Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

09.12.2009 · IWW-Abrufnummer 093886

Oberlandesgericht Brandenburg: Beschluss vom 22.09.2009 – 1 Ss 74/09

Fehlerhafte Beweiswürdigung einer Videoaufzeichnung- § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO- Die Schilderung des Aussagegehalts der Videoaufzeichnung darf auch bei einer Bezugnahme nicht ganz entfallen.


1 Ss 74/09
22.09.2009
Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss
In der Strafsache

wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz (Vermummungsverbot)
hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch
die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Thaeren-Daig,
den Richter am Oberlandesgericht Dr. Weckbecker und
die Richterin am Landgericht Marks
am 22. September 2009
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Potsdam – Jugendrichter – vom 20. Februar 2009 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Potsdam – Jugendrichter – zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Potsdam – Jugendrichter – hat den bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getretenen Angeklagten mit Urteil vom 20. Februar 2009 wegen Verstoßes gegen das Vermummungsverbot (§§ 27 Abs. 2 Nr. 2, 17a Abs. 2 Nr. 1 VersammlungsG) verwarnt und ihm die Auflage erteilt, innerhalb von sechs Monaten ab Rechtskraft der Entscheidung 30 Stunden gemeinnützige Arbeit nach näherer Weisung der Jugendgerichtshilfe Potsdam-Stadt zu leisten. Den Urteilsfeststellungen zu Folge habe der Angeklagte am 1. Dezember 2007 in Berlin-Rudow einer Gruppe „von mindestens zwei Demonstranten“ angehört und schließlich „in Erwartung“ einer „Demonstration der rechten Szene“ ein rotes Transparent mit dem Text „Antifaschistische Aktion“ ausgerollt. Der Angeklagte und sein Begleiter hätten sich friedlich verhalten. Der Angeklagte habe „einen dunklen Schlauchschal“ über Mund und Nase sowie eine dunkle Kapuze derart in die Stirn gezogen, dass nur noch ein schmaler Streifen seines Gesichtes in Höhe seiner Augen erkennbar gewesen sei.
Mit Anwaltschriftsatz vom 20. Februar 2009, eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat der Angeklagte Rechtsmittel eingelegt. Nach förmlicher Zustellung der Urteilsgründe am 14. April 2009 hat sich die Angeklagte mit der bei Gericht am 7. Mai 2009 eingegangenen anwaltlichen Begründungsschrift auf das Rechtsmittel der Revision festgelegt. Die Angeklagte rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts, ist vor allem der Auffassung, dass §§ 27 Abs. 2 Nr. 1, 17a Abs. 2 Nr. 1 VersammlungsG gegen Art. 5 GG und Art. 8 GG verstoßen und erstrebt eine Freispruch.
II.
1. Die Revision ist gem. § 335 StPO, § 55 JGG als sog. Sprungrevision statthaft und gem. §§ 341, 344, 345 StPO frist- und formgerecht bei Gericht angebracht worden.
2. Die Revision hat in der Sache – vorläufigen – Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Potsdam.
Auf die vom Revisionsführer erhobenen Verfahrensrügen braucht der Senat nicht einzugehen, da schon die Sachrüge erfolgreich ist und zur Aufhebung des Schuldspruchs führt.
a) Die vom Jugendrichter getroffenen Feststellungen sind unzureichend und tragen eine Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Vermummungsverbot nicht.
Den Urteilsgründen kann schon nicht entnommen werden, ob der Angeklagte überhaupt an einer Versammlung teilgenommen hat. Nach der Definition des Bundesverfassungsgerichts ist eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG, und damit auch des § 1 Abs. 1 VersammlungsG, eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung (BVerfGE 104, 92, 104 m.w.N.). Hinsichtlich der notwendigen Teilnehmerzahl hat die frühere Rechtsprechung „eine größere Anzahl“ von Personen verlangt (vgl. RGSt 21, 71; RGSt 46, 31), während heute „mindestens drei Personen“ eine Versammlung bilden (vgl. BayObLGSt 1965, 157; BayObLGSt 1979, 11; OLG Düsseldorf NStZ 1981, 226; OLG Hamburg MDR 1965, 319; OLG Köln MDR 1980, 1040; AG Tiergarten JR 1979, 207; BGH GA 1981, 521; BVerfGE 104, 92; von Münch-Kunig, GG 5. Aufl. 2000, Art. 8 GG, Rdnr. 13; Hoffmann-Riem, Alternativkommentar GG, 2. Aufl. 1989, Art. 8 Rdnr. 12; BK-Benda, GG, Loseblatt, Stand 5/95, Art. 8 Rdnr. 21). Soweit im amtsgerichtlichen Urteil festgestellt ist, dass der Angeklagte „zu einer Gruppe von mindestens zwei Demonstranten“ gehörte (Bl. 2 UA), besteht die Möglichkeit, dass die Gruppe, der der Angeklagte angehörte nur zwei Personen umfasste. Damit würde es sich nicht um eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes handeln, mithin wäre dessen Anwendungsbereich nicht eröffnet.
Den Urteilsgründen kann auch nicht entnommen werden, ob es zu einem Zusammentreffen der „Demonstration der rechten Szene“ mit der „Gegendemonstration“ gekommen ist. Ausweislich der Urteilsgründe war der Angeklagte 60 bis 100 Meter entfernt von dem „entgegenkommenden Aufzug“ und rollte das Transparent „in Erwartung“ der Demonstration auf.
