des Tatverdächtigen verglichen werden (vgl. BGH NStZ 1991, 596), nicht.
b) Um dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung der Schlüssigkeit des Gutachtens und seines Beweiswertes zu ermöglichen, hätte deshalb zunächst dargelegt werden müssen, auf welche und wie viele übereinstimmende metrische und deskriptive Körpermerkmale der Sachverständige sich bei seiner Bewertung gestützt und auf welche Art und Weise er diese Übereinstimmungen ermittelt hat (BGH NStZ 2000, 106 f.; NZV 2006, 160 f.; OLG Bamberg NZV 2008, 211 f.; OLG Hamm DAR 2008, 395 ff. = NStZ-RR 2008, 287 f.; StV 2010, 124 ff.; OLG Oldenburg NZV 2009, 52 ff.; OLG Jena NStZ-RR 2009, 116; vgl. zuletzt wohl auch OLG Koblenz NZV 2010, 212 f.). Des Weiteren hätte es Ausführungen dazu bedurft, welche Häufigkeit hinsichtlich der jeweils übereinstimmenden Merkmale der Wahrscheinlichkeitsberechnung zugrunde gelegt und wie sie ermittelt worden ist (BGH NStZ 2000, 106 f.; in BGH NZV 2006, 106 f. offen gelassen; OLG Hamm StV 2010, 124 ff. = StraFo 2009, 109 f.; OLG Jena aaO.). Denn diesen Angaben kommt Bedeutung bei der Beurteilung des Beweiswertes der von dem Sachverständigen getroffenen Wahrscheinlichkeitsaussage zu (Knußmann StV 1993, 127 ff.; AGIB in der Fassung vom Mai 2008 Ziffer 11, OLG Hamm StV 2010 124 ff.; OLG Jena aaO.). Dem steht nicht entgegen (so aber OLG Hamm DAR 2008, 399 ff.; OLG Oldenburg aaO.), dass zwischen den Klassifizierungen von Einzelmerkmalen ein gleitender Übergang besteht, weswegen in der Regel keine genauen Angaben über die Häufigkeit der Merkmale in der Bevölkerung, der die zu identifizierende Person angehört, gemacht werden können (Knußmann NStZ 1991, 175 ff.; BGH NZV 2006, 160 f.) und dass daher der Gutachter häufig auf Schätzungen aufgrund seiner Sachkenntnis angewiesen sein wird.
3. Auch lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, warum es sich bei der Möglichkeit, dass der Zeuge K. zum Tatzeitpunkt Fahrer war, lediglich um eine rein theoretische Modellüberlegung handelt.
II. Aufgrund dieser Darstellungsmängel ist das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben (§ 79 III 1 OWiG, § 353 StPO) und die Sache zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das AG zurück zu verweisen (§ 79 VI OWiG).

RechtsgebietStPOVorschriften§ 261 StPO § 267 StPO

Sprechen Sie uns an!

Kundenservice
Max-Planck-Str. 7/9
97082 Würzburg
Tel. 0931 4170-472
kontakt@iww.de

Garantierte Erreichbarkeit

Montag - Donnerstag: 8 - 17 Uhr
Freitag: 8 - 16 Uhr