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09.12.2009 · IWW-Abrufnummer 093883

Amtsgericht Dillenburg: Beschluss vom 02.10.2009 – 3 OWi 2 Js 54432/09

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Amtsgericht Dillenburg
Aktenzeichen: 3 OWi 2 Js 54432/09
BESCHLUSS
in der Bußgeldsache gegen ...
geb. am ... wh. ...
Verteidiger: ...
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
hat das Amtsgericht – Bußgeldrichter – Dillenburg am 02. Oktober 2009 im schriftlichen Verfahren beschlossen:
Die Betroffene wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Betroffenen hat die Staatskasse zu tragen.
GRÜNDE:
Mit Zustimmung der Betroffenen und der Staatsanwaltschaft kann im schriftlichen Beschlussverfahren entschieden werden.
Die Betroffene ist von dem ihr mit Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums Kassel vom 08, Mai 2009 (Az. 983.228889.3) gemachten Ordnungswidrigkeitenvorwurf am 08. März 2009 um 21.44 Uhr in der Gemarkung Sinn im Bereich der Bundesautobahn A 45 Dortmund Fahrtrichtung Hanau in Höhe des Kilometers 140,820 als Führerin des PKW, amtliches Kennzeichen ... die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h um 56 km/h überschritten zu haben, aus tatsächlichen Gründen zumindest nach dem Grundsatz in dubio pro reo freizusprechen,
Es bleiben zumindest Restzweifel, ob die mit dem nicht standardisierten PoliScanSpeed-Messverfahren ermittelte Geschwindigkeit zutreffend ist.
Der Sachverständige ... kommt zwar in seinem Sachverständigengutachten vom 09.09.2009 zu dem Endergebnis, dass es keine Hinweise für eine Fehlmessung gebe und dass sämtliche in seinem Gutachten zuvor genannten Unzulänglichkeiten/Bedenken gegenüber dem PoliScanSpeed-Messsystem im konkreten Fall nicht zum Tragen kämen.
Bis auf Blatt 28 unten (vor 3.) ist sein Gutachten aber identisch mit dem von ihm am 31.08.2009 für das Amtsgericht Mannheim (dortiges Aktenzeichen 21 OWi 445/09) – das gleiche Messsystem betreffend – erstatteten Gutachten, wobei die dortige Aussage unter 10. (Blatt 30 des Gutachtens = Blatt 223 d.A.):
„Eine endgültige Aussage darüber, ob das im konkreten Fall eingesetzte PoliScanSpeed-Messsystem
nicht dem Stand der Technik entspricht (As 357)
ließe sich von hier aus erst machen, wenn detaillierte Unterlagen über die Funktionsweise des Maßsystems vorliegen würden; solche detaillierten Unterlagen werden derzeit jedoch weder von der PTB Braunschweig noch von der Herstellerfirma zur Verfügung gestellt.
Von hier aus ist zumindest derzeit keine nachträgliche Richtigkeitskontrolle eines Geschwindigkeitsmesswertes möglich.“
– sicher auch ein Textbaustein – hier fehlt, obwohl sich mangels der Gewährung von Einsichtnahme in die Prüfungsunterlagen samt zugehöriger Anlagen bei der PTB Braunschweig – obwohl u.a. auch vom hiesigen Gericht angeordnet – oder beim Hersteller an der vorbeschriebenen Aussage nichts geändert haben kann.
Zweifel hinsichtlich der Zuverlässigkeit des PoliScanSpeed-Messergebnisses bestehen zur Überzeugung des Gerichts deshalb, weil das PoliScan-Messsystem nicht dem Stand der Technik genügt, wonach ein überprüfbarer Beweis der richtigen Messwertgewinnung möglich sein muss und es ferner keine zuverlässige, nachträgliche Richtigkeitskontrolle der gewonnenen Messwerte und der Zuordnung der abgelichteten Fahrzeuge zulässt.
Die Sachverständigen ... (Blatt 13 und 25 des Gutachtens vom 01.09.2009 für das
Amtsgericht Wiesbaden, dortiges Aktenzeichen 77 OWi 5521 Js 36991/08 = Bl. 245 bzw. 257 d.A.), ... (Gutachten Seite 9 der gutachterlichen Stellungnahme vom 21.08.2009 an Rechtsanwalt Knapp = Bl. 276 d.A.), ... (Blatt 30 des Gutachtens vom 31.08.2009 für das Amtsgericht Mannheim – Blatt 223 der Akte) und ... (Blatt 95 Rs. d.A.) gehen übereinstimmend davon aus, dass der vom Gerät gewonnene Geschwindigkeitsmesswert systembedingt nicht einer nachträglichen Richtigkeitskontrolle, um Messfehler auszuschließen, unterzogen werden kann. Der Sachverständige ... führt insoweit aus:
„Die Messdatei enthält keine Daten, aus denen sich die Lage der Messstrecke und deren Länge ableiten lassen. Auch die Abweichungen der einzelnen Entfernungsmessungen von der Solllinie oder einer Zu- oder Abnahme durch Beschleunigung oder Verzögerung des Fahrzeugs innerhalb der Messstrecke lassen sich aus den Dazeit mit den Annullationsmessungen verfahren wird, kann man als Außenstehender nur darauf vertrauen, dass alles seine Richtigkeit hat.
Die Herstellerfirma gibt vor, dass das Gerät zwischen PKW und LKW unterscheiden könne. Diese Unterscheidung trifft jedoch in knapp 5 % aller Fälle nachweislich nicht zu (aus PKW werden LKW und umgekehrt).
In das Messfoto wird die Nummer der Fahrspur eingeblendet, auf der sich das gemessene Fahrzeug bewegt, in knapp 5 % aller Fälle trifft diese Fahrspurerkennung nicht zu (ein auf der Spur 1 fahrendes Fahrzeug wird als ein auf der Spur 2 fahrendes Fahrzeug identifiziert und umgekehrt).
Solange jedoch sowohl die Fahrzeugtypenerkennung als auch die Fahrspurerkennung so hohe Fehlerquoten aufweisen, sollte man diese Daten nicht im Falldatensatz aufführen.
Es bestehen Bedenken gegen die Annahme, dass allen gültigen Messwerten tatsächlich eine zusammenhängende Messstrecke von mindestens ca. 10 Metern zugrunde liegt.
Motorräder werden vom Gerät so gut wie nicht erfasst“.
Die vorgenannten Mängel werden auch von den anderen vorgenannten Sachverständigen bestätigt.
Außerdem erfüllt das PoliScanSpeed-Messgerät nicht die PTB-Anforderung 18.11 Abschnitt 3.5.4, die lautet
„Das Registrierbild muss die Zone der Messwertentstehung abbilden (z.B, Verlauf der Messbasis, Verlauf der Messstrahlung bei Verkehrsradargeräten).“
Der Sachverständige ... beanstandet dies in seinem vorgenannten Gutachten vom
01.09,2009, da der Messwert in einem erheblichen Abstand von bis zu 30 Metern vor der Fotoposition entstehe. Auf den Messfotos sei dieser Bereich allenfalls in einem sehr schmalen Ausschnitt abgebildet (vgl. Seite 17 des vorgenannten Gutachtens = Blatt 249 d A.).
Wenn man schließlich berücksichtigt, dass das Bundesverfassungsgericht zur Verwendung von Wahlcomputern bei der Bundestagswahl 2005 am 03.03.2009 (2 BvC 3/07 und 2 BvC 4/07 = Blatt 75 d.A.) entschieden hat, dass der Einsatz von Wahlcomputern verfassungswidrig war, weit die „verfassungsrechtlich gebotene Möglichkeit einer zuverlässigen Richtigkeitskontrolle“ nicht gesichert war, dann ist es verfassungsrechtlich ebenfalls nicht hinzunehmen, dass noch nicht einmal ein Sachverständiger – mangels Kenntnis des geheim gehaltenen Verfahrens der Messwertgewinnung – nachprüfen kann, ob die ermittelte Geschwindigkeit richtig ist oder nicht.
Das rechtstaatlichen Anforderungen (noch) nicht genügende PoIiScanSpeed-Messverfahren, muss auf den Stand der Technik nachgeröstet werden, um eine nachträgliche Richtigkeitskontrolle dem Sachverständigen zu ermöglichen. Der Bürger, der seit dem 01.02.2009 zum Teil drastisch erhöhte Bußgelder für Geschwindigkeitsübertretungen zahlen muss, hat einen verfassungsrechtlich gesicherten Anspruch auf die nachträgliche Richtigkeitskontrolle der ihm zur Last gelgten Geschwindigkeitsübertretung.
Da die Betroffene aus den vorgenannten Gründen freizusprechen war, hat die Staatskasse. die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Betroffenen zu tragen (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 467 StPO).

RechtsgebieteVerkehrsrecht, Owi, Fotobeweis

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