Diesen Ausführungen kann – ungeachtet der Frage der notwendigen Anzahl der Teilnehmer der Demonstration – nicht entnommen werden, ob der Angeklagte Teil einer Versammlung war. Auch in soweit erweisen sich die Urteilsfeststellungen als lückenhaft.
b) Auch die Beweiswürdigung erweist sich als fehlerbehaftet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
Die Würdigung der erhobenen Beweise gehört grundsätzlich zu den ureigenen tatrichterlichen Aufgaben, die in weiten Bereichen der revisionsrechtlichen Überprüfung entzogen ist. Dem Tatrichter bleibt es vorbehalten, sich eine Überzeugung von der Schuld oder der nicht vorhandenen Schuld des Angeklagten zu verschaffen. Daher ist das Revisionsgericht grundsätzlich an die Beweiswürdigung des Tatrichters gebunden. Jedoch sind die Beweismittel und deren Würdigung in das schriftliche Urteil aufzunehmen, weil anderenfalls jede Überprüfung der Richtigkeit des Schuldspruchs durch das Revisionsgericht ausgeschlossen wäre. Die höchstrichterliche Rechtsprechung verlangt vom Tatrichter regelmäßig eine Beweiswürdigung, in der die Ergebnisse der Beweisaufnahme – als Grundlage der tatsächlichen Feststellungen – darzustellen und erschöpfend zu würdigen sind. In welchem Umfang dies geboten ist, richtet sich nach der jeweiligen Beweislage, nicht zuletzt nach der Bedeutung, die der jeweiligen Beweisfrage unter Berücksichtigung des Tatvorwurfs und des Verteidigungsvorbringens für die Wahrheitsfindung zukommt (statt vieler: BGH DRiZ 1994, 59 f). Der Nachprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung obliegt dem mit der Sachrüge befassten Revisionsgericht aber nur unter dem Gesichtspunkt, ob sie rechtliche Fehler aufweist. Solche Fehler können darin begründet sein, dass die Beweiswürdigung unklar, unvollständig bzw. lückenhaft oder widersprüchlich ist, ferner gegen Denk- oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH NStZ 1984, 17 m.w.N.). Im vorliegenden Fall erweist sich die Beweiswürdigung als lückenhaft.
aa) Die Würdigung der Zeugenaussagen erschöpft sich in der Aufzählung von drei Zeugen, dem sich der Satz anschließt: „Sie haben die den Urteilsfeststellungen entsprechenden Angaben gemacht“ (Bl. 3 UA). Dies ist vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte sich zur Sache nicht eingelassen hat unzureichend und genügt nicht den an § 267 StPO zu stellenden Anforderungen. Es ist für das Revisionsgericht nicht nachvollziehbar, aufgrund welcher konkreten Aussagen der Tatrichter den Angeklagten der ihm vorgeworfenen Tat für überführt erachtet. Erforderlich wäre vielmehr eine kurze prismenhafte Darstellung der Inhalte der Aussagen mit anschließenden Ausführungen zur Glaubhaftigkeit der Aussagen und Glaubwürdigkeit der Zeugen.
bb) Soweit sich die Beweiswürdigung auf die Videoaufzeichnung stützt, ist dies ebenfalls nicht nachvollziehbar; mit der Bezugnahme liegt überdies ein Verstoß gegen § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO vor. Hierzu heißt es in den Urteilsgründen:
„Die Videoaufzeichnung gibt das objektive Tatgeschehen wieder. Zur Darstellung der Einzelheiten wird auf die Videoaufzeichnung Bezug genommen.“ (Bl. 3 UA)
Diesen Ausführungen lässt sich nicht entnehmen, welche Wahrnehmungen der Tatrichter bei Inaugenscheinnahme der Videoaufzeichnungen gemacht hat. Ein Verstoß gegen § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO, der auch die Videoaufzeichnung erfasst (OLG Zweibrücken VRS 102, 102), liegt insoweit vor, als nach dieser Norm zum einen nur wegen Einzelheiten eine Bezugnahme erlaubt ist, zum anderen nur auf Abbildungen (hier: Videoaufzeichnungen) verwiesen werden darf, die Bestandteil der Akte sind. Entgegen dem Wortlaut der Urteilsgründe wird hier faktisch auf die gesamte Videoaufzeichnung verwiesen. Die Schilderung des Aussagegehalts der Videoaufzeichnung darf auch bei einer Bezugnahme nicht ganz entfallen; eine Beschreibung des Wesentlichsten in knapper Form ist erforderlich (OLG Düsseldorf VRS 74, 449, 451; OLG Düsseldorf JMinBlNW 1997, 263), woran es hier jedoch fehlt.
3. Für das weitere Verfahren wird darauf hingewiesen, dass der Senat dahin tendiert, der überwiegenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur zu folgen, wonach §§ 27 Abs. 2 Nr. 2, 17a Abs. 2 Nr. 1 VersammlungsG nicht gegen Art. 5, Art. 8 GG verstößt (vgl. Maunz/Dürig-Depenheuer, Grundgesetz, Loseblatt, Stand 11/2006, Art. 8, Rdnr. 148; Friauf/Höfling-Geis, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Loseblatt, Stand 8/2006, Art. 8, Rdnr. 121; KG NStZ-RR 1997, 185; KG, Urteil vom 7. Oktober 2008, 1 Ss 486/07, zit. nach juris).

RechtsgebieteVerkehrsrecht, Owi, Fotobeweis

Sprechen Sie uns an!

Kundenservice
Max-Planck-Str. 7/9
97082 Würzburg
Tel. 0931 4170-472
kontakt@iww.de

Garantierte Erreichbarkeit

Montag - Donnerstag: 8 - 17 Uhr
Freitag: 8 - 16 Uhr