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16.04.2010 · IWW-Abrufnummer 100968

Oberlandesgericht Köln: Beschluss vom 05.02.2010 – III-1 RVs 25/10

Der Grundsatz, dass der Tatrichter im Falle der Verurteilung wegen einer Trun-kenheitsfahrt regelmäßig verpflichtet ist, auch Umstände festzustellen, die geeignet sind, den Schuldumfang näher zu bestimmen und einzugrenzen, gilt auch dann, wenn die Tat nicht zu einer Verurteilung nach § 316 StGB, sondern zum Schuldspruch wegen Vollrauschs (§ 323 a StGB) führt.


III - 1 RVs 25/10
83 Ss 3/10
OBERLANDESGERICHT KÖLN
BESCHLUSS
In der Strafsache
gegen pp.
wegen vorsätzlichen Vollrauschs
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln
auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Düren vom 21. Oktober 2009
nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und teilweise auf deren Antrag
einstimmig gemäß § 349 Abs. 4 StPO
am 5. Februar 2010
beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Düren zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Vollrauschs zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 25,00 Euro verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Straßenverkehrsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von 8 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
Es hat zum Schuldspruch festgestellt:
„Der Angeklagte ist psychisch krank und nimmt deswegen Antidepressiva. Üblicherweise nimmt er eine Tablette pro Tag. In Ausnahmefällen nimmt er jedoch 2 Tabletten pro Tag zu sich. So ist es auch am 15.02.2009 geschehen. Obwohl dem Angeklagten bewusst war, dass sich die eingenommenen Antidepressiva nicht mit Alkohol vertragen, trank er am 15.02.2009 mit seinen Freunden in einem Restaurant mehrere Raki.
In diesem Zustand befuhr er gegen 3:35 Uhr mit dem Personenkraftwagen NE - FN 3344 in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand unter anderem die B 56 Richtung Kreisverkehr B 56 / L 136 in Düren. Infolge alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit kam er im Kreisverkehr von der Fahrbahn ab und verursachte einen Verkehrsunfall, bei dem ein Baum beschädigt wurde. Der Schaden betrug 1.762,02 Euro. Die um 5:02 Uhr entnommene Blutprobe hat eine Blutalkoholkonzentration von 1,8 Promille ergeben.“
Zur Beweiswürdigung hat das Amtsgericht ausgeführt:
„Der Angeklagte hat in der- Hauptverhandlung eingeräumt, dass er üblicherweise eine Tablette der ihm verschriebenen Antidepressiva zu sich nimmt, an besonders kritischen Tagen jedoch zwei Tabletten. So sei es auch am Tattage gewesen. Ferner sei ihm bewusst, dass sich diese Antidepressiva nicht mit Alkohol vertragen, dennoch habe er mit seinen Freunden in der Gaststätte gegessen und mehrere Raki getrunken. Im Übrigen könne er sich an nichts mehr erinnern.
Darüber hinaus stützt das Gericht seine Feststellungen auf die Aussage des Zeugen Maden, der detailreich und in sich schlüssig geschildert hat, dass er hinter dem Angeklagten hergefahren und dieser mit seinem Auto plötzlich gegen einen Baum gefahren sei. Er sei sodann auf den Angeklagten zu, um diesem zu helfen. Dabei habe er Alkoholgeruch festgestellt, der Angeklagte habe jedoch auf seine Fragen reagiert und insbesondere darum gebeten, nicht die Polizei hinzuzuziehen.“
Zur rechtlichen Würdigung heißt es im amtsgerichtlichen Urteil:
„Der Angeklagte hat sich damit des vorsätzlichen Vollrausches gemäß § 323a Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
Der Angeklagte hat sich vorsätzlich in einen Rauschzustand versetzt, denn er hat eine Kombination aus Antidepressiva und Alkohol zu sich genommen, obwohl ihm bewusst war, dass sich die Medikamente und der Alkohol nicht vertragen. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte aufgrund des Rauches schuldunfähig war.
In diesem Rauschzustand hat er sodann eine rechtswidrige Tat, nämlich eine Trunkenheitsfahrt gemäß § 316 StGB begangen. Entgegen der Ansicht des Verteidigers kommt es nicht darauf an, dass der Angeklagte bereits zu dem Zeitpunkt, als er sich in den Rauschzustand versetzt hat, vor hatte ein Fahrzeug zu führen. Ein besonderer Zusammenhang zwischen dem sich berauschen und der Rauschtat ist nicht erforderlich, denn bei der Rauschtat handelt es sich um eine sogenannte objektive Bedingung der Strafbarkeit. Dies deshalb, weil schon der Vollrausch selbst materielles Unrecht darstellt, die Bedingung der Strafbarkeit jedoch den Bereich des Strafwürdigen einengen soll (Fischer, StGB, 56. Auflage 2009, § 323a Rd. Nr. 17).“
Die Revision des Angeklagten rügt Verletzung materiellen Rechts.
II.
Das Rechtsmittel hat (vorläufigen) Erfolg. Es führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
Der Schuldspruch hält der Nachprüfung aufgrund der Sachrüge nicht stand.
Die getroffenen Feststellungen sind materiell-rechtlich unvollständig.
1.
Das gilt schon für den äußeren Tatbestand der - angenommenen - Rauschtat (Trunkenheit im Verkehr, § 316 StGB).
Im Falle der Verurteilung wegen einer Trunkenheitsfahrt (mit Verkehrsunfall oder auch folgenlos, vgl. SenE v. 03.04.2009 - 83 Ss 20/08 -) ist der Tatrichter regelmäßig verpflichtet, auch Umstände festzustellen, die geeignet sind, den Schuldumfang näher zu bestimmen und einzugrenzen (BayObLG VRS 93, 108 = NZV 1997, 244 = NStZ 1997, 359 = MDR 1997, 486; SenE v. 20.08.1999 - Ss 374/99 - = VRS 98, 140; SenE v. 19.12.2000 - Ss 488/00 - = StV 2001, 355; SenE v. 03.04.2009 - 83 Ss 20/09 -). Dazu zählen neben der Höhe der Blutalkoholkonzentration insbesondere die Umstände der Alkoholaufnahme (Trinken in Fahrbereitschaft) sowie der Anlass und die Gegebenheiten der Fahrt (BayObLG VRS 97, 359 [360] = NZV 1999, 483; SenE v. 27.10.2006 - 82 Ss 123/06 -).
Wichtige Kriterien sind u.a. Dauer und Länge der bereits zurückgelegten und noch beabsichtigten Fahrstrecke, Verkehrsbedeutung der befahrenen Straßen sowie der private oder beruflich bedingte Anlass der Fahrt. Bedeutsam kann ferner sein, ob der Angeklagte aus eigenem Antrieb handelte oder von Dritten verleitet wurde (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. nur SenE v. 03.04.2009 - 83 Ss 20/09 -; vgl. auch SenE v. 19.12.2000 - Ss 488/00 - = StV 2001, 355).
Feststellungen hierzu oder wenigstens zu einigen nach Lage des Einzelfalles besonders bedeutsamen Umständen sind im Allgemeinen zur näheren Bestimmung des Schuldgehalts der Tat als Grundlage für eine sachgerechte Rechtsfolgenbemessung erforderlich. Wenn außer der Angabe von Tatzeit, Tatort und Blutalkoholwert keine weiteren, für den Schuldumfang wesentlichen Feststellungen möglich sind, weil der Angeklagte schweigt und Beweismittel dafür entweder nicht zur Verfügung stehen oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu beschaffen wären, so ist dies im Urteil hinreichend klarzustellen. In einem solchen Fall ist für die Strafzumessung ein entsprechend geringer Schuldumfang ohne wesentliche Besonderheiten zugrunde zu legen (SenE v. 19.12.2000 - Ss 488/00 - = StV 2001, 355; SenE v. 03.04.2009 - 83 Ss 20/09 -).
Die genannten Grundsätze gelten auch, wenn die Trunkenheitsfahrt nicht zu einer Verurteilung nach § 316 StGB, sondern zum Schuldspruch wegen Vollrauschs (§ 323 a StGB) führt.
Zwar ist die Rauschtat (lediglich) objektive Bedingung der Strafbarkeit (vgl. Fischer, StGB, 57. Auflage, § 323 a Rn. 17 mit Nachweisen). Gleichwohl bestimmt sie den Schuldumfang der Straftat des Vollrauschs mit. Das ergibt sich schon aus § 323 a Abs. 2 StGB, wonach die Strafe nicht schwerer sein darf als die Strafe, die für die im Rausch begangene Tat angedroht ist.
Gemessen an diesen Maßstäben weist das angefochtene Urteil Lücken auf. Den Feststellungen können die Umstände, die geeignet sind, den Schuldumfang der Rauschtat näher zu bestimmen und einzugrenzen, nicht hinreichend entnommen werden. So bleibt insbesondere offen, ob der Angeklagte mit dem Pkw zu dem Restaurant gefahren ist und ob er bereits zu diesem Zeitpunkt damit gerechnet hat, später noch das Fahrzeug zu führen.
2.
Auch zur inneren Tatseite des § 323 a StGB sind die Feststellungen des Amtsgerichts unvollständig.
Eine Verurteilung wegen vorsätzlichen Vollrauschs setzt voraus, dass der Täter wusste oder billigend in Kauf nahm, er werde durch das Rauschmittel in einen Rauschzustand in dem für § 323 a StGB erforderlichen Schweregrad geraten
(SenE v. 11.10.1996 - Ss 506/96 -; Fischer a.a.O., § 323 a Rn. 16), wobei dieser Schuldvorwurf während der gesamten Dauer des Sichberauschens fortbestehen muss (Fischer a.a.O.).
Das Amtsgericht hat dazu festgestellt, dem Angeklagte sei bewusst gewesen, „dass sich die Medikamente und der Alkohol nicht vertragen“. Die Bedeutung dieser „Unverträglichkeit“ erschließt sich aber weder aus dieser Feststellung noch aus dem sonstigen Inhalt des Urteils. Es bleibt vielmehr offen, ob damit gemeint ist, dass das Antidepressivum die (psycho-physischen, vgl. Fischer a.a.O.) Wirkungen des Alkohols verstärkt, oder ob andere Wechselwirkungen - ggf. welche - angesprochen werden.
3.
Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
Nach BGHSt 16, 124 ist es für die innere Tatseite des § 323a StGB nicht erforderlich, dass für den Täter vorhersehbar ist, dass er im Rausch irgendwelche Ausschreitungen strafbarer Art begehen wird.
Hinsichtlich möglicher Wechselwirkungen Antidepressivum/Alkohol wird das Tatgericht ggf. den Beipackzettel des vor der Tat von dem Angeklagten eingenommenen - namentlich noch zu ermittelnden - Medikaments (z. B. www. beipackzettel.info) auszuwerten haben oder die Hinzuziehung eines Sachverständigen erwägen müssen.
Es werden die Voraussetzungen des § 21 StGB zu erörtern sein (vgl. Fischer a.a.O., § 323 a Rn. 21; Tatzeit-BAK von 2,29 Promille (Zeitdifferenz zwischen Tatzeit 3:35 Uhr und Blutentnahme 5:02 Uhr = 1 Stunde 27 Minuten; BAK der Blutprobe 1,8 Promille + 0,2 + 0,09 + 0,2 = 2,29 Promille).).
Der hier nach § 323 a Abs. 2 StGB maßgebliche Strafrahmen des § 316 StGB wird ggf. nach §§ 21, 49 StGB zu mindern sein (vgl. Fischer a.a.O.).

RechtsgebieteVerkehrsrecht, Trunkenheitsfahrt Vorschriften§ 316 StGB, § 323a StGB

